2006: Das Jahr des EurosWÄHRUNGSPOLITIK

2006: Das Jahr des Euros

Die USA haben mit Ben Bernanke, dem bisherigen Wirtschaftsberater von George W. Bush, einen neuen obersten Währungshüter. Er tritt als Chef der US-Notenbank die Nachfolge des legendären Alan Greenspan an, der ihm ein schweres Erbe hinterläßt: Das amerikanische Haushaltsdefizit wächst ungebremst. Dem Dollar droht die Abwertung. Viele Währungsfachleute erwarten daraus im Jahr 2006 vor allem Vorteile für den Euro.

Von Hans Wagner

D er Euro bekommt eine neue Chance. Nachdem er 2005 statt des erwarteten Höhenfluges eher eine Bauchlandung hingelegt hatte, stehen nun die Aussichten nach Meinung fast aller Finanzexperten weltweit wieder mehr als günstig.

Ein Grund dafür wird in einer veränderten Währungspolitik Chinas gesehen. Peking geht daran, seine Währungsreserven umzuschichten. Die Zentralbank will einen Teil der auf über 800 Milliarden US-Dollar geschätzten Devisenreserven in anderen Währungen anlegen, vor allem in Euro. Jedenfalls hat dies Anfang  des Jahres ein chinesischer Regierungsvertreter im Interview mit einer Schanghaier Zeitung durchblicken lassen. Bisher hatte das Reich der Mitte etwa drei Viertel seiner Devisenreserven in US-Dollar angelegt, hauptsächlich in Schuldverschreibungen des US-Schatzamtes. Und obwohl China im Gleichklang mit Europa und Rußland den Irak-Krieg der Amerikaner scharf verurteilte, hat es damit indirekt einen Teil der Kosten dieses Krieges und des Haushaltsdefizits finanziert.

Daß China nun einen Teil seiner Devisenreserven in anderen Währungen anlegen will, dürfte kaum in der Erwartung geschehen, den Irakkrieg Washingtons zu beenden. Sondern Peking erkennt, daß das wieder stark wachsende US-Haushaltsdefizit und die damit verbundene Wertminderung des Dollars die Währungsreserven Chinas immens schmälert. Um sich wenigstens teilweise gegen diese Abwertung zu schützen, will Peking die Devisenumschichtung vornehmen. Die Reserven der Volksrepublik sollen nach Schätzungen bis Ende 2006 auf einen Wert von über eine Billion US-Dollar ansteigen. Ein wachsender Teil davon soll nun in Euro angelegt werden.

Für Washington besteht eine gewisse Gefahr, daß das chinesische Beispiel auch in anderen asiatischen Ländern Schule macht, die hohe Dollarreserven halten. Dies könnte dem Dollar gefährlich werden. Allerdings wird Peking möglichst moderat vorgehen. Denn  der US-amerikanische Markt ist Hauptabnehmer für chinesische Industrieerzeugnisse. Und den braucht China. Eine zu stark geschwächte amerikanische Währung und damit verbunden der Verlust an Nachfrage nach chinesischen Produkten würde dem Land selbst schaden.

Die Zinspolitik der US- Zentralbank hat den Dollar bisher vor dem Absturz bewahrt.

Die Gründe, warum die Prognosen für 2005 sich nicht erfüllten, liegen zu einem gewissen Teil ebenfalls in Peking. Denn schon vor einem Jahr hatten Experten erwartet, daß eine Flucht aus der Reservewährung Dollar vor allem in China – und damit in ganz Asien – einsetzen würde. Dies hat sich nicht erfüllt, weil der scheidende Chef der „Federal Reserve Board“ (Fed), Alan Greenspan, durch eine entschlossene Zinserhöhungspolitik den Dollarverfall bremsen konnte. Insgesamt 14 mal in Folge hat der US-Währungshüter in den letzten Jahren die Zinsen nach oben korrigiert. Achtmal allein im Jahr 2005, auf 4,25 Prozent zu Ende des Jahres. Im Euroraum sind nur 2,5 Prozent Zinsen zu erzielen. Das hat dazu geführt, daß die Anleger trotz aller Befürchtungen der US-Währung treu geblieben sind. Nach Ansicht vieler Währungsfachleute ist jedoch mit der letzten Anhebung am Tag des Ausscheidens von Greenspan von 4,25 Prozent auf 4,50 Prozent das Ende der Fahnenstange weitgehend erreicht.

Von 2002 bis 2004 hatte der Dollar gegenüber dem Euro bereits einmal rund 40 Prozent an Wert verloren. Damals hatte sich die US-Konjunktur deutlich abgeschwächt. Die Folge war eine immense Dollarflucht mit einem regelrechten Absturz der US-Währung. Dieser Trend kam Anfang 2005 unter dem Einfluß der Zinserhöhungen zum Stillstand.

Damit ist in Zukunft nicht mehr zu rechnen. Eine weitere Zinserhöhung würde die US-Konjunktur abwürgen, so die Erwartung der Experten. Deshalb sei dieses Mittel nun erschöpft. Die sich ankündigenden Zinserhöhungen im Euroraum würden ein übriges tun und die Anleger nun doch zu der eigentlich schon für 2005 erwarteten Umschichtung in ihren Reservedepots veranlassen.

Devisenexperten von der Commerzbank erwarten bis Ende kommenden Jahres einen Anstieg des Euros von derzeit etwa 1,21 auf 1,28 US-Dollar. Unter den amerikanischen Analysten gibt es nicht wenige, die sogar von einem Euro-Anstieg auf 1,31 bis 1,35 US-Dollar im Laufe des Jahres ausgehen.

Die Aufholjagd des Euros hat schon begonnen

Der oberste Währungsstratege der New Yorker Investmentbank Lehman Brothers sagte kürzlich: „2006 kommt die Rache der Niedrigzinswährungen“. Er erwarte, daß der Euro mindestens auf 1,25 Dollar klettere. Bei der Deutschen Bank heißt die Prognose: „Mittelfristig sehen wir eine Wiederaufnahme des Abwärtstrends beim Greenback.“ Die Frankfurter Großbankiers rechnen  2006 mit einem Euro-Kurs von 1,27 Dollar.

Die Zeiten des schwachen Euros dürften also der Vergangenheit angehören. Seit Jahresbeginn hat die europäische Gemeinschaftswährung bereits eine beeindruckende Aufholjagd gestartet und ist bis auf 1,23 US-Dollar geklettert, gegenüber 1,18 Dollar am Jahresende 2005. Das war der höchste Wert seit vier Monaten. Der Euro hat sich deutlich über der 1,20-Dollar-Marke etabliert

Volkswirt Stefan Schneider von der Deutschen Bank ist überzeugt, daß der bisherige Wachstumsvorsprung Amerikas gegenüber Europa und auch Japan deutlich schrumpfen werde. Er wird in dieser Einschätzung vom US-Handelsministerium bestätigt. Dieses teilte vor wenigen Tagen mit, daß die amerikanische Wirtschaft im vierten Quartal 2005 nur noch um 1,1 Prozent gewachsen ist, nach einem Plus von 4,1 Prozent im Vorquartal.

In Europa werde der konjunkturelle Aufschwung breiter, prognostiziert Deutschbankier Schneider. Damit rücke das gigantische Leistungsbilanzdefizit der USA, das inzwischen eine Größenordnung von 800 Milliarden US-Dollar erreicht hat, wieder in den Mittelpunkt. „Das wird das beherrschende Thema des Jahres an den Devisenmärkten werden“, gibt sich Schneider überzeugt.

Der Euro ist auch nach einer Untersuchung der Europäischen Zentralbank EZB an den internationalen Finanzmärkten auf dem Vormarsch. „In der Rolle als internationale Währung hat der Euro an Bedeutung gewonnen“, schreibt die EZB in einer Studie über den Zeitraum von Mitte 2004 bis Mitte 2005.

Michael Heise, Chefvolkswirt von Allianz Dresdner Bank erklärte wenige Tage vor dem Dienstende des bisherigen US-Notenbankchefs: „Auf den ersten Blick sieht Greenspans Bilanz ganz prächtig aus, weil die Inflationsrate niedrig und das Wachstum stabil ist. Aber der Zahltag kommt noch“. Allerdings werde die Aufwertung des Euros gegenüber dem Dollar diesmal nicht mehr so ungestüm erfolgen wie in den Jahren 2002 bis 2004, sondern „maßvoll“.

Das US-Defizit wächst weiter ungebremst

Trotz eines bisher robusten Wirtschaftswachstums in den USA wird das Haushaltsdefizit im laufenden Jahr noch höher sein als 2005. Der Haushaltsausschuß des Kongresses schätzt das Defizit auf 337 Milliarden Dollar. Darin seien aber die zusätzlichen Kosten für die Militäreinsätze in Afghanistan und im Irak noch gar nicht enthalten, wie aus einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Bericht des Ausschusses hervorgeht. Die Regierung in Washington geht sogar von einem Haushaltsloch von 400 Milliarden Dollar aus.

2005 betrug das Defizit im US-Haushalt noch 318,62 Milliarden Dollar. Die jährliche Verschuldung begann im Haushaltsjahr 2001 mit damals 128 Milliarden Dollar. Im Jahr 2000, vor der Amtsübernahme von Präsident Bush, hatte der US-Haushalt noch einen Überschuß von 236 Milliarden Dollar ausgewiesen.

Amerikanische Währungsfachleute gehen davon aus, daß sich die US-Konjunktur von dem Wachstumseinbruch im vierten Quartal 2005 schnell wieder erholt. „Wir glauben, daß wir wie schon zu Jahresbeginn 2005 wieder ein kräftiges Wachstum sehen werden“, sagt auch Peter Hooper, Chefvolkswirt der Deutschen Bank in den Vereinigten Staaten.

Allerdings fürchten viele Ökonomen mittelfristig eine Abkühlung am amerikanischen Immobilienmarkt. Damit droht ein Rückschlag für den Konsum, der das US-Wachstum in den vergangenen Jahren entscheidend gestützt hat. Zum Jahresende hat sich die Immobiliendynamik bereits abgeschwächt.

Die Furcht vor einem plötzlichen Dollarabsturz nimmt wieder zu

Daß Europa auf eine plötzliche Korrektur des hohen US-Leistungsbilanzdefizits genügend vorbereitet ist, bezweifeln Alan Ahearne und Jürgen von Hagen in einer Studie, die sie Anfang Dezember für das Brüsseler Wirtschaftsforschungsinstitut Bruegel erstellt haben.

Nach Ansicht von Ahearne müssen die USA ihr Leistungsbilanzdefizit verringern. Dies sei unausweichlich. Offen sei nur der Zeitpunkt. Und eine solche Verringerung des Defizits werde „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einer Abwertung des Dollars einhergehen“, so Ahaerne. „Je länger sich die Korrektur hinauszögert, desto stärker wird die Abwertung sein.“ Den Zeitpunkt für den Beginn dieses Prozesses hält Ahearne allerdings für völlig offen. Es gebe keine Anzeichen dafür, daß eine solche Entwicklung unmittelbar bevorstehe.

Den europäischen Finanzministern raten die zwei Volkswirte dennoch, das schlimmste mögliche Szenario einer schnellen Dollar-Abwertung im Auge zu behalten und sich nach Kräften vorzubereiten. Nach ihren Berechnungen könnte eine starke Dollar-Abwertung die europäischen Exporte um 233 Milliarden Euro einbrechen lassen. Dies würde rund drei Millionen Arbeitsplätze kosten. In den 15 alten EU-Staaten würde die Arbeitslosenquote dann von 7,5 auf 9 Prozent steigen. Dabei gehen die Volkswirte in ihrer Studie davon aus, daß sich die Anpassungslast gleichmäßig zwischen Europa, Asien und den Öl exportierenden Ländern verteilt.

Unter Währungsexperten wird seit Jahren intensiv diskutiert, wie weit das Defizit der amerikanischen Leistungsbilanz noch wachsen kann, bevor es zu der erwarteten schmerzhaften Korrektur kommen muß, die „Dollar-Abwertung“ heißt. Umstritten ist auch, wie plötzlich eine solche Korrektur stattfinden wird und ob sie eine weltweite Rezession nach sich ziehen könnte. Weitsichtige Finanzexperten fordern: Europa müsse sich in jedem Fall stärker in die Debatte um die globalen Währungsbeziehungen einmischen. Nur wer an den Entscheidungen beteiligt sei, könne das schlimmste eventuell verhindern.

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Lesen Sie zu diesem brisanten Thema auch: „Zentralbanken bauen ihre Dollarreserven ab“ in EM 01-05, „Die Weltwirtschaft im Griff des Dollarimperiums“ in EM 12-04 und „Das große Spiel mit den Wechselkursen“ in EM 09-03.

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