Das eurasische Großreich der Mongolen und seine FaszinationDSCHINGIS KHAN

Das eurasische Großreich der Mongolen und seine Faszination

Das eurasische Großreich der Mongolen und seine Faszination

Das Abendland war schockiert aber auch fasziniert, von der urplötzlich auftauchenden Macht der mongolischen Steppenreiter unter Dschingis Khan und seinen Nachfolgern. Gut vier Jahrzehnte nach der Wahl des Großkhans und der Unterwerfung riesiger Landstriche, erreichte eine päpstliche Abordnung die mongolische Hauptstadt Karakorum. Ein Poker um Macht und Einfluß auf Erden begann, bei dem man noch heute geneigt ist, den Atem anzuhalten.

Von Hans Wagner

Stationen der Ausstellung  
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, von Juni bis zum 25. September 2005.

Staatliches Museum für Völkerkunde, München, vom 26. Oktober 2005 bis<zum 29. Januar 2006. Katalog: Museumsausgabe 28 EUR, Buchhandelsausgabe im Hirmer Verlag, 39,90 Euro.

Weitere Infos hier: www.bundeskunsthalle.de

Siehe auch: Eurasien historisch DIE MONGOLEN in EM 03-03 und „Lied von der Steppe“ in EM 12-03.
 
I

m 13. Jahrhundert scheint – rückblickend betrachtet – die Sternstunde für eine friedlichere Welt verspielt worden zu sein. Nachdem 1206 der Stammesfürst Dschingis Khan die mongolischen Stämme unter seiner Führung vereint hatte, eroberten er und seine Nachfahren binnen weniger Jahre das bislang größte Reich der Weltgeschichte. Ihr Herrschaftsraum reichte für einige Jahrzehnte vom Pazifischen Ozean bis nach Schlesien. Diese Macht der Mongolen sollte schon bald im Westen Hoffnungen für ein noch größeres Reich und eine noch gewaltigere Macht wecken.

Dschingis Khan war im Jahr 1219, wenige Jahre nach seiner Wahl zum Großkhan, mit einem Heer gegen das muslimische Reich Khwarezm (andere Schreibweise „Chorassan“ oder „Khorasan“) im Westen vorgestoßen. Khwarezm erstreckte sich von der Turanischen Ebene am unteren Lauf des Flusses Amu-Darya (heutiges Gebiet von Usbekistan/Turkmenistan) zunächst bis Afghanistan und Samarkand, umschloß dann unter seinem Herrscher Muhammed II. (1200-1220) auch den gesamten Iran (damals persisches Reich). Schließlich eroberte Muhammed alle Gebiete vom Kaukasus bis ans nordwestliche Indien und vom Aralsee bis an den Indischen Ozean.

Mit dem Vorstoß Dschingis Khans im Jahr 1219 begann der Niedergang Muhammeds. Die mongolischen Steppenreiter brachten dem muselmanischen Herrscher eine Niederlage nach der anderen bei. Im gleichen Jahr waren fränkische Kreuzfahrer in Ägypten in Bedrängnis geraten. Da verbreitete sich in ihrem Lager die Nachricht, ein König David habe im Osten das Reich der Perser erobert und stehe fünf Tagesmärsche vor Bagdad, der Residenz des Kalifen. Dieser König plane, den Christen gegen die sie bedrohenden muslimischen Mächte zu Hilfe zu eilen und Jerusalem zu befreien.

Dieser „König David“ war Dschingis Khan. „Die von den Kreuzfahrern und durch päpstliche Rundschreiben verbreiteten Berichte weckten in weiten Teilen der Christenheit hochgespannte Erwartungen, die auch durch die später eintretenden traumatischen Erlebnisse des Mongolensturms nicht völlig verdrängt werden konnten und noch im 14. Jahrhundert die Päpste veranlaßten, Bündnisverhandlungen mit mongolischen Herrschern aufzunehmen.“ So schreibt Hansgerd Göckenjan im Katalog zur großen Bonner Mongolenausstellung: „Dschingis Khan und seine Erben – das Weltreich der Mongolen“. (EM 04-05)

Päpstliche Gesandtschaften versuchten die Mongolen zum Christentum zu bekehren

Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik in Bonn zeigt in einer großangelegten Schau, welch ein Reich die Mongolenkhane geschaffen hatten.  
Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik in Bonn zeigt in einer großangelegten Schau, welch ein Reich die Mongolenkhane geschaffen hatten.  

Der „Mongolensturm“ gen Westen hatte große Teile des Reiches der Kiewer Rus, das Königreich Ungarn und schließlich sogar Schlesien überrannt. Doch nachdem im Frühjahr 1242 Großkhan Ögedei in der fernen mongolischen Hauptstadt Karakorum gestorben war, zogen sich seine Heere wieder in die Steppen zurück. Dies war der geschichtliche Augenblick, in dem die römische Kirche diplomatische Kontakte zu den Mongolen aufzunehmen versuchte, um mit ihrer Hilfe universale Macht zu erlangen. Auf dem Konzil von Lyon wurden die atemberaubenden Ideen der Kirchenführer in Beschlüsse umgesetzt. Vier Gesandtschaften setzten sich in den Folgejahren zu den Mongolen in Marsch. Die wichtigste leitete Johannes von Plano Carpini. Im August des Jahres 1246 traf die Abordnung des Papstes in Karakorum ein und wurde von dem gerade neu gewählten Großkhan Güyük empfangen.

Nach seiner Rückkehr entwickelte Carpini in einem schriftlichen Bericht für den Papst unter anderem den Gedanken, die Mongolen durch Missionierung mit der Christenheit zu versöhnen und für deren Kampf gegen die Muslime als Verbündete zu gewinnen. Eine friedliche Verständigung zwischen dem Großreich der Mongolen und dem christlichen Abendland hätte zwischen Atlantik und Pazifik ein einmaliges Machtgebilde entstehen lassen. Es scheiterte indes an den unvereinbaren Ausschließlichkeitsansprüchen der jeweiligen Herrscher. Göckenjan in seinem Katalogbeitrag zur Ausstellung: „Während das Papsttum zwar eine Unterstützung durch die Mongolen in der Auseinandersetzung mit dem Islam erhoffte, ein Bündnis mit ihnen aber nur nach deren Übertritt zum Christentum schließen wollte, forderten die mongolischen Khane, die abendländische Christenheit habe sich zuvor ihrem Weltherrschaftsanspruch zu unterwerfen.“

Großkhan Möngke verweist auf „verschiedene Wege, die Seligkeit zu erlangen“

Der Flame Wilhelm von Rubruk, ein Ordensbruder Carpinis, war in den Jahren 1253 bis 1255 in Karakorum. Er berichtete sehr ausführlich von den religiösen Überlieferungen und Gebräuchen des Schamanismus, die bei den Mongolen verbreitet waren. Von ihm stammt die ausführlichste mittelalterliche Beschreibung des Schamanentums überhaupt.

Rubruk wurde auch vom mongolischen Großkhan Möngke empfangen. Dieser wies das Ansinnen der päpstlichen Delegation, die Mongolen möchten sich doch zum Christentum bekehren, mit den bezeichnenden Worten zurück: „So wie Gott der Hand verschiedene Finger gab, so zeigte er den Menschen verschiedene Wege, die Seligkeit zu erlangen.“ - Die Mongolen erwählten in der Folgezeit den Buddhismus als die ihnen adäquate Religion.

Rom war jedoch gerade dabei, den christlichen Absolutheitsanspruch durch die Entsendung von Kreuzfahrerheeren ins Heilige Land mit Feuer und Schwert durchzusetzen. Auf der Gegenseite kämpften die Truppen der Sultane und Kalifen für den Sieg des Islams. Jeder versuchte den Finger des anderen abzuhacken, anstatt ihn als anderen Weg zur Erlangung der Seligkeit zu tolerieren.

Statt Eurasien „ein größeres Portugal“

Es kam also nicht zum großen Wurf einer Verständigung der Religionen und Kulturen auf dem Kontinent. Ganz im Gegenteil: Kreuzzüge und Dreißigjähriger Krieg, Hexenverfolgung und militante Islamisierung haben Millionen und Abermillionen von Opfern gefordert und Eurasien bis heute in tiefe Zerrissenheit gestürzt.

Europa und Asien entwickelten sich in der Folgezeit weiterhin in unterschiedliche Richtungen. Von universalen Ideen, wie 1245 auf dem Konzil von Lyon, war nicht mehr die Rede. „Bei allem Einmalig-Großartigen, das sein Geist im Laufe seiner großen Geschichte schuf, war Westeuropa doch immer eine Ecke, ein Balkon des eurasischen Kontinents auf die Weltmeere zu, gewissermaßen ein riesiges Portugal“, schreibt der ungarische Historiker Michael de Ferdinandy in seinem Buch „Tschingis Khan – Steppenvölker erobern Eurasien“, das in „rowohlts deutsche enzyklopädie“ erschienen ist.

Die neue Faszination Dschingis Khans

Die Exponate stammen aus den bedeutendsten Museen der Mongolei, aus berühmten Sammlungen Ostasiens und Europas.  
Die Exponate stammen aus den bedeutendsten Museen der Mongolei, aus berühmten Sammlungen Ostasiens und Europas.  

Seit einigen Jahrzehnten erlebt das eurasische Großreich der Mongolen eine neue, ungeahnte Aufmerksamkeit. Deutsche Archäologen haben große Teile des historischen mongolischen Machtzentrums Karakorum ausgegraben (etwa 350 Kilometer westlich von Ulan Bator gelegen, der heutigen Hauptstadt der Mongolei). Die Mongolische Republik beruft sich nach dem Untergang des kommunistischen Regimes unübersehbar auf Dschingis Khan. Chuluun Dalai, Mitglied der Akademie des Wissenschaften der Mongolei schreibt im Bonner Ausstellungskatalog über die Rolle Dschingis Khnas als Gründer des Mongolischen Großreichs: „Wie die meisten Adeligen der mongolischen Steppenstämme glaubte Dschingis Khan seit seiner Kindheit an die Kraft des ewigen Himmels, er vertraute alle seine Taten dem hohen Himmel an und war bis zu seinem Lebensende ein Anhänger des Schamanismus. Er selbst war kein Schamane, und er war keiner Religion gegenüber voreingenommen.“

Nicht ohne Stolz zwischen den Zeilen erkennen zu lassen, führt Chuluun Dalai aus: „Von 1189 an schlug Dschingis Khan im Laufe von nur wenig mehr als zehn Jahren über 30 Schlachten und brachte nicht nur die eigentlichen Mongolen, sondern auch alle anderen nomadischen Völkerschaften der Mongolei unter eine einheitliche Verwaltung. Im Herbst des Jahres 1206 versammelten sich die Fürsten der mongolischen Stämme und Khanate am Ufer des Flusses Onan zu einer Reichsversammlung, dem großen Quriltai. Sie stellten die neunfüßige Weiße Standarte auf, ließen Dschingis Khan auf weißem Filz Platz nehmen und erhoben ihn zum Großkhan des Mongolischen Großreichs.“

Diese Weiße Standarte ist das bedeutendste Exponat der Mongolenausstellung in Bonn. Eine Rekonstruktion davon steht heute im Regierungsgebäude in Ulan Bator. Für die Ausstellung wurde mit einer Sondergenehmigung eine Nachbildung angefertigt: Dreieinhalb Meter hoch und mit einem Dreizack besetzt, symbolisiert sie die Einheit der mongolischen Nation, ihre Identität, Geschichte und ihren Platz in der Welt.

Erinnerungen an Größe und Einmaligkeit

Die Mongolen waren nicht nur erfolgreiche Eroberer, sie vermochten es auch, ihr riesiges Herrschaftsgebiet souverän unter Kontrolle zu halten. Effektive Verwaltungsstrukturen, die Förderung des Handels, ein modernes Paß- und Kurierwesen, eine leistungsstarke Post, Papier- und Münzgeld und schließlich eine weitgehende religiöse und kulturelle Toleranz bildeten das Fundament der sogenannten Pax Mongolica: Bis ins 16. Jahrhundert hinein blühte der Austausch zwischen Europa und Asien mit noch nie dagewesener Intensität, über Handelswege gelangten nicht nur Waren, sondern auch Ideen und zivilisatorische Errungenschaften von einem Teil des Kontinents, in den anderen.

Daran erinnert man sich in der Mongolei nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem damit verbundenen Ende der mongolischen Volksrepublik besonders gern. Die Zeit als sowjetischer Satellitenstaat hat Leid und Elend über das dünnbesiedelte Land gebracht. Das buddhistische Kloster, das am Rande der ehemaligen Hauptstadt Karakorum steht, hatte zum Beispiel einst mehr als sechzig Tempel. 1937 wurde es von den Kommunisten geschleift, zwanzigtausend Mönche und Schriftgelehrte wurden als „Konterrevolutionäre“ umgebracht, Bibliotheken vernichtet und 70 Tonnen buddhistischer Kleinplastiken für die sowjetische Kriegsindustrie eingeschmolzen. Von dieser Kulturzerstörung erholt sich das große, aber nur gut zwei Millionen Einwohner zählende Land nur langsam.

Heute trägt der Airbus, der von Ulan Bator regelmäßig nach Berlin fliegt, den Namen des legendären mongolischen Herrschers Dschingis Khan. Auch Wodka, der in der mongolischen Hauptstadt verkauft wird, ist nach ihm benannt. Fast fünfzig Prozent der Menschen in den Städten der Mongolei tragen den Nachnamen Borjigin, den Stammesnamen von Dschingis Khan. Das ist so ähnlich – um einen wenn auch etwas hinkenden Vergleich zu ziehen - , als wenn in Deutschland jeder Zweite Hans, der Preuße oder Fritz, der Sachse hieße.

Im Westen widmen sich Bücher und großangelegte Ausstellungen Dschingis Khan und dem vergangenen Weltreich der Mongolen. Schon seit einiger Zeit faszinieren nicht mehr so sehr die Berichte über militärische Grausamkeiten der Mongolen, als vielmehr die Erinnerung an Größe und Einmaligkeit.

Faszination und Pracht der Mongolenausstellung

Knapp 500 Exponate, Tierfiguren, eine astronomische Karte, Ornamente, Münzen, Urkunden, Gemälde und mit Swastika verzierte Kultgefäße faszinieren den Besucher.  
Knapp 500 Exponate, Tierfiguren, eine astronomische Karte, Ornamente, Münzen, Urkunden, Gemälde und mit Swastika verzierte Kultgefäße faszinieren den Besucher.  

Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik in Bonn zeigt in einer großangelegten Schau, welch ein Reich die Mongolenkhane geschaffen hatten. Es wird dabei bewußtgemacht, daß die Steppenreiter fremde Völker nicht nur ausplünderten, sondern ihre Kulturen, ihre Wirtschaft, ihre Sprachen und Religionen auch zusammenführten - über nie dagewesene Distanzen hinweg, über die höchsten Berge der Erde, durch die trockensten Wüsten.

Ein weiterer wichtiger Bereich der Ausstellung widmet sich den Nachfolgereichen des Dschingis Khan-Imperiums, wie sie bis ins 16. Jahrhundert in Asien und Europa bestanden haben. Gezeigt werden einmalige Zeugnisse kultureller Wechselwirkung zwischen den nomadischen Eroberern und den seßhaften Völkern: die Reiche der Goldene Horde in Rußland, des Ilkhanats in Persien, die sich beide dem Islam zugewandt hatten, sowie die Yuan-Dynastie in China haben großartige Kunstwerke hervorgebracht, die in repräsentativer Auswahl in der Ausstellung gezeigt werden. Sie stammen aus den bedeutendsten Museen der Mongolei, aus berühmten Sammlungen Ostasiens und Europas.

Im Jahre 2006 jährt sich nun zum 800. Mal die Gründung des mongolischen Großreiches durch den legendären Dschingis Khan. Im Ausstellungskatalog werden eigene Kapitel ausgebreitet zur „Überlegenheit von Pferd und Bogen“ und zur „Sprache und Schrift der Mongolen“. Ein Beitrag läßt die „Geographie des Orchjontals“ lebendig werden, in dem einst Dschingis Khan sein Lager aufschlug und die befestigte Stadt Karakorum gründete. Die eigentliche Sensation, die Schaffung des Imperiums ist betitelt: „Das Weltreich der Mongolen: Von der Straße der Seide bringenden Serer zur Pax Mongolica“.

Knapp 500 Exponate, Tierfiguren, eine astronomische Karte, Ornamente, Münzen, Urkunden, Gemälde und mit Swastika verzierte Kultgefäße faszinieren den Besucher. Der Ausstellungskatalog ist von seltener Pracht und Gediegenheit: Seine 432 Seiten warten mit 529 Abbildungen auf, davon 503 in Farbe. Außerdem sind 34 Zeichnungen, Karten und Pläne zu sehen, die das mongolische Reich in all seinen verschiedenen Perioden zeigen. Das Format von 24,5 auf 28 Zentimeter erlaubt eine äußerst großzügige Darstellung.

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