Stürzt Thailand ins Chaos?HINTERGRUND

Die Gewalt in Thailand wächst - stürzt das Land ins Chaos?

Anhaltende Proteste bestimmen weiter das Bild in Bangkok. Dort konnte die konservative Protestbewegung ihr Kernziel bislang nicht erreichen: den Sturz der Regierung Yingluck Shinawatra. Demonstrationen werden zunehmend von Gewalt begleitet. Steht Thailand wieder ein Militärputsch bevor? Ein Blick hinter die Kulissen eines Landes in chronischer Instabilität.

Von Wilfried Arz

Thaksin Shinawatra, 2006 durch einen unblutigen Militärcoup als thailändischer Regierungschef entmachtet. Er lebt derzeit im Exil in Dubai.
Thaksin Shinawatra, 2006 durch einen unblutigen Militärcoup als thailändischer Regierungschef  entmachtet. Er lebt derzeit im Exil in Dubai.
Foto: US-Außenministerium

Die Zeichen stehen noch immer auf Sturm. Im November 2013 hatte ein Gesetz den Stein ins Rollen gebracht. Ein Amnestiegesetz der Regierung Yingluck Shinawatra (46) sollte vor allem ihrem Bruder Thaksin (64), dem 2006 durch einen unblutigen Militärcoup entmachteten Regierungschef, Straffreiheit garantieren. Vor diesem Hintergrund ist Bangkok seit Dezember Schauplatz von Demonstrationen. Kompromisslose Ablehnung schlug dem Gesetz nicht nur in der städtischen Mittelklasse entgegen. Auch die Rothemden-Bewegung lehnt eine Amnestie ab. Diese fordert eine strafrechtliche Verurteilung von Politikern, die 2010 eine  gewaltsame Niederschlagung ihrer Protestaktion in Bangkok veranlasst hatten.  

Chronische Instabilität - dieses Bild vermittelt Thailand seit Entmachtung des Königshauses 1932 durch rebellierende Militärs. Insgesamt 18 Militärputsche, 38 Regierungschefs und 12 Verfassungen bestimmten seither die politische Entwicklung. Thailands herrschende Eliten sind tief zerstritten, die Bevölkerung in zwei politische Lager polarisiert. Demonstrationen der letzten Wochen wurden wiederholt von Gewalt begleitet. Befürchtungen werden laut, der Konflikt könnte eskalieren, der Kontrolle der Regierung entgleiten und Thailand ins Chaos stürzen. Hinter den Kulissen wurden deshalb zwischen den Konfliktparteien wiederholt Vereinbarungen getroffen, um Thailands politische Lage unter Kontrolle zu halten.

Herrschaftseliten unter Druck

Thailands politische Krise wird in den Nachbarländern aufmerksam verfolgt. Myanmar, Laos und Kambodscha sehen sich selbst mit gravierenden innenpolitischen Problemen konfrontiert, die deren eigene Systemstabilität gefährden. In Napyidaw, Vientiane und Phnom Penh stehen Politik und Militär ebenfalls unter dem Druck ihrer Bevölkerung. Bislang wurden dort Wahlen manipuliert (Kambodscha) oder auf Einheitslisten der Staatspartei reduziert (Laos). In Myanmar hat das Militär 2011 einen Öffnungsprozess eingeleitet und sich für die Zukunft abgesichert: im Parlament sitzen überwiegend uniformierte Abgeordnete. Ob es vor den Wahlen 2015 zu einer Verfassungsänderung kommen wird, der Spielraum für die Opposition vergrößert und die Dominanz des Militärs zurückgedrängt wird, bleibt offen.

General Prayut Chanocha gilt als Akteur mit politischer Durchsetzungskraft. Öffentlich hat er sich ausdrücklich für eine Durchführung von Wahlen am 2. Februar ausgesprochen. Foto: Thailändische Regierung
General Prayut Chanocha gilt als Akteur mit politischer Durchsetzungskraft. Öffentlich hat er sich ausdrücklich für eine Durchführung von Wahlen am 2. Februar ausgesprochen. Foto: Thailändische Regierung

Kehrseiten der Globalisierung

Thailands Entwicklungsmodell beruht auf exportorientierter Industrialisierung. Als Produktionsstandort für Japans Automobil-Konzerne, Mikrochips und Textilien ist Thailand eng in globalisierte Fertigungsstrukturen integriert. Auslandskapital und billige Arbeitskräfte bescherten dem Land eine rasante Wirtschaftsentwicklung, aber auch gravierende soziale Veränderungen in der Thai-Gesellschaft. Hunderttausende zogen vom Lande als billige Arbeitskräfte in die Fabriken. In Thailands Landwirtschaft sank der Anteil aller Beschäftigten im Zeitraum 1990-2010 von 64 auf 38 Prozent. Höhere Einkommen und bessere Bildung förderten auch einen Wertewandel, neue (Konsum-) Ansprüche und ein neues (politisches) Bewusstsein.  Dieses bekommen Thailands herrschende Eliten nun zu spüren.       

Chinas neuer Einfluss in Südostasien

Auch Beijing beobachtet Thailands innenpolitische Entwicklungen sehr aufmerksam, insbesondere die Lösungsstrategien der Eliten in Bangkok, die Lage zu entschärfen und zu stabilisieren. Chinas Aufstieg hatte eine Verflechtung zwischen dem Wirtschaftsraum der Volksrepublik und Südostasien zur Folge. China ist Thailands zweitgrößter Handelspartner (2012: 70 Milliarden US-Dollar). Beijing will mit moderner Infrastruktur (Straßen, Trassen für Hochgeschwindigkeitszüge) einen Verkehrskorridor zwischen Südwestchina und dem Indischen Ozean ausbauen. Thailand spielt hierbei eine Schlüsselrolle. Innenpolitische Krise, Akzeptanzprobleme und Korruptionsvorwürfe verzögern diese Mega-Milliardenprojekte in Thailand. Unsicherheiten auch in Thailands muslimischen Süd-Provinzen: dort tobt ein blutiger Bürgerkrieg und blockiert landseitige Verkehrsverbindungen nach Malaysia und Singapur. Chinas strategische Pläne werden durch Thailands politische Krise(n) behindert.                         

Thailand als Bündnispartner Amerikas

Washington sieht China als Konkurrenten, der Amerikas globale Dominanz zu bedrohen in der Lage ist - durch Chinas wirtschaftlichen Aufstieg, dessen politisches Selbstbewusstsein und militärische Rüstung. Unter US-Präsident Obama wurde deshalb ein strategischer Richtungswechsel in der amerikanischen Außen- und Militärpolitik vollzogen: eine anti-chinesische Einkreisungsstrategie im West-Pazifik. In Amerikas neuer Geopolitik kommt Thailand eine wichtige Rolle zu: Obama will Thailands Militärstützpunkte nutzen. Anfragen Washingtons, die Militärbasis U-Tapao/Rayong für Forschungsflüge der NASA in Anspruch nehmen zu dürfen, scheiterten jedoch 2012 am Widerstand von Thailands Opposition. 

USA und Thailand pflegen enge militärische Beziehungen. Während des Vietnam-Krieges baute und betrieb Amerika Luftwaffenbasen in Thailand, um von dort Bombenangriffe auf Süd-Vietnam, Laos und Kambodscha zu fliegen. Thai-Soldaten waren in Korea, Süd-Vietnam, Irak und Afghanistan im Einsatz. Der US-Geheimdienst CIA soll zudem einige seiner berüchtigten Foltergefängnisse auch in Thailand betrieben haben: am internationalen Flughafen Don Muang/Bangkok, in Udon Thani und auf der Militärbasis U-Tapao. Seit 1982 sind gemeinsame Militärmanöver (Cobra Gold) und Ausbildungskurse für thailändische Offiziere in den USA ein weiterer Ausdruck einer jahrelangen, engen Zusammenarbeit auf militärischer Ebene. 

Im Dezember 2013 bekam Thailands (noch) amtierende Regierungschefin Yingluck Shinawatra Besuch von zwei hochkarätigen Amerikanern: Von Admiral Samuel Locklear (seit 2012 militärischer Befehlshaber des US-Pazifik-Kommandos) und der fließend Thai sprechenden Kristin Kenny (seit 2011 US-Botschafterin in Thailand). Gesprächsthemen dürften die geopolitischen Spannungen im West-Pazifik und Thailands Rolle in US-Präsident Obamas außenpolitischer Einkreisungsstrategie gegen China gewesen sein. Thailand hingegen ist nicht an einer Konfrontation mit China interessiert.

Absprachen hinter den Kulissen

Trotz tiefer Zerstrittenheit innerhalb Thailands herrschenden Eliten und ihren Netzwerken (Militär, Staatbürokratie und Monarchie) besteht offenbar Einigkeit in der Erkenntnis, die aus sozialen Widersprüchen resultierenden Konflikte nicht eskalieren lassen zu dürfen, um nicht selbst die politische Macht zu verlieren. Seit Zuspitzung der innenpolitischen Lage (2008) haben Vertreter einflussreicher Interessengruppen deshalb wiederholt hinter den Kulissen systemstabilisierende Kompromisse vereinbart. 

Noch vor den Wahlen 2011 trafen sich beispielsweise Vertreter von Thaksin Shinawatra, der 2006 durch einen Militärcoup als Regierungschef entmachtet worden war, mit Vertretern von Militär und Königshaus. Das Ergebnis: Thaksins aus dem Exil gegründete Partei PTP erhielt grünes Licht, eine neue Regierung zu bilden, eine Rückkehr Thaksins nach Thailand  wurde akzeptiert. Bedingung: kein Eingriff in Angelegenheiten des Militärs, die Monarchie bleibt unangetastet und Verzicht auf strafrechtliche Verfolgung jener, die 2010 die gewaltsame Niederschlagung der Rothemden-Proteste veranlasst hatten.  

Im Januar 2014 soll sich Suthep Thaugsuban (64), politischer Anführer der Protestbewegung PDRC mit hohen Vertretern des Militärs getroffen haben - zu Gesprächen über ein Eingreifen des Militärs in den schwelenden Konflikt. Kein Zweifel: in Thailands aktueller Krise führt am Militär kein Weg vorbei.

Ein neuer Militärputsch?

Thailands Innenpolitik wird seit 1932 entscheidend vom Militär mitbestimmt. Gewaltsames Niederschlagen von Aufständen unbewaffneter Demonstranten (1973, 1976, 1992) haben das Bild des Militärs allerdings nachhaltig ramponiert. 2006 entmachtete das Militär Regierungschef Thaksin Shinawatra. 2010 beendete das Militär eine wochenlange Besetzung des Banken- und Geschäftsviertels in Bangkok. In diesen Wochen steuert Thailand wieder in eine schwer kontrollierbare Situation. In konservativen Kreisen der Protestbewegung unter Suthep Thaugsuban wird ein Eingreifen des Militärs offen diskutiert.

Thailands Militärführung läßt in ihrer politischen Ausrichtung kein homoges Profil erkennen. Intern ist auch das Militär in zwei Fraktionen gespalten. General Prayut Chanocha (60) gilt als Akteur mit politischer Durchsetzungskraft. In der Öffentlichkeit hat sich Prayut ausdrücklich für eine Durchführung von Wahlen am 2. Februar ausgesprochen und das Militär als Vermittler zu positionieren versucht. Intern dürften auch andere Optionen zur Krisenlösung diskutiert worden sein. Wie stehen die Chancen eines Eingreifens durch das Militär? 

Neue innenpolitische Konstellation

Nicht ohne Grund hält sich die Armee (noch) im Hintergrund und appelliert an eine politische Konfliktlösung. Thailands innenpolitische Rahmenbedingungen haben sich seit 2008 und 2010 strukturell grundlegend verändert. Mit den Rothemden steht dem Militär heute eine Thaksin-freundliche, zahlenmäßig große Bewegung gegenüber, die stark politisiert ist und Bereitschaft signalisiert, für eine (gewählte) Regierung (auch gewaltsam) zu kämpfen.

Die Rothemden-Bewegung nennt sich UDD (United Front for Democracy against Dictatorship, deutsch: Vereinte Front für Demokratie gegen Diktatur). Ihre regionale Basis liegt in Thailands Norden und Nordosten sowie im industrialisierten Speckgürtel der Metropolregion Bangkok. Dort stehen Fabriken ausländischer Investoren und haben Hunderttausende vom Lande Arbeitsplätze und Einkommensquellen gefunden. Die soziale Basis der Rothemden geht somit weit über Kreise armer Bauern hinaus.

Rothemden rüsten zum Widerstand

Logistisch sind die Rothemden offensichtlich hervorragend vernetzt und gut vorbereitet,  Militäreinheiten Widerstand zu leisten. Waffendiebstähle aus Kasernen von Polizei und Militär in Thailands Provinzen lassen manche Beobachter vermuten, die Rothemden würden bewaffneten Widerstand als Option ins Kalkül ziehen. Asymmetrische Kriegführung wird seit Jahren in Süd-Thailand von muslimischen Rebellengruppen praktiziert. Truppeneinheiten der thailändischen Armee werden dort von autonom operierenden Guerillagruppen gebunden. Ein Konflikt zwischen Militär und der Rothemden-Bewegung? Dies wäre der sichere Auftakt zu einem Bürgerkrieg.

Loyalitätsprobleme in Thailands Armee

Sorgen bereiten der Militärführung gravierende Loyalitätsprobleme in den eigenen Reihen. Bei der gewaltsamen Niederschlagung der Rothemden-Proteste im Stadtzentrum von Bangkok (2010) wurden wiederholt Befehlsverweigerungen von Soldaten gegenüber den Befehlshabern von Truppeneinheiten bekannt. Thailands Streitkräfte rekrutieren ihre Soldaten überwiegend aus dem ländlichen Milieu, der sozialen Basis und Heimat der Rothemden-Bewegung. Viele Soldaten der unteren Dienstgrade sympathisieren mit Thaksin Shinawatra und den Rothemden. Politisch polarisiert ist somit auch das Militär, die zentrale Stütze der konservativen Elite Thailands. 

Stagnation oder politische Emanzipation?

Beide politischen Lager und ihre Protestbewegungen (Rothemden/UDD und Gelbhemden/ PDRC) werden von Vertretern der reichen Elite in Bangkok angeführt, finanziert und für eigene Interessen instrumentalisiert. Rothemden-Bewegung und die Protestbewegung PDRC sind jedoch keine Gruppierungen mit homogener sozialer Struktur und ideologischen Zielen. Innerhalb dieser beiden Bewegungen nehmen Stimmen nach politischer Emanzipation und Forderungen nach partizipativer Demokratie zu. 

Thailands Protestaktionen haben 2008 und 2010 zudem augenfällig erkennen lassen: sobald den elitären Strippenziehern die Kontrolle über radikalisierte Protestler zu entgleiten droht, werden Aktionen abgeblasen und politische Verschnaufpausen verordnet. Thailands Eliten in beiden politischen Lagern fürchten gleichermaßen eine politische Emanzipation der von  ihnen an der Leine geführten Protestbewegungen.

Ein neues Kapitel der politischen Geschichte Thailands?

Sollte es Thailands Rothemden gelingen, feste Organisationsstrukturen zu bilden, ein eigenes progressives politisches Programm mit klaren Perspektiven zu formulieren und herrschende Systemstrukturen kritisch in Frage zu stellen, könnte ein neues Kapitel der politischen Geschichte Thailands aufgeschlagen werden. Ein Eingreifen des Militärs in Thailands aktueller Krise könnte hingegen einen politischen Aufstand provozieren, den keine Fraktion der beiden politischen Lager unter Kontrolle zu halten vermag. Die Entwicklungen der kommenden Wochen werden die Weichen für Thailands Zukunft stellen.

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Wilfried Arz ist Politikwissenschaftler und berichtet regelmäßig aus Südostasien.

Thailand

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