Euroasiatische Gasallianz oder Sudeuropäischer Gasring?

Euroasiatische Gasallianz oder Sudeuropäischer Gasring?

Zwei konkurrierende Projekte zur Erschließung neuer Energiekorridore in Eurasien

Von Rizvan Nabiev

EM – Nach der Inbetriebnahme der drei Milliarden US-Dollar teuren und 1.200 Kilometer langen „Blue-Stream-Pipeline“ zwischen Rußland und der Türkei im Februar 2003 lassen die Streitereien zwischen dem türkischen Gaskonzern BOTAS und dem russischen Gasmonopolisten Gazprom nicht nach. Es geht um jährliche Exportmengen und die Höhe der Absatzpreise. Obwohl die anfängliche jährliche Exportmenge von vier auf zwei Milliarden Kubikmeter und der Absatzpreis auf 75 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter gesenkt wurden, weigert sich die Türkei russisches Erdgas wegen des hohen Absatzpreises aufzunehmen. Rußland seinerseits besteht auf der Erfüllung des „take or pay“-Vertrages und spricht sogar von einer ökonomischen Rentabilität des Projektes im Falle der Erhöhung des Absatzpreises auf 110 US-Dollar pro 1000 m³. In diesem Konflikt geht es indes nicht nur um Gasvolumen und Preise, sondern auch um die Dominanz über den europäischen Erdgasmarkt. Die Türkei, die bei einem wahrscheinlichen Anstieg der Durchleitungskapazität der „Blue-Stream-Pipeline“ auf jährlich 16 Milliarden Kubikmeter bis zum Jahr 2015 fast 62 Prozent ihres Erdgasbedarfs aus Rußland importieren wird, ist bestrebt diese einseitige Ausrichtung ihres Gasimports abzuschwächen und versucht daher den Gashandel mit dem Iran, Aserbaidschan und Turkmenistan auszubauen. Parallel dazu will BOTAS importiertes kaspisches und iranisches Erdgas nach Möglichkeit ab 2008 nach Europa reexportieren. Diese Strategie birgt insbesondere geopolitische Zielsetzungen in sich: „Die Türkei möchte indes unbedingt die geopolitische Trumpfkarte ausspielen und zum künftigen Ost-West-Transitkorridor für Erdöl und Erdgas aus dem Gebiet des kaspischen Raumes gehören.“ Zu diesem Zweck startete Ankara im Jahr 2002 zusammen mit Athen das Projekt „Südeuropäischer Gasring“.

Eine euroasiatische Gasallianz auf dem Gebiet der GUS unter russischer Patronage

Rußland will sein Monopol auf dem importabhängigen türkischen und auch auf dem gesamteuropäischen Erdgasmarkt aufrechterhalten und keine weiteren Konkurrenten aus dem kaspischen Raum zulassen. Nicht zuletzt deswegen initiierte Rußlands Präsident Putin bereits im März 2002 die Gründung einer Organisation der Erdgasproduzenten und der Transitländer im GUS-Raum unter russischer Patronage. Nach der Unterzeichnung eines entsprechenden Protokolls zwischen Rußland, Turkmenistan, Kasachstan und Usbekistan im kasachischen Almaty sprach Putin von einem „ersten sehr seriösen Schritt“ bei der Bündelung der Energiepolitiken der vier Staaten, obwohl das Memorandum keinen völkerrechtlich bindenden Charakter trage. Die Errichtung einer euroasiatischen Gasallianz der vier Staaten ermögliche es gemäß Putin eine „effektive Kontrolle“ über Exportumfang und- richtung des zentralasiatischen Erdgases auszuüben. Die Gasallianz wird die Ausfuhr des Erdgases aus den vier Ländern über „einheitliche Exportleitungen“ durchführen, sprich durch das Pipelinenetz von Gazprom. Sie soll die Formierung einer „einheitlichen Balance“ zwischen der Produktion und dem Verbrauch des Erdgases und ebenso einheitlicher Tarife beim Transport und bei der Preispolitik garantieren, wobei Rußland als größter Erdgasproduzent und –exporteur die Oberhand haben wird. Rußland versucht mithin eine Art „Gas-OPEC“ ins Leben zu rufen.

Die Idee über den kollektiven Schutz der Erdgasexporteure brachten Algerien, Nigeria, der Iran und Turkmenistan schon Anfang 1990er Jahren auf den Tisch, konnten sie aber nicht realisieren. Das eigentliche Problem bestand wie so oft darin, daß der Absatzpreis des Erdgases auf dem Weltmarkt nur indirekt durch Angebot und Nachfrage geregelt wird: Der Erdgaspreis ist de facto an den Markwert des Erdöls gekoppelt.

Schon Ende der 1990er Jahre versuchte Moskau eine Energieunion zwischen Rußland, Kasachstan, der Ukraine und Belarus zu errichten, ohne dabei allerdings nennenswerten Erfolg erzielen zu können. Trotz der ausbleibenden Fortschritte im Rahmen einer multilateralen Kooperation ist es Rußland einigermaßen gut gelungen, Staaten an sich zu binden, die über große Vorkommen von bedeutsamen Bodenschätzen für die Energieversorgung verfügen. Im November 2001 unterschrieb Gazprom mit der kasachischen KazTransGas ein Abkommen über eine zehnjährige Zusammenarbeit, welches in erster Linie den Export des kasachischen Erdgases nach Rußland beinhaltet. Auch mit Turkmenistan konnte im April 2003 nach den Worten von Gazprom-Chef Alexej Miller ein „revolutionärer Durchbruch“ in der Erdgasbranche herbeigeführt werden: Turkmengaz wird ab 2004 jährlich sechs Milliarden Kubikmeter, ab 2006 zehn Milliarden Kubikmeter und ab dem Jahr 2009 achtzig Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Rußland ausführen. Wenn man berücksichtigt, daß derzeit die gesamten Erdgasexporte Turkmenistans jährlich 36 Milliarden Kubikmeter in die Ukraine, weitere zehn Milliarden Kubikmeter unter Vermittlung des russischen Gaskonzerns ITERA in die GUS-Staaten und sechs Milliarden Kubikmeter nach Iran betragen, kann man davon ausgehen, daß Rußland kurz- bis mittelfristig das ganze turkmenische Erdgas eines Jahres kaufen wird.

Mit dem vereinbarten Export des turkmenischen Gases nach Rußland gelang es Moskau seinen bisherigen Druckhebel gegenüber Ashgabat zu legalisieren und so seine bisherige „Sperrpolitik“ fortzusetzen, d.h. Moskau kann Turkmenistan auch in Zukunft am einträglichen Gashandel mit dem europäischen Markt hindern. Allein dies zeigt, welche Bedeutung dem Export des turkmenischen Erdgases durch Gazprom-Pipelines für die russische Gasindustrie beizumessen ist.

Rußland versucht den Rückgang seiner eigenen Gasproduktion durch die Importe aus dem kaspischen Raum zu kompensieren

Die Monopolstellung von Gazprom in der russischen Gaswirtschaft bildet ein wichtiges Instrument bei der Gestaltung russischer Außenpolitik. Nicht zuletzt aus diesem Grund weigert sich Rußland immer noch der Aufforderung des Internationalen Währungsfonds zur Entmonopolisierung der russischen Gasbranche nachzukommen. Die intensivierte Integration der Erdgaswirtschaft der zentralasiatischen Staaten unter russischer Patronage stärkt den Einfluß des Kremls in seinem „Nahen Ausland“. Die euroasiatische Gasallianz würde es Moskau ermöglichen nicht nur das an Erdöl und Erdgas reiche Zentralasien in seiner energiepolitischen Einflußsphäre zu halten, sondern auch dessen mögliche Absatzmärkte in Europa. Ein Umstand, der für Rußland enorm wichtig ist. Mit geschätzten 48 Trillionen Kubikmeter Erdgasreserven und mit jährlichen Exportmengen von mehr als 150 Milliarden Kubikmeter ist Rußland der größte Erdgasexporteur der Welt.

Dennoch erlebt die russische Erdgasindustrie seit dem Zerfall der Sowjetunion einen wirtschaftlichen Rückgang. Nach der aktuellen Statistik des Ölkonzerns BP geht die Produktion seit 1992 stetig zurück (von ca. 597 Milliarden Kubikmeter 1992 auf 542 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2001). Wegen der kontinuierlichen Erschöpfung der traditionellen Gasfelder Urengoj, Yamburg und Medveyjego im westsibirischen Gebiet Nadim-Pur-Taz, die heute 75 Prozent der russischen Produktion sichern, geht die Gasproduktion jährlich um 20-25 Milliarden Kubikmeter zurück. Nach Angaben von Gazprom ist es dringend notwendig, 190 neue Gasvorkommen mit einem gemeinsamen Vorrat von neun Trillionen Kubikmeter in die Erschließung einzubeziehen.

Die Vorbereitung neuer Gasvorkommen auf die Erschließung nimmt einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren in Anspruch. Darüber hinaus sind milliardenschwere Investitionen erforderlich, deren Anwerbung gerade in Rußland Zeit braucht. Einfacher wäre es alte turkmenische Produktionsstätten wieder in Betrieb zu nehmen, die zu sowjetischer Zeit mit jährlich zwischen 80 und 90 Milliarden Kubikmeter mehr als zehn Prozent der sowjetischen Gasproduktion sicherstellten.

Mit der Erhöhung der Exportquote für turkmenisches Gas durch die Gazprom-Leitungen verfolgt die Russische Föderation auch das Ziel den Transport des turkmenischen Gases in Richtung Süden einzudämmen oder unmittelbar zu kontrollieren. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes ist die Verlegung einer Erdgasexportleitung von den turkmenischen Erdgasvorkommen über Afghanistan nach Pakistan und weiter Indien zu einem aktuellen Thema geworden.

Europa als „Retter der russischen Gasindustrie“

Die Gasversorgung ist auch im Inneren Rußlands ein nicht zu unterschätzendes Problem. 60 Prozent der russischen Gasproduktion geht zur Deckung des eigenen Bedarfs: Da die europäischen Gaskonsumenten mindestens 100 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter zahlen, kann der Absatzpreis im innenrussischen Markt auf nur 15 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter gehalten werden. Bei den derzeit sehr niedrigen Erdgaspreisen wird die Gasversorgung in den meisten Regionen der Russischen Föderation erst in 40-50 Jahren rentabel sein. Selbstredend gilt dies nur, wenn sich die gesamtwirtschaftliche Lage in Rußland bessert und die russischen Verbraucher zahlungsfähiger werden.

Wie zu sowjetischen Zeiten gelten die europäischen Verbraucher heute in Rußland wieder als „Retter der russischen Gasindustrie“ . In den 1970er Jahren beschloß die Sowjetführung die leere Staatskasse mit dem Verkauf von Erdgas zu füllen. Schon Anfang der 1980er Jahre hatte Moskau zahlreiche Verträge mit europäischen Ländern abgeschlossen, in denen sich diese für einen Zeitrahmen von 15 bis 20 Jahren zum Import von 70 Prozent der gesamten sowjetischen Gasproduktion verpflichteten. Ihre eigene Versorgung mit Gas stellte die UdSSR vor allem durch die Vorkommen in seinen zentralasiatischen Republiken und durch Importe aus dem Iran sicher. Im Rahmen einer euroasiatischen Gasallianz könnten Turkmenistan, Kasachstan, Usbekistan den russischen Bedarf an Erdgas decken. Moskau zöge daraus den Vorteil, daß es auch weiterhin die Kapazitäten hätte das eigene Erdgas teuer nach Europa zu verkaufen. Käme es nicht zur Bildung der euroasiatischen Gasallianz oder zu bilateralen Bündelungen der nationalen Erdgaspolitiken auf dem postsowjetischen Raum, würde Moskau Gefahr laufen von seinen traditionellen europäischen Märkten zugunsten anderer Produzenten langsam verdrängt zu werden.

Brauchen die Nachfolgestaaten der UdSSR eine Gasallianz mit Moskau? Das Beispiel Turkmenistan und Aserbaidschan

Obwohl sich Turkmenistan Mitte 2002 noch gegen die euroasiatische Gasallianz aussprach, stimmte es im April 2003 einem bilateralen Vertrag mit Rußland zu. Der turkmenische Präsident Nijasow begründete die ablehnende Haltung seines Landes damals wie folgt: Gazprom kaufe heute turkmenisches Gas an der russisch-kasachischen Grenze im Preis von 55 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter und verkauft es nach Europa für 120 US-Dollar. Turkmenistan erhalte 42 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter. Rußland hingegen gewinne mehr als 50 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter. Die Gasallianz helfe daher nicht weiter.

Turkmenistans vorrangiges Ziel bei der Koordinierung der russischen Erdgaspolitik mit der eigenen ist die Schaffung eines direkten Zugangs zu europäischen Gasmärkten, welcher nach dem Zerfall der Sowjetunion von Rußland versperrt wurde. Trotz der bilateralen Vereinbarung mit Turkmenistan funktioniert die russisch-turkmenische Zusammenarbeit in der Gasbranche immer noch nach dem Modell, das der einstige Gazprom-Chef Rem Vjachirew wie folgt skizzierte: „Wir sind Konkurrenten der turkmenischen Gasindustrie und davon ausgehend werden wir handeln.“ Das bestätigt wiederum, daß Turkmenistan dringend verschiedenartige neue Transportwege benötigt, die russisches Territorium und damit russische Einflußmöglichkeiten umgehen können. Die Ende der 1990er Jahre projizierte Transkaspische-Gaspipeline von Turkmenistan über Aserbaidschan und Georgien in die Türkei und weiter nach Europa war ein Versuch in dieser Richtung. Wegen politischer Konflikte zwischen Baku und Ashgabat ist dieses Vorhaben jedoch inzwischen in eine Sackgasse geraten.

Aserbaidschan vertritt nach wie vor eine eher zurückhaltende Position zur euroasiatischen Gasallianz. „Solche Vorschläge zerstören jeden Sinn freier Konkurrenz auf dem Markt“, so ein hochrangiger Beamte der staatlichen aserbaidschanischen Erdölgesellschaft SOCAR. Ab 2005 beginnt Aserbaidschan die Erschließung seines riesigen Gasfeldes Shahdeniz, dessen Volumen auf ca. eine Trillion Kubikmeter taxiert wird. Auch Aserbaidschan ist an der Schaffung zusätzlicher Transportwege für den Export seines Erdöls und Erdgases zum Weltmarkt interessiert. Zu diesem Zweck ist parallel zur Erdölpipeline Baku-Tiflis-Ceyhan der Bau einer der sogenannten BTE-Erdgaspipeline von Baku über Tiflis ins osttürkische Erzurum geplant. In der Türkei und in Griechenland betrachtet man dieses Projekt als wichtigen Bestandteil des geplanten „Südeuropäischen Gasringes“.

Der „Südeuropäische Gasring“ zwischen den Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres und Europa

Bereits im Herbst 2000 hob die EU-Kommission in ihrem „Grünbuch“ hervor: „Das Verbindungsprojekt zwischen Griechenland und der Türkei [...] eröffnet neue Möglichkeiten bei der Gasversorgung für den europäischen Markt und bietet eine Alternative zum Seetransport von Erdgas, auch für den Transit von Lieferungen aus dem Nahen und Mittleren Osten.“ Am 28. März 2002 unterschrieben die Energieminister der Türkei und Griechenlands ein Regierungsabkommen zum Bau einer Gaspipeline, die die nationalen Pipelinesysteme verbinden soll. Das von dem türkischen Konzern BOTAS und der griechischen Gasfirma DEPA drei Jahre lang vorbereitete Projekt kostet zwischen 300 und 342 Millionen US-Dollar und ermöglicht der Türkei iranisches und aserbaidschanisches, später vielleicht auch turkmenisches Erdgas über Griechenland nach Europa zu exportieren. Der Bau einer 650 Kilometer langen Verbindungsleitung zwischen Ankara und dem griechischen Komotini wird auch die iranisch-türkische Gaspipeline Tebriz-Ankara bis nach Griechenland verlängern. Bereits seit Dezember 2001 bezieht die Türkei durch diese 2.567 km lange Tebriz-Ankara-Pipeline iranisches Gas.

Die Türkei und Aserbaidschan bezogen einen externen Punkt in das Regierungsabkommen vom März 2000 über den Reexport des aserbaidschanischen Erdgases nach Europa ein. Die Baku-Tiflis-Erzurum-Gaspipeline (BTE) soll das Shahdeniz-Vorkommen über die Türkei und Griechenland mit dem Erdgasnetz anderer europäischer Länder verbinden. Diese Idee unterstützten im April 2002 auch die griechischen und aserbaidschanischen Gaskonzerne DEPA und SOCAR während der Visite des griechischen Entwicklungsministers in Baku. Die griechische Regierung beabsichtigt im Rahmen eines achtjährigen Bauprojekts ihr Pipelinesystem mit dem italienischen zu verbinden. Da Pipeline-Gastransporte über eine Strecke von bis zu 6.000 Kilometer rentabel sind, stellte der „Südeuropäische Gasring“ nicht nur einen Beitrag zur Versorgung der europäischen Länder dar, sondern würde auch die Diversifizierung der Bezugsquellen Europas voranbringen. Von Griechenland aus sind zwei Gaspipelines gedacht: die erste nach Italien und Frankreich, die andere in die Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Eventuell könnten auch Deutschland oder osteuropäische Staaten mit kaspischem Erdgas versorgt werden. Die Realisierung dieser Projekte, die neben der Türkei auch Griechenland zu einem südeuropäischen Energiezentrum aufwerten, fordert Investitionen von 16 Milliarden Euro. „Der Bau der Gasleitung hat eine strategische Bedeutung für die zukünftige Sicherheit der Region“, urteilten griechische Diplomaten.

Die Energieabhängigkeit von Rußland steigt in der erweiterten EU dramatisch an

Bei einem weltweiten Anstieg des Erdgasverbrauchs um etwa 2,7 Prozent pro Jahr zwischen 1997 und 2020 wird sich nach Angaben der Internationalen Energieagentur in Paris die Abhängigkeit der Industrieländer von Gaseinfuhren dramatisch erhöhen. Die Industrieländer Europas werden im Jahr 2020 62 Prozent ihres Erdgasbedarfs importieren müssen, während ihre eigene Erdgasförderung nur sieben Prozent der globalen Produktion ausmachen wird. Trotz des enorm ansteigenden Erdgasbedarfs in den europäischen Ländern fehlt bis dato eine direkte Pipelineverbindung zwischen dem größten Gasverbraucher der Welt, der EU, und den potentiellen Handelspartnern am Kaspischen Meer. Bis jetzt beziehen Frankreich 30 Prozent, Deutschland und Italien je 38 Prozent ihres Erdgases aus Rußland. Die Europäische Kommission legte eine 30 Prozent-Grenze bei der Versorgung eines EU-Staates mit Gas aus einem Drittland fest. Die Verringerung des russischen Anteils und die Diversifizierung bei der Erdöl- und Erdgasversorgung der EU-Länder solle mit Nachdruck verfolgt werden.

Bei den EU-Beitrittskandidaten ist die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen noch dramatischer: Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, die Slowakei und Slowenien sind zu fast 100 Prozent, Polen zu 67 Prozent und Ungarn zu 73 Prozent auf Gaslieferungen aus Rußland angewiesen. Tschechien, das ein 15 jähriges Lieferabkommen mit Gazprom hat, deckt zwei Drittel seines Erdgasbedarfs mit Lieferungen aus Rußland.

Die kaspische Region und Rußland stehen in einem hartem Konkurrenzkampf um den europäischen Gasmarkt – Eine Chance für die EU

Die russische Regierung versucht ihre bisherige beherrschende Stellung auf dem europäischen Gasmarkt weiter zu festigen: Die von Wladimir Putin vorgeschlagene Gründung einer euroasiatischen Gasorganisation auf dem GUS-Raum ist als ein Gegenpol zu den griechisch-türkischen Aktivitäten zum Export iranischen und kaspischen Erdgases nach Europa gedacht. Wegen des mangelnden Interesses von Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan ist es Moskau bislang allerdings nicht gelungen, die Realisierung dieser Idee voranzutreiben. Lediglich das erwähnte Memorandum wurde verabschiedet.

Solange die Europäische Union oder politisch einflußreiche Mitgliedsstaaten keinen entschiedenen politischen Willen zum Erdgasimport aus dem kaspischen Becken zeigen, wird sich die Diversifizierung der europäischen Bezugsquellen für Erdgas zumindest in dieser Region weiter in die Länge ziehen. Das erhöht die Chance Rußlands die erdgasfördernden Länder des kaspischen Raumes in bilateralen Verträgen an sich zu binden und auf diese Weise seine Monopolstellung auf dem europäischen Gasmarkt noch verstärken. Nicht zufällig versucht Moskau nach den abgeschlossenen Verträgen über den Gashandel mit Kasachstan und Turkmenistan jetzt auch mit Aserbaidschan in Verhandlungen einzutreten, um den Bau der BTE-Gaspipeline zu verhindern. Schließlich wäre sie der erste Schritt hin zu einem „Südeuropäischen Gasring“.

Hier sollte die EU endlich aktiver werden und das Erdgas des kaspischen Raums als Alternative zur einseitigen Gasversorgung aus der Russischen Föderation wahrnehmen. Durch den Aufbau des „Südeuropäischen Gasringes“ könnte Europa im Energiebereich wichtige Handelspartner hinzugewinnen und damit seine Abhängigkeit von russischem Erdgas zumindest abbauen. Allein die Erdgasressourcen in Aserbaidschan und Turkmenistan würden die ökonomische Rentabilität dieses Projektes gewährleisten.

Eurasien Kaukasus Wirtschaft Zentralasien

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