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UKRAINE
Von Stefan Schocher | 27.05.2015
Die Steuererklärung des ukrainischen Präsidenten sorgt in der Ukraine derzeit für Schlagzeilen. Ausgerechnet im Kriegs- und Krisenjahr 2014 hat Petro Poroschenko nämlich gute Geschäfte gemacht: Seine Bankeinlagen haben sich gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Das sorgt für Unmut. Aus Poroschenkos Umfeld heißt es, er sei dabei, seine Anteile an diversen Unternehmen abzustoßen. Das brauche aber Zeit.
Solche Nachrichten vergiften das Klima in der Ukraine, denn die Wirtschaftslage ist katastrophal. Der andauernde Konflikt im Osten des Landes hat dafür gesorgt, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal des Jahres um weitere 17 Prozent schrumpfte. Die Landeswährung Griwna ist nur noch halb so viel Wert wie zu Beginn des Konflikts. Bereits mit dem Abgang von Ex-Präsident Janukowitsch übernahm die damalige Interimsregierung einen Staat mit leeren Kassen und inoffiziellen Geldflüssen.
Der Druck auf die Regierung ist riesig – nicht nur seitens internationaler Geldgeber, die einen Staatsbankrott abwenden sollen. Aber auch Bürgerrechtsgruppen machen Druck, sie wollen grundlegende Reformen. Ihnen geht es vor allem um die Bekämpfung der grassierenden Korruption.
So werden seit Kurzem etwa alle Zahlungen an Firmen im Ausland überprüft, ob sie auch dem Wert der erstandenen Ware oder Dienstleistung entsprechen. Das soll Kapitalflucht über Scheinrechnungen verhindern. Die Folge aber ist, dass jetzt Bargeld an den Behörden vorbei außer Landes gebracht und in Westeuropa angelegt wird. All das, während die katastrophale Wirtschaftslage dem Kampf gegen Behördenkorruption nicht gerade Rückenwind verschafft, bedenkt man, dass ein gutes Beamtengehalt mit Währungsverfall und Inflation derzeit umgerechnet um die 100 Euro ausmacht.
Alek ist Kleinunternehmer, er hat vor kurzem mit einem Geldgeber ein kleines Gästehaus in Kiew eröffnet. Alek ärgert sich. „Plötzlich muss ich eine Registrierkasse anschaffen, das kostet wieder – und für wen bezahle ich das?“ Der Unternehmer hat kein Problem damit, Steuern zu zahlen. Er würde auch gerne – bei diesem Wort lacht er kurz – mehr zahlen, wenn er wüsste, dass das Geld auch dem Staat zugutekäme. Und da ist er sich immer noch nicht sicher.
Eine Reihe von Gesetzen wurde beschlossen, die den Einfluss von Oligarchen auf Staatsbetriebe beschränken. So wurde das Lizenzierungsverfahren für Medikamente – ein bisher riesiger Korruptionssumpf – neu geregelt. Staatsbeamte wurden ausgetauscht, ein Anti-Korruptions-Büro geschaffen. Der Regierung steht jetzt auch ein Beratergremium aus Vertretern der Zivilgesellschaft zur Seite. Zugleich wurden Budgets und Staatsausgaben transparenter gemacht. Aber wo anfangen, wenn geschätzte 60 Prozent des BIP am Fiskus vorbei erwirtschaftet werden – quer durch alle Branchen?
„Man verlangt von uns derzeit viel zu viel, viel zu schnell“, so Finanzministerin Natalie Jaresko, eine in den USA geborene Ex-Bankerin ukrainischer Abstammung. Eine Alternative zu Reformen, so sagt sie, gebe es nicht. Nur den Staatsbankrott. Und sie sagt: „Die Reformen sind nicht einmal nahe an ihrer Vollendung.“
Was sich aber festgesetzt hat in der ukrainischen Gesellschaft, ist ein tief sitzendes Bewusstsein, dass die Regierung vor allem sich selbst repräsentiert und nicht die Bürger. Das aufzubrechen sei eine Mammutaufgabe, sagt Sergej, ein Psychologe in Kiew. „Die Ukrainer sind wie ein Kind, dessen Urvertrauen gestört wurde. Jetzt vertrauen sie niemandem mehr außer sich selbst. Dies gelte leider auch für Politiker, Staatsanwälte, Polizeibeamte.
Josef Zissels von der renommierten Mohyla-Akademie in Kiew spricht von einer „Tradition“. Er hat an der Bildung eines Anti-Korruptions-Büros mitgearbeitet und ist sicher, dass in der gegenwärtigen Regierung der Wille zu Veränderungen zwar vorhanden ist. Die offene Frage aber ist seiner Ansicht nach: „Werden die Eliten bereit sein, selbst Opfer ihrer Reformen zu werden?“ Da hegt er Zweifel. Aber auch die Gesellschaft müsse ihre Einstellungen ändern. Zu glauben, Korruption in der Ukraine sei eine Sache, die man in einem Jahr eliminieren könne, sei naiv.
Alek wird nichts übrig bleiben, als eine Registrierkasse anzuschaffen. Er wird aber genau darauf schauen, ob der Präsident seine Unternehmensanteile abstoßen wird. „Wenn nicht“, sagt er, „ist Poroschenko bald Geschichte.“
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Der Autor ist Korrespondent von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.
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