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ESKALATION DER GEWALT
Von Katharina Spielmann | 19.02.2014
Die Titelseite der Zeitung „Vesti“ vom 19. Februar 2014 ist komplett schwarz. Einziges Thema ist der „schwarze Dienstag“ - Gewalt durch Polizei und Demonstranten. In Kiew herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände mit vielen Toten und Verletzten.
Der junge Journalist Wjatscheslaw Weremyj berichtet in einem Artikel dieser Ausgabe über die einfachen Bürger Kiews, die im Regierungsviertel wohnen. Sie können keinen Arzt rufen, nicht mit dem Hund spazieren gehen, nicht einmal Brot holen. Und sie leben seit Wochen mit Polizeitruppen auf dem Hof und im Hauseingang, die sogar im Treppenhaus schlafen und kochen.
Wjatscheslaw Weremyj schrieb diesen Artikel nach einigen Wochen im Krankenhaus und in Verstecken. Bei gezielten Schüssen der gefürchteten „Berkut“, der Polizeitruppen des Innenministeriums, auf Journalisten am 22. Januar 2014 in der Hrushewskij-Straße hatte ihn, wie viele andere Kollegen an diesem Tag, ein Gummigeschoss am Auge erwischt. Weremyj verlor zum Teil seine Sehfähigkeit.
Auf der Station des Oktober-Krankenhauses wurde Wjatscheslaw behandelt – bis Polizeitruppen in der Klinik auftauchten, um die verletzen Journalisten zu verhaften. Ärzte und Schwestern blockierten die Türen, solange sie konnten. Weremyj konnte noch mit dem Tropf im Arm und verbundenem Auge fliehen und sich bei Freunden verstecken.
Durch das zwischen Opposition und Präsident Janukowytsch ausgehandelte Amnestiegesetz wurden alle der mehr als 2000 Strafverfahren gegen Demonstranten, Journalisten und einfache Bürger im Zusammenhang mit dem Euromaidan am 17. Februar eingestellt. Weremyj machte sich sofort wieder an die Arbeit – so entstand der Artikel über die Anwohner in der Nähe des Parlaments.
Am späten Abend des 18. Februar fuhr Weremyj in einem Taxi gemeinsam mit einem Freund heim. An einer Ampelkreuzung sprangen maskierte „Titushki“ auf das Auto zu. „Titushki“ sind bezahlte Schläger des Regimes aus dem halbkriminellen Milieu, die im Schatten der Sicherheitskräfte Angst und Terror verbreiten. Die Bande schlug die Scheiben des Taxis ein. Sie zerrten den Fahrer, Wjatcheslaw und seinen Freund aus dem Auto. Ein Molotow-Cocktail flog in den Innenraum. Die „Titushki“ schlugen mit Knüppeln und Eisenstangen brutal auf Taxifahrer und Journalisten ein. Einer von ihnen zog eine Pistole und schoss Wjatscheslaw Weremyj in die Brust.
Demonstranten fanden die schwer Verletzten wenig später auf der Kreuzung und schleppten sie ins nahe gelegene Michailowskij-Kloster. Mönche hatten dort in der Nacht ein provisorisches Krankenhaus eingerichtet. Der Taxifahrer und Wjatcheslaws Freund überlebten mit schweren Verletzungen an Kopf und Körper.
Wjatcheslaw Weremyj starb in den Morgenstunden des 19. Februar.
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