„Wir brauchen keinen Gott – warum man jetzt  Atheist sein muss“ von Michel OnfrayGELESEN

„Wir brauchen keinen Gott – warum man jetzt Atheist sein muss“ von Michel Onfray

Das große Erstaunen über die Gewalttätigkeit von selbsternannten Glaubenswächtern überall auf der Welt hat den Autor zur Feder greifen lassen. Er fordert eine Atheologie, die Abkehr von religiösen Dogmen und Glaubenssätzen. Stattdessen plädiert er für einen postchristlichen Laizismus. Sein Buch hat einen Nerv getroffen, ist in wenigen Monaten bereits 100.ooo Mal verkauft worden.

Von Hans Wagner

Rezension zu: „Wir brauchen keinen Gott – warum man jetzt Atheist sein muss“, von Michel Onfray  
„Wir brauchen keinen Gott – warum man jetzt Atheist sein muss“ von Michel Onfray  

W ie kann ein solches Buch zum Bestseller werden? Diese Frage ist interessanter als der Inhalt. Denn was es versucht zu enthüllen, ist längst in Millionenauflagen unters Volk gebracht und in die Bibliotheken des Abendlandes einsortiert worden: die monotheistischen Religionen aus der jüdisch abrahamitischen Wurzel sind Opium fürs Volk, leugnen und unterdrücken des Menschen wahre Natur, sind frauenfeindlich, leugnen wissenschaftliche Erkenntnisse und haben allen Unterdrückungsregimen wie Huren gedient.

Im einzelnen führt Onfray, französischer Philosoph und Gründer der Université populair in der Normandie an, dass die Katholiken und ihr Papst Pius XII. Hitler unterstützt haben, die Evangelen den Kriegspräsidenten Bush, die Muslime Osama bin Laden. Die Juden schließlich seien mit ihrem Anspruch, das auserwählte Volk zu sein, in letzter Konsequenz für den Rassismus in der Welt verantwortlich.

Onfrays Kritikpunkte sind alle seit langem abgehandelt – aber anscheinend waren sie in Vergessenheit geraten

Eine Kritik, die andere vor ihm schon treffender und fundierter vorgetragen haben. In den 60er Jahren in Deutschland Karlheinz Deschner. Man denke nur an seinen Titel „Und abermals krähte der Hahn – eine kritische Kirchengeschichte von den Evangelisten bis zu den Faschisten“ oder „Das Kreuz mit der Kirche- eine Sexualgeschichte des Christentums“.

Ebenfalls in den unruhigen 60er Jahren erschien von dem britischen Philosophen Bertrand Russel auf Deutsch: „Warum ich kein Christ bin – über Religion, Moral und Humanität“ mit dem Untertitel „Von der Unfreiheit eines Christenmenschen“. Er schrieb. „Ich bin ebenso fest davon überzeugt, dass die Religionen Schaden anrichten, wie davon, dass sie unwahr sind.“ Und er spannt den Bogen bis hin zum Totalitarismus der Systeme in der Neuzeit und bezeichnet die Religion indirekt als deren Nährboden: „Ich glaube ein Verfall des dogmatischen Glaubens kann nur Gutes hervorbringen. Hier möchte ich gleich einräumen, dass neue Systeme von Dogmen, wie die Nazis und Kommunisten, noch schlimmer sind als die alten Systeme, aber sie hätten sich in den Köpfen der Menschen niemals festsetzen können, wären ihnen nicht in der Jugend orthodoxe dogmatische Gewohnheiten eingeimpft worden. Stalins Stil erinnert sehr stark an das theologische Seminar, in dem er seine Ausbildung erhielt.“

Auch der deutsche Pädagoge Gustav Wyneken bekannte ein paar Jahre später seinen „Abschied vom Christentum“. Kategorisch stellt er fest: „Es duldet keinen Zweifel mehr: die Stunde des Christentums ist abgelaufen.“ Wenn Michel Onfray im Jahr 2005 dem Christentum abspricht, nicht mehr zu sein als eine Fatamorgana in der Wüste mit verheerenden Auswirkungen der Verwirrtheit, dann kommt er dabei nicht über Wyneken hinaus: „Das Christentum ist kein Schlüssel zum Welträtsel. Denn die Welt, oder die Quintessenz der Welt, ist nicht das bisschen Menschengeschichte, von dem uns die Bibel erzählt, als wäre es repräsentativ wenigstens für die Menschheit – jener Hader eines kleinen Volkes mit seinem Gott und die angebliche Versöhnung.“

Und natürlich Nietzsche: „Solange man nicht die Moral des Christentums als Kapitalverbrechen am Leben empfindet, haben dessen Verteidiger gutes Spiel“.

Das richtige Buch zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Onfray und seine Kritik an dem „hysterischen Rabbiner“ Paulus, der uns das alles eingebrockt habe, reicht wie gesagt an jene Autoren nicht heran und schon gar nicht weist er über sie hinaus. Das Kapitel „So wurde Jesus konstruiert“, enthüllt so wenig ein Geheimnis wie seine Schilderung „Der totalitäre christliche Staat“.

Nur Kinder brauchen Religionen, verkündet Onfray. Als erwachsener intelligenter Mensch müsse man der Realität ins Gesicht sehen, dass nach dem Tod einfach nichts mehr kommt. Die drei hauptsächlich kritisierten Religionen kämen allesamt aus dem Wüstensand. Dort, wo man tagsüber schwitze, vor Durst schier umkomme und nachts friere und trockene Datteln kaue, sei eben das Jammertal, aus dem man sich gerne in paradiesische Oasen davonträumt, die im Jenseits auf einen warten.

Aber warum dann jenes überwältigende Interesse in der französischen Leserschaft, an diesem Buch? (Auf den Erfolg in Deutschland darf man gespannt sein).

Die Aussagen des Buches müssen eben doch für viele Leser, wahrscheinlich vor allem die jüngeren, etwas Neues sein. Sie suchen offenbar Antworten auf Fragen wie diese: Wie kann es angehen, dass Menschen in Jordanien Botschaften anzünden und in Indonesien Autos abfackeln, wegen einiger Karikaturen, die in Dänemark erschienen sind. Ist es nicht tatsächlich so, dass Religion die Hirne vernebelt und den schlimmsten Hass produziert, wie Onfray schreibt.

In der Auseinandersetzung christlich geprägter Gesellschaften mit dem radikalen Islamismus wird in der Tat die ganze Fragwürdigkeit dieser monotheistischen Religionen deutlich, die jede für sich die alleinige Wahrheit in Anspruch nimmt. Feindschaft und Hass im Namen Gottes – eines Gottes, der im Judentum, im Christentum und im Islam die gleichen Züge trägt, das wird in diesen Monaten vielen bewusst. Von der Ausbreitung mit Feuer und Schwert  über die Kreuzzüge bis zum Jihad und den weltweit organisierten Aufständen militanter Islamisten zieht Onfray einen blutroten Faden. – Keine Frage, es war das richtige Buch zur richtigen Zeit am richtigen Ort. – Im unruhigen Frankreich, in Europa, wo von Multikulti geträumt und vom Kampf der Kulturen geredet wird, haben viele offenbar schon lange keine Vorstellung mehr davon, welche Sprengkraft die verschiedenen Heilslehren in sich bergen. Wer liest heute schon noch Kant, den Onfray auch bemüht, oder Nietzsche, Deschner, Russel oder Wyneken?

Man hat schon viel zu lange wieder alle Antworten auf die Fragen nach der Religion den Religionen und Kirchen selbst überlassen. Insofern ist Onfrays Buch kein Zufall, sondern eine Notwendigkeit - und es ist kein Wunder, dass es rasch ein Bestseller wurde.

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Rezension zu: „Wir brauchen keinen Gott – warum man jetzt Atheist sein muss“, von Michel Onfray, Piper Verlag 2006, 319 S., 14,00 Euro, ISBN 3- 4920-4852-8.

Siehe dazu auch das Interview mit Prof. Dr. Pedro Barceló im EM 02-06.

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