03.05.2014

Augenzeugenbericht aus Odessa vom 2. Mai 2014

Wir vom Euromaidan versammelten uns im Zentrum um 15:00 Uhr zu einem Marsch durch Odessa. Wir wollten zeigen, dass Odessa zur Ukraine gehört.

Auf der Grecheskaja-Straße griff eine prorussische Gruppe in voller Ausrüstung und mit Waffen unseren Demonstrationszug an. Die Polizei errichtete zwei Kordons zwischen den Gruppen, um sie voneinander zu trennen.

Auf beiden Seiten begannen die Aktivisten schnell damit, Pflastersteine herauszubrechen und über die Polizeisperren zu werfen. Von beiden Seiten beschossen sich die Gruppen mit Feuerwerkskörpern. Die Steinschlacht dauerte etwa eine Stunde und erste Verwundete wurden weggetragen. Niemand wusste genau, wie viele Demonstranten jeweils auf welcher Seite waren.

Eine halbe Stunde später beschloss eine Gruppe der proukrainischen Demonstranten, in  Schukowskaja-Straße die prorussische Demonstration von der Flanke aus anzugreifen. In dieser Gruppe war auch ich. Dort gab es keine Polizei zwischen den Fronten. Die prorussischen Aktivisten schossen sofort mit Pistolen auf uns. Diejenigen, die am Ende unserer Gruppe waren, rannten weg. Ich selbst und ein paar andere warfen uns auf den Boden und versuchten uns hinter Autos zu verstecken.

Die prorussische Gruppe ging zum Gegenangriff über und sie warfen Steine und Feuerwerk auf uns. Ein paar große Steine landeten dicht neben meinem Kopf. Liegen bleiben konnte ich also nicht. Als unsere Gruppe dann wieder Steine warf, rannte ich zurück in die Menge.

Dort sah ich den ersten Verletzten von einem Schuss. Ein Demonstrant hatte einen Schuss in die Arterie am Bein bekommen. Er war in einem Schockzustand und wir schleppten ihn mit ein paar Jungs zu einem improvisierten Versorgungspunkt.

Auf dem Weg zurück in die Schukowskaja-Straße sah ich die schrecklichsten Bilder meines Lebens. Auf dem Boden lag ein toter junger Mann mit einer ukrainischen Flagge bedeckt. Ein anderer zog ihm das Mobiltelefon aus der Hosentasche, rief dessen Vater an und sagte: „Ihr Sohn wurde erschossen. Kommen Sie ihn holen auf der Deribasowskaja-Straße.“

Auf der Schukowskaja-Straße schoss hinter dem Schutz von Schilden jemand mit einer Kalaschnikow in unsere Gruppe. Mehrere Verwundete fielen sofort um.  Alles war dann voller Krankenwagen und wir schleppten Verwundete.

Zu diesem Zeitpunkt wurde langsam klar, dass auf der Seite der proukrainischen Demonstranten viel mehr Leute waren. Die prorussischen Aktivisten waren aber besser bewaffnet und organisiert. Ich dachte, wenn sie genug Waffen und Munition haben, werden sie uns alle töten.

Trotz der vielen Schüsse gingen die proukrainischen Demonstranten immer weiter vor. Versteckt hinter Mülltonnen oder Möbeln von Straßencafés rückten sie immer weiter vor. 

Die Polizei tat zu diesem Zeitpunkt nichts mehr, um den Konflikt zu beenden.

Molotow-Cocktails flogen von beiden Seiten, ein Feuerwehrauto versuchte wenigstens die Fassaden zu löschen.

Ich sah um mich herum immer mehr Verwundete und Bewusstlose. Die proukrainischen Demonstranten waren zum größten Teil auf so einen Kampf nicht vorbereitet. Bis auf ein paar Dutzend Mitglieder der Selbstverteidigung des Maidan hatte niemand Helme oder Schutzwesten.

Die Pistolenschüssse und die Schüsse aus Kalaschnikow wurden weniger. Offenbar ging den prorussischen Aktivisten die Munition aus. Die proukrainischen Demonstranten gingen zum Angriff über.

Ich habe dann angefangen, prorussische Demonstranten mit meinem Körper zu schützen. Menschen mit Knüppeln schlugen überall auf die prorussischen Aktivisten ein. Man konnte sie nicht mehr stoppen oder zum Aufhören überreden. Man konnte nur versuchen, sich irgendwie dazwischen zu stellen.
Am Ende war die ganze Straße überall mit Blut begossen.

Die proukrainische Gruppe zog daraufhin zum Kulikowo-Feld, wo seit Wochen schon Separatisten ihr Lager aufgeschlagen haben.

Als ich dort ankam, brannten die Zelte des Lagers bereits und die prorussischen Aktivisten verschanzten sich im Haus der Gewerkschaften direkt am Platz. Aus den Fenstern schossen sie auf uns und warfen Molotow-Cocktails und andere Gegenstände. Molotow-Cocktails flogen von beiden Seiten und auch unter den proukrainischen Demonstranten sah ich jetzt welche mit Waffen.

Durch die Molotow-Cocktails fing das Gebäude Feuer und die prorussischen Demonstranten zogen in die vierte Etage. Uns wurde schnell klar, dass sie verbrennen, wenn wir nichts machen.

Vor Ort gab es überhaupt keine Polizei.  Löschfahrzeuge trafen auch nicht ein.

Nachdem das Gebäude schon eine Stunde brannte, erkannte unten jeder, dass die prorussischen Aktivisten aus dem Gebäude gerettet werden müssen.
Einige aus der proukrainischen Gruppe auf der Straße demontierten die Bühne auf dem Platz und lehnten die Säulen gegen das Gebäude, so dass man hinabklettern konnte.

Einige prorussische Aktivisten sprangen einfach in Panik aus der vierten Etage. Es war schrecklich.

Meine Schwester und meine Mutter kamen und leisten erste Hilfe für die vielen Verwundeten.

Schließlich kamen die Löschfahrzeuge. Die Feuerwehrleute handelten einfach nur ekelhaft. Sie waren nirgendwo in Eile, machten alles ganz langsam und gingen selbst immer nur in die sicherste Position.

Die meisten Retter der im Gebäude Eingeschlossenen waren Aktivisten, auf die sie kurz vorher noch geschossen hatten. Die Konfrontation zwischen den Gruppen war zu diesem Zeitpunkt vorbei.

Hoffentlich ist dieser Alptraum mit Separatisten und bewaffneten Gruppen in Odessa jetzt vorbei.

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