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EURASIEN HISTORISCH
Von Hans Wagner | 02.05.2020
Die Kurden sind eines der ältesten Kulturvölker der Erde. Schon vor über viertausend Jahren wurden Kurden in sumerischen Texten erwähnt. In der Antike kannte man die Kurden unter verschiedenen Namen – auf welche Weise schließlich der Name „Kurde“ entstanden ist, darüber streiten sich die Gelehrten bis heute.
Zwischen dem biblischen Berg Ararat und dem Persischen Golf, von den Ufern des Tigris bis weit in den Iran hinein leben Kurden – mitten im Brennpunkt des Nahen Ostens.
Das Siedlungsgebiet der Kurden ist annähernd so groß wie Deutschland. Es bildet die Landbrücke zwischen Russland und dem Persischen Golf – und damit dem Indischen Ozean. Zwei Drittel des irakischen Erdöls stammen aus kurdischem Boden.
Die Herkunft des Volkes der Kurden liegt weitgehend im Dunkel der Geschichte verborgen. Sie beginnt nach grober Schätzung irgendwann am Ende des zweiten Jahrtausends vor Chr. mit der Einwanderung indogermanischer Arier nach dem Iran. In dem von Martin Strohmeier und Lale Yalin-Heckmann im Jahr 2000 herausgegebenen Buch über die Geschichte der Kurden heißt es dazu:
„Die iranische Hochebene war seit alters her ein wichtiger Schnittpunkt zwischen dem Vorderen Orient und Zentralasien bzw. dem indischen Subkontinent sowie Schauplatz von Wanderungsbewegungen von Völkern, die aus dem Osten kamen. Vermutlich sind die Vorfahren der Kurden um die Wende vom zweiten zum ersten Jahrtausend v. Chr. Im Zuge von Einwanderungswellen indogermanischer Arier nach West-Iran gekommen und haben sich mit der ansässigen Bevölkerung vermischt. Diese Region war Teil der altorientalischen Reiche der Sumerer, Assyrer, Urartäer und Meder.“
Das Siedlungsgebiet der Kurden ist annähernd so groß wie Deutschland und liegt auf dem Territorium der Türkei, Syriens des Irak und des Iran |
Die kurdische Geschichte ist geprägt von einer glanzvollen frühen Vergangenheit, von tiefer Zerrissenheit, von Leid und Unterdrückung. Die Kurden sind bis zum heutigen Tag ein Volk ohne eigenen Staat. Ihre Bevölkerung ist aufgeteilt auf die Türkei, den Iran, den Irak, Syrien und auf kaukasische Gebiete der ehemaligen Sowjetunion.
Es gibt bis heute keine genaue geographische Definition von Kurdistan. Die Staaten, zu deren Territorien die kurdischen Gebiete gehören, versuchen mit allen Mitteln, eine solche Abgrenzung und Begriffsbildung erst gar nicht entstehen zu lassen. Doch auch wenn versucht wird die Existenz Kurdistans zu leugnen, existiert dennoch seit über tausend Jahren eine Region dieses Namens. In der Sprache der Perser bedeutete der Name Kurdistan auch ganz klar „Land der Kurden“.
Als „Land der Kurden“ wurde eine Provinz des persischen Reiches bezeichnet, in der die türkischstämmigen Seldschuken herrschten. Vom 11. bis zum 13. Jahrhundert übten sie die Macht über weite Teile des Vorderen Orients aus. Auch im Osmanischen Reich gab es eine Provinz mit dem Namen Kurdistan.
Über die Vergangenheit der Kurden und ihre ursprünglichen Lebensformen gibt es wenig verlässliche Quellen, wohl aber eine Fülle von interessanten Indizien. „Die kulturellen Wurzeln der Vorfahren der Kurden liegen überwiegend in den altiranischen und altindischen Zivilisationen begründet“, heißt es in der bereits zitierten Geschichte der Kurden von Strohmeier/Yalin-Heckmann. Ihre religiösen Anschauungen dürften auch heute noch in Spuren in den kurdischen Glaubensanschauungen vorhanden sein, schreiben die Autoren. Demnach würden sowohl eine gewisse Verehrung von Naturelementen wie Feuer und Wasser, als auch Reste aus den Lehren des persischen Religionsstifters Zarathustra im kurdischen religiösen Leben noch eine gewisse Rolle spielen. Die überwiegende Mehrheit der Kurden bekennt sich heute zum sunnitischen Islam, einer der beiden großen Glaubensrichtungen innerhalb des Islams.
Erinnerungen an graue Vorzeiten halten die Kurden mit einer Art National-Legende aufrecht. Held ist ein Schmied, der den Tyrannen Zaehak erschlug, dem täglich zwei Kinder geopfert werden mußten. „Ohne daß es dafür historische Nachweise gäbe, datiert man in der kurdischen Nationalliteratur dieses Ereignis auf den 21. März im Jahr 1234 vor Hedschra, der Flucht Mohammeds aus Mekka, was dem Jahr 612 v. Chr. Entspricht. Das Datum hat allerdings größte geschichtliche Bedeutung. An jenem Tag nämlich wurde die assyrische Hauptstadt Ninive von den Medern erobert, als deren Nachfahren sich viele Kurden verstehen, und die assyrische Geschichte damit beendet.“ So schreibt Dr. Günther Deschner in seinem Buch „Saladins Söhne“. Der Autor hat auf zahlreichen Reisen Kurdistan und die Kurden kennengelernt und packende Reportagen mitgebracht.
Deschner berichtet: „Alle Kurden, auch die im europäischen oder amerikanischen Exil, feiern diesen Tag als Neujahr, als ‚Nowruz‘. Es ist ein Tag, an dem man die besten Kleider anzieht. Die Frauen tragen bunte, weitgeschnittene, brokatartige Gewänder und ihren Goldschmuck. Es wird gut gegessen, gesungen und getanzt.“
„Auf den Berggipfeln und Anhöhen in Kurdistan“ schreibt Deschner, „leuchten am ‚Nowruz‘-Abend zahlreiche Feuer in die Nacht hinein, genau wie die Frühlings- und Osterfeuer im skandinavischen, deutschen und teils auch osteuropäischen Raum“. Er vermutet, dass sie auf „indogermanische Einflüsse“ zurückgehen. Deschner: „So wie der 21. März als Tag- und Nacht-Gleiche auch bei Germanen, Kelten und Slawen als Frühlingsbeginn gefeiert wurde und noch heute mit dem Frühlingsbrauchtum des Osterfestes zusammenhängt, ist auch das Neujahrsfest ‚Nowruz‘ der Kurden als Wechsel der Jahreszeiten zu verstehen.“
Die Kurden leben seit jeher in einer Region Eurasiens, die von besonderer strategischer Bedeutung ist. In unserer Zeit sind es vor allem die Ölvorkommen, die Kurdistan interessant machen und der Wasserreichtum aus seinen Bergen. Auf beides möchten weder der Irak noch die Türkei verzichten. Die wichtigsten Ölfelder des Irak liegen in den Randgebieten Kurdistans bei den Städten Kirkuk und Mosul. Im türkischen Ostanatolien um Batman wird ebenfalls auf kurdischem Gebiet Öl gefördert. Dies ist mit ein Grund, warum weder Türken noch Iraker die Kurden in einen eigenen Staat entlassen werden. Beide Länder würden dadurch riesige Reichtümer verlieren.
Im Zentrum Kurdistans liegt der östliche Teil des Taurusgebirges. Er gehört zur Türkei. Hier entspringt der Euphrat. Die westlichen Berge des Zagros ragen im iranischen Teil Kurdistans auf. Mit 5165 Metern ist der Berg Ararat im äußersten Norden die höchste Erhebung des Kurdengebietes. Im Westen fallen die zerklüfteten Gebirgszüge in das anatolische Hochland der Türkei ab, im Süden zur mesopotamischen Tiefebene und zur syrischen Wüste. Durch seine Unzugänglichkeit war Kurdistan über Jahrhunderte von den Handelswegen des Orients ausgeschlossen.
Nicht nur die Landschaft Kurdistans ist von großen Gegensätzen zwischen Ebenen, Wüsten und Gebirgen gekennzeichnet. Auch sein Klima weist extreme Unterschiede auf. Im gebirgigen Norden des Landes fallen die Temperaturen im Winter auf bis zu minus 30 Grad Celsius. Im Nordirak, in der Gegend um Kirkuk, steigt das Quecksilber im Sommer oft auf bis zu 40 Grad.
Die Kurden spielten im Orient seit jeher eine bedeutende Rolle und stellten mit Kerim Khan Zend von Ardelan sogar einen persischen Kaiser. Die einzige Chronik der Geschichte des kurdischen Volkes, die von einem Kurden selbst verfaßt worden ist, stammt aus dem Jahr 1596. Sie trägt den Titel „Arich el-Akrad“ und stammt von Scheref Khan, dem Oberbefehlshaber des kurdischen Heeres im Fürstentum Bitlis. Davon ist der Name einer türkischen Stadt in Ostanatolien geblieben, die in der Nähe des Göli-Sees liegt.
„Das Ziel Scherefs war es“, schreibt Deschner, „mit dieser Chronik, dem ersten Versuch einer Darstellung der kurdischen Geschichte überhaupt, die Vergangenheit seines Volkes zu erhellen und dadurch in den ständigen Kämpfen zwischen Osmanen und Kurden das Bewußtsein einer eigenständigen kurdischen Nation zu formen.“
„Seit Tagen befand ich mich in einem Zustand der Spannung wie seit langem nicht. Es gibt kein Land der Erde, das so zahlreiche Rätsel birgt wie der Boden, den die Hufe meines Pferdes berührten. Es ist eine Landschaft, in der Völkerhaß, wilder Fanatismus und die Geißel der Blutrache Legionen von Opfern gefordert haben.“
Dieses Zitat über Kurdistan stammt von einem der bekanntesten Autoren von Abenteuerromanen. Der Held seines berühmtesten Buches, ein Reisender aus Deutschland, dem er den Namen Kara ben Nemsi gegeben hatte, reist „Durchs wilde Kurdistan“. So lautet der Titel des romanhaft-fiktiven Berichts. Die Abenteuer des Kara ben Nemsi flossen aus der Feder des sächsischen Hilfslehrers Kal May und haben ein Millionenpublikum in aller Welt begeistert.
Mit dem Entstehen des Islams und seiner raschen Ausbreitung im 7. Jahrhundert n. Chr. wird die Geschichte der Kurden an Hand von Dokumenten nachvollziehbar. Denn nun taucht sie in den muslimischen Quellen auf und ist von da ab gut dokumentiert. Die kurdischen Gebiete werden dem aufstrebenden islamisch-arabischen Reich eingegliedert, das sich in kurzer Zeit nach Persien, bis an die Grenzen Indiens, zum Kaukasus, an den westlichen Rand Afrikas und über Spanien ausdehnt. Im Zuge dieser muslimischen Expansion wurden die Kurden ebenfalls islamisiert.
Es entstanden nun in verschiedenen kurdischen Regionen und Städten kurdisch-islamische Dynastien. Eine sehr erfolgreiche war die der Marwaniden, die im Gebiet zwischen Mosul, Diyarbakr und Nusaibin über ein Jahrhundert lang herrschte. Die bekannteste dieser Dynastien ist die der Ayyubiden, die Mitte des 12. bis Mitte des 13. Jahrhunderts die Macht über Ägypten, Syrien, Teile Mesopotamiens und den Jemen ausübte. Der Schwerpunkt ihrer Herrschaft lag infolge dieser großen Ausdehnung längst nicht mehr im Gebiet von Kurdistan.
Im Mittelalter stellten die Kurden mit Sultan Saladin (kurdisch Sala ad-Din), der die Kreuzfahrer aus Jerusalem vertrieb, eine der strahlendsten Herrschergestalten ihrer Geschichte. Zu dieser Zeit kämpften kurdische Kontingente in Syrien gegen die europäischen Ritter auf Seiten der muslimischen Araber. Unter ihrem kurdischen Fürsten Sultan Saladin besiegten sie 1187 bei Jerusalem das 60 000-Mann-Heer der Kreuzritter und eroberten die Heilige Stadt für den Islam zurück. „Furcht und Schrecken ergriffen die Herzen der Christen“, heißt es darüber in einer arabischen Chronik, „und sie flehten um Gnade. Salah ad-Din schenkte den Franken das Leben und die Freiheit.“ Bis heute wird Saladin als die herausragende Persönlichkeit der kurdischen Nationalgeschichte verehrt.
Beim Mongoleneinfall in Vorderasien zu Beginn des 13. Jahrhunderts n. Chr. wurden große Teile Kurdistans von den Reiterhorden des Großkhans erobert. Hundert Jahre später wütete Timur-i Läng, der in Usbekistan geborene Herrscher eines Reiches, das sich von Mitte des 14. Jahrhunderts bis Anfang des 15. Jahrhunderts von Indien bis zum Mittelmeer erstreckte und auch Persien und Kurdistan unterworfen hatte. Dieser linksseitig teilweise gelähmte brutale Eroberer, im Westen „Tamerlan“ genannt, hat viele Städte und Dörfer Kurdistans ausgelöscht. Man denkt unwillkürlich an ein Pendant unserer Tage, den berüchtigten Usbekengeneral Abdul Raschid Dostam, der eine Blutspur durch Afghanistan gezogen hat.
Es wurde nun „still um die Kurden“, heißt es in dem Geschichtswerk des Autorengespanns Strohmeier/Yal-in-Heckmann. In den folgenden Jahrhunderten prägte vor allem das Osmanische Reich, das vom 14. Jahrhundert bis 1922 bestand, die Geschichte der Kurden.
Dieses Reich hatte seine Wurzeln in der mongolischen Expansion von Zentralasien in die westlich davon gelegenen Länder. Mit ihr gelangten türkische Völkerschaften nach Westen. Sie kamen teilweise als Flüchtlinge, die vor den Reiterhorden der Großkhane flohen, zum Teil zogen sie selbst in den Mongolenheeren mit. Diesen Völkern, zum Beispiel den Ogusen, gelang es in Kleinasien, verschiedene Herrschaften zu errichten. Das osmanische Fürstentum war auf Dauer das erfolgreichste. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts entstand daraus die Keimzelle des Osmanischen Reiches. Es dehnte sich in den folgenden Jahrhunderten durch eine Reihe von Eroberungen angrenzender Gebiete immer weiter aus. Erst Mitte des 16. Jahrhunderts kamen diese zum Stillstand.
Im Reich der Osmanen lebten schließlich Türken, Araber, Bosnier, Albaner und Kurden nebeneinander. Sie waren allesamt Muslime. Zwischen den alteingesessenen kurdischen Herrscherfamilien und dem türkischen Sultanat wurden teilweise Autonomievereinbarungen getroffen. Die Kurden mußten den Treueid leisten, brauchten aber der türkischen Oberhoheit weder Soldaten zu stellen noch Steuern zu zahlen. Die osmanische Verwaltung hatte in Kurdistan einen entsprechend geringen Einfluß.
Im persischen Teil Kurdistans gab es ebenfalls autonome Herrschaften. Ihre Fürsten fungierten praktisch als Statthalter der Zentralregierung . Etwa 300 Jahre lang, bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, existierten diese kurdischen Fürstentümer auf beiden Seiten der Grenze zwischen Persien und der Türkei. Die Trennlinien der beiden Nachbarländer verliefen dadurch fließend. Unbehelligt zogen nomadisch lebenden kurdischen Hirten von einer Seite auf die andere. Erst kurz vor dem 1.Weltkrieg legten Persien und die Türkei einen genauen Grenzverlauf fest.
Während dieser 300 Jahre kam es in den weitgehend autonomen Kurdengebieten jedoch auch immer wieder zu Versuchen, sich ganz von der jeweiligen Zentralgewalt zu lösen. Das war auf türkischer Seite nicht anders als auf der persischen. Es gab eine ganze Reihe von kurdischen Aufständen, die jedoch von Türken und Persern allesamt niedergeschlagen wurden. Nach einem solchen Durchgreifen türkischer Truppen wurde im Osmanischen Reich sogar eigens eine „Medaille des Sieges über Kurdistan“ geprägt. Im Gegensatz zur späteren Republik Türkei hatten die Osmanen offenbar kein Problem mit dem Begriff „Kurdistan“, mit dem sie das überwiegend von Kurden besiedelte Ostanatolien belegten.
Wirklich zuverlässige Angaben über die Zahl der heute lebenden kurdischen Bevölkerung liegen nicht vor. Schätzungen belaufen sich auf 24 bis 27 Millionen Kurden, die zur Hälfte auf die Türkei entfallen. Im Iran sollen rund 5,7 Millionen Kurden leben, im Irak gut vier Millionen und in Syrien rund eine Million. Die Zahl der Kurden in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion wird auf rund 400 000 geschätzt.
Saladins Nachfahren, die Kurden von heute, sind das größte Volk der Erde, das nicht in einem eigenen Staat lebt. Ihr Versuch, eine eigene Nation und eigene staatliche Souveränität zu erlangen, ist immer wieder an den Interessen der sie umgebenden Mächte, aber auch an eigener kurdischer Zerstrittenheit gescheitert.
Seit über einem halben Jahrhundert kämpfen die Kurden nun auch mit Gewalt um ihre nationalen Rechte. Ihre blutigen Aufstände wurden aber stets grausam unterdrückt. Dennoch ließen sie sich auch immer wieder für die Interessen anderer Mächte missbrauchen, in der Erwartung als Lohn ihren eigenen Staat zu bekommen, die jedoch noch jedesmal enttäuscht wurde.
Große Hoffnung auf einen eigenen Staat der Kurden keimte 1920 in Kurdistan auf. Nach dem Sieg der Alliierten im Ersten Weltkrieg hatte US-Präsident Woodrow Wilson eine 14-Punkte-Erklärung vorgelegt, die eine neue Friedensordnung versprach. Im Mittelpunkt sollte das Selbstbestimmungsrecht der Völker stehen. General Sherif Pascha, ein Kurde, der während des Krieges in türkischen Diensten gestanden hatte, wurde als Vertreter der kurdischen Freiheitsbewegung zu den Pariser Friedensgesprächen entsandt. Er überreichte dort die kurdischen Forderungen.
Ziel der Alliierten war es damals vor allem, das osmanische Großreich zu zerschlagen und ihren Interessen entsprechend aufzuteilen. Die Türken mußten auf alle nichttürkischen Provinzen verzichten: Albanien und Teile des neu zu schaffenden Staates Jugoslawien sowie Nordgriechenland und Makedonien. Das nordafrikanische Tripolis wurde den Italienern zugeschoben. Das arabische Küstenland vom Hedschas bis zum Jemen beanspruchten die Briten, ebenso Mesopotamien. Die bisherige osmanische Oberhohheit über Ägypten übertrugen die Engländer schließlich auf sich selbst. Syrien wurde französischer Oberhohheit unterstellt. Ein Teil Anatoliens war bereits für ein autonomes Kurdengebiet vorgesehen.
Entsprechend groß waren die Hoffnungen der Kurden als der alliierte Hohe Rat am 11. Mai 1920 der osmanischen Delegation den in Sèvres, einem Konferenzort im westlichen Außenbezirk von Paris ausgehandelten Vertrag überreichten. Er sah in zwei Paragraphen ein kurdisches Autonomiegebiet vor mit kultureller und politischer Selbstverwaltung.
Aber die türkische Nationalbewegung unter Mustafa Kemal verhinderte seine Verwirklichung. Kemal wurde der neue starke Mann in der entstehenden türkischen Republik. Der Sultan in Instanbul wurde abgesetzt, die Hauptstadt nach Ankara verlegt und von Autonomie für die Kurden oder gar von einem eigenen Staat war nun nicht mehr die Rede. Die türkische Regierung leugnete schließlich sogar die Existenz der Kurden. Sie bezeichnete die Angehörigen dieses Jahrtausende alten Volkes nur noch als „Bergtürken“, verbot den Kurden die eigene Sprache und versuchte auf diese Weise seine Kultur auszulöschen.
Die Weltöffentlichkeit, oder wie man heute sagt, die Internationale Gemeinschaft, nahm davon keine Notiz. Die Großmächte waren an den Kurden nicht interessiert. Es drehte sich damals schon alles um die Erdöllagerstätten. Um ihrer Beherrschung willen wurden seit den dreißiger Jahren nahezu alle Kriege geführt, die im Gebiet zwischen dem Nil und dem Persischen Golf stattfanden. Es wurden Machtkämpfe inszeniert und Regierungen gestürzt. 1958 waren US-Marineinfanteristen im Libanon gelandet. Biriten und Franzosen bombardierten den Suez-Kanal. Der jordanische König wurde von den westlichen Mächten gegen die Palästinenser unterstützt, als diese eine Gefahr für den Monarchen wurden. Das alles geschah zum Schutz der westlichen Ölinteressen. Auch der CENTO-Pakt von 1958, dem der Gedanke eines prowestlichen Staatengürtels von der Türkei über den Irak, Persien und Afghanistan bis nach Pakistan zugrunde lag, war wegen des Schutzes dieser Ölinterssen geschlossen worden.
Die innerkurdische Zerrissenheit verhinderte seit den zwanziger Jahren einen gemeinsamen Kampf um einen eigenen Staat der Kurden oder zumindest eine Autonomie für die kurdisch besiedelte Region. Stattdessen kam es zu unterschiedlichen Zeiten in den einzelnen Staaten immer wieder zu Aufständen, während derer sich die jeweils kämpfenden Kurden meistens von einem der Nachbarstaaten unterstützen ließen, selbst wenn diese ihrerseits die innerhalb ihrer eigenen Staatsgrenzen lebenden Kurden unterdrückten.
Der Wunsch, eine Nation zu bilden war dennoch schon lange im kurdischen Volk lebendig. 1898 wurde die erste kurdisch- und osmanischsprachige Zeitung „Kürdistan“ durch einen kurdischen Verleger gegründet. Ihre Verbreitung wurde jedoch im Osmanischen Reich verboten. In der Türkei und in Persien reagierten die Zentralregierungen auf die nationalen Bestrebungen der Kurden mit der Unterwerfung ihrer autonomen Fürstentümer.
Doch auch danach kam es immer von neuem zu Aufständen, bis ins ausgehende 20. Jahrhundert hinein. Vor allem in der Türkei und im Irak. Alle kurdischen Vereinigungen wurden verboten. Es kam zu Umsiedlungen und Deportationen, um die Stämme auseinanderzureißen, die Stammesstrukturen zu zerschlagen. Auch im Iran kämpfen die Kurden um ihre kulturelle Autonomie, auch dort gelten sie „nur“ als Iraner.
Mit den Ereignissen im Irak treten die Kurden nun erneut ins Rampenlicht des Geschehens. Die im Nordirak lebenden Stämme der Kurden wollten schon 2003 nach Bagdad marschieren, um den verhaßten Diktator Saddam Hussein zu beseitigen und ihr Ziel, einen eigenen Staat zu erlangen, endlich doch zu erreichen. Es fand sich dann doch kein Raum für einen kurdischen Staat.
Völker Kurdistan Geschichte Eurasien
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