23.04.2014

Viele Bergarbeiter in der Ostukraine hoffen auf Russland


Bergarbeiter vor dem Eingang zu einem Schacht in Donezk
Bergarbeiter vor dem Eingang zu einem Schacht in Donezk
Foto: Max Levin/lb.ua

In der Ostukraine wurden in den letzten zwei Jahrzehnten hunderte von Kohleschächten geschlossen. Viele Bergarbeiter hoffen, dass Russland ihre Arbeitsplätze sichert.

Von Ulrich Heyden

Donezk ist eine der großen Städte im ehemaligen industriellen Herzen der Sowjetunion, dem Donbass. An den Wochenenden gibt es vor dem Lenin-Denkmal in der Innenstadt Kundgebungen mit mehreren Tausend Teilnehmern auf denen eine enge Zusammenarbeit mit Russland und eine Föderalisierung der Ukraine gefordert wird. Von dem proeuropäischen Kurs der neuen Regierung in Kiew versprechen sich die Menschen in Donezk nichts, denn die vielen Großbetriebe, die Maschinen, Eisenbahn-Waggons und Gasherde nach Russland liefern, sind mit ihren Produkten in der EU nicht konkurrenzfähig.

Die Menschen der Industrie- und Verwaltungsstadt Donezk verdienen im Schnitt nur 160 Euro. Trotz der niedrigen Einkommen wirkt die Stadt mit ihren 950.000 Einwohnern und den vielen modernen Hochhäusern, Restaurants, Boutiquen und Banken reich. Dass es in der Stadt viel Geld gibt – wenn auch nur in der Hand einer reichen Oberschicht – sieht man auch an dem vom Oligarchen Rinat Achmetow finanzierten und 2009 eingeweihten neuen Fußballstadion „Donbass Arena“. Das Stadion war 2012 Austragungsort der Fußball-Europameisterschaft. Die Arena sieht aus wie ein Ufo, insbesondere wenn sie nachts hellblau erleuchtet ist.

Bergwerke wegen Unrentabilität geschlossen

Wer Donezk Richtung Osten verlässt, taucht in eine völlig andere Welt ein. Im Morgennebel sieht man links und rechts der Landstraße riesige metallurgische Fabriken mit 180 Meter hohen Schornsteinen und zweihundert Meter hohe kegelförmige Abraumhalden der Bergwerke. Diese Betriebe haben oft 20.000 bis 30.000 Mitarbeiter. Doch viele Bergwerke wurden wegen Unrentabilität geschlossen.

Die Dörfer um diese Bergwerke mit ihren viergeschossigen Mehrfamilien-Häusern sterben allmählich aus, erzählt Aljoscha (Name geändert). Sich mit einem westlichen Journalisten über die Geheimnisse der Bergbau-Region zu unterhalten, kann Ärger bringen. Deshalb möchte Aljoscha nicht, dass sein richtiger Name in der Zeitung steht.

Der 32jährige hat in dem Städtchen Schachtjorsk 40 Autominuten östlich von Donezk, einen Internet-Laden. Die zwölf Mitarbeiter des Ladens organisieren die Verlegung von Kabeln für Internet-Kunden. Vor wenigen Jahren habe der Ort noch 72.000 Einwohner gehabt. Jetzt seien es nur 62.000 erzählt der Chef des Internet-Ladens.

Ja, für die Sport-Anlagen in der Stadt werde es etwas getan, sagt Aljoscha. Mit der Gesundheitsversorgung, der Bildung und der Kultur ist es allerdings schlecht bestellt. Das Kinderkrankenhaus des Städtchens wurde vor kurzem geschlossen. Vor acht Jahren wurde bereits das einzige Theater und das einzige Kino der Stadt geschlossen.
In dem Kino hat jetzt eine der vielen evangelischen Glaubensgemeinschaften ihren Sitz, die in den letzten zwanzig Jahren mit Predigern aus den USA, Europa und Afrika in der Ukraine sehr erfolgreich Fuß fassten.
 
An dem ehemaligen Kino im neoklassizistischen Stil prangt jetzt ein großes Kreuz. Die neue evangelische Glaubensgemeinschaft in Schachtjorsk heißt „Wort des Lebens“. Direkt vor dem zum Gotteshaus umfunktionierten Kino steht immer noch ein Standbild von Sergej Kirow, der in den 1930er Jahren die sowjetische Parteiorganisation von Leningrad leitete und dann ermordet wurde.

Ein evangelisches Kreuz und ein Revolutionär, diese Mischung ist für die Ostukraine völlig normal. Der Gegensatz, fällt nur einem Besucher noch auf.

Die Gesundheit ruiniert

Im Internet Laden von Aljoscha sitzt Oleg (Name geändert) vor einem der Büro-Computer. Der 32jährige, der mit seinen elf Kollegen die Verlegung von Internet-Kabeln organisiert, sieht aus wie 45. Sein Gesicht hat eine merkwürdige grau-braune Farbe. Seine Stimme ist tief und rau. Oleg hat acht Jahre in einem von einem Privatunternehmer geführten Kohle-Schacht gearbeitet, und dabei seine Gesundheit ruiniert. Um Geld zu sparen, wurde der Kohlestaub im Schacht nicht mit Wasser-Sprenklern gebunden, wie noch zu Sowjetzeiten. Und den Mundschutz hat Oleg nicht immer benutzt, „weil er sich während der Arbeit voll Wasser saugte“, wie der ehemalige Bergarbeiter erklärt.

Früher hat er geboxt, so erzählt der ehemalige Bergmann, heute muss er beim Treppensteigen immer eine Pause einlegen. Wenn man ihn fragt, was er für einen Traum hat, sagt Oleg, „dass es meinen Kindern“ – er hat zwei Töchter – „einmal besser geht.“ Das klingt fast so, als ob Oleg nicht mehr mit einem langen Leben rechnet.
 
Eigentlich müsste sein ehemaliger Arbeitgeber ihm eine Entschädigung zahlen. Doch der Betriebsarzt habe eine gründliche Untersuchung verweigert, erzählt Oleg. Und um eine Allround-Check selbst zu finanzieren, dafür reicht das Geld nicht. „Das kostet mehrere Monatslöhne“, meint der ehemalige Bergarbeiter.

Eins ist jetzt schon sicher: Der Ex-Boxer wird einmal eine sehr kleine Rente beziehen, denn in dem Bergwerk wo Oleg seine Gesundheit verlor, wurde, wie es in den meisten Betrieben im Donezk-Gebiet üblich ist, der größere Teil des Gehaltes im Briefumschlag ausgezahlt. So muss der Arbeitgeber nur für einen kleineren Teil des Lohns Sozialabgaben zahlen.

2.000 illegale Gruben – latente Sklaverei

Von der Stilllegung vieler Bergwerke profitieren die Geschäftsleute, welche die kleinen, illegalen Fördergruben – sogenannte Kopanki – betreiben, wo zwölf Meter unter der Erde Kohle gefördert wird. Rund um die Stadt Schachtjorsk sind die zahlreichen illegalen Fördergruben mit ihren mehrere Meter hohen Aufbauten und Metallzäunen mit bloßem Auge zu sehen. Nach Angaben von Michail Wolynez, dem Vorsitzenden der Unabhängigen Bergarbeitergewerkschaft der Ukraine, gibt es allein im Raum Donezk 2000 illegale Fördergruben.

Nach Schätzungen fördern diese Gruben ein Drittel der Kohle im Donezk-Gebiet. Es werden zwar immer wieder illegale Gruben von der Polizei geschlossen. Aber wendige Geschäftemacher lassen an anderer Stelle sofort neue Schächte in den Erde graben. Arbeitswillige gibt es genug. Die Verhältnisse, welche die Menschen in die Kopanki treiben, beschreibt Marina Charkowa, die Chefredakteurin der Donezker Wirtschaftszeitung Krjasch, als „latente Sklaverei“.

Die Anwohner von Schachtjorsk berichten, dass immer wieder frischgewaschene Leichen auf den Feldern gefunden wurden. Das seien Arbeiter, die in den schlecht gesicherten, illegalen Gruben umgekommen sind. Zwischen 1991 und 2011 starben nach Angaben der Unabhängigen ukrainischen Bergarbeitergewerkschaft 5.800 Menschen in den illegalen Schächten.

Der Sohn von Janukowtisch soll illegale Gruben betreiben

Dass das Geschäft mit den Kopanki blüht, hat einen einfachen Grund. Nicht nur Geschäftsleute sondern auch Staatsanwälte, Polizisten und andere hohe Beamte betreiben die illegalen Kohle-Schächte, so erzählt man sich in Schachtjorsk. Wer durch Schachtjorsk läuft sieht die 20-Tonnen-Laster mit illegal geförderter Kohle durch die Straßen rumpeln. An den Kontrollstellen der Verkehrspolizei müssen die Fahrer 1,30 Euro Schmiergeld zahlen. Dann können die Laster ohne Probleme weiterfahren. 

In den Handel mit Kohle aus illegalen Fördergruben soll auch Aleksandr Janukowitsch, der Sohn des gestürzten Präsidenten, verwickelt sein. So zumindest schreibt es das Internet-Portal Forbes.au. Janukowtisch junior gehört die Firma Mako, die nach Angaben des Portals auch Kohle aus illegalen Gruben aufkauft. Über die Tochterfirma in Genf, Mako Trading, werde auch Kohle aus der Ukraine ins Ausland exportiert.

Streiks in fünf Kohlegruben

Eine neue Herausforderung für die Macht in Kiew ist ein Streik der Bergarbeiter in fünf Kohlegruben im ost-ukrainischen Lugansk-Gebiet. Die Gruben gehören zum Unternehmen Krasnodonugol. Das Unternehmen gehört dem reichsten Mann der Ukraine, dem Oligarchen Rinat Achmetow, der früher die prorussische Partei der Regionen sponserte. Wie das Internet-Portal korrespondent.net berichtete, versammelten sich vor dem Gebäude von Krasnodonugol am Mittwoch 2.000 Bergarbeiter. Sie forderten den Lohn der Bergarbeiter von 6.000 auf 10.000 Grivna (660 Euro) zu erhöhen.

 

Für viele Menschen in Schachtjorsk scheint die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland als einzige Rettung vor einer drohenden sozialen Katastrophe.  Ob er sich an einer Demonstration beteiligen würde, frage ich Oleg. „Für Russland immer“, so die knappe Antwort.

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