„Im Herzen Arabiens“ von Michael LüdersGELESEN

„Im Herzen Arabiens“ von Michael Lüders

Herder-Verlag, Freiburg i.B. 2004, 224 Seiten, ISBN 3-451-28347-6.

Von Hartmut Wagner

„Im Herzen Arabiens“ von Michael Lüders  
„Im Herzen Arabiens“ von Michael Lüders 
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in Buch, das sich zu Zeiten wie diesen mit „Arabien“ befaßt, muß sich vor allem mit der US-Politik gegenüber dieser Region auseinandersetzen. Der Islamwissenschaftler und Politologe Michael Lüders nimmt sich dieser Aufgabe an und geht mit Washington scharf ins Gericht. Die US-amerikanische Außenpolitik in der arabisch-islamischen Welt richte große Verheerungen an, sie garantiere weder Freiheit noch Sicherheit, sondern fördere besonders infolge der Irak-Invasion Instabilität und Terror.

Dennoch: Lüders ist bemüht, die einzige Weltmacht nicht zu dämonisieren, wie er das bei seinen Gesprächspartnern im Nahen Osten immer wieder erlebt. Er will die US-Aktivitäten nicht beschönigen, wohl aber ihre Wahrnehmung versachlichen: „Man kann Washington keinen Vorwurf machen, daß es die Schwäche der arabischen Seite erkennt und für sich nutzt. Das würden arabische Herrscher umgekehrt auch machen, wenn sie könnten.“

Alltag in Nahost

„Im Herzen Arabiens“ aber ist mehr als ein reines Sachbuch über die schwelenden Konfliktherde der Region. Es ist ein sehr persönliches Buch, in dem Lüders aus seinem großen Erfahrungsschatz erzählt, den er im Laufe seiner Reisen anhäufen konnte. Mit „Arabien“ meint er die arabische Halbinsel, wie auch den Maghreb (Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Marokko) und den Maschrek (Ägypten, Israel, Palästina, Jordanien, den Libanon, Syrien und den Irak).

Der Autor spannt einen weiten biographischen Bogen von seinen ersten Bemühungen, die arabische Sprache zu erlernen, über seine Erlebnisse an der Universität Damaskus, wo er zwei Semester arabische Literatur studierte, bis zu einem Nachmittag, den er Qat-Blätter kauend mit einem Ladenbesitzer in der jemenitischen Hauptstadt Sana verbrachte. Ob beim Kinobesuch oder einem Abendessen mit einer befreundeten Familie in Kairo – Lüders gewährt dem Leser einen farbigen Einblick in das arabische Alltagsleben, jenseits der großen Weltpolitik.

Kara Ben Nemsi als Jugendidol

Sympathie gewinnt das angenehm lesbare Buch besonders durch die Ehrlichkeit des Autors. Lüders sieht seine langjährige Beschäftigung mit der fremden Welt Arabiens als einen Prozeß der Selbsterforschung, der immer auch von tiefen Selbstzweifeln begleitet werde. Schon als Kind fesselten Lüders die Abenteuer des Kara Ben Nemsi aus den Orient-Schmökern Karl Mays. Gleichwohl berichtet der Autor über Momente, in denen ihn plötzlich die Ungewißheit überfiel, weshalb er die Strapazen seiner Nahost-Reisen eigentlich immer und immer wieder auf sich nehmen sollte.

Doch Lüders erweckt mitnichten den Eindruck, als wolle er das Handtuch werfen. Mit Nachdruck fordert er, der Westen müsse die Reformprozesse in den arabischen Ländern ebenso vehement unterstützen wie in den Ländern des einstigen Ostblocks. Die arabisch-islamische Welt brauche dringend Reformation und Aufklärung. Die Religion müsse vom Staat getrennt, keinesfalls jedoch abgeschafft werden. Denn gerade was das Verständnis vom Sinn des Lebens angehe, könne der Westen mit seiner alles dominierenden Konsumgier eine Menge vom Orient lernen.

„Der Westen ist das Beste“

Lüders ist ein streitbarer Analytiker, der nicht davor zurückschreckt, auch weniger populäre Standpunkte zu vertreten. So wäre der Islamismus aus seiner Sicht heute undenkbar, wenn er nicht mit der vorbehaltslosen Unterstützung des Westens für Israel und den undemokratischen politischen Systemen in Arabien hervorragende Bedingungen vorfinden würde. Eine andere These des Autors lautet, Terrororganisationen wie Hamas oder Hizbollah hätten sich niemals zu einer Massenbewegung entwickeln können ohne die völkerrechtswidrige, auf Vorherrschaft ausgerichtete Politik Israels.

Und auch die weitverbreitete Überheblichkeit unter den Völkern des Westens knüpft sich Lüders vor: „‚The West ist the best’, darüber wird nicht verhandelt, geschweige denn nachgedacht. Und ohne jeden Zweifel ist das Leben im Westen besser, freier, vielfältiger als, sagen wir, in Saudi-Arabien. Nicht diese Feststellung ist das Problem. Sondern ihre Ideologisierung, ihre imperiale Überhöhung: Der Westen ist das Beste, also hat der Westen das Recht, die Welt nach seinem Willen und seiner Vorstellung so zu gestalten, bis sie nur noch sein Ebenbild trägt.“

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Eine Rezension von Michael Lüders letztem Buch „Tee im Garten Timurs“ finden Sie im EM 02/04.

Arabien Orient Rezension

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