„Hier wird eindeutig Hysterie betrieben!“EM-INTERVIEW

„Hier wird eindeutig Hysterie betrieben!“

Das immer wieder in den Medien auftauchende Thema Islamismus und insbesondere die damit verbundene Negativberichterstattung über den Islam erzeugt nach Auffassung von Prof. Werner Ruf aus Kassel antiwestliche Ressentiments in der islamischen Welt.

Von Mohammed Khallouk

E urasisches Magazin: Seit dem 11. September 2001 nimmt das Thema „Islamischer Fundamentalismus“ einen breiten Raum in unserer Medienlandschaft ein. Fast täglich finden sich Zeitungsberichte zu Selbstmordanschlägen mit vermeintlichem oder tatsächlichem islamistischem Hintergrund. Haben Sie den Eindruck, hier wird eine künstliche Gefahr heraufbeschworen oder spiegelt sich darin die reale Bedrohung der Zivilisation durch eine Zeitströmung wieder, die sich gleichermaßen an die genuin islamisch geprägten Länder wie an unsere westliche freiheitliche Gesellschaft richtet?

Werner Ruf: Hier wird eindeutig Hysterie betrieben. Dies beginnt damit, dass Selbstmordanschläge als genuin islamisch dargestellt werden. Das erste Selbstmordattentat beging Samson in der Bibel. Er riss die Säulen des Tempels ein und tötete dabei sich selbst und Hunderte von Philistern.  Dieses Attentat ist positiv besetzt und mythisch verklärt. Selbstmorde wurden auch von Japan im Zweiten Weltkrieg gezielt eingesetzt durch Angriffe der Kamikaze-Flieger auf Kriegsschiffe der USA. Selbstmordanschläge sind eine klassische Waffe der Tamil Tigers in Sri Lanka, wo die meisten Anschläge verübt werden. Darüber spricht niemand, können diese doch nicht als „islamisch“ bezeichnet werden. Eine Bedrohung der Zivilisation geht eher aus vom Abbau zivilisatorischer Errungenschaften wie des Völkerrechts und des humanitären Völkerrechts, durch die Art der Kriegführung der USA und ihrer Verbündeten im Irak, Afghanistan etc. wo massenhaft Zivilisten getötet werden.

Die aktuelle Politik verfestigt Ressentiments

EM: Wie wirkt sich die aktuelle Politik der westlichen Regierungen - insbesondere der USA, aber auch Deutschlands - zur Bekämpfung eines gegen die freiheitliche Ordnung gerichteten Islamismus aus? Trägt sie zu dessen Bekämpfung wirklich bei oder erzeugt sie stattdessen eine Verstärkung der gegen das westliche Modell gerichteten Ressentiments in der islamischen Gesellschaft?

Ruf: Eindeutig verfestigt diese Politik - genauso so wie die Israels gegen die Palästinenser -  die Ressentiments. Vor allem muss die Asymmetrie der Kriegführung beacht werden: Gegen die hochtechnisierte Gewalt moderner Kriegsmaschinerie bleiben letztlich nur feige und kriminelle Formen der Gegengewalt. Endrucksvoll hierzu das jüngst erschienen Buch von Jürgen Todenhöfer: Warum tötest Du, Zaid?

EM: Auf welche Weise ließe sich die Attraktivität von Demokratie und Pluralismus bei Muslimen erhöhen und welche Aufgaben sehen Sie hiermit für die Eliten Europas und der arabischen Länder verbunden?

Ruf: Wenn der Westen selbst sich an die von ihm propagierten Maßstäbe der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit hielte. Das reicht von diskriminierender Behandlung von Ausländern, insbesondere Muslimen – siehe Einwanderungsfragebögen und Formen des kollektiven Verdachts -  bis zur Abwehr von Flüchtlingen an den Grenzen Europas.

EM: Welche Beziehung sollte die politische Öffentlichkeit in islamischen Staaten zur Religion erkennen lassen, um einerseits das Identitätsbewusstsein der Zivilgesellschaft zu erhalten und zu fördern und andererseits die Werte der europäischen Aufklärung im Alltag zur Geltung zu bringen?

Ruf: Dies müssen die dortigen Gesellschaften selbst klären und erreichen. Die vom Westen betriebene Unterstützung korrupter Diktaturen ist kontraproduktiv.

„Westliche Medien berichten fast nur noch negativ über den Islam, nahöstliche sind gleichgeschaltet“

EM: Sehen Sie in der Zurückdrängung der christlichen Kirche aus der öffentlichen Sphäre, wie sie in Europa seit der französischen Revolution von Nation zu Nation in unterschiedlichem Maße stattgefunden hat ein Vorbild oder eher ein Abschreckungsbeispiel für die islamisch verfassten Staaten der arabischen Welt?

Ruf: Das ist schwer zu beantworten. Christliche Kirchen, die hierarchische Strukturen haben, sind mit dem Islam schwer vergleichbar. Ferner darf ihr Einfluss in den westlichen Gesellschaften nicht unterschätzt werden.

EM: Wie beurteilen Sie die Einflussnahme der Medien in Europa aber auch in Nordafrika und im Nahen Osten auf Politik und Staatsverständnis?

Ruf: Jüngste Untersuchungen haben gezeigt, dass die westlichen Medien fast nur noch negativ über den Islam berichten und so zur Entwicklung feindseliger Haltungen im islamischen Raum wesentlich beitragen. Im Nahen Osten sind die Medien von ganz wenigen Ausnahmen politisch gleichgeschaltet. Als Legitimationsinstrumente der Despotien haben sie in der Bevölkerung keine Glaubwürdigkeit. Die einzige Ausnahme bildet hier der arabische Nachrichtensender al jazeera (Al-Dschasira).

EM: Herr Professor Ruf, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

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Siehe auch den Beitrag des Autors „Das Modell ‚Demokratie in Deutschland’ – Garant für eine Integration muslimischer Migranten?“

Interview Islam

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