Alternative zum Gewaltkonflikt zwischen Israelis und PalästinensernJÜDISCH-ISLAMISCHER DIALOG

Alternative zum Gewaltkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern

Gewaltsamer Dauerkonflikt oder Koexistenz auf religiösethischer Grundlage? Die aktuelle gewaltsame Zuspitzung des israelisch-palästinensischen Konflikts zeigt, dass nach neuen Wegen gesucht werden muss.

Von Mohammed Khallouk

D ie aktuelle gewaltsame Zuspitzung des israelisch-palästinensischen Konflikts hat es wieder einmal vor Augen geführt: Ein Friede im Nahen Osten, der in den Neunziger Jahren bereits auf halber Wegstrecke schien, liegt in Wahrheit nach wie vor in weiter Ferne. Raketenbeschuss der palästinensischen Hamasbewegung auf israelische Wohngebiete, israelische Militäroperationen im Gazastreifen, Einmarsch, Besetzung und Zerstörung haben das tägliche Leid und den gegenseitigen Hass noch tiefer ins Bewusstsein beider Völker gepflanzt.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Frage berechtigt, ob eine friedliche Koexistenz von Juden und Muslimen überhaupt erreichbar ist und ob sie speziel im Nahen Osten eine Chance hat. Angesichts einer gemeinsamen ethischen Wurzel beider Religionen in Stammvater Abraham mit dem Humanismus als entscheidendem Wesenszug, sollten die Strategien der politischen Verantwortungsträger und deren jeweiliges Religionsverständnis hinterfragt werden. Stattdessen wird permanent darauf gesetzt, dass das eigene militärische Potential den potentiellen Gegner vor Gewaltaktionen abschrecke und dessen vermutete Kriegsabsichten im Vorhinein vereitele. Diese Strategie ist zudem vom Bewusstsein eines historisch-religiösen Auserwählungsstatus geleitet.

Es gilt, den Dialog zu suchen

Aber statt vor diesem Hintergrund die Gegenseite mit politischen Maximalforderungen zu konfrontieren, gälte es auf jegliche militärische Machtdemonstrationen zu verzichten und den Weg des Dialogs miteinander zu suchen.

Auf welcher Grundlage aber lässt sich ein solcher Dialog aufbauen, wenn beide das Bewusstsein bereits verinnerlicht haben, einer „absolut fremden“, der eigenen gegenüber grundsätzlich feindseligen Kultur und Religion gegenüberzustehen? In dieser Hinsicht wächst den Eliten eine besondere Aufgabe zu. Ihre vorhandene Differenzierungsbereitschaft und ihr umfangreiches Wissen sowohl über die jüdische als auch über die islamische Kultur gilt es einzusetzen. Auf diese Weise muss es möglich sein, einen jüdisch-muslimischen Kulturdialog zu initiieren. In diesen können dann nach und nach, bei einem wachsenden gegenseitigenVertrauen, die Gesellschaften beider Seiten einbezogen werden, mit dem Ziel, einen alle Ebenen umfassenden Dialog zu führen.

Westminster - Anschauungsbeispiel eines tabufreien Elitendialogs

Für einen jüdisch-muslimischen Elitendialog, gab es in der jüngeren Vergangenheit bereits hoffnungsvolle Ansätze. Prominentestes Beispiel ist der in der Westminstersynagoge in London geführte Dialog zwischen muslimischen und jüdischen Vertretern aus Politik und Zeitgeschichte. Anhand dieses Westminsterdialogs lässt sich zeigen, wie ein solcher Dialog aussehen könnte, welche Themen darin zur Sprache gelangen sollten und wie eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts aussehen würde. Als Dialogstifter ist der Rabbiner der Londoner Westminster Synagoge Albert Friedlander hervorgetreten, der seine Synagoge für den geistigen Austausch mit Muslimen zur Verfügung stellte. Geprägt durch das amerikanische Bürgerverständnis bekennt er, dass für ihn zur Lösung des im Kern politischen Konfliktes im Nahen Osten eine eindeutige Trennung zwischen Religion und Politik entscheidend sei. Gleichzeitig beschäftigt er sich mit jüdischer Ethik und sieht in ihr eine vernünftige Grundlage für den Dialog, mit dem Ziel, einer politischen Annäherung der jüdischen Eliten an die Muslime. Unter seinen Gesprächsgästen waren neben dem Göttinger Politologen Bassam Tibi weitere bedeutende Vertreter aus dem politischen Leben des Nahen Ostens. Zum Beispiel auch die damaligen israelischen und ägyptischen Botschafter in London, Moshe Raviv und Gehad Madi. Außerdem bekannte Repräsentanten aus der westlichen Zivilisation, wie der seinerzeit in London akkreditierte deutsche Botschafter Hartmann. Die Moderatorin der Gespräche hatte die ehemalige Nonne und Autorin Karen Armstrong übernommen.

Ein Glanzstück jüdischer Geschichte

Bassam Tibi wies auf die Rolle der Juden während der kulturellen Blütezeit im islamischen Hochmittelalter hin. Dazu zitierte er das Buch „Die Juden in der Islamischen Welt“ des jüdischen Historikers Bernard Lewis. Darin wird eindrucksvoll geschildert, wie die damalige jüdisch-islamische Symbiose funktionierte, die Lewis als ein „Glanzstück jüdischer Geschichte“ hervorhebt. Er schildert eine Zeit, in der eine Hochachtung für Juden im christlich- dominierten Europa in keiner Weise als Selbstverständlichkeit gewertet werden konnte.

Erst der heutige Nahostkonflikt habe die bis dahin in der nahöstlichen Region - wie auch anderenorts – geltende Norm der gegenseitige Wertschätzung zwischen Islam und Judentum nachhaltig gestört. Um den Kulturdialog mit Leben zu füllen und hiermit die für eine Bewältigung des israelisch-palästinensischen Konflikts bestehenden psychologischen Barrieren ausräumen zu können, nahmen an der Londoner Begegnung nicht nur Schriftsteller und Gelehrte beider Religionen teil. Es engagierten sich auch aktive Gesellschaftswissenschaftler aus Israel und den Palästinensergebieten. Zu ihnen gehörten der israelische Historiker Yair Hirschfeld und der palästinensische Redakteur der „Strategic Review” in London, Ahmed Khalidi, der in der arabischen Ausgabe des „Journal of Palestine Studies“ das strategische Denken der PLO zu erläutern suchte. Beide Vertreter erkannten im Frieden auf gegenseitiger Verständigung die einzige Option für eine gemeinsame Zukunft im Nahen Osten. Dabei wiesen sie darauf hin, dass Jerusalem den Hauptstreitpunkt zwischen ihren Völkern darstelle und ohne Lösung dieser Kernfrage ein dauerhafter Frieden nicht zu erreichen sei. Während Hirschfeld in Jerusalem die Hauptstadt Israels in Gegenwart und Zukunft postulierte, wies Khalidi darauf hin, dass das heutige Jerusalem größer als die historisch-religiös bedeutsame Altstadt sei und somit geklärt werden müsse, welches Jerusalem den Status der israelischen Hauptstadt erhalten solle und welches für die Palästinenser gedacht sei. Auf die seinem Volk ebenfalls Heilige Stadt wollte er schließlich ebenso wenig verzichten.

An historischem, respektvollem Miteinander anknüpfen

Neben Jerusalem zeigte sich die allgemeine Wertschätzung der jeweils anderen Religion als wesentlicher Diskussionspunkt. Hierbei verwiesen die jüdischen Vertreter auf den mittelalterlichen jüdischen Philosophen Maimonides, der am Hofe im maurisch-spanischen Cordoba wirkte und der dem Islam die Anerkennung als gleichwertige Religion zumaß. Seine Einstellung vermag nicht zu verwundern, da er seiner Zeit auf einen Andersgläubigen gegenüber gleichermaßen toleranten Islam traf.

Die jüdischen Teilnehmer des Londoner Treffens forderten, dass die islamische Anerkennung der Juden heutzutage über eine allgemeine Würdigung als „geschützte Minderheit (Dhimmi) unter islamischer Obhut“ hinausgehen sollte und ihnen volle Souveränität zuzugestehen sei. Ihre Befürchtung bestand vor allem gegen einem „judenfeindlichen politischen Islam“ und dessen religiöse Instrumentalisierung. Die unentwegte Erinnerung an judenfeindliche Demonstrationen und Attentate, ausgehend von Arabern und Palästinensern, habe sich in vielen israelischen Juden zu einem fiktiven „Feindbild Muslim“ aufgestaut. Die Tatsache, dass aus jenen vereinzelten Attentaten und den für Außenstehende eher symbolisch erscheinenden Hamasraketen sich wieder eine ernsthafte militärische Konfrontation entwickeln konnte, könne als Beleg dafür gewertet werden, dass dieser Konflikt vom Ursprung her nicht religiös, sondern territorialer Natur sei. Davon werde , das Islambild der Israelis ebenso wie das Judenbild der Palästinenser bestimmt, weshalb nur seine Überwindung der Territorialkonflikte zur Wiederherstellung der Jahrhunderte lang bestehenden gegenseitigen Würdigung dieser beiden Religionen führen könne.

Einigung über Jerusalem als Voraussetzung für gegenseitige Achtung der Religionen

Die Muslime verlangten die jüdisch-islamische Versöhnung über die israelisch-palästinensische politische Annäherung hinausreichend. Sie waren sich jedoch einig, dass angesichts der beiden Religionen Heiligen Stadt Jerusalem und der andauernden Aktualität dieses Konflikts es ohne eine endgültige Lösung im Nahen Osten niemals zum respektvollen Miteinander beider Religionen und Kulturen zu gelangen sei.

Zur Realisierung eines endgültigen nahöstlichen Friedensabkommens schlug Bassam Tibi einen Dreistufen-Plan vor, nach dem zuerst auf lokaler Ebene die Palästinenser- Problematik mittels der Formel „Ein Land – zwei Völker“ zu lösen sei. Diesem solle in einem zweiten Schritt die staatliche Aussöhnung zwischen Israel und den anderen arabischen Nachbarn erfolgen und im dritten und wichtigsten Schritt eine für beide Seiten akzeptable Einigung zur „shared holyness/geteilten Heiligkeit“ von Jerusalem. Ohne letztere könne es niemals einen aufrichtigen Frieden zwischen beiden Religionen geben, da die Al-Aqsa-Moschee das drittwichtigste Heiligtum im Islam und ihr Schicksal für alle Muslime – gleichbedeutend ob Palästinenser oder nicht – von elementarer Bedeutung sei. Für die Juden hat Jerusalem ebenso einen besonderen Stellenwert, der sich in der Verehrung der Klagemauer durch orthodoxe wie säkulare Juden manifestiert und in einer endgültigen Friedenslösung mit zu berücksichtigen ist. Aus diesem Bewusstsein heraus bestand der Israeli Yair Hirschfeld darauf, die Jerusalem-Frage langsam und schrittweise abzuarbeiten. Eine Lösung, bei der Ostjerusalem in palästinensische Hände übergehe, ohne eine gleichzeitige Zusicherung für jeden Juden, ungehindert zur Klagemauer pilgern und dort beten zu können, werde keinen dauerhaften Frieden garantieren.

Wie die Begegnungen in Westminster demonstrieren konnten, stehen sich Judentum und Islam sowohl kulturell als auch religiös-ethisch sehr nahe. Dieser Dialog belegt jedoch gleichermaßen, wie sehr die Auseinandersetzung im Nahen Osten im Allgemeinen und bezüglich Jerusalems im Besonderen beide voneinander trennt. Sowohl für Palästinenser als auch Israelis, ist stets die Furcht vor dem jeweils Anderen boch immer beherrschend. Während die Israelis um die Existenz ihres jüdischen Staates fürchten, haben die Palästinenser die endgültige Einverleibung ihrer muslimischen Heiligtümer durch Israel verbunden mit einer Zerstörung der Jerusalemer Altstadt durch antimuslimisch gesinnte, fundamentalistische Juden als Schreckensbild vor Augen. Erst wenn beide Ängste jegliche Berechtigung verloren haben, kann es eine Versöhnung dieser beiden Bruderreligionen geben, welche durch politische Zugeständnisse von beiden Seiten zu erfolgen hat. Zudem stellt die Bekämpfung der extremistischen Strömungen innerhalb beider Religionen, welche sich besonders auf die Jerusalemfrage beziehen, einen entscheidenden Schritt dar, für den der islamisch- jüdische Dialog wegweisend sein kann. Wenn darüber hinaus beide Seiten erkennen, dass die jeweils andere Kultur und Religion von ihrem Fundament her ebenso friedlich und tolerant ist wie die eigene, werden sie das notwendige Vertrauen entgegen bringen. Deshalb erweist es sich in einem solchen Dialog als unabdingbar, dass die israelische Zivilgesellschaft mit Unterstützung der jüdischen Geistlichkeit öffentlich auf jegliche Ansprüche auf den Haram esh-Sharif (das Gelände von Al-Aqsa-Moschee und Felsendom) verzichtet. Ebenso scheint es zwingend geboten, seitens der palästinensischen Zivilgesellschaft klarzustellen, dass in einem zum künftigen Palästinenserstaat gehörigen Ostjerusalem keine Hindernisse für Juden bestehen, zur Klagemauer zu pilgern. Dies sind Grundvoraussetzungen für die zivilisatorische Annäherung von Judentum und Islam sowie darüber hinaus von Israelis und Palästinensern.

Gewalttätigen Extremisten entgegenstellen

Die Zurückweisung von Extrempositionen wie das von Teilen der Hamas nach wie vor öffentlich angestrebte Großpalästina und den bei rechtsgerichteten Israelis bestehenden Auserwähltheitsanspruch auf ein rein jüdisches Großisrael steht neben der Jerusalemfrage für den Dialog miteinander im Vordergrund. Die von religiösen Extremisten ausgehende wie von den Herrschaftseliten instrumentalisierte Gewalt stellt ein Thema dar, das nicht ausgeklammert oder ignoriert werden darf. Als Vorbedingung für den Dialog gilt als entscheidend, dass beide Seiten jegliche ungerechtfertigte kriegerische Gewalt beenden. Nur wenn für die jeweils andere Seite erkennbar wird, dass politisch motivierte Gewalt ein dem eigenen religiös-ethischen Fundament entgegenstehendes Verhalten darstellt, besteht die Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden, der aufgebaut ist auf gegenseitigem Respekt vor der anderen Kultur und Religion und der einer gerechten Lösung des Nahostkonflikts den Boden bereitet.

Der jüdisch-islamische Dialog bildet den Ausgangspunkt für die gemeinsame Bekämpfung jeglicher religiös gerechtfertigter Gewalt und der gegeneinander gerichteten Aufrüstung, bereitet die Basis zur Lösung der die Religion betreffenden Kernfragen des Konflikts und weist den Weg zum friedlichen Miteinander von Israelis und Palästinensern. So sehr diese beiden Völker sich momentan auf einen auf Gewalt beruhenden Dauerkonflikt fixiert zu haben scheinen, die Religion und die darin gelegte Ethik, sofern sie auf menschliche Weise interpretiert wird, bildet die Richtschnur, an der beide Seiten sich festhalten können, um im Dialog miteinander den Pfad in eine gemeinsame friedliche Zukunft zu finden.

Islam

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