Christine Lieberknecht im Interview über Wirtshaftsverträge mit RusslandEM-INTERVIEW

Russland ist ein sehr spannendes Land

Christine Lieberknecht im Interview über Wirtshaftsverträge mit Russland

Moskau und die Wolga-Stadt Uljanowsk waren die beiden Städte, welche die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) im Oktober besuchte. Begleitet wurde sie von Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD), fast 60 Unternehmern und von Vertretern der fünf Landtagsfraktionen. Wichtige Wirtschaftsverträge wurden abgeschlossen. Lieberknechts Erfahrungen beim Umgang mit ihren russischen Gesprächspartnern werfen ein differenziertes Bild auf das Verhältnis beider Länder zueinander.

Von Ulrich Heyden

Anja Siegesmund, Christine Lieberknecht, Bodo Ramelow am Roten Platz in Moskau.
Anja Siegesmund, Christine Lieberknecht, Bodo Ramelow am Roten Platz in Moskau.
Foto: Heyden

Eurasisches Magazin: Was waren die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Reise, die Sie in diesem Herbst nach Russland unternommen haben?

Christine Lieberknecht: Die russische Föderation ist ein aufstrebendes Land mit einem großen Wachstumsmarkt, auf dem die Thüringer Wirtschaft sehr gut punkten konnte. Es wurden wichtige Verträge unterschrieben. Unser Exportvolumen von bisher 400 Millionen wird steigen. Die Verträge, die wir abgeschlossen haben und weitere Vereinbarungen erlauben es, die Exporte Thüringens perspektivisch zu verdoppeln. Es gibt die Leit-Branchen, wozu die Automobilindustrie, die Medizintechnik und der Maschinenbau gehören. Aber es gibt eigentlich Chancen in nahezu allen Branchen.

EM: Was muss gemacht werden, dass zwischen Thüringen und Russland nicht nur gehandelt, sondern auch investiert wird?

Lieberknecht: Es gibt ja Investitionen. Wir haben gerade einen dreistelligen Millionen-Vertrag unterschrieben für den Bau einer neuen Kunststofffaserfirma im Gebiet Iwanowa, ein Gebiet, das von der Textilindustrie geprägt war und jetzt riesige Transformationsprobleme hat.

EM: Woran mangelt es nach Meinung der deutschen Unternehmer in Russland noch? Wie sieht es aus mit Korruption und Bürokratie?

Lieberknecht: Wir haben in Thüringen eine klein- und mittelständische Wirtschaft. Diese Firmen mussten selber erst mal ihre Unternehmen aufbauen und Kraft entwickeln, um in den russischen Markt zu kommen. Diese Unternehmen wünschen sich vor allem die politische Flankierung, um vor allem auch die Genehmigungsverfahren in den russischen Regionen besser bewältigen zu können.

Wenn man aus der Ex- DDR kommt, versteht man Russland besser

EM: Das heißt die Flankierung durch die Präsidialverwaltung?

Lieberknecht: Nicht nur die Präsidialverwaltung. Man braucht auch den Gouverneur. Und den Gouverneur kriegt man nur, wenn die Thüringer Ministerpräsidentin dabei ist.

EM: Das sagt ja viel aus über Russland. Wie würden Sie das charakterisieren?

Lieberknecht: Das sagt einiges, ja. Aber wenn man aus der ehemaligen DDR kommt, versteht man das auch. Zu Zeiten der Sowjetunion gab es ausschließlich Staatswirtschaft. Es hat schon eine ganze Menge Transformation gegeben. Aber es geht eben noch nicht ganz ohne Staat. Und deswegen haben wir dafür Verständnis. Bei fast allen Investitionen merkt man, dass auch an alte Kontakte angeknüpft wird. Es geht nicht ohne den Staat, das veranlasst mich auch als Türöffner, als Dienstleister dabei zu sein.

EM: Das Verhältnis zwischen Russland und Deutschland ist in diesem Jahr etwas kühler geworden. Was ist der Grund?

Lieberknecht: Das wird nicht wirklich durchschlagend sein. Man weiß auf beiden Seiten, dass man sich braucht. Auch das Beispiel der Wirtschaft zeigt, man sucht Wege um zusammenzukommen. Die Gouverneure bekommen in den Regionen jetzt wieder eine stärkere Eigenständigkeit, indem sie gewählt werden. Sie wurden einige Jahre von Moskau eingesetzt. Also da ist einiges im Gang. Man braucht aber Geduld.

EM: Haben Sie über das Problem Rechtsradikalismus auch mit ihren russischen Partnern gesprochen. Und was ist ihre entscheidende Lehre aus den ostdeutschen Erfahrungen mit Rechtsradikalismus, weil ja auch die Russen dieses Problem haben?

Lieberknecht: Zunächst will ich darauf hinweisen, dass das kein ostdeutsches, sondern ein gesamtdeutsches Problem ist. Worüber wir gesprochen haben ist, dass man in einer aufstrebenden, sich westlich orientierenden Gesellschaft Offenheit, Zivilcourage und Meinungsfreiheit braucht. Dass man sich der Feinde der Demokratie erwehren muss. Ich habe darüber insbesondere mit Vertretern der Menschenrechtsorganisation Memorial gesprochen, die sich mit der Aufarbeitung der Diktatur beschäftigt. Aber ich habe auch mit Wirtschaftsvertretern darüber gesprochen, was passieren muss, um ein investitionsfreundliches politisches Klima zu haben.

Der Übergang zur Marktwirtschaft braucht Zeit

EM: Aber es gibt nichts speziell Ostdeutsches oder Thüringisches was sie da einbringen können?

Lieberknecht: Doch, die Transformationserfahrung, dass der Übergang von einer sozialistischen diktatorischen Gesellschaft in eine soziale Marktwirtschaft Zeit braucht, zum Teil ganze Generationen. Wir haben aber auch darüber gesprochen, dass in Russland jetzt eine neue Generation heranwächst, die mit diesen alten politischen Mustern nichts mehr anfangen kann.

EM: Wird die Situation um die Frauen von Pussy Riot in Deutschland richtig wahrgenommen?

Lieberknecht: Egal mit wem ich hier gesprochen habe - hauptsächlich waren es Wirtschaftsvertreter -, wurde mir gesagt, was die Mädchen gemacht haben, war nicht in Ordnung. Allerdings sei die Strafe ist überzogen. Ein paar hinter die Ohren, 14 Tage soziale Arbeit und die machen das nicht wieder. Man muss die Frauen nicht gleich ins Gefängnis stecken und dadurch die falschen Signale für die Weltöffentlichkeit setzen. Auch der Wirtschaft gefällt es nicht, wenn Russland so am Rande der Demokratie wahrgenommen wird, wo der Staat die Kämpfer für Freiheit und alternative Lebensformen hinter Schloss und Riegel bringt.

EM: Was ist Ihr Resümee nach fünf Tagen Russland?

Lieberknecht: Ein sehr spannendes Land! Gerade die Ostdeutschen haben die Erfahrung gemacht, dass die Unternehmen nach der Wende in völlig ausdifferenzierten Märkten ihre Nischen finden mussten. In Westeuropa gibt es in den meisten Branchen nur Verdrängungswettbewerbe. Hier in Russland liegt das offene weite Land vor uns - ein Wachstumsmarkt in fast allen Bereichen. Wir müssen die Chancen der Zusammenarbeit nur ergreifen. Mit den richtigen Partnern sind die Potentiale riesig.

EM: Frau Lieberknecht, haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch.

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