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EURASIEN HISTORISCH
Von Hans Wagner
EM - Die Franken waren im frühen Mittelalter die bedeutendste politische Kraft der abendländischen Geschichte. Durch ihre Herrschaft wurde nicht nur zum ersten Mal eine einheitliche Reichskultur auf deutschem Boden errichtet, sondern letztlich waren sie auch die Wegbereiter Europas.
Durch Karl den Großen, den bekanntesten und mächtigsten fränkischen Herrscher, fiel das Imperium Romanum an die Franken, ehe später unter den Ottonen (Otto d. Gr.) dieses Imperium deutsches Erbe wurde. Man nannte das Reich Karl des Großen. „Sacrum Romanum Imperium“ („Heiliges Römisches Reich“). Der Zusatz „Deutscher Nation“ wurde im Spätmittelalter hinzugefügt. Bis 1806 war „ Heiliges Römisches Reich deutscher Nation“ die offizielle Bezeichnung Deutschlands.
Die Franken, deren Name auf deutschem Boden heute nur noch in den drei bayerischen Regierungsbezirken Ober-, Mittel- und Unterfranken erhalten ist (und als Weinbaugebiet), waren kein ursprünglicher (genuiner) Volksstamm. Ihr Name steht für den Zusammenschluß von verschiedenen kleineren germanischen Völkerschaften zum Großstamm der „Kühnen“ oder „Freien“, lateinisch „Franci“, woraus schließlich die „Franken“ wurden.
Die fränkische Stammesbildung erfolgte zur Völkerwanderungszeit. Verschiedene Gruppen der Rhein-Weser-Germanen, wie Chamaven, Chattuarier, Brukterer, Ampsivarier, Usipeter, Tubaten, Chasuarier und weiterer schlossen sich zusammen, später kamen noch die Chatten (Hessen) dazu. Der Vorgang war für Germanen einigermaßen ungewöhnlich. Im allgemeinen kämpften die einzelnen germanischen Stämme eher gegeneinander, als sich zu verbünden.
Der Eintritt der Franken in die Geschichte war zwar nicht ganz so spektakulär wie jener der Wikinger, die ein paar Jahrhunderte später von sich reden machten. Aber für die Römer in Gallien war das plötzliche Auftreten eines germanischen Großstammes im Rhein-Weser-Gebiet nicht weniger überraschend als das Auftauchen der bis dato unbekannten Wikinger vor der englischen Küste. (vgl. EM 08-02 DIE WIKINGER). In römischen Quellen wurden die „Franci“ zum ersten Mal um 259 n. Chr. erwähnt. Der Grund dafür war denkwürdig: die Franken drangen nach Gallien vor und fügten der linksrheinischen römischen Besatzung schwere Niederlagen bei. In den folgenden 50 bis 60 Jahren wiederholten sich diese Einfälle ein ums andere Mal. Die Franken suchten Siedlungsland und sie wollten die römische Vorherrschaft brechen.
Einer der ersten großen Siege der Franken - Eroberung des Kastells |
Eine der ersten kriegerischen und für die Römer katastrophal endenden Auseinandersetzungen ist für den Raum Krefeld am Niederrhein bezeugt. Hier war es, wo im Jahr 259 fränkische Truppenverbände erstmals in die römische Besatzungzone vorstießen. Sie nahmen das Kastell Gellep beim heutigen Krefeld am Niederrhein ein. Die Römer fanden nicht einmal mehr die Zeit, ihre Toten zu verscharren. Der überraschende Angriff hatte eine verheerende Wirkung, durchaus vergleichbar mit dem der Wikinger auf das englische Lindisfarne im Frühsommer 793. Rom hatte die neue Macht am Rhein mit einem Schlag kennengelernt und mußte sich nun darauf einstellen. Es war übrigens das Jahr, in dem auch die Alemannen aus dem Norden vordrangen und den Limes zu Fall brachten. Rom konnte nicht mehr verhindern, daß seine Herrschaft am Rhein und in ganz Gallien Schritt für Schritt durch die Franken abgelöst wurde. Für das Imperium brachen schlechte Zeiten an.
Zunächst gestand das Römerreich den einrückenden fränkischen Verbänden die Rolle von sogenannten Föderaten zu. Fränkische Völkerschaften wurden als Bundesgenossen zwischen Niederrhein und Flandern angesiedelt. Sie übernahmen Aufgaben der Reichsverteidigung für die Römer.
Die Siedlungsgebiete der Franken innerhalb der römischen Grenzen dehnten sich dabei rasch aus. Teile des fränkischen Stammes der Salier (vom Althochdeutschen sala = Herrschaft) setzten sich um die Mitte des vierten Jahrhunderts in Toxandrien (Nordbrabant) fest. Sie rückten dann ab 406 nach Flandern bis zur Nordsee vor. Die Besiedlung weiter westlich gelegener Gebiete Galliens durch die Salier begann ebenfalls im 5. Jahrhundert und erreichte schließlich die Flüsse Seine und Loire. Der Stamm der Ripuarier setzte sich im Raum von Köln fest, und siedelte ab 455 im Moselgebiet und bis zu den Ardennen.
Eine herausragende Stellung in den neuen von Franken besiedelten römischen Gebieten erreichte die Adelsdynastie der Merowinger. Ihre Könige Chlodio und Merowech standen um 450 an der Spitze von Verbänden der Salier (Salfranken). Mit ihnen begann die Reichsbildung der Merowinger. Chlodio nahm Cambrai ein (im Ostteil des Artois) und drang bis zur Somme vor. Merowech begründete die Herrschaft Tournai (heute belgische Provinz Hennegau).
König Merowech war Vater von Childerich (457- 482), der ihm als König der Franken im Militärsprengel von Tournai nachfolgte. Childerich kämpfte als römischer Verbündeter gegen die Westgoten. Bei seinem Tod wurde er in einem Grabhügel beigesetzt, eine Sitte, die aus der thüringischen Heimat von Childerichs Frau Basena übernommen sein soll. Sie wurde von nun an bei der fränkischen Oberschicht üblich. Der Grabhügel Childerichs bestand aus einer übereinander angeordneten Doppelkammer, mit dem Schlachtroß des Königs im oberen und der Leiche des Königs selbst im unteren Teil. Um den Grabhügel herum wurden weitere 21 Pferde begraben.
Mit dem Herrschaftsantritt von Childerichs Sohn Chlodwig im Jahre 482 begann die expansive Phase der fränkischen Zeit. Der erst 16-jährige König mußte um seine Autorität kämpfen. Nicht alle salfränkischen Adeligen sind ihm zum Beispiel beim Angriff auf das autonome Restreich des Römers Sygarius gefolgt, der zwischen Somme und Loire herrschte. Er hatte sich als letzter römischer Statthalter gesehen.
Syagrius wurde 486 geschlagen und floh zu Alarich II., dem Goten-König in Toulouse. Frankenkönig Chlodwig verlegte seine Residenz von Tournai nach Soissons und nahm die Truppen des geschlagenen Gegners in seinen Dienst. Der Sieg brachte ihm die Herrschaft über die Lande bis zur Seine ein. Chlodwig festigte damit seine noch junge Herrschaft.
Er wurde bald darauf - 496 und 497 - in einen Krieg mit den Alemannen verwickelt. Den Anlaß bildeten alemannische Einfälle in das Gebiet der Rheinfranken. Diese waren nicht in der Lage, die Angreifer entscheidend zu schlagen. Chlodwig eilte ihnen zu Hilfe. Nach einem lange unentschiedenen Ringen wurden die Alemannen schließlich besiegt. Sie mußten die Oberhoheit Chlodwigs anerkennen. Dadurch wurde die Autorität des jungen Königs auch bei den Rheinfranken gefestigt.
In der Folgezeit kam es zu einer Annäherung zwischen Franken und Burgundern. Chlodwig erhielt vom Burgunder-König Gundobad die Hand seiner Nichte Chrodechilde, die sich zum katholischen Glauben bekannte. Der fränkische Hof kam durch diese Heirat unter katholischen Einfluß. Chrodechild setzte beispielsweise die Taufe ihrer ersten Söhne Ingomer und Chlodomer durch.
Chlodwig übernahm bei seiner für das Jahr 496 überlieferten Taufe nicht wie die Langobarden oder Westgoten das Christentum arianischer Prägung, das germanischer Vorstellungskraft mehr entsprechen mochte, aber von der „offiziellen“ Lehre der römischen Kirche bereits 325 als Ketzerei verdammt worden war. Er schloß sich dem katholischen Christentum seiner gallischen Bischöfe an.. So konnte er Kirche und romanische Gesellschaft integrieren.
Im Jahre 506, Chlodwig regierte bereits ein Vierteljahrhundert, trat ein unvorhergesehenes Ereignis ein: die Alemannen erhoben sich gegen die fränkische Oberherrschaft. Doch Chlodwig brachte ihnen eine vernichtende Niederlage bei. Der König der Alemannen fiel in der Schlacht. Die Franken verfolgten die Besiegten, die in Scharen in ostgotisches Hoheits- und Einflußgebiet Richtung Donau flüchteten. (Siehe EM 05-03 DIE GOTEN). Theoderich, der Herrscher Italiens, gratulierte Chlodwig zu seinem Sieg, mahnte ihn aber zugleich, die ostgotische Hoheits- und Interessenssphäre zu respektieren.
Doch Chlodwigs Interessen lagen nicht an der Donau, sondern in Gallien und am Rhein. Für die hier bevorstehende Auseinandersetzung mit den Westgoten gewann er auch die rheinischen Franken. 507 eröffnet Chlodwig den Kampf. Die Franken errangen einen glorreichen Sieg. Der Landhunger des fränkischen Stammes war damit aber noch immer nicht gestillt. Es gab einen großen Bevölkerungsüberschuß, der nach weiteren Siedlungsgebieten drängte. Die Franken nahmen nun auch das Land am Mittelrhein, am Untermain, an Neckar und Tauber in Besitz. Sie folgten dem gewundenen Verlauf des Mains und der Fränkischen Saale und schoben sich immer weiter nach Osten vor.
Chlodwig verlegte seine Residenz von Soissons nach Paris, wo er am 27. November 511 starb. Er wurde in der dortigen Apostelbasilika begraben. Chlodwigs Söhne Theuderich, Chlodomer, Childebert I. und Chlothar führten die Eroberung Galliens fort und nahmen es fast ganz in Besitz. Theuderich eroberte außerdem das seinerzeit mächtige Königreich Thüringen und rundete damit das Frankenreich nach Osten ab.
Chlodwig und nach ihm seine Söhne und Enkel hatten ein gewaltiges Reich geschaffen, das von der Nordsee bis zum Thüringer Wald und an die Ufer der Donau reichte. Es erstreckte sich damit über einen Großteil des westlichen und mittleren Europas. Das merowingische Frankenreich war ein Vielvölkerstaat. Aber trotz „der gewaltsamen Art und Weise kein ‚Völkergefängnis‘, denn die Franken schonten die gentile Substanz und das Stammesbewußtsein der unterworfenen Völkerschaften, ließen ihnen ihre Eigenart in Sprache und Recht, Sitte und Brauchtum, Tracht und Bewaffnung“, schreibt Hans K, Schulze in seinem Werk „Vom Reich der Franken zum Land der Deutschen – Merowinger und Karolinger“. Das habe für die germanischen Volksgruppen genauso gegolten wie für die Burgunder und die unter fränkische Herrschaft geratenen Volksteile der Westgoten, für Alemannen und Bayern, Thüringer und Friesen.
Frankenkönig Chlodwig hatte seine Macht nicht zuletzt dadurch erlangt, daß er alle übrigen Gaukönige ausschaltete – ermordete, wie die spätere Geschichtsschreibung behauptete. Die Geschichte wird nun einmal von den Siegern geschrieben. In diesem Falle von den Karolingern, vor allem den Geschichtsschreibern Karls d. G., die an ihren Vorgängern kein gutes Haar ließen. Sie stellen das Zeitalter der Merowinger als das dunkelste Kapitel der europäischen Geschichte dar. Die germanischen Franken hätten die ehemals römischen Provinzen Gallien mit einer Welle der Barbarisierung überzogen.
Daß er es war, der zum römischen Christentum übertrat und sich damit auch die Sympathien der gallischen Bevölkerung und des erstarkenden Papsttums sicherte, darf da keine Rolle spielen. Daß Karl d.Gr. später die Sachsen mit brutaler Gewalt christianisierte, selbstredend auch nicht. Unter Chlodwig begann die Verschmelzung von Galloromanen und Franken, woraus im Laufe der Jahrhunderte immerhin die französische Kultur entstand.
Viele der Romanen in Gallien begannen, sich als Franken zu fühlen, ohne jedoch auch sprachlich frankisiert zu werden. Umgekehrt gaben die Franken in Gallien ihre Sprache allmählich auf. Den Namen Franken dagegen behielten sie und waren damit auch Namensgeber für das heutige Frankreich.
Am Ende blieb die Sippe Chlodwigs ohne Nachfolger und verkam. Ihre Zeit war abgelaufen. Aber die Merowinger haben nicht nur ein großes germanisches Reich errichtet, das sich den Respekt und die Anerkennung Roms sicherte, ihnen ist es auch gelungen, eine Brücke von der Antike zum Mittelalter zu schlagen. Sie haben „Latein als Schrift- und Staatssprache gerettet, dem katholischen Christentum zum Siege verholfen und den historisch so folgenreichen Bund zwischen Thron und Altar geschlossen“, schreibt Hans K. Schulze.
Unter Chlodwig I. war der Übertritt der Franken zum Christentum vollzogen worden. Die vollständige Missionierung dauerte aber noch ihre Zeit. Erst nach der Vereinigung der einzelnen fränkischen Herrschaften zum Gesamtreich und der Unterwerfung von Alemannen, Thüringern, Hessen und Baiern kam es zur Ausbreitung der fränkischen Kultur im rechtsrheinischen Gebiet.
Politisch hatte Chlodwig damit bereits den Rahmen fränkischer Reichspolitik zwischen Nordsee und Pyrenäen gezogen - das ist das Erbe, das dann zweieinhalb Jahrhunderte später die Karolingerkönige wie selbstverständlich antraten. Diese Reichsgründung wäre jedoch Stückwerk geblieben, wäre den Merowingern nicht die tiefgreifende gesellschaftliche Integration der romanischen Bevölkerung und vor allem der romanischen Führungsschicht gelungen.
Die römischen Großstädte und Verwaltungszentren wurden von den Franken weitergenutzt. Die Mitteilung, die der römische Geschichtsschreiber Tacitus von der Lebensweise der Germanen machte, daß sie die städtischen Ansiedlungen mieden und sich lieber auf dem freien Land ansiedelten, hat sich im nordgallischen Raum nicht bestätigt. Dafür waren die Franken schon zu intensiv mit der römischen Kultur in Berührung gekommen, als daß sie auf die Annehmlichkeiten des städtischen Lebens verzichten wollten.
Mit dem Tod Chlodwigs, des Reichsgründers, trat das alte salfränkische Erbrecht in Kraft, das jedem Sohn einen Anteil am Erbe zuwies. Das Land der Franken wurde in vier Teile geteilt. und den Söhnen vermacht.
Zunächst schafften es die Nachkömmlinge noch, das thüringische und das burgundische Reich in die fränkische Gesamtmonarchie einzuverleiben. Theudebert I. weitete das Reich sogar bis zur mittleren Donau aus. Doch unter den Enkeln Chlodwigs begann der Zerfall. Nach erbitterten Kämpfen unter Mitgliedern der merowingischen Dynastie wurden sogenannte Hausmeier eingesetzt. Sie regierten als höchste Beamte des Staates anstelle des Königs. Allmählich stiegen sie sogar zu den eigentlichen Herrschern des Reiches auf, hatten bald mehr Macht als der König.
Der Hausmeier Pippin III., der Jüngere, schickte die letzten merowingischen Könige ins Kloster und erhob sich selbst im Jahr 754 zum König der Franken. Er wurde von Papst Stephan II. gesalbt. Damit waren ab Pippin III., dem Jüngeren, auch seine Nachkommen Könige von Gottes Gnaden.
Unter seinem Sohn Karl, später „der Große“ genannt, erreichte das Frankenreich seine höchste Machtentfaltung. Karl trat 768 das Erbe seines Vaters in den ihm vererbten Reichsteilen von Aquitanien bis Thürigen an. Sein Bruder Karlmann hatte den kleineren Teil erhalten, der sich von Burgund bis Alemannien erstreckte. Als Karlmann 771 überraschend starb, zog Karl unter Mißachtung des Erbanspruchs der Söhne das gesamte Reich an sich.
Karl der Große |
Karl eroberte 774 Pavia in Oberitalien, setzte den Langobardenkönig Desiderius ab und machte sich selbst zum Langobardenkönig. Er übernahm die Schutzherrschaft über den Kirchenstaat. Ab 787 war ganz Italien bis auf den byzanthinischen Süden in das Reich Karls integriert.
Er wurde nun Karl d. G. genannt, kämpfte in Spanien gegen die Mauren und errichtete dort eine fränkische Mark, die im Jahre 801 bis zum Ebro reichte.
In den ersten drei Jahrzehnten seiner Herrschaft zog Karl der Große Jahr für Jahr an der Spitze des fränkischen Heeresaufgebotes ins Feld. Es gab immer und überall Feinde, die es zu besiegen galt. Diese Kriegstaten begründeten den Ruhm des Königs. Karl war der Heerkönig seines Volkes. „Die Krieger, das ‚Volk in Waffen‘, erwarteten, daß sich ihr König alljährlich an ihre Spitze stellen und ihnen durch einen Kriegszug zu Sieg, Ruhm und Beute verhelfen würde“, führt Hans K. Schulze aus.
So wurde Karl d. G. als Heerkönig germanischer Prägung zum mächtigsten Herrscher der abendländischen Christenheit und zum ersten Kaiser im mittelalterlichen Europa. Sein Aufstieg stand im Zeichen des Krieges, und er bewegte sich in Bahnen, die den fränkischen Herrschern seit den Tagen Chlodwigs vorgezeichnet waren.
Erst nachdem er am 25. Dezember, dem Weihnachtstag des Jahres 800, in Rom von Papst Leo III. zum Kaiser gekrönt worden war, nannte er sich „Friedenskaiser“. Er führte hinfort keine Angriffskriege mehr, sondern war bestrebt, sein riesiges Reich zu konsolidieren, es zu befrieden und die benachbarten Reiche Völker und Stämme ebenso. Das war der zentrale Punkt seines kaiserlichen Regierungsprogramms.
Daß er zuvor den ersten Religionskrieg der europäischen Geschichte führte, der mit 33 Jahren noch länger dauerte als der spätere Dreißigjährige Krieg, gehört zu den dunkelsten Kapiteln seiner Herrschaft. Es sei der „langwierigste, grausamste und anstrengendste“ seiner Kriege gewesen, berichteten die Chronisten.
Dieser Krieg wurde von Karl d. G. gegen die Sachsen geführt. Er begann als Fortsetzung alter Grenzkriege, die im Jahre 772 bereits ihren Anfang genommen hatten. Zunächst wollte der Frankenkönig die unruhigen Nachbarn so hart treffen, daß sie in Zukunft Ruhe hielten. Karl stieß auf dem ersten Feldzug bis in das sächsische Kerngebiet vor, eroberte die Eresburg und zerstörte das sächsische Heiligtum, die Irminsul. Damit wurde der Sachsenkrieg zum Religionskampf. Karl hatte demonstriert, daß er nicht nur gegen das Volk der Sachsen kämpfte, sondern auch gegen den Glauben der Menschen an ihre Götter. Die Sachsen führten ihren mehr als drei Jahrzehnte währenden Kampf zur Bewahrung ihrer Freiheit und zur Verteidigung ihrer Religion
Als Karl 774 mit seinen Truppen vor Pavia lag, eroberten die Sachsen ihre Eresburg zurück und zerstörten das fränkische Fritzlar. In den folgenden Jahren und ganz besonders ab 777 wurde an der Art des fränkischen Vorgehens deutlich sichtbar, daß es Katrl nicht mehr nur auf Bestrafung wegen diverser Übergriffe und Grenzverletzungen ankam, sondern auf die vollständige Unterwerfung der Sachsen.
Der westfälische Edling Widukind wurde in dieser existentiellen Auseinandersetzung Karls größter Gegner, der die Sachsen zu erbittertem Widerstand antrieb. Er mußte fliehen, wich zu den Dänen aus und organisierte von dort weitere Aufstände. Als Karl gegen die Mauren zog und fern in Spanien weilte, fielen die Sachsen ins Rheinland ein und zogen plündernd stromaufwärts, bis fränkische Elitetruppen sie schließlich besiegten.
Nun sollte Sachsen unter allen Umständen christianisiert und in das fränkische Reich einbezogen werden. Doch die Annahme des christlichen Glaubens wäre für die Sachsen gleichbedeutend mit Fremdherrschaft gewesen. Deshalb waren sie schwerer zu besiegen als die Langobarden in Pavia – es gab keine sächsische Hauptstadt, die man hätte belagern können. Die Sachsen stellten sich nur selten zum Kampf, sondern führten eine Art Guerillakrieg.
Trotz seines Widerstands wurde das Volk der Sachsen 782 nach weiteren heftigen Kämpfen in den fränkischen Staatsverband eingegliedert. Teile des sächsischen Adels hatten sich bereits mit den Franken arrangiert und waren zum Christentum übergetreten.
Hingegen verschärfte Widukund mit seinem Anhang den Widerstand, fest entschlossen, das alte sächsische gegen das neue fränkische Recht zu behaupten.
Da Karl die Sachsen seit 782 zum festen Bestandteil des Frankenreiches zählte, sollten sächsische Männer im gleichen Jahr auch mit zu einem Feldzug gegen die in Thüringen eingefallenen Sorben aufbrechen. Doch Widukind wandte sich stattdessen gegen die Truppen Karls. Am Höhenzug Süntel im Weserbergland (440m) stellten sich die Sachsen zum Kampf und fügten den Truppen des Frankenkönigs eine vernichtende Niederlage zu.
Nach fränkischem Recht galt dieser Überfall am Süntel als Verrat, nachdem Sachsen schon zum Reich gezählt wurde. Karl stieß mit rasch zusammengewürfelten Kriegerscharen tief in die sächsischen Kernlande hinein. An der Mündung des Flüßchens Aller in die Weser traf er auf die Sachsen, die sich nicht zum Kampf stellten, sondern sich unterwarfen. Die sächsischen Adelsherren schoben sämtliche Schuld auf Widukind und lieferten alle die aus, die sich an der Rebellion beteiligt hatten. Der Tag endete in einem ungeheuren Blutbad. Bei Verden an der Aller ließ Karl viereinhalbtausend Sachsen enthaupten. Der Fluß färbte sich rot vom Blut der getöteten Männer.
Widukind, der nicht unter den Opfern war, organisierte erneut einen Aufstand. Es kam wieder zu blutigen Gefechten. Das fränkische Heer verwüstete weithin das Land der Sachsen, aber der Aufstand erlosch nicht. Schon schlossen sich Teile der Friesen den Sachsen an. Erst 785 entschloß sich Widukind, um weiteres sinnloses Blutvergießen zu verhindern, zur Aufgabe. Er ließ sich am Weihnachtstag desselben Jahres taufen. Was aus dem Edling geworden ist, steht nicht zweifelsfrei fest. Es wird vermutet, daß er den Rest seines Lebens – freiwillig oder nicht – in einem Kloster verbracht hat.
Als Karl zu Beginn der 790er Jahre mit der Vernichtung des Awarenreiches beschäftigt war, erhoben sich die längst „befriedet“ geglaubten Sachsen erneut, um die verhaßte Fremdherrschaft abzuschütteln. Der König überließ den Awarenfeldzug seinem Sohn Pippin und zog selbst wieder gegen die Sachsen zu Felde. Jahrelang war sein Heer wieder damit beschäftigt, in ganz Sachsen Aufstände zu bekämpfen. Bis zum Jahr 804 dauerte es, bis der dann bereits zum römischen Kaiser gekrönte Karl endgültig die Oberhand über das standhafte Volk der Sachsen behielt. Der letzte Schlag, den er führte, war der grausamste. Er ließ Zehntausende Sachsen mit Weib und Kind deportieren und in andere Gebiete des Reiches umsiedeln. Die besonders unruhigen Gaue trat er sogar an den slawischen Abodritenfürsten Thrasko ab, der mit den Franken verbündet, mit den Sachsen aber seit ewigen Zeiten verfeindet war.
Hinrichtungen, Deportationen, Verwüstungen und Zerstörungen im Lande und sogar das Abtreten sächsischen Bodens an uralte Feinde – das waren die brutalen Maßnahmen, mit denen dieses Volk schließlich in die Knie und zur Annahme des Christentums gezwungen wurde. „Tod oder Taufe“ hieß die Losung in Sachsen über Jahrzehnte.
Im Jahre 804 war der Widerstand gebrochen. Die Sachsen waren endgültig in die fränkische Reichskultur gezwungen. Sie waren nicht nachtragend und wurden ein wertvoller, nicht mehr wegzudenkender Teil des Franken- und des späteren Deutschen Reiches.
Karl d. G. starb 814. Sein Sohn, Ludwig der Fromme, schaffte es noch etwa ein Vierteljahrhundert, das vom Vater übernommene Imperium zusammenzuhalten. Nach seinem Tod begann der Zerfall. Streitigkeiten, blutige Fehden und mehrere Kriege unter den Nachkommen führten bereits 843 zum Vertrag von Verdun. Karls Erbe wurde zerschlagen und unter seinen Enkeln aufgeteilt. In der Folge entstanden so die selbständigen Länder Frankreich, Deutschland und Italien mit jeweils eigenen Herrschern. Karl erhielt die westlichen Gebiete von der Nordsee bis zum Fluß Maas. Ludwig den östlichen Teil mit ganz Germanien, der bis zum Rhein im Westen reichte. Der Strom bildete die Grenze. Und Lothar, der älteste, der den Kaisertitel fortführte, bekam die Gebiete dazwischen, die man noch heute Lothringen nennt, dazu die Provence und ganz Italien, mit der Hauptstadt Rom.
Selbst die Sprache wurde geteilt. Im Reich Ludwigs, genannt der Deutsche, begann man Althochdeutsch zu sprechen, im Reich Karls, genannt der Kahle, Altfranzösisch.
Karl d. G. war Franke, wie alle seine Ahnen, und er hatte ganz selbstverständlich die Sprache seines Volkes gesprochen. Er trug fränkische Waffen, lebte nach fränkischer Sitte und war am liebsten auf fränkischem Boden zu Hause: in seinen Lieblingspfalzen Herstal, Diedenhofen, Worms und Aachen. Er war sehr besorgt um die germanische Volkssprache, ließ Volkslieder sammeln und eine einheitliche Grammatik seiner Muttersprache entwickeln. Die Monatsnamen wurde nur noch in fränkischer Sprache benannt, nicht mehr in Latein. Nun, nicht einmal 30 Jahre nach seinem Tod, entstand eine Sprachgrenze in seinem Reich, die später die Grenze der „Erzfeinde“ Frankreich und Deutschland werden sollte und mit unvorstellbaren Mengen an Blut getränkt wurde.
Die ostfränkische Linie der Karolinger erlosch im Jahre 911 mit dem Tod Ludwigs, genannt das Kind. In Deutschland herrschte Anarchie. Die Ungarneinfälle häuften sich, und niemand war da, der sie aufhalten konnte. An den Küsten und auf dem Rhein schlugen die Wikinger nahezu unbehindert zu. Nach dem Tod des letzten Karolingers übernahm zunächst der Herzog der Franken, Konrad, die Königswürde im ostfränkischen Reich. Er konnte sich aber nur in seinem Herzogtum durchsetzen, die übrigen Fürsten und Herzöge regierten ihre Landesteile und Gaue weitgehend unabhängig.
Die deutschen Fürsten kamen schließlich im Jahr 919 in Fritzlar zusammen, um einen neuen König zu wählen, der wieder Ordnung und Sicherheit in ihrem Reich gewährleistete. Die Wahl fiel auf Heinrich I., König von Sachsen. Mit ihm beginnt die glanzvolle deutsche Kaiserzeit des Mittelalters, die Herrschaft der „Ottonen“. Heinrichs Sohn Otto, der die Flut der Ungarneinfälle endgültig brach, wurde bereits der Große genannt. Die Unerbittlichkeit des alten Frankenkaisers Karls d. G., mit der er die Sachsen in sein Reich gezwungen hatte, erwies sich nun, rund einhundert Jahre später, als großer Segen für die Deutschen.
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