09.08.2023 13:11:56
GEGENWELTEN
Von Hans Wagner
Prof. Dr. Bernd U. Schipper |
Zur Person: Bernd U. Schipper | |
Prof. Dr. Dr. Bernd U. Schipper wurde 1968 in Darmstadt geboren. Er hat neben evangelischer Theologie und Judaistik auch Ägyptologie, sowie Vor- und Frühgeschichte studiert. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind die Geschichte Israels, Altorientalische und Antike Religionsgeschichte, Literatur des Alten Ägypten, Apokalyptik in Antike und Neuzeit. Er hat mehrere Bücher und zahlreiche Aufsätze über seine Fachgebiete veröffentlicht. Schipper lehrt an der Universität Bremen. |
urasisches Magazin: Woher rührt die Sehnsucht des Menschen nach einer paradiesischen Gegenwelt. Gab es solche Vorstellungen schon, bevor es monotheistische Religionen mit einem einzigen Gott und der Vorstellung von Erlösung im Jenseits gab?
Prof. Dr. Bernd U. Schipper: Die Vorstellung von einer qualitativ besseren Gegenwelt findet sich bereits im Alten Orient und in der hellenistischen Antike. Sie ist rückgebunden an das Gegenüber von einer geordneten und einer ungeordneten Welt. Erstere stellt den bei der Schöpfung hergestellten Lebensraum der Menschen dar, letztere symbolisiert das Chaos und das Böse, wobei man darunter nicht etwa, der neuzeitlichen Bedeutung entsprechend, eine absolute und autonome Größe verstand, sondern vielmehr die Kräfte, die das Leben der Menschen gefährden. In den nicht-monotheistischen Religionen war dies vor allem die Natur. Solche Vorstellungen speisen sich letztlich aus einer Defiziterfahrung des Menschen. Es gibt Kräfte, die das Leben unterstützen, und solche, die das Leben gefährden. Dies konnte ein und dieselbe Materie sein, beispielsweise das Wasser, das in geordneten Bahnen geleitet zum lebensspendenden Medium wurde - z.B. in Form von Flüssen oder Kanälen - und das in seiner natürlichen, nicht beherrsch- und kontrollierbaren Form - dem Meer - eine Gefahr darstellte.
EM: Dient die Vorstellung von der Erlösung im Jenseits, die zu allen drei Buchreligionen Judentum, Christentum und Islam gehört, der Erziehung des Menschen im Diesseits zu einem gottgefälligen Leben?
Schipper: Die Vorstellung einer Erlösung derer, die an Gott glauben, führt immer dazu, dass ein bestimmtes Verhalten eingefordert wird. Sowohl im Judentum, als auch im Christentum und im Islam ist das Verhältnis des einzelnen Gläubigen zu Gott gekoppelt an das Handeln im Diesseits - oder will man es anders formulieren: Ethik und Glaube gehören wesentlich zusammen.
EM: Ist das Paradies in diesen drei Weltreligionen also die Belohnung für ein Leben, wie es die Religion vorschreibt, und droht dem die Hölle, der sich nicht an die religiösen Spielregeln hält?
Schipper: Das in der Frage genannte schroffe Gegenüber vom Paradies im Sinne eines göttlichen Reiches für die Gläubigen und der Hölle als die Strafe für diejenigen, die nicht glauben, speist sich letztlich aus apokalyptischem Denken. Dabei ist die Vorstellung zugrunde gelegt, dass die bestehende Welt den Mächten des Bösen anheim gefallen ist, so dass diese nur noch durch ein göttliches, radikales Eingreifen beendet werden kann - die Apokalypse. Damit ist jedoch die Geschichte nicht am Ende, sondern es folgt ein göttliches Reich - im Christentum besonders verbunden mit der Vorstellung vom himmlischen Jerusalem, wie sie in der Offenbarung des Johannes, dem letzten Buch der Bibel, in Kapitel 21 genannt ist. Im Sinne dieses Denkens gibt es in der Tat nur ein entweder-oder: für die einen das göttliche Reich und für die anderen die Vernichtung.
EM: Im Islam steht der Märtyrer in der Hierarchie derer, die ein gottgefälliges Leben geführt haben, an oberster Stelle. Dafür genießt er im Jenseits die größten Freuden. Selbstmordattentäter sollen von solchen Vorstellungen geleitet sein. Wird so die Verheißung auf das paradiesische Leben im Jenseits zum Fluch für die Gegenwart?
Schipper: Auch hier stellt sich die Frage nach der apokalyptischen, endzeitlichen Zuspitzung. Religionswissenschaftlich gesehen, handelt es sich dabei um eine Form der Radikalisierung religiöser Tradition, bei der eine Entscheidungssituation konstruiert wird, die jedoch oftmals durch weitere, nicht religiöse Faktoren bestimmt ist. Obwohl manche Religionen Gewalt nicht völlig ausschließen, sind doch keine monokausalen Zusammenhänge zwischen Religion und Terrorismus nachweisbar. Bei den Selbstmordattentätern, auf die Sie anspielen, spielen auch materielle Faktoren oder auch psychologische Probleme eine Rolle. Gleichwohl können solche Attentäter als Märtyrer interpretiert werden. Aber auch hier muss man genauer differenzieren. So findet sich im Islam der Märtyrerkult beispielsweise nicht bei den Sunniten, während er bei den imamitischen Schiiten eine besondere Stellung einnimmt.
EM: Gab es eigentlich in vorchristlicher Zeit bei Kelten, Römern, Germanen oder Griechen auch solche Vorstellungen eines jenseitigen Paradieses – oder herrschten dort andere Vorstellungen?
Schipper: Gegenwelten gab es auch in der keltischen, römischen und germanischen Religion. Die Griechen kannten die Vorstellung des Elysion, des Feldes der Seligen, die auch unter dem Begriff der elysischen Gefilde bekannt geworden ist. Darunter wurde in der griechischen Mythologie ein Bereich innerhalb der bestehenden Welt verstanden, der im äußersten Westen, jenseits des Sonnenuntergangs liegt. Die Vorstellung vom Elysion findet sich erstmals in Homers Odyssee. Dort erhält Menelaos die Weissagung, dass er von den Göttern an die Grenzen der Erde, zum Eylsion, gesandt wird, einem Ort, an dem ewiger Frühling herrscht. Bei Hesiod findet sich die Vorstellung, dass die Heroen von Zeus an die Grenzen der Erde, zu den Inseln der Seligen entrückt werden. In beiden Fällen, den elysischen Gefilden und der Insel der Seligen ist an einen Ort auf dieser Welt gedacht, der vom Totenland unter der Erde und vom Götterland über der Erde unterschieden ist.
EM: Gibt es Paradiesvorstellungen, die denen in Judentum, Christentum oder dem Islam entsprechen, auch im Buddhismus? Oder ersetzt dort der diesseitige Weg zur Erleuchtung, den jeder beschreiten kann, die Vorstellung eines himmlischen Paradieses im Jenseits?
Schipper: Dies hängt im Buddhismus von der Frage ab, ob der Mensch dazu in der Lage ist, auf der Erde die Erleuchtung zu erlangen. So geht beispielsweise der nach dem Buddha Amida so genannte Amida-Buddhismus davon aus, dass die Erde dem Untergang geweiht ist und der Mensch daher die Erleuchtung in diesem Leben nicht erlangen kann. Damit verbunden ist die Vorstellung eines „reinen Landes“, im Sanskrit Sukhavati genannt, das in der Tat paradiesähnlich ist. Wenn sich der Mensch auf den Buddha Amida ausrichtet und ihn, der selbst zum Erleuchtungswesen – zum Bodhisattva- geworden ist, um Hilfe bittet, so kann er - so die Vorstellung - den Zustand des Nirwana erreichen und in das reine Land hineingeboren werden.
EM: Konnten Vorstellungen vom Paradies als einer Gegenwelt Menschen glücklicher und zufriedener machen - oder haben sie sogar zu ihrem Unglück beigetragen, zur Feindschaft wegen der Unterteilung in Gläubige und Ungläubige?
Schipper: Die Paradiesvorstellung selbst als ein Ort der Fülle, an dem es keinen Mangel gibt, und der dem ursprünglichen, vollkommenen Zustand der Welt bei der Schöpfung entspricht - diese Vorstellung ist zunächst positiv besetzt. Die apokalyptischem Denken entstammende Zuspitzung in Gläubige und Nichtglaubende ist jedoch nicht unproblematisch, gerade weil sie zur Abwertung der bestehenden Welt führt und zur Aufwertung der zukünftigen. Der Apokalyptiker erwartet - pointiert gesagt - von dieser Welt nichts und von der kommenden alles.
EM: Gibt es in der Moderne neue Paradiesvorstellungen, die die bisherigen ersetzen? Zum Beispiel eines Paradieses auf Erden durch Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und prosperierende Wirtschaft? Ist das Paradies machbar geworden - oder sind diese Weltverbesserungen auch bereits durch Desillusionierung zerstört?
Schipper: Diese Vorstellung wurden im 19. und dem 20. Jahrhundert entwickelt. Der Auslöser dessen ist die Entdeckung des Individuums in der europäischen Geistesgeschichte. Die Ausrichtung auf den Einzelnen und der Gedanke, dass der Mensch selbst die Fähigkeit hat, sich zu immer größerer Vollkommenheit weiterzuentwickeln, hat das Selbstverständnis der modernen Welt geprägt. Denn dieser Gedanke passt hervorragend zu einer Geisteshaltung, die seit der Aufklärung zum kulturellen Erbe der Moderne gehört: der Glaube an das goldene Zeitalter. Als Gotthold Wilhelm Leibniz im Jahr 1718 die Formel vom unablässigen Fortschreiten zu immer neuen Vollkommenheiten ausgerufen hat, war ihm vermutlich selbst nicht bewusst, welche Wirkung diese Worte entfalten sollten. So ist der Glaube an den unablässigen Fortschritt des Menschengeschlechts, wie Lessing sagter, zu einem zentralen Merkmal der Moderne geworden. Ob es die Entwicklung neuer Technologien oder der gesellschaftliche Wandel ist – das Schneller, Besser und Weiter ist die Zauberformel der Gegenwart – immer auf dem Weg zum Paradies auf Erden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich dieses Bild freilich gewandelt. Es sind die Grenzen menschlichen Handelns deutlich geworden, auch wenn der Glaube an die ständige Weiterentwicklung von Gesellschaft und Technologie nach wie vor präsent ist.
EM: Sehen Sie neue Paradiese am Horizont heraufziehen?
Schipper: Das 21. Jahrhundert ist stärker religiös bestimmt, als es mancher bislang wahrhaben will. Die Religion ist zurück im öffentlichen Raum, nachdem sie von manchem schon für tot erklärt wurde. Ob die Matrix-Filme oder Harry Potter - das derzeitige Weltbild scheint religiös bestimmt zu sein, geprägt von Magie und dem Glauben an das Unverfügbare. Wenn es neue Paradiese gibt, dann werden diese wieder religiös geprägt sein - vielleicht in einer Art Mix aus Christentum, Buddhismus, angereichert mit esoterischen Vorstellungen, eine Art Patchwork-Paradies, das sich aus unterschiedlichen Traditionen speist, aber in der Sache deutlich religiös bestimmt ist und sich von den säkularen Gegenwelten des 20. Jahrhunderts klar unterscheidet.
EM: Herr Professor Schipper, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.
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