09.08.2023 13:11:56
GEOPOLITIK
Von Oliver Müser
ie Beziehungen zu seinen ehemaligen Teilrepubliken, politisch geschickt als „Nahes Ausland“ bezeichnet, stehen auf Moskaus außenpolitischer Agenda ganz oben. In den letzten Jahren hat Russland seine Bemühungen um eine Integration dieser Staaten unter seiner Führung noch einmal verstärkt. Die Reaktionen der ehemaligen Sowjetrepubliken auf den wachsenden regionalen Machtanspruch Russlands gehen dabei stark auseinander. Während manche, wie die bisher einzigen Mitglieder der von Moskau initiierten Zollunion, Kasachstan und Weißrussland, sich mehr oder weniger klar zur russischen Führung bekennen, stellen andere sich offen gegen den Einfluss Russlands. Die prominentesten Fälle einer solchen Positionierung sind die NATO-Mitgliedschaft der baltischen Staaten sowie die Westorientierung Georgiens, die mit der militärischen Herausforderung Russlands im Konflikt um Abchasien und Südossetien ihren vorläufigen Höhepunkt fand.
Mit dem Austritt aus der von Moskau dominierten „Organisation für kollektive Sicherheit“ (OVKS) im Juni scheint Usbekistan sich zur Gruppe der Herausforderer zu gesellen. Betrachtet man jedoch die usbekische Bündnispolitik in den 20 Jahren seiner Unabhängigkeit, so wird deutlich, dass dieser Schritt vielmehr der nächste Akt in einem usbekischen Dilemma ist. Präsident Islam Karimow, seit der Unabhängigkeit 1991 im Amt, sieht sein Regime auf der einen Seite von russischem Vormachtstreben in Zentralasien, und auf der anderen Seite von Menschrechtsforderungen aus dem Westen bedroht. Die Folge ist ein außenpolitischer Zick-Zack-Kurs zwischen Russland- und Westorientierung:
Zu Beginn seiner Regierungszeit in den frühen 1990ern gehörte Karimow noch zu den stärksten Befürwortern der OVKS. Dem Rat von Al Pacino’s „Paten“ folgend, sich seine Feinde möglichst nah zu halten, versprach sich Karimow von der sicherheitspolitischen Kooperation mit Russland Einflussmöglichkeiten auf dessen Engagement in Zentralasien.
Bereits Ende der 1990er machte sich in der usbekischen Elite Desillusionierung über derartige Möglichkeiten breit. Usbekistan trat daraufhin aus der OVKS aus und schloss sich der GUAM an, einer Allianz, benannt nach seinen Mitgliedern Georgien, der Ukraine, Aserbaidschan und Moldawien, die sich gegen den regionalen Machtanspruch Russlands richtet und gleichzeitig eine Annäherung an den Westen, speziell die NATO, anstrebt. Der Militäreinsatz in Afghanistan seit 2001 bedeutete eine weitere Intensivierung der Kooperation zwischen Usbekistan und dem Westen. Als Nachbarstaat Afghanistans kommt dem Land immense Bedeutung als Transitland für die Logistik der ISAF-Mission zu. Diese strategische Lage manifestierte sich auch in der Einrichtung von Militärbasen der USA und Deutschlands in Süd-Usbekistan.
Die Annäherung zwischen Usbekistan und dem Westen fand jedoch ein plötzliches Ende, als usbekische Sicherheitskräfte 2005 das Feuer auf Teilnehmer einer Demonstration im ost-usbekischen Andijan eröffneten und dabei ein Massaker anrichteten. Der Westen, der die Menschenrechtslage in Usbekistan bis dahin für seine Ziele in Afghanistan geflissentlich übersehen hatte, musste nun reagieren. Sowohl die USA, als auch die EU verhängten Sanktionen gegen das usbekische Regime. Russland hingegen bezeichnete die Geschehnisse als innere Angelegenheit Usbekistans. Dies honorierte Karimow mit der Äußerung, dass er nun wisse, auf wen er sich verlassen könne und nahm einen erneuten außenpolitischen Kurswechsel vor: Die USA mussten ihre Militärbasis in Usbekistan räumen und westliche NGO’s das Land verlassen. Außerdem kehrte Usbekistan dem westorientierten GUAM-Bündnis den Rücken und ließ seine Mitgliedschaft in der OVKS wiederaufleben.
Die Renaissance in den russisch-usbekischen Beziehungen währte jedoch nur kurz, ehe Usbekistan spätestens 2009 an die russische Seite seines außenpolitischen Dilemmas erinnert wurde: Moskaus Vorstoß, eine OVKS-Eingreiftruppe zu schaffen und diese in Süd-Kirgistan nahe der usbekischen Grenze zu stationieren, schürte in Taschkent die Sorge vor einer möglichen russischen Intervention auf usbekischem Territorium. Ein Albtraumszenario für Usbekistan, dessen zentrales außenpolitisches Ziel die fast hysterisch verfolgte Aufrechterhaltung der eigenen Souveränität ist. Das verstärkte Bemühen Russlands um regionale Integration, unter anderem durch die OVKS und seine überstaatliche Eingreiftruppe, widerspricht diesem absoluten Souveränitätsanspruch Usbekistans. Folgerichtig versuchte Taschkent zunächst, sich mit der Abstinenz von gemeinsamen Militärübungen der OVKS-Mitgliedsstaaten und schließlich mit dem Austritt aus der OVKS diesem Integrationsstreben zu entziehen. Gleichzeitig bemüht sich Usbekistan als Gegengewicht zu Russland um Tauwetter in seinen Beziehungen zum Westen.
Damit rennt das Land in Brüssel und Washington offene Türen ein, denn vor dem Hintergrund der angespannten Lage in den Beziehungen zwischen den USA und Pakistan ruhen die Planungen für den Abzug der ISAF-Soldaten aus Afghanistan nun fast vollständig auf Usbekistan. Dafür ist der Westen bereit, Taschkent in vielerlei Hinsicht entgegenzukommen. So wurden die 2005 verhängten Sanktionen der EU und der USA trotz unverändert dramatischer Menschenrechtslage aufgehoben und in westlichen Hauptstädten wird für Präsident Karimow regelmäßig der rote Teppich ausgerollt.
Neben diesen Zeichen seiner internationalen Anerkennung verbindet Usbekistan mit der erneuten Annäherung an den Westen aber eine weitere zentrale Hoffnung: Im Gegenzug für die Bereitstellung seines Territoriums für den Abzug der ISAF-Truppen sollen diese Teile ihrer militärischen Ausrüstung Usbekistan überlassen. Dies könnte das militärische Gleichgewicht in der Region gefährden und Usbekistan dem zweiten, zentralen Ziel seiner Außenpolitik näher bringen, Zentralasiens Führungsmacht zu werden.
Moskau zeigt sich betont unbeeindruckt von diesen Entwicklungen und spekuliert auf einen erneuten Kurswechsel Karimows, nachdem dieser die Vorteile des Afghanistan-Abzugs für sich genutzt hat. Diese Einschätzung ist insofern realistisch, dass Usbekistan kein Interesse an einer engen Sicherheitspartnerschaft mit den USA hat. Ebenso ist davon auszugehen, dass nach dem Ende der logistischen Abhängigkeit von Usbekistan die Stimmen in den USA lauter werden, die einen strengeren Umgang mit dem usbekischen Regime fordern.
Trotzdem könnte sich Moskaus Hoffnung als naiv herausstellen, denn der zukünftige Weg Usbekistans scheint weder Richtung Moskau noch Richtung Westen zu zeigen. Zum einen hat sich mit China ein weiterer Akteur als ernstzunehmender Partner in der Region etabliert: Im Juni unterzeichneten Taschkent und Peking ein strategisches Partnerschaftsabkommen und seit August importiert China usbekisches Gas, bisher ein Privileg Russlands. Zum anderen sucht Karimow den Ausweg aus seinem Dilemma offenbar in einer neuen außenpolitischen Ausrichtung: Das usbekische Parlament verabschiedete im August diesen Jahres ein neues außenpolitisches Konzept, nach dem Usbekistan sich in Zukunft keiner Militärallianz anschließen will. Um seine Souveränität hochzuhalten und trotzdem nicht auf die Vorteile von internationaler Kooperation zu verzichten, will man sich stattdessen auf bilaterale Partnerschaften konzentrieren. Eine solche Ausrichtung erlaubt mehr Flexibilität als die Mitgliedschaft in festen, sicherheitspolitischen Allianzen.
Flexibilität gehört zu den wichtigsten außenpolitischen Werkzeugen in einer Region, die seit jeher den Interessen unterschiedlichster externer Akteure ausgesetzt ist.
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