Dem Tod geweihter Ketzer oder neurotischer Selbstdarsteller?ISLAM

Dem Tod geweihter Ketzer oder neurotischer Selbstdarsteller?

Der erste Professor für islamische Theologie in Deutschland bezweifelt plötzlich, dass der Prophet Mohammed je gelebt hat. Die Ablösung von Kalisch bei der Lehrerausbildung, war eine der Folgen dieser Aussage. Nun fragen sich viele, was in den Mann aus Münster gefahren ist - späte Erleuchtung oder Lust auf Provokation?

Von Mohammed Khallouk

Für Millionen Muslime sind der Koran und das Vorbild sowie die Ansichten und Aussagen ihres Propheten Mohammed die wichtigsten Quellen ihres religiösen Glaubens und ihrer Identität. Nicht so für Muhammad Kalisch, den Inhaber des bisher deutschlandweit einzigen Lehrstuhls für Religion des Islams an der Universität Münster. Kalisch, ursprünglich aus nichtmuslimischem Hintergrund stammend, zweifelt nun, nachdem ihn die Karriereleiter bis zum angesehenen Islamkundler geführt hat, die Existenz des „letzten Propheten“ an und betrachtet diese, jeglicher menschlichen Vernunft entgegenstehende Behauptung als ernsthafte wissenschaftliche These, über die ein kontroverser akademischer Diskurs zu führen sei.

„Ich glaube, das [die Existenz des Propheten (Anm. des Verf.)] kann man nicht eindeutig entscheiden, wenngleich ich zugebe, dass ich eine gewisse Tendenz zu seiner Nichtexistenz habe. Aber das muss man sagen können und darüber muss man sich wissenschaftlich auseinandersetzen können.“

Von der Ausbildung für islamische Religionslehrer entbunden

Der Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland (KMK) sah das offenbar anders, kündigte die Zusammenarbeit mit Kalisch auf, woraufhin das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium ihn von der Ausbildungsfunktion für islamische Religionslehrer entband. Da man ihm zugleich einen eigenen Lehrstuhl für Religionspädagogik zugesagt hatte, bedeutet dies jedoch keineswegs die Verbannung aus dem bundesdeutschen Hochschulbetrieb. Dennoch hat diese ministerielle Entscheidung in der deutschen Öffentlichkeit zu einer aufgeregten Debatte geführt, prominente Wissenschaftler und Publizisten, die schon seit jeher für eine gegenüber dem Islam reservierte Positionierung bekannt sind, darunter die Rechtsanwältin Seyran Ates, die Marburger Religionswissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann und der Göttinger Orientalist Tilman Nagel, haben Solidaritätsbekundungen mit Kalisch unterzeichnet.

Man gibt sich sogar besorgt um Kalischs Leben, da ihm unter aufrechten Muslimen das Verlassen der göttlichen Offenbarung attestiert werde, worauf die Todesstrafe stehe. Konkret ist jedoch noch keine Fatwa, die zur Tötung Kalischs auffordert, von irgendeiner Seite verhängt worden, von einem Plan oder gar einem unmittelbaren Versuch zur Ermordung des Religionswissenschaftlers ist erst recht nichts bekannt geworden. Wenn man bedenkt, dass selbst Salman Rushdie trotz einer gegen ihn Seitens Khomeinis in den späten achtziger Jahren verhängten Fatwa zwanzig Jahre lang sich unbehelligt in Europa bewegen konnte, so erscheinen derartige Befürchtungen in Bezug auf Kalisch künstlich heraufbeschworen und lediglich dazu zu dienen, die Medienaufmerksamkeit um seine Person aufrecht zu erhalten.

Wissenschaftlicher Standpunkt oder öffentliche Provokation?

In der Tat, die Religions- und Meinungsfreiheit in Deutschland erlaubt es auch, Aussagen wie diese öffentlich zu äußern. Eine andere Frage ist, ob eine solche kleinkarierte luftleere Behauptung, nur weil sie aus dem Munde eines Hochschulprofessors stammt, es wert ist, mit wissenschaftlichen Argumenten dazu Stellung zu beziehen. Hier erscheinen Zweifel angebracht.

Ganz abgesehen davon, dass Bekundungen dieser Art von jedem ernsthaften Muslimen ähnlich wie die im vergangenen Jahr erschienenen Propheten-Karikaturen in dänischen und anderen westeuropäischen Zeitungen als Verhöhnung seiner Religion aufgefasst werden müssen, schaden sie dem Ansehen der Religionswissenschaft als ernsthafter akademischer Fachrichtung insgesamt. Sie entwerten die Vertreter dieses Faches, die in der überwiegenden Majorität vom Lehrstuhlinhaber bis zum einfachen wissenschaftlichen Mitarbeiter in jahrelanger mühevoller Quellenanalyse das Wesen, die historische wie auch gegenwärtige Aussagekraft des Islam und anderer Religionen herauszustellen bemüht sind.

Kalisch sollte sich zudem fragen lassen, warum er sich erst bewusst einer bestimmten Religion zugewandt hat, um als späterer öffentlicher Repräsentant dieser Religion ihre Kernaussagen zum Mythos zu erklären. Hier scheint er offenbar weniger von wissenschaftlicher Diskursfreudigkeit als mehr von Geltungssucht und dem Drang nach Medienaufmerksamkeit geleitet zu sein. Vergleiche lassen sich in der jüngeren Geschichte bei einigen evangelischen Theologen wie Lüdermann finden, der als Repräsentant des deutschen Protestantismus Gott als „ausschließlich eine Formel“ abzuqualifizieren trachtet. Oder bei Uta Ranke Heinemann, die nach der Konversion vom Protestantismus zum Katholizismus es dort zur ersten weiblichen Theologin brachte. Danach versuchte sie von dieser Position aus wesentliche katholische Glaubensaussagen zu widerlegen. Schließlich begann sie sich zu beschweren, weil ihr die Lehrerlaubnis wieder entzogen wurde. Am Ende war für sie die Kirche einfach „frauenfeindlich“.

Extrempositionen schaden dem Islambild der Deutschen

Mit jeder öffentlichen Stellungnahme von repräsentativen Organen wie dem Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland (KMK) oder anderen anerkannten Vertretern des Islams oder der Religionswissenschaft wird dieses, bei Kalisch offenbar über das Normalmass hinaus vorhandene menschliche Bedürfnis nach Anerkennung befriedigt und zugleich noch bestärkt. Dass ein bewusster Bestreiter islamischer Kernaussagen nicht angemessen Lehrer für einen Islamunterricht ausbilden kann, versteht sich eigentlich von selbst. Mit der anhaltenden öffentlichen Debatte über Aussagen wie jener zur vermeintlichen Nicht-Existenz Mohammeds und anderer Propheten wird vom notwendigen Diskurs über den geeigneten Weg einer Integration des Islams abgelenkt. Den fünf Millionen in den vergangenen Jahrzehnten dort hineingelangten Muslimen, sowie der Gleichstellung des Islams als Religion und Körperschaft öffentlichen Rechts neben den bereits seit Jahrhunderten in Deutschland ansässigen Juden- und Christentum, erweist man damit einen Bärendienst. Indem man Vertretern mit extremen Randpositionen – seien es radikale Fundamentalisten oder Ignoranten jeglicher, als allgemein verbindlich geltender religiöser Glaubensinhalte wie Kalisch – eine primäre Stellung in der Öffentlichkeit ermöglicht, wird ein Zerrbild vom Islam vermittelt. Dies fördert Ressentiments, die aus der gewöhnlichen alltäglichen Konfrontation mit Muslimen heraus bei der nichtmuslimischen Majorität in Deutschland gar nicht würden entstehen können Sie werden nun künstlich hervorgerufen. Ein aus eigener Initiative der muslimischen Immigranten erfolgender und sich bisher als weitgehend erfolgreich erweisender Integrationsprozess wird auf diese Weise konterkariert.

Historische Fakten werden ignoriert

Eine ernsthafte universitäre Ausbildung zum islamischen Religionslehrer an staatlichen Schulen in Deutschland ist bisher nicht erreicht worden. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass die deutschen Hochschulen den Repräsentanten des islamischen Mainstreams den Zugang zu Forschung und Lehre künstlich erschweren, weil sie an ihrer Stelle Vertretern ideologischer, irrationaler, ohne wissenschaftlichen Gehalt aufgestellter, dem allgemeinen Konsens entgegenstehender Behauptungen eine Karriere in ihren Institutionen zugestehen. Ein wesentlicher Beitrag zur Integration wäre bereits geleistet, wenn diese Einstellungspraxis deutscher Lehranstalten reflektiert und überdacht wird.

Am meisten wird die Reflexion ihrer Aussagen von den Wissenschaftlern aber selbst erwartet und vorausgesetzt. Niemand ist gezwungen, die religiöse Stellung, die Muslime ihrem Propheten zugestehen, für sich zu übernehmen – ob er sich dann noch als Muslim bezeichnen kann, stellt eine andere Frage dar. Ein erklärter Nichtmuslim wird auf jeden Fall Mohammeds Ansichten und Äußerungen keine Bedeutung für sein eigenes Leben und darüber hinaus beimessen. Dies ist sein gutes Recht. Die Anzweifelung jeglicher Existenz der Person Mohammeds kann jedoch nur als bewusste Provokation der Muslime und letztlich auch als Ignorieren historisch erwiesener Fakten gewertet werden. Schließlich bestehen zahlreiche Textquellen von Nichtmuslimen, die auf Begebenheiten mit ihm hinweisen, welche in Koran und Sunna ebenfalls eingehend beschrieben sind. So mag ein Nichtchrist die zahlreichen biblisch beschriebenen Wunder Jesu wie die Speisung der Fünftausend oder den Spaziergang auf dem See Genezareth und nicht zuletzt seine Auferstehung vom Tode als mythische Verklärung der Evangelisten interpretieren. Die Existenz Jesu als Person kann jedoch auch er nicht bestreiten, denn nichtchristliche Zeitzeugen wie der Römer Tacitus haben gleichermaßen darauf Bezug genommen.

Aversion gegen die Religion

Wenn neuerdings anerkannte Hochschulprofessoren solche Berichte einfach übersehen oder für nicht aussagekräftig erachten, so lassen sie erkennen, dass es ihnen nicht in erster Linie um die argumentative wissenschaftliche Auseinandersetzung mit für die Religionen bedeutenden Autoritäten geht. Sondern hier kommt eine Aversion gegen die Religion und ihre Repräsentanten selbst zum Ausdruck, mit der man vielleicht einige negative Erfahrungen verbindet, für die man im Unterbewusstsein sich zu rächen versucht. Ein universitärer Lehrstuhlinhaber sollte jedoch in der Lage sein, zum einen die gesellschaftlichen Auswirkungen seiner öffentlichen Äußerungen abzuschätzen.  Er sollte die Fähigkeit besitzen zu differenzieren zwischen seinen persönlichen Erfahrungen mit einer Religion, seinem individuellen Glauben und historisch belegten Tatsachen, die auf sich allein gestellt noch keine Bewertung des religiösen Glaubensinhalts darstellen. Anderenfalls hat er sich für den akademischen wissenschaftlichen Diskurs insgesamt und bezüglich Religion im Besonderen disqualifiziert.

Historisch-archäologische Quellenanalyse oder verallgemeinernde Pauschalisierung?

Kalisch rechtfertigt seine umstrittenen, von bisher als unumstößlich geltenden islamischen, aber auch jüdischen und christlichen Glaubensaussagen abweichenden Positionen gerne mit dem Verweis auf eine historisch-kritische Forschungsmethode, wie sie in der christlichen Theologie sich mittlerweile etabliert habe. Dort würden ebenfalls große Teile der biblischen Berichte nicht mehr unhinterfragt als historische Tatsachen angesehen, sondern aus dem Kontext des Autors heraus interpretiert und mit archäologischen Funden und den Ergebnissen umfangreicher historischer Quellenanalyse in Einklang zu bringen versucht. Angesichts von archäologischen Indizien, die von den koranischen aber auch alttestamentlichen Berichten zum Auszug der Israeliten aus Ägypten abweichen, folgert Kalisch, dass jener Exodus so nicht stattgefunden habe oder nur eine „symbolische Erzählung“ sei. In der Tat lassen sich gewisse Divergenzen zwischen den religiösen Texten und neuzeitlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht übersehen, es bestehen jedoch ebenso archäologische und andere historische Quellen, die einen Exodus prinzipiell für wahrscheinlich erscheinen lassen.

Diese übersieht Kalisch hier offenbar und schließt aus Erkenntnissen über einen in Teilbereichen divergenten Ablauf des Geschehens auf eine generelle Nichtexistenz des Ereignisses. Historisch-Kritische Wissenschaft, wie Karl Bart oder Rudolf Bultmann sie verstanden haben, ist in Kalischs Vorgehensweise nicht festzustellen. Vielmehr eine Grundtendenz zur Pauschalisierung und Verallgemeinerung – durchaus vergleichbar den religiösen Fundamentalisten und Dogmatikern, gegen die er sich glaubt, argumentativ zur Wehr setzen zu müssen. Man kann sich des Eindrucks nicht verwehren, es gehe Kalisch weniger um die Etablierung einer modernen Wissenschaftsmethode als um ein bewusstes Zerstören religiöser Glaubensinhalte, aus denen Muslime ebenso wie Juden und Christen Hoffnung und ihre Identität ableiten.

Bekenntnisorientierter Unterricht als Aufforderung zum Nicht-Bekenntnis?

In Kalischs methodischem Vorgehen kann nicht das Ziel eines religionswissenschaftlichen Diskurses liegen und schon gar nicht die intellektuelle Basis für einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht an allgemeinbildenden Schulen, mit dem sich Kalischs Lehramtsstudium bewusst vom bisher in Nordrhein-Westfalen an staatlichen Schulen üblichen, bekenntnisfreien Islamunterricht abzugrenzen beansprucht. Wenn zu letzterem überhaupt ein qualitativer Unterschied besteht, dann wohl jener, dass die Majorität der „konfessionsneutralen“ Lehrerinnen und Lehrer sich offener zum Islam und seiner Lehre bekennen und bekannt haben als ein von Kalisch indoktrinierter „moderner“ Religionspädagoge dies vermögen wird.

Vor diesem Hintergrund verwundert es wenig, dass Lamya Kaddor, die bereits über langjährige praktische Erfahrung als islamische Religionslehrerin an Nordrhein-Westfalens Schulen verfügt, im März 2008 die Assistentenstelle in Kalischs Centrum für Religiöse Studien an der Universität Münster nach mehrjähriger Mitarbeit gekündigt hat. Sie bescheinigt Kalisch nicht nur, seine Meinung in den letzten Jahren radikal geändert zu haben, sondern darüber hinaus für die Ausbildung islamischer Religionslehrer ungeeignet zu sein. Einen bekenntnisorientierten Islamunterricht stellen sich Schüler, Eltern und offenbar auch die meisten Lehrer jedenfalls als das absolute Gegenteil dessen vor, was Kalisch mit seiner Lehre am Centrum für Religiöse Studien zu erreichen und zu formen beabsichtigt.

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