„Der Besitz eines schönen Körpers als Verheißung eines diesseitigen Paradieses“KÖRPERUTOPIA

„Der Besitz eines schönen Körpers als Verheißung eines diesseitigen Paradieses“

„Der Besitz eines schönen Körpers als Verheißung eines diesseitigen Paradieses“

Verena Paulus hat im Katalogbuch der Ausstellung „1001 Nacht – Wege zum Paradies“ im Bremer Überseemuseum einen viel beachteten Beitrag veröffentlicht. Er befasst sich mit „Irdischen Paradiesen“, ganz speziell mit dem „Körper in der Postmoderne“. Das EURASISCHE MAGAZIN sprach mit ihr über neue Körperideale und Kunstwesen aus dem Cyberspace.

Von Hans Wagner

Verena Paulus  
Verena Paulus  
  Zur Person: Verena Paulus
  Verena Paulus, Jahrgang 1980, studiert Kunst- und Kulturwissenschaften an der Universität Bremen und Politik und Organisation an der Fernuniversität Hagen.

Für die Ausstellung „1001 Nacht“ im Überseemuseum Bremen hat sie in den Bereichen „Orientalismus in der Kunst“ und „Postmoderne Körperprojekte“ recherchiert. Dazu sind zwei Aufsätze im Katalogbuch erschienen.

E urasisches Magazin: Unterscheidet sich die Vorstellung von einem vollkommenen Körper, in dem wir uns quasi paradiesisch wohlfühlen können, von Kulturkreis zu Kulturkreis? Oder hat ein modernes westliches Ideal des vollkommenen Körpers alle anderen Vorstellungen abgelöst?

Verena Paulus: Es gibt freilich Unterschiede in der Wahrnehmung von Schönheit in unterschiedlichen Kulturkreisen. In vielen indigenen Gemeinschaften ist das Tattoo untrennbar mit dem Körperideal verschmolzen. Dass dieses Tätowieren aber zugleich oft in rituelle Handlungen integriert ist, zeigt, wie sehr die Vorstellungen von einem vollkommenen Körper auf die jeweilige Kultur und ihr Zeichen- und Symbolsystem bezogen sind. Ein weiteres Beispiel wäre der Giraffenhals, ein Schönheitsideal der Karen in Thailand oder aber der Lotusfuß, der in China verbreitet war. Dass die europäisierende Lidkorrektur heute im asiatischen Raum zur beliebtesten Schönheitsoperation zählt, zeigt wie westliche Körperideale im Zuge der Globalisierung zu expandieren vermögen.

Konsum- und Körperkult sind eng verbunden mit der Kultur- und Schönheitsindustrie

EM: Künstler haben stets versucht, vollkommene Körper abzubilden. Aber sowohl der Schöpfer als auch der Betrachter waren sich bewusst, dass dies Idealvorstellungen sind, die es nur in der Kunst gibt. Inzwischen scheint sich in Bezug auf den weiblichen Körper die Formel 90-60-90 als Ideal durchgesetzt zu haben. Ist ein solcher Körper zu Lebzeiten in gewisser Weise der Ersatz für ein jenseitiges Paradies?

Paulus: Der zeitgenössische Körperkult setzt zunächst eine ‚Sättigung’ gewisser Sicherungen im Sinne der Maslowschen Bedürfnishierarchie voraus. Erst dadurch werden wir überhaupt in dem Bestreben freigesetzt, uns dem Körper zu widmen. Wir leben in einer säkularisierten, entzauberten Welt, Konsum- und Körperkult sind eng verbunden mit dem, was wir als Kultur- und Schönheitsindustrie benennen können. Insofern können wir uns wenig dem Ineinandergreifen von Werbebotschaften und persönlichen Glückvorstellungen entziehen, die uns ein Stück weit eine Form von „Wieder-Verzauberung“ versprechen. Die Attraktivitätsforschung vermag es inzwischen Schönheitsideale einzugrenzen, aber auch die privilegierende Wirkung von Schönheit im Alltag zu belegen. Der Besitz eines schönen Körpers ist insofern auch die Verheißung eines diesseitigen Paradieses.

Für postmoderne Menschen geht es immer stärker darum, Aufmerksamkeit zu erlangen

EM: Es gibt kaum noch Körperregionen, die sich der plastischen Chirurgie entziehen. Vom Aufspritzen der Lippen, über die Nasenkorrektur, die Silikonbrust, die Modellierung von Schenkeln und Po bis hin zur Geschlechtsumwandlung ist fast alles möglich. Was steckt hinter diesen Wünschen?

Paulus: Wenn wir die zeitgenössische Welt als eine Erlebnisgesellschaft anerkennen, wird der Körper immer mehr zum Empfänger und Sender, zum Medium von Wahrnehmungen, Erfahrungen und Gefühlen. Die ist nicht zu trennen von den allgegenwärtigen Medien, Bildschirmen, Leinwänden. In ästhetisierten Umgebungen üben wir Begegnen mit anderen zunehmend auf Bühnen und Kulissen ein, auch virtuellen, die die Dominanz, den Primat des Sehsinns einfordern. Damit wird der Körper zum Medium oberflächlicher Kontakte. Der Soziologe Zygmunt Bauman nennt solche Begegnungen „Vergegnung“, weil sie kein großes verpflichtendes Moment beinhalten. Der Körper muss in solchen „Vergegnungen“ ein unverzügliches, ein instantanes optisches Versprechen senden, um für den postmodernen Menschen das Potential von Reizen bereitstellen zu können. Letztlich geht es immer stärker darum, Aufmerksamkeit zu erlangen, so dass der Theoretiker Georg Franck gar eine „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ als conditio humana unserer Zeit konstatiert.

Selbst ein Skalpell kann den Alterungsprozess nur verzögern – die Gentechnologie könnte die Schönheitschirurgie eines Tages überflüssig machen.

EM: Sind Gentechnik und Schönheitschirurgie in der Lage, eine Art paradiesischen Körper zu formen – wird so Utopie im OP machbar?

Paulus: Utopie beinhaltet immer ein „noch nicht“ als einem eschatologischen Moment. Das Versprechen der Machbarkeit ist jedoch ein „schon“, ein Etappensieg auf dem Weg eines zu erreichenden Körperideals. Dennoch muss selbst die Machbarkeit von Schönheit, der im OP „gestylte“ Körper angesichts der Nichtigkeit allen Tuns im Angesicht des Todes, also des Vanitas-Gedankens, kapitulieren. Denn selbst das Skalpell kann den Alterungsprozess nur verzögern, ihn nicht aufhalten. Im Zuge des natural turn könnte vermöge der Gentechnologie hingegen der Traum von Unsterblichkeit, Schönheit und Attraktivität in einer Weise konzipiert werden, die die Schönheitschirurgie vielleicht eines Tages überflüssig machen könnte.

EM: Wirken solche Änderungen am menschlichen Körper zurück auf die Kunst – sehen Engel und verführerische Frauen, männliche Helden und feurige Liebhaber heute anders aus als in früheren Zeiten?

Paulus: Die zeitgenössische Kunst widmet sich heute angesichts eines entgrenzten Kunstbegriffs und der Rede vom Ende der Kunst nicht mehr der Darstellung von Schönheit im Sinne eines antiken Kunstideals. Wenn, dann beinhaltet Kunst einen Verweischarakter auf jenes Körperideal, dies oft in durchaus ironischer Weise. Das mag daran liegen, dass die Darstellungsoptionen von Schönheit im Laufe der Jahrhunderte ausgereizt wurden und dass es inzwischen andere, parallele Visualisierungskomplexe gibt, die das Thema „Körperideal“ absorbiert haben. Dazu zählen die Medien Photographie und Film in den Bereichen der Unterhaltung und Werbung. Wenn Sie so wollen, gibt es die Engel als Ideale körperlicher Schönheit noch – regelmäßig werden die Dessousmodels von Victoria’s Secret mit Engelsflügeln auf den Laufsteg geschickt und mit diesen Symbolen ausgestattet zu überirdischen Körpern stilisiert.

Lara Croft war gestern – es kommt der „Cyberorganismus“

EM: Ein weiterer Schritt ist das Kunstwesen aus dem Cyberspace. Virtuelle Idealfiguren, Schönheiten und Helden, deren bekannteste Inkarnation Lara Croft sein dürfte. Übermenschfiguren wie sie konnte man einst nur im Paradies, im Götterhimmel vermuten. Verkörpert Lara Croft die Körperutopie der schönen neuen Welt des 21. Jahrhunderts? Ersetzt sie die überirdischen, die himmlischen Wesen von einst?

Paulus: Der Körper als „Gefängnis der Seele“ – so zeitigte Platon einst den Primat des Geistes vor dem Körperlichen. Das Arbeiten mit dem Binärcode 1 und 0 hebt diese Hierarchie grundsätzlich aus den Angeln, weil hier der Körper auch vom Geist erdacht und über die sterbliche, verletzliche oder unschöne Hülle hinaus erweitert wird. Lara Croft ist extrem leistungsfähig, ihr Körper spielt mit den Superlativen von Schönheit, Kraft, Intelligenz, Mut. Hier könnte man von einem - wenn auch virtuellen - „Übermenschen“ sprechen – zumal dieser auf die ebenfalls „übernatürlichen“ Herausforderungen der virtuellen Umgebungen angepasst reagieren kann. Im Computerspiel werden zeitliche und räumliche Entgrenzungen vorgenommen, die diesen anderen, unzerstörbaren Körper einfordern.  

EM: Ist mit einer solchen virtuellen Online-Persönlichkeit der ewige Jungbrunnen geschaffen, die Unsterblichkeit verwirklicht, die Sehnsucht nach dem Paradies in einer Körperutopie befriedigt?

Paulus: Auch wenn der digitale Körper potentiell unsterblich ist, als Code digital für immer erhalten werden kann, ist der Wunsch nach Immortalität damit nicht gänzlich zufrieden zu stellen. Noch ist die virtuelle alternative Persönlichkeit allenfalls eine Erweiterung oder Entgrenzung der realen Person. Wichtig wird zukünftig aber, dass wir nicht mehr wählen müssen, sondern beides verbinden können, der Mensch erscheint als Knotenpunkt von realen und virtuellen Netzwerken. Ein Online-Charakter erweitert die menschliche Persönlichkeit dann hin zu einer multiplen oder auch hybriden Identität. Der Körper könnte so zu einer Art Interface werden - der Anschluss an die virtuelle Realität mittels Hardware und Software ist denkbar. Im Topos des Cyborgs von Donna Haraway ist dieses Konzept bereits angelegt. Das Kunstwort „Cyborg“ bricht mit traditionellen Zweiteilungen – im philosophischen Vokabular als Dichotomien bezeichnet - von Mensch und Technik und fasst beide zu einer neuen Idee des Menschen. Der Begriff Cyborg bezeichnet einen Menschen, der bereits aus biologischen und künstlichen Teilen besteht. Cyborg ist demnach ein Mischwesen zwischen lebendigem Organismus und Maschine. Er stellt einen hybrid konzipierten Menschen dar, der es vermag, revolutionäre Strategien gegen traditionelle Konzepte von Identität zu formulieren und sogar die bestehende Gesellschaftsordnung zu hinterfragen.

EM: Frau Paulus, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.

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