„Der Iran beansprucht ohne Zweifel eine kulturelle und wirtschaftliche Führungsposition im Nahen Osten“EM-INTERVIEW

„Der Iran beansprucht ohne Zweifel eine kulturelle und wirtschaftliche Führungsposition im Nahen Osten“

„Der Iran beansprucht ohne Zweifel eine kulturelle und wirtschaftliche Führungsposition im Nahen Osten“

Das Bild, das westliche Medien vom Iran zeichnen, entspricht nur in einem winzigen Ausschnitt der Wirklichkeit dieses Landes. Andrea C. Hoffmann, Auslandsredakteurin im Nachrichtenmagazin Focus hat ein brandneues, bemerkenswertes Buch über den wahren Iran geschrieben. Im Gespräch mit dem Eurasischen Magazin räumt sie mit vielen Vorurteilen auf.

Von Hans Wagner

Andrea C. Hoffmann  
Andrea C. Hoffmann  

E urasisches Magazin: Über den Iran wird hierzulande ein denkbar schlechtes Image verbreitet. Die Einstufung als „Schurkenstaat“ durch den früheren US-Präsidenten Bush, die Titulierung des iranischen Präsidenten als „Irrer von Teheran“, ein geplantes Raketenabwehrschild gegen die vermeintliche atomare Bedrohung durch den Iran – das alles hat dazu beigetragen. Sie haben ein brandneues Buch über das Land geschrieben, „Iran - die verschleierte Hochkultur“. Entspricht das Bild in den westlichen Medien der Realität im Iran?

Andrea Claudia Hoffmann: Das Bild, das die westlichen Medien vom Iran zeichnen, entspricht nur einem winzigen Ausschnitt aus der Wirklichkeit dieses Landes. Durch die mediale Fixierung auf den Atomstreit und einige Äußerungen des iranischen Präsidenten bleiben geschichtliche und soziale Aspekte der iranischen Gesellschaft weitgehend ausgeblendet. Dies verzerrt unsere Wahrnehmung eines Landes, das die meisten nur aus den Medien kennen.

EM: Ist der Iran ein aggressiver Staat, der den Nahen Osten bedroht und sich zu einer atomaren Führungsmacht in der Region aufschwingen möchte?

Hoffmann: Der Iran ist ein Land, das für seine nationalen Interessen eintritt, und beansprucht ohne Zweifel eine kulturelle und wirtschaftliche Führungsposition im Nahen Osten, welche seinen arabischen Nachbarn ein Dorn im Auge ist. Allerdings ist in den vergangenen hundert Jahren kein Krieg vom Iran aus gegangen. Trotz aller aggressiven Rhetorik auch nicht in den drei nachrevolutionären Jahrzehnten.

„Das Land ist schon lange nicht mehr technologisch rückständig“  

EM: In Ihrem Buch haben Sie die „Faszination Heterogenität“ herausgestellt, die dem Iran anhaftet. Zum Beispiel der Stolz auf „arische“ Herkunft einerseits und religiöse Indoktrination bis hin zum Antinationalismus auf der anderen Seite. Das Konkurrenzverhältnis zu den sunnitischen Arabern, die das im Iran vorherrschende Schiitentum als Sekte abtun. Die eigene, nicht arabische Sprache Farsi und uralte kulturelle Feste. Daneben die Einflüsse des Westens und des Internets auf Moral und Religiosität. Wie geht das alles unter einen Hut?

Hoffmann: Es ist genau diese Mischung, die den Iran so interessant macht: Nichts ist so wie es auf den ersten Blick scheint. Für viele Phänomene gibt es unterschiedliche und scheinbar widersprüchliche Erklärungen. Um die Iraner zu verstehen, muss man daher – frei nach Freud - tief in ihre Vergangenheit blicken.

EM: Das tun Sie in Ihrem Buch ausführlich. Gegenwärtig beeindruckt der Iran durch technische Leistungen. Vor wenigen Tagen hat das Land eine neue Drohne mit 1.000 Kilometer Reichweite vorgestellt. Kürzlich wurde der erste iranische Satellit ins All geschossen. Noch 2009 soll ein eigenes Atomkraftwerk hochgefahren werden. In westlichen Medien wird der Iran als technologisch rückständig dargestellt. Stimmt diese Bild?

Hoffmann: Der Iran hat bereits vor über dreißig Jahren mit deutscher Hilfe begonnen, seinen ersten atomaren Reaktor zu konstruieren. Nach der Revolution wurden im Iran Autos und mit Hilfe der Ukrainer und Russen sogar Flugzeuge hergestellt. Große Fortschritte wurden auch im Bereich der Medizin, in der Nano-Technologie und in der Raumfahrt erzielt. Das Land ist schon lang nicht mehr technologisch rückständig. 

„Nirgendwo im Nahen Osten sitzen  so viele junge Frauen wie im Iran in den Hörsälen“

EM: Stellt der Iran durch diese neuerdings gezeigten Fähigkeiten eine Bedrohung für seine Nachbarn dar – oder ist das eine ganz normale Entwicklung für ein großes Land im 21. Jahrhundert?

Hoffmann: Dass ein Land danach strebt, technologische Fortschritte zu machen, sollte positiv anerkannt werden. Auch in anderen Schwellenländern wie in Brasilien werden solche Fortschritte positiv bewertet, da sie Arbeitsplätze schaffen, neue Einkommen generieren und auf diese Weise dem Volk zugute kommen. Dass ein Land aufgrund seiner technologischen Kapazitäten an Bedeutung  in der Welt gewinnt, ist eine Begleiterscheinung, die nicht automatisch mit einer Bedrohung  seiner Nachbarn in der Region einhergehen muss.

EM: Sie schildern sehr anschaulich bis drastisch, was die staatliche Bildungsoffensive im Iran bewirkt hat. Zwei Drittel der Studenten sind weiblich. Die Universitäten führen schon Männerquoten ein. Im Land gibt es keine Analphabeten mehr. Wie passt das zu dem verbreiteten Bild von einem geistig im Mittelalter beheimateten islamischen Gottesstaat?

Hoffmann: Dieses Bild ist schlichtweg falsch. Es gibt eine breite Bildungsschicht im Iran. Vor allem im Vergleich zu den Nachbarstaaten Afghanistan und Irak ist das Bildungsniveau bemerkenswert. Und wie Sie zu Recht feststellen, sind die Universitäten keineswegs eine Domäne der Männer. Nirgendwo im Nahen Osten sitzen  so viele junge Frauen wie im Iran in den Hörsälen.

EM: Wie verhält es sich mit dem Teheraner Kalender? Sie schreiben, die Iraner würden in einer von ihnen selbst erfundenen Epoche leben, denn nirgendwo sonst auf der Welt gelte das Teheraner Datum. Können Sie das bitte noch etwas erläutern?

Hoffmann: Der iranische Kalender entspricht weder unserer westlichen Zeitrechnung noch der Zeitrechnung in den arabischen Nachbarstaaten: Zwar werden die Jahre, wie in anderen muslimischen Ländern auch, nach dem Zug Mohammeds von Mekka nach Medina gezählt. Allerdings legen die Iraner dabei – anders als die Araber – Sonnenjahre zugrunde.

EM: An anderer Stelle erfährt man, dass ein Ausspruch des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad offenbar falsch zitiert wird, nämlich der Satz, Israel müsse von der Landkarte getilgt werden. Wie kann man das missverstehen?

Hoffmann: Es handelte sich wohl um eine sehr freie Übersetzung der Worte Ahmadinedschads, die im Zuge ihrer medialen Verbreitung noch weiter zugespitzt wurden.

„Ich wurde im Iran noch nie vor einer Europa-Reise gewarnt“

EM: Kann es sein, dass 30 Jahre iranische Revolutionspropaganda und die ebenso lange Hegung des Feinbildes Iran im Westen auf beiden Seiten vor allem Missverständnisse produziert haben? Wer ist da auf wen reingefallen?

Hoffmann: Beide Seiten haben das jeweilige Feindbild gepflegt. Da die Iraner staatlicher Propaganda aber grundsätzlich misstrauen und folglich nicht alles glauben, was man ihnen über den Westen erzählt, dürfte ihr Bild von uns nicht ganz so negativ ausfallen wie unser Bild von ihnen. Jedenfalls wurde ich im Iran noch nie vor einer Europa-Reise gewarnt. 

EM: Mögen die Iraner eigentlich ihren Präsidenten, so, wie zum Beispiel die Russen ihren Putin trotz aller demokratischer Vorbehalte, oder wird es nach dem 12 Juni, wenn gewählt ist, einen anderen Präsidenten geben als Ahmadinedschad?

Hoffmann: Es ist noch zu früh, eine Prognose zu wagen. Bislang stehen erst vier Kandidaten fest; das ist nicht die endgültige Zahl. Der jetzige Präsident Ahmadinedschad ist bei den Intellektuellen nicht sehr beliebt. Aber im Gegensatz zu allen seinen Vorgängern hat er viele Reisen in die Provinzen unternommen und lokale Infrastrukturprojekte vorangetrieben. Die Landbevölkerung wird ihm dies danken. Allerdings sind die Iraner auch berühmt dafür, dass sie sich bei Wahlen völlig unvorhersehbar verhalten. Keiner hätte vor vier Jahren mit einem Sieg Ahmadinedschads gerechnet.

„Die Iraner werden den Preis für einen Handschlag mit den USA in die Höhe treiben“

EM: Wenn er bleibt – wird es dann der Regierung in den USA unter Barack Obama gelingen, dem Iran die Hand zu reichen, wie der Präsident in Washington das formuliert hat, einfach so als wäre nichts gewesen? Könnten die Iraner so pragmatisch handeln?

Hoffmann: Ob es zu diesem Handschlag kommt, hängt von zwei Dingen ab. Erstens davon, ob die Amerikaner bereit sind, den Iranern ohne Vorbedingungen und auf Augenhöhe zu begegnen. Diese Anerkennung ist für das Volk aus historischen Gründen enorm wichtig. Und zweitens davon, wie viel es zu gewinnen gibt. Die Iraner sind geschickte Händler. Sie verstehen es, den Preis in die Höhe zu treiben und werden nur dann einschlagen, wenn der Deal für sie günstig ist. Ich denke aber, dass beide Länder enorm profitieren könnten.

EM: Sie sprechen von der iranischen Jugend als einem schlafenden Tiger? Was, wenn dieser Tiger erwacht?

Hoffmann: Was ich mit diesem Bild ausdrücken wollte, ist die Tatsache, dass die iranische Jugend ein enormes Potential besitzt, das Land zu verändern. Schon wegen ihrer Masse: Immerhin machen die nachrevolutionären Generationen mittlerweile zwei Drittel der Gesamtbevölkerung aus. Wer wollte ihnen also Vorschriften machen?

„Die sozialen Veränderungen sind nicht mehr rückgängig zu machen“

EM: Werden die nachkommenden Generationen schon entsprechend umworben? Und wer hat den besten Zugang zu ihren Herzen und ihren Seelen?

Hoffmann: Die iranische Jugend ist keine homogene Masse: Die religiös orientierten Jugendlichen haben andere Vorbilder als die weltlich orientierten, und es gibt derzeit keine  charismatische Führungsfigur, wie es vor ein paar Jahren noch Präsident Chatami war.

EM: Der Schlusssatz Ihres Buches lautet: „Schon heute stellen die ‚Erben’ der Revolution die Mehrheit im Gottesstaat. Bald werden sie ihn verändern.“ Bleibt die Frage, wie und in welcher Weise werden sie ihn verändern? Wie wird der Iran in weiterten 30 Jahren aussehen? Wagen Sie schon mal einen schlaglichtartigen Blick in die Zukunft?

Hoffmann: Die iranische Gesellschaft ist eine Gesellschaft im Umbruch. Selbst wenn sich das politische System nicht grundlegend ändern sollte, sind die sozialen Veränderungen nicht mehr rückgängig zu machen. Selbst die konservativen Kräfte haben das erkannt. Ich denke daher, dass sich der Iran langsam aber stetig von Innen heraus modernisieren wird.

EM: Frau Hoffmann, haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch.

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In dieser Ausgabe stellen wir Ihnen auch ausführlich das aktuelle Buch von Andrea C. Hoffmann vor: „Der Iran – die verschleierte Hochkultur“.

Interview Iran

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