„Der Iran – die verschleierte Hochkultur“, von Andrea Claudia HoffmannGELESEN

„Der Iran – die verschleierte Hochkultur“, von Andrea Claudia Hoffmann

Ein mutiges Buch, ein kenntnisreiches, eines das Klarheit bringt, und das sich damit wohltuend abhebt von den üblichen Iran-Verrissen und Iran-Spekulationen.

Von Hans Wagner

„Der Iran – die verschleierte Hochkultur“, von Andrea Claudia Hoffmann  
„Der Iran – die verschleierte Hochkultur“, von Andrea Claudia Hoffmann  

D er Iran beherrscht als Propaganda-Popanz die Schlagzeilen im Westen. Es ist noch nicht lange her, da machten sogar Überlegungen in bestimmten Kreisen der amerikanischen Politik die Runde, den Iran zu zerstören. Sie zielten darauf ab, die erreichte technologische Entwicklung des Landes mit Bomben und Raketen auszulöschen. Der Iran wurde auf einer „Achse des Bösen“ verortet und als „Schurkenstaat“ eingestuft, der nichts Besseres verdient habe. Im Zweifel sei Israel jederzeit in der Lage, einen Stellvertreterkrieg zu führen und den Teheraner Gottesstaat ins Mittelalter zurückzubomben.

Dort, wo solche Überlegungen angestellt wurden und werden, scheint man den Iran gering zu schätzen und sich an den Zerrbildern zu ergötzen. Mit dieser überheblichen Sicht auf das Land ihrer Liebe versucht die Journalistin Andrea Claudia Hoffmann aufzuräumen. Sie weiß es einfach besser. Sie hat den Iran seit über 10 Jahren immer wieder bereist, hat recherchiert, hat das Land in ihr Herz geschlossen. Die Zuneigung und Wertschätzung zu Kultur und Menschen im Iran schlägt einem aus vielen Seiten ihres Werkes entgegen. Dadurch hebt sich das Buch der Focus-Redakteurin, die fließend die Landessprache Farsi spricht, von vielen oft oberflächlich verfassten Iran-Büchern ab.

Aber es ist natürlich nicht nur Sympathie, die aus dem Band spricht. Die würde dem Leser nicht viel geben. Es ist vor allem die tiefe Kenntnis der Autorin von ihrem Gegenstand, von dem man bei der Lektüre profitiert.

Und dieser Gegenstand ist immerhin eine der Wiegen der menschlichen Zivilisation. (Eine andere ist das benachbarte Mesopotamien, das seit sechs Jahren von der US-Armee und ihrer Koalition der Willigen besetzt ist und auf eine barbarische Weise zerstört wurde). Andrea Hoffmann schildert und bewertet auch ausgiebig „jene 2.500jährige Geschichte, in denen die Perser zwei Mal ein ganzes Weltreich dominierten. Erst das der Achämeniden, den Gegenspielern der Römer, dann das der Sassaniden.“

Araber - Eidechsenfresser

Dass viele im Westen ein verschwommenes Bild vom Iran haben, in dem Araber und Angehörige der iranischen Kultur kaum auseinander gehalten werden, korrigiert die Autorin schon im Vorwort: „Dass die beiden Kulturkreise von den Europäern oft in einen Topf geworfen werden, ärgert die Iraner.“ Sie konkurrierten ganz im Gegenteil seit dem Einfall der muslimischen Invasoren im Jahr 624 mit diesen um die kulturelle Vorherrschaft. Die Araber fühlen sich überlegen. Besatzermentalität eben. Aber die Iraner nennen ihre Eroberer wenig respektvoll bis verächtlich „Eidechsenfresser“. – „Das Gefühl der eigenen Überlegenheit ist auf beiden Seiten tief verwurzelt“, konstatiert die Autorin.

Und natürlich sind die geschichtsvergessenen Blicke des Westens auf den Iran mit ein Grund für das Zerrbild. Seit die iranische Hochkultur den islamischen Schleier tragen muss, ist vieles von ihrem einstigen Glanz verhüllt und verborgen.

Im 20.Jahrhundert schließlich wurde die Schah-Dynastie gänzlich zum Totengräber des alten persischen Ansehens. Trotz aller Prachtentfaltung ließ sich der Niedergang nicht verbergen: „Der korrupte Monarch und öldurstige Industriestaaten lenkten die Geschicke des Iran mit dem Ziel, sich selbst zu bereichern.“ – Der Iran wurde ein Vasall der USA. Seit mindestens 50 Jahren hatte der US-Geheimdienst CIA seine Finger im Spiel bei allen politischen Vorgängen im Land. Dass im Iran das Bild vom „Großen Satan“ aufkam, darf da nicht verwundern.

„Das Resultat dieser Fehlentwicklung ist die iranische Revolution von 1979: die islamische Revolution, die einen religiösen ‚Führer’ an die Spitze des Staates katapultierte, der bis heute fast unumschränkte Machtbefugnisse genießt.“

Die Wiederentdeckung einer Hochkultur

„Wer sind die Iraner?“ Andrea Hoffmann versucht es in einem einführenden Kapitel zu klären. Sie leben in einem „Vielvölkerstaat mit einer uralten Nationalkultur.“ Seit jeher und bis heute ist es ein „Reichsgebilde“ geblieben, in dem die Iraner zusammenleben.

Die Iraner selbst sagen auf die Frage, wer sie sind „Arier, ohne mit der Wimper zu zucken.“ Die Autorin erklärt dieses Selbstverständnis: „Denn nichts anderes als ‚Land der Arier’ bedeutet der alte Name des Landes.“

Die Kurden übrigens halten sich für noch arischer, nämlich „für die Ur-Ahnen der Perser. Wie die Iraner glauben sie, von einem ‚arischen’ Volk abzustammen, den Medern.“ Und die Meder waren es, die die politischen Geschicke der Region lenkten, bevor die Perser vor über 2500 Jahren zum ersten Weltreich der Geschichte aufstiegen.

So viel Stolz, so viel Überlegenheitsgefühl herrschen im Land, dass man denken könnte, es herrsche so etwas wie ein permanenter Bürgerkrieg. Und wie ist es wirklich: „Generell aber lässt sich sagen, dass die Iraner – trotz ihrer ethnischen Vielfalt – mehr verbindet als trennt“, schreibt Andrea C. Hoffmann.

Heiraten zwischen den verschiedenen Volksgruppen seien eine Selbstverständlichkeit. Und was die ethnische Vielfalt anlangt, so erfährt man in ihrem brandneuen Iranbuch: „Die ethnischen Perser machen rund die Hälfte der Bevölkerung aus. Sie sind in den Provinzen Teheran, Fars, Isfahan und Khorasan beheimatet. Aserbaidschanische Azaris und Türken bilden die zweitstärkste Gruppe. Sie bevölkern den Norden des Landes und stellen rund ein Viertel der Einwohner Irans. Die Kurden haben einen Anteil von etwa acht Prozent der Gesamtbevölkerung. Zu den zahlenmäßig schwächeren Gruppen gehören Belutschen, Luren, Gilaker, Mazandaraner, Turkmenen, Araber, Sistanis, Bakhtiaris, Brahuis, Armenier, Assyrer und Juden. (Zu letztgenannten siehe auch den Beitrag „Juden im Iran - ein Leben im Widerspruch“ von Edgar Klüsener in dieser Ausgabe).

De facto bestand das Perser Reich bis zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts aus einer Föderation vieler regionaler Imperien mit einem ‚Chef-Monarchen’ an der Spitze.
„Erst durch die Verfassung von 1906 wurde das Land zu einem ‚Nationalstaat’ mit einer zentralisierten politischen Struktur. Die Pahlavi-Dynastie förderte den Nationalgedanken nach Kräften. Mittels Propaganda, aber auch mit Gewalt. Reza Schah verschloss die Augen vor der linguistischen Vielfalt Irans, indem er andere Sprachen als das Persische als ‚lokale Dialekte’ abtat. Die nomadische Lebensweise vieler Stämme unterdrückte Reza Schah brutal. Jeden Widerstand ließ er militärisch niederschlagen. Auch Schulen und Massenmedien wurden in den Dienst der von ihm gewünschten ‚Iranisierung’ gestellt. Parallel zu den drakonischen Maßnahmen trieb der lokale und ethnisch definierte Nationalismus in dieser Zeit erste Blüten, insbesondere in Aserbaidschan und in Kurdistan.“

Irans vorislamische Kultur ist lebendig

„In allen anderen Ländern (der muslimischen Welt) erwies sich der Islam als dominierend – im Iran jedoch bleibt auch die vorislamische Kultur seit Jahrhunderten unverändert einflussreich.“ – Zum Beispiel auch deshalb, weil die Iraner zum Zeitpunkt ihrer Islamisierung vor 1.400 Jahren bereits eine sehr komplexes religiöses System besaßen. Daraus resultieren viele Traditionen, Überlieferungen und philosophische Konzepte bis auf den heutigen Tag.  „Sie wurden oft auf subtile Weise mit den Prämissen der neuen Zeit verwoben“, schreibt die Autorin.

Eine der traditionellen Gewohnheiten ist das Frühlingsfest „Norooz“ aus vorchristlicher Zeit. Es wird heute noch begangen und konnte auch nicht durch den Geburtstag des Propheten verdrängt werden, wie es sich Revolutionsführer Chomeini gewünscht und erhofft hatte.

Der Iran wird dadurch nicht leichter beherrschbar. Andrea C. Hoffmann: „Wer auch immer im Iran auf Dauer regieren will, muss wohl beiden Seelen des Landes gerecht werden.“ Die Mullahs hätten das inzwischen auch begriffen.

Auch die Stärken des derzeitigen Präsidenten Ahmadinedschad lägen darin, dass er nationales Selbstbewusstsein (wir lassen uns nicht dreinreden, nirgends und von niemand) mit religiös fundamentalistischer Rhetorik zu verknüpfen verstünde. „Wer ihm widerspricht, macht sich damit simultan zum Kritiker des Islams und zu einer Art ‚Vaterlandsverräter’“.

Ahmadinedschad im Bunde mit dem Mythos

Präsident Ahmadinedschad versteht es auch, die Erlösersehnsucht um den verschwundenen letzten Spross aus der Familie des Propheten für sich zu nutzen. Auf die Rückkehr dieses verborgenen Imams namens Mahdi warten die Gläubigen im Iran seit Jahrhunderten. Er ist eine Art schiitischer Jesus, schreibt die Autorin und hätte eigentlich schon nach dem Tod Mohammeds die Führung der muslimischen Gemeinschaft übernehmen sollen.- Bei einem Auftritt Ahmadinedschads vor den Vereinten Nationen soll es nun kürzlich eine Erscheinung gegeben haben. Der iranische Präsident sei „von einem Licht umgeben“ gewesen – fast eine halbe Stunde lang. Ob solche Erscheinungen seine Wahlchancen im Juni verbessern, könnte eine spannende Frage werden.

Andrea C. Hoffmann ist eine mutige Autorin. Sie weiß, wovon sie spricht und sie schreibt es auch, ganz gegen den Chor der üblichen Iran-Kritiker: „In meiner zehnjährigen Reisetätigkeit in die islamische Republik habe ich die unterschiedlichsten Menschen kennen gelernt: Historiker, Soziologen, Politiker, Oppositionelle, fromme und weniger fromme Jugendliche, Filmemacher, Frauenrechtler, Revolutionswächter, Schüler, Minister und Parlamentarier, konservative und liberale Kleriker, sogar Großajatollahs. Aber keinen einzigen Schurken.“

Im 7. Kapitel „Also sprach Zarathustra“, wo es um Juden, Christen, Bahai und Zoroaster im islamischen Gottesstaat geht, wagt sie sich auch an ein besonders gern aufgepapptes Etikett, das von Gegnern des iranischen Präsidenten weltweit verbreitet wird. Gemeint ist der „Aufsehen erregende“  Satz aus dem Oktober 2005: „Israel muss von der Landkarte getilgt werden“.

Die Verfasserin  erläutert, was Ahmadinedschad gesagt hat: „Der liebe Imam (Chomeini) hat gesagt: ‚Das Besatzungsregime muss von den Seiten der Geschichte gestrichen werden.’ Dieser Satz ist sehr weise. Das Thema Palästina ist keines, bei dem wir Kompromisse machen können:“ Andrea C. Hoffmann: „Was der iranische Präsident propagierte, war also keinesfalls die ‚Auslöschung’ der Juden im Sinne eines Genozids, sondern die Abschaffung eines in seinen Augen rassistischen Regimes.“

Die Agenturen AFP und DPA, sowie zahlreiche Tageszeitungen hätten ihren Fehler in den darauf folgenden Tagen eingestanden. Aber „die Weltöffentlichkeit nahm kaum Notiz von der Korrektur.“

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Rezension zu „Der Iran – die verschleierte Hochkultur“ von Andrea Claudia Hoffmann, Diederichs Verlag München, 235 Seiten, Zeittafel, Namensregister, 19,95 Euro, ISBN-13: 978-3424350012.

Iran Rezension

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