09.08.2023 13:11:56
BIENNALE
Von Tanja Hemme
Indonesien ist nach acht Jahren wieder auf der Biennale vertreten. Das großangelegte eindrucksvolle Werk vereint Keramik, Bronze, Aluminium und Multimedia. Foto: Tanja Hemme |
enedig wie es schöner nicht sein könnte. Milde 20 Grad, Sonnenschein. Unbemerkt treffen aber Welten aufeinander. Einfahrende Kreuzfahrtschiffe schieben sich nacheinander wie Flugzeugträger durch die Bucht. Bei so viel Schubkraft vibriert der Boden, die Sonne wird verdunkelt und die Wellen schlagen hoch an die Mauern der alten Stadt. Da grüßt der Einheimische schon gerne einmal mit dem Mittelfinger statt mit einem freundlichen „Ciao“.
Kurze Zeit später entlässt der Bauch dieser Schiffe eruptiv Grüppchen von Touristen, die ausschwärmen, um Souvenirs zu erwerben, die im fernen Asien ihren Herstellungsort haben. Oder sie schieben sich wie eine träge Masse durch den Dogenpalast, um sich am Ende zu fragen, in welcher Stadt man überhaupt gerade sei.
Ist das schon alles? Nein, es gibt sie noch, die versprengten Besucher der Biennale. Auf der Suche nach moderner Kunst als Gegensatz zum modernen Tourismus. Ist der Unterschied überhaupt so groß? Die Kunsttouristen gehen fast unter in der schieren Masse der kreuzfahrenden Besucher. Tourismus der anderen Art. Die Großschau der Kunst verteilt sich über die ganze Stadt und konzentriert sich im Arsenale und Giardini. Dort trifft man sich wieder und ist unter sich. Hier ist es ruhig. Keine Souvenirverkäufer, Menschen schaffen es, sich auch außerhalb von Gruppen fortzubewegen und – fast schon herrlich erschreckend – diese Ruhe.
88 Pavillons und Künstler aus 37 Ländern nehmen in diesem Jahr teil. Noch nie waren es so viele. Eine Masse, die kaum zu bewältigen ist. An zwei konzentrierten Tagen sind alleine aufgrund der Entfernungen höchstens zwei Drittel zu schaffen. Der Grad der Erschöpfung – physischer wie auch geistiger Art – am Abend ist immens. Dennoch: Zum großen Teil wird man für den persönlichen Einsatz belohnt.
Sehenswert sind insbesondere die Länder, die in einem politischen oder historischen Spannungsfeld stehen. Hier zeigt sich, was Kunst ist. Provokativ, kreativ und bewegend. Hierzu zählt der 16mm Film des libanesischen Künstlers Akram Zaatari „Letter to a Refusing Pilot“. Das Video geht zurück auf das Jahr 1982, als ein israelischer Pilot sich weigerte, einen libanesischen Ort mit einer Schule zu bombardieren und stattdessen die Bomben über dem Meer abwarf. Zaatari schildert 45Minuten lang eindrucksvoll und in ruhigen Bildern die Spannung zwischen Heimat- und Gerechtigkeitsgefühl.
Nach acht Jahren wieder dabei ist Indonesien. Kuratiert von Caria Blanpoen und Rifky Effendy. Gezeigt wird eine Gemeinschaftsarbeit fünf verschiedener Künstler. Jeder von ihnen bedient sich einer unterschiedlichen Technik. Das großangelegte eindrucksvolle Werk vereint Keramik, Bronze, Aluminium und Multimedia. Das Oberthema ist „Sakti“ und bedeutet so viel wie lokale Kultur bewahren, aber teilhaben an der globalen Entwicklung. Magisch verwoben im Halbdunkel sind Elemente der traditionellen Kultur zu sehen, die sich mit modernen Strukturen vereinen.
Ebenfalls im Arsenale befindet sich der südafrikanische Pavillon. Die Ausstellung läuft unter dem Titel „Imaginary Fact. Contemporary South African Art and the Archive“. Das kulturelle Gedächtnis des Landes präsentiert sich hier. Wim Botha sticht hier deutlich heraus. Er arbeitet mit Bibeln, Gesetzestexten und Nachschlagewerken und lässt aus diesen zusammengeschnitten Köpfe und sogar ganze Figuren entstehen. Botha spricht davon, dass seine Werke auf einen Kern zusammenschmelzen. Ein Destillat der Kultur, der Erinnerung. Die Texte sind quasi im wahrsten Sinne des Wortes zusammengeschmiedet, und der Kapstädter Künstler bildet daraus dreidimensionale Wesen, deren Wirkung sich der Betrachter nur schwer entziehen kann. Geboren aus den Texten erwachsen Wesen, deren Geschichte und Identität sich aus der Vielheit zusammensetzt.
„Der Atlas des Imperiums“ nennt sich der lateinamerikanische Pavillon. Beim Betreten der Halle schlägt einem gleich zu Beginn der Geruch von Gewürzen entgegen. „Campo des Color“ heißt das Werk von Sonia Falcone. Ein Farbenteppich verschiedener Gewürze breitet sich vor dem Betrachter aus. Die Intensität der Farben von Chili, Curry und vielen anderen pulverförmigen Häufchen bestechen, gleichzeitig getragen ist das Erlebnis aber auch durch die eindringliche olfaktorische Wahrnehmung. Eine Ansprache aller Sinne. Gewürze tragen den Gedanken der Kolonisierung, der wirtschaftlichen Inanspruchnahme, des „Imperiums“ in sich. Sonia Falcone zeichnet durch das serielle Häufen eine Farbpalette, die als Landschaft, gleichzeitig aber auch als reines Wirtschaftsgut betrachtet werden kann. Ihre Arbeit dominiert im Raum von Lateinamerika.
Die Fülle der diesjährigen Exponate macht es dem Kunstinteressierten nicht einfach, eine Wahl zu treffen. Weniger ist am Ende doch immer mehr. Diese eherne Regel ist nach wie vor schwer zu widerlegen. Bleibt abzuwarten, ob bei der nächsten Schau wiederum die Zahl der teilnehmenden Künstler überboten wird. Ob dieses dann die Qualität weiter steigert, abgesehen von der begrenzten Aufnahmefähigkeit jedes einzelnen Besuchers, sei dahingestellt. Superlative erzeugen nicht immer Superqualität. Viele Künstler haben dennoch begeistert, ebenso viele aber auch kalt gelassen. Es bleibt spannend wie die 56. Biennale aussehen wird und der Expansionsdrang sich fortsetzt – vielleicht auch mit einem Pavillon für Kreuzfahrer?
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