„Die Tschetschenien-Politik des Kremls ist gescheitert.“KAUKASUS

„Die Tschetschenien-Politik des Kremls ist gescheitert.“

„Die Tschetschenien-Politik des Kremls ist gescheitert.“

Dr. Uwe Halbach, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, über die Auswirkungen des Mordanschlags auf den tschetschenischen Präsidenten und die Hintergründe des Tschetschenien-Konflikts.

Von Hartmut Wagner

Für großes Bild klicken 
Dr. Uwe Halbach  

Eurasisches Magazin: Herr Halbach, welche Bedeutung hatder tödliche Anschlag auf den tschetschenischen Präsidenten AchmedKadyrow für die Moskauer Politik gegenüber Grosny?

Uwe Halbach: Wladimir Putins Strategie der „Tschetschenisierung“ und „politischenLösung“ des Tschetschenienkonflikts hat damit eine deutliche Niederlageerfahren. Seit dem Moskauer Geiseldrama vom Oktober 2002 war die Moskauer Tschetschenien-Politikeine „Ein-Mann-Show“ und ganz exklusiv auf die Person Kadyrowsausgerichtet. Zum Beispiel wurden im Oktober 2003 alternative Kandidaten fürdie Wahl zum tschetschenischen Präsidenten im letzten Moment und auf höchstfragwürdige Weise aus dem Rennen genommen. Nach dem Attentat sucht derKreml jetzt verzweifelt einen Nachfolger für seinen zum Präsidentenerhobenen Statthalter in Grosny.

„Kadyrow war ein eigensüchtiger Gewaltakteur“

EM: Auf Betreiben des Kremls erhielt Tschetschenien imvergangenen Jahr eine neue Verfassung und wählte mit Achmed Kadyrow einenneuen Präsidenten. Kann der Tschetschenien-Konflikt mit derartigen Schrittenbeigelegt werden?

Halbach: Der Anschlag auf Kadyrow zeigt das Scheitern dieserPolitik, die vor allem ein Ziel verfolgte: Die militärischen und politischenGegner Moskaus in Tschetschenien aus jeder „politischen Lösung“ rauszuhaltenund zu delegitimieren. Von offizieller Seite werden die bewaffneten Untergrundkämpferin Tschetschenien ja schon lange völlig undifferenziert zu „Terroristen“ abgestempelt.Die Strategie des Kremls war darauf ausgerichtet, die „Terroristen“ mitwachsender Unterstützung durch lokale tschetschenische Gewaltstrukturenmilitärisch auszuschalten oder zum Übertritt auf die Seite der Kadyrow-Milizenzu veranlassen. Mit einem Gewährsmann, der Vertrauen in weiten Teilender tschetschenischen Gesellschaft genießt, wäre dies vielleichtmachbar gewesen. Doch Kadyrow konnte sich in der tschetschenischen Bevölkerungnicht einmal auf ein Minimum an Vertrauen stützen. Der Präsidentselbst war zu einem eigensüchtigen Gewaltakteur im Tschetschenienkonfliktgeworden, vor allem mit Hilfe seiner Privatarmee unter Führung seinesSohnes Ramzan. Umfragen zeigten zuletzt, daß die tschetschenische Bevölkerungvor den Gewaltaktionen dieser „Kadyrowzy“ inzwischen mehr Angsthatte als vor den berüchtigten „Sonderaktionen“ der russischenSoldaten.

Ein undefinierbarer Konflikt

EM: „Im ersten Krieg kämpften wir für dieIdee der Unabhängigkeit, im zweiten kämpfen wir aus Rache!“ Mitdiesem Ausspruch wurden tschetschenische Kämpfer in der Presse zitiert.Was ist der Tschetschenien-Konflikt? Ein Unabhängigkeitskrieg, der Kampfislamistischer Terroristen oder tatsächlich ein Rachefeldzug?

Halbach: In der Tat ist dieser Konflikt kaum noch zu definieren.Er hat von allem etwas: Ein Teil der „bojewiki“ kämpft nochfür eine „nationale Unabhängigkeit“, ein Gedanke, derunter den Tschetschenen aber längst an Bedeutung verloren hat. Ein andererTeil bekennt sich zum islamistischen „Dschihad“. Das Rachemotivwiederum treibt Menschen aus der Zivilbevölkerung in den bewaffneten Widerstand.Von Frauen durchgeführte Selbstmordattentate sind eine neue Erscheinungin Tschetschenien, die im ersten Krieg keine Rolle gespielt hat. Von der großenMehrheit der Beobachter des Tschetschenien-Konflikts werden sie als Reaktionauf die Gewaltexzesse gegen die Zivilbevölkerung gedeutet, mit denen diesogenannte „Anti-Terror-Operation“ des Kremls durchgeführtwird.

EM: Wie stark ist der Rückhalt der Rebellen-Gruppenim tschetschenischen Volk und über wieviele Kämpfer verfügensie etwa?

Halbach: Das ist sehr schwer zu sagen. Ich kenne keineQuelle, in der die genauen militärischen Kräfteverhältnisseim „Rebellenlager“ oder die Führungs- und Loyalitätsverhältnisseunter den „bojewiki“ verläßlich angegeben sind. Zweifellosaber wurde die militärische Führung des bewaffneten Widerstands durchden Tod maßgeblicher „Feldkommandeure“ und „Warlords“ inletzter Zeit stark geschwächt. Ruslan Gelajew oder Abu Walid sind hierbeispielsweise zu nennen. Außerdem zerfällt das „Rebellenlager“ offensichtlichin Gruppierungen unterschiedlicher politischer, ideologischer und religiöserAusrichtung und Radikalität. Eine geeinte Widerstandsfront, die in derLage wäre, eine empfindliche Offensive gegen die russischen Truppen unddie lokalen tschetschenischen Gewaltorgane zu führen, sehe ich derzeitnicht. Dafür aber kleine bewaffnete Gruppierungen, die auf lange Zeitbefähigt sind, einen asymmetrischen Kampf gegen ihren Gegner zu führen.Insbesondere deswegen, weil russische Truppen durch plumpe Gewaltmaßnahmengegen die Zivilbevölkerung dafür gesorgt haben, daß es fürAufständische immer Rückhaltepositionen in der tschetschenischenBevölkerung geben wird. Obwohl die meisten Tschetschenen die „bojewiki“ ebensowie die „russischen Ordnungshüter“ und ihre tschetschenischenStatthalter restlos satt haben.

Mehr als ein Krieg ums Öl

EM: Vor knapp zehn Jahren begann der „Erste Tschetschenien-Krieg“,der sich zu einem immerwährenden Konfliktherd innerhalb der RussischenFöderation auswuchs. Weshalb kämpfte Moskau diese vielen Jahre umein Stück Land, das so groß wie die Rheinland-Pfalz ist?

Halbach: Eine knappe Antwort ist hierauf kaum möglich.Vor Vereinfachungen und monokausalen Erklärungen wie, der Tschetschenien-Konfliktsei ein weiterer Krieg ums Öl, weil die Region für den Export deskaspischen Öls wesentlich sei, sollte man sich hüten.

Im ersten Krieg versuchte Moskau, seine Militärkampagne in Tschetschenienals Sezessionsabwehr zu legitimieren. Im zweiten setzte man dann die Abwehreiner „islamistischen Aggression“ und die Bekämpfung des „internationalenTerrorismus“ als Legitimationsargument ein. Hier hat die internationalePolitik der Russischen Föderation einen krassen Widerspruch in ihrer Argumentationdurchgehen lassen: den Widerspruch zwischen „Internalisierung“ und „Externalisierung“ desKonflikts.

EM: Was heißt das genau?

Halbach: Einerseits weist Rußland darauf hin, dasTschetschenienproblem sei ausschließlich seine „innere Angelegenheit“ undlehnt jeden Ansatz von Internationalisierung der Konfliktlösung und Konfliktbearbeitungab. Andererseits erweckt der Kreml den Eindruck, als erwehre sich Rußlandin Tschetschenien einer „äußeren Aggression“ durch internationaleDschihad-Brigaden. Dann wäre Tschetschenien ein internationaler Konfliktherd.Na was denn nun?

Tschetschenien: Ein integraler Bestandteil Rußlands?

EM: Ist Tschetschenien ein „integralerBestandteil“ Rußlands,wie dies von der Kremlführung immer wieder gesagt wird?

Halbach: So etwas zu behaupten, kommt der Aussage gleich,Algerien sei ein integraler Bestandteil Frankreichs gewesen. Der Konflikt inTschetschenien wurzelt letztlich in drei Jahrhunderten russischer Kolonialgeschichte.Bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts gab es bewaffneten Widerstand gegendas Vordringen Rußlands in diesen Teil des Nordkaukasus. Wenn die internationaleStaatengemeinschaft die territoriale Integrität der Russischen Föderationbestärkt und eine tschetschenische Unabhängigkeit nicht anerkennt,hat dies nachvollziehbare politische Gründe – vor allem mit Blickauf die Situation in Tschetschenien zwischen 1997 und 1999, als die Regionfaktisch unabhängig von Rußland war, sich aber in inneren Machtkämpfenzerrieb und zu einem Herd von Unsicherheit im Nordkaukasus wurde. Ein integralerBestandteil Rußlands im historischen Sinne ist Tschetschenien deshalbaber nicht.

EM: Würde ein Einlenken Moskaus auch in anderen russischenRegionen Begehrlichkeiten nach größerer Autonomie oder sogar Unabhängigkeitwecken?

Halbach: Tschetschenien war nie ein „Dominostein“,der mit seinem Sezessionsbegehren Nachbarrepubliken aufgewiegelt hat. In Dagestangab und gibt es viele Probleme, aber keine nennenswerte Sezessionsbewegung,die dem tschetschenischen Beispiel folgte. Auch Tatarstan in der Wolgaregionhat sich stets von Tschetschenien unterschieden. Hier ging es nach dem Endeder Sowjetunion lediglich um mehr politische und wirtschaftliche Autonomieinnerhalb der Russischen Föderation. Starke Autonomiebestrebungen wiein der ersten Hälfte der neunziger Jahre sind derzeit unter den „Föderationssubjekten“ Rußlandsnicht zu bemerken – geschweige denn Unabhängigkeitsbewegungen.

EM: Wäre ein unabhängiges Tschetschenien wirtschaftlich überlebensfähig?

Halbach: Sicherlich nicht, wenn das feindschaftliche Verhältniszu Rußland fortbestünde. Vor allem anderen steht in Tschetschenien – wieauch immer die politische Statusregelung ausfallen wird – ein äußerstaufwendiger Prozeß des Wiederaufbaus und der Entkriminalisierung derWirtschaft an.

EM: Wo könnte Tschetschenien wirtschaftliche Unterstützungfinden, außer in Moskau?

Halbach: Zum Beispiel bei der Europäischen Union. Esgibt seit 1999 erhebliche Finanzhilfen aus der EU, bis heute rund 120 Mio Euro.Diese werden allerdings für humanitäre Zwecke und weniger fürdie wirtschaftliche Rehabilitation der Region verwendet. Bis ausländischeInvestitionen im Nordkaukasus getätigt werden, müßte ein Maß anSicherheit hergestellt werden, das derzeit nicht absehbar ist.

In Rußland würde ein Rückzug aus Tschetschenien nicht verstandenwerden

EM: Wie groß wäre der Schaden für das russischeAnsehen als Großmacht, wenn es aus dem Tschetschenien-Konflikt als Verliererhervorginge?

Halbach: Wohl kaum größer als der Schaden, derdurch das bisherige Vorgehen der russischen Streitkräfte in Tschetschenienangerichtet wurde – jedenfalls in den Augen derer, die die Gewaltauswüchseeinigermaßen im Blick behalten haben. In der russischen Bevölkerung,die über die Wahrheit in Tschetschenien so gut wie nicht informiert wird,würde ein Rückzug allerdings auf wenig Verständnis stoßen.Er würde als ein herber Schlag gegen das Bild von der Wiederherstellungrussischer Staatlichkeit unter Putin wahrgenommen werden.

EM: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Interview Kaukasus Russland

Das könnte Sie auch interessieren

Meistgelesene Artikel

  1. Die Coronakrise aus der Sicht einer russischen Psychiaterin
  2. Kurden - Geschichte, Kultur und Hintergründe
  3. Die Perser - Geschichte und Kultur
  4. Putin: Russland ist kein Land sondern eine eigenständige Ziviisation
  5. Chinesische Frauen: Erotisch, anschmiegsam und sehr erfolgreich

Eurasien-Ticker