Ein Land am RandMOLDAU

Ein Land am Rand

Ein Land am Rand

Die junge Republik Moldau, an der Ostgrenze des zukünftigen EU-Mitgliedes Rumänien gelegen, ist eines der ärmsten Länder Europas. Sein Weg in eine bessere Zukunft ist voller Hindernisse. Die Bevölkerung ist arm, die Wirtschaft schwach und das Land politisch zerrissen. Wer es schafft, geht ins Ausland, doch die Probleme zu Hause werden dadurch nicht geringer.

Von Thorsten Herdickerhoff

Der Sohn des Busunternehmers, Andrej Eugen, will Rettungsschwimmer an einem Strand in Kalifornien werden.  
Der Sohn des Busunternehmers, Andrej Eugen, will Rettungsschwimmer an einem Strand in Kalifornien werden.
(Foto: Thorsten Herdickerhoff)
 

D Die Muttergottes ist fest verankert am Innendach des Kleinbusses. Links von ihr klebt die Ikone eines Metropoliten, darunter baumelt ein rosa Stoffhündchen. Vor der Windschutzscheibe schlängelt sich eine graue Landstraße durch die Republik Moldau - etwas bekannter unter dem älteren Namen Moldawien.

Moldau liegt zwischen Rumänien und der Ukraine. Mal herrschte hier Rumänien, mal Russland. Die Landessprachen sind dementsprechend ein rumänischer Dialekt und Russisch. Politisch ist das Land ähnlich gespalten. Der größere Teil fühlt sich Rumänien verbunden, die kleine Region Transnistrien hält sich an Russland. Sogar durch die orthodoxe Kirche des Landes geht dieser Riss. Ein Teil untersteht dem russischen Patriarchat, ein anderer unterstellte sich dem rumänischen. Ungeachtet dessen boomt der christlich-orthodoxe Glaube. Der 15-jährige Konflikt mit Transnistrien lähmt hingegen die Entwicklung des Landes, das zu den ärmsten in Europa zählt.

Wein ist einer der Exportschlager Moldaus

Der Fahrer sitzt konzentriert am Steuer und lenkt den Kleinbus in leichter Schlangenlinie über die Landstraße, um den größten Schlaglöchern auszuweichen. Ständig quietschen die Sitze im Rhythmus der Fahrbahnschäden. Die Straße führt durch eine offene Landschaft, die in sanften Wellen zum Horizont fließt. Moldau hat keine Berge, keine Küste, wenige Wälder. Prägend sind weite Felder mit fruchtbarer Schwarzerde. Das Land wird heute zu 80 Prozent landwirtschaftlich genutzt. Wein ist einer der Exportschlager Moldaus. Auch deutsche Landwirte haben hier mal gewohnt, unter anderem die Eltern des Bundespräsidenten Horst Köhler. Damals nannte sich das Gebiet noch Bessarabien. Moldau ist heute stolz auf diesen Bezug nach Deutschland, auch wenn er seit der Auswanderung der Deutschen 1940 nach dem Hitler-Stalin-Pakt Geschichte ist.

Die Wohnblocks in Chisinau wirken ungepflegt und ärmlich.   
Die Wohnblocks in Chisinau wirken ungepflegt und ärmlich.
(Foto: Jan Zappner)
 

Damals hat die Sowjet-Union das Land besetzt und sich sein Gebiet unter neuem Zuschnitt einverleibt, als Sowjetrepublik Moldau. Im Süden wurden Gebiete abgetrennt, im Osten kam ein Streifen jenseits des Flusses Dnjestr hinzu, das heute abtrünnige Transnistrien. Die rund 600.000 Einwohner sind überwiegend russisch- und ukrainischstämmig, womit heute der Wunsch nach Unabhängigkeit begründet wird. Doch noch mehr geht es um die Interessen einer Machtelite, die  Transnistrien nach sowjetischem Muster autoritär führt und mit dem ungeklärten internationalen Status gut verdient. An der Grenze blüht der Schmuggel von Waren, zu Lasten der Ukraine und der Republik Moldau. Der Transnistrien-Konflikt brach mit der Unabhängigkeit Moldaus von der Sowjet-Union 1990 auf, gipfelte in einem fünfmonatigen Bürgerkrieg 1992 und schwelt seitdem ungelöst weiter. Eine Friedenstruppe unter Führung Russlands überwacht den Waffenstillstand.

Das rhythmische Quietschen wird langsamer, der Bus auch, er hält. Der Fahrer steigt aus, kriecht unter den Motorblock und hämmert auf etwas ein. Andrej Eugen geht ihm zur Hand. Er ist 22 Jahre alt, studiert in Chisinau Wirtschaft, boxt gerne und kümmert sich auch um das Busgeschäft seines Vaters. Dieser Wagen gehört dem Unternehmen der Familie Eugen, die vier davon hat. „Alle in Deutschland gekauft“, erzählt Eugen Junior stolz, „von meinem Vater.“

Bis zu einer Million Moldauer verdienen ihr Geld im Ausland

Das Ausland lockt viele. Bis zu einer Million Moldauer verdienen ihr Geld in Italien, Deutschland, Österreich, Russland und anderswo, bei einer Gesamtbevölkerung von gut vier Millionen. Die meisten leben und arbeiten dort illegal. Andrej Eugen möchte auch im Ausland arbeiten, aber legal: „Ich gehe bald in die USA, erst einmal für vier Monate.“ Dafür lernt er fleißig Englisch. Ein Freund ist schon drüben und hat ihm einen Job besorgt: Rettungsschwimmer an einem Strand in Kalifornien, sieben Dollar die Stunde. Ein königlicher Lohn für moldauische Verhältnisse.

Schätzungen zufolge fließt durch die Auslands-Moldauer zweimal mehr Geld in die Heimat als das Bruttoinlandsprodukt des Landes beträgt. Die zahllosen Wechselstuben im touristenarmen Moldau legen davon Zeugnis ab. Wer in der Heimat arbeitet, verdient pro Monat im Schnitt 40 Euro, Rentner bekommen etwa 12 Euro. Offiziell leben 80 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, denn das Geld aus dem Ausland taucht in keiner Statistik auf und wird auch nicht versteuert. Es wird allerdings für Konsum ausgegeben. Deshalb sieht man in der Hauptstadt Chisinau reihenweise große Schaufenster voller Importware wie elektrische Haushaltsgeräte, Handys und Unterhaltungselektronik.

Moldau verspricht sich viel vom neuen EU-Nachbarn Rumänien

Weithin sichtbare sowjetische Propaganda-tafel in Bendery-Transnistrien.  
Weithin sichtbare sowjetische Propaganda-tafel in Bendery-Transnistrien.
(Foto: Peter Koller)
 

Vadim möchte auch im Ausland arbeiten, aber erst nach seinem Studium. Er hat gerade angefangen, an der Internationalen Universität von Chisinau Informatik zu studieren. Doch in Moldau sieht er keine Zukunft. „Ich kenne viele Akademiker, die keine Arbeit haben oder irgendeinen Job auf der Straße machen“, sagt Vadim. „Es gibt hier genug Richter, Ärzte und andere Fachleute. Und wer Arbeit hat, verdient auch nur 50 Dollar im Monat.“ So wie er denken die meisten junge Leute, und das Land leidet gewaltig unter der Abwanderung der jungen Arbeiter und  Akademiker.

Die lautstarke Reparatur des Fahrers ist gelungen und es geht weiter. Der Bus gewinnt langsam an Tempo, jetzt hämmern wieder die Schlaglöcher. Am Straßenrand stehen Kinder und alte Frauen mit leuchtend blauen Blumen. Sie strecken die runden Sträuße den Fahrzeugen entgegen, in der Hoffnung auf einen kleinen Zuverdienst. Bald tritt Rumänien der Europäischen Union bei. Moldau verspricht sich viel vom neuen Nachbarn EU.

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Der Autor ist Korrespondent von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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