09.08.2023 13:11:56
EM-PORTRÄT
Von Ulrich Heyden
Tritt ein für einen „normalen Dialog“ zwischen Macht und Gesellschaft: Die Menschenrechtsbeauftragte des russischen Präsidenten Ella Pamfilova. Foto: www.kremlin.ru |
lla Pamfilowa sieht sich mehr als konstruktive Reformerin, denn als laute Anklägerin. Von 1991 bis 1994 gehörte sie als Sozialministerin dem von Jegor Gajdar und Viktor Tschernomyrdin geführten Regierungskabinett an. Mitte März wurde die 60jährige von der Duma mit 344 (von 450) Stimmen zur neuen Menschenrechtsbeauftragten des russischen Präsidenten gewählt. Das ist einigermaßen erstaunlich, denn die überzeugte Liberale war im Juli 2010 wegen Kritik an den Ausweitungen der Vollmachten des russischen Geheimdienstes und einem Streit im russischen Menschenrechtsrat, dem sie seit 2002 vorsaß, von ihrem Amt als Vorsitzende zurückgetreten. In einem Interview mit der Zeitung Kommersant hatte sie damals erklärt, ihre Arbeit in dem Menschenrechtsrat habe keinen Nutzen mehr.
Bei dem Streit im Menschenrechtsrat im Sommer 2010 ging es um die Frage, ob es zulässig ist, wenn die kremlnahe Jugendorganisation Naschi (Die Unseren) die Wohnung des Kreml-kritischen Journalisten Aleksandr Podrabinek über Tage belagert. Der Journalist hatte die kremlnahe Partei und Kriegsveteranen mit einem Artikel gegen sich aufgebracht. Pamfilowa – und mit ihr die überwiegende Mehrheit des Menschenrechtsrates – kritisierten die Belagerung. Gleichzeitig distanzierte sich Pamfilowa jedoch von einigen Aussagen des kremlkritischen Journalisten. Pamfilowa ging es damals um das Prinzip der Meinungsfreiheit, die sie durch die Belagerung der Journalistenwohnung gefährdet sah.
Was treibt die neuberufene Menschenrechtsbeauftragte um, was für eine Gesellschaft strebt sie an? In einem Interview mit der Zeitschrift „Elita“ sagte Pamfilowa im Juli 2010, „die Vielfältigkeit von Ideen, Ansichten und Äußerungen“ seien „unerlässlich für eine gesunde Gesellschaft“. Auf die Frage der Zeitschrift, ob sie sich der Opposition zugehörig fühlt, meinte die überzeugte Liberale, sie sehe sich als „Vermittlerin“, und wolle helfen, dass es zu einem „normalen Dialog“ zwischen Macht und Gesellschaft kommt.
Manchem Anti-Putin-Aktivisten ist Pamfilowa nicht radikal genug. Doch als Mittlerin zwischen Macht und Menschenrechtsorganisationen genießt das Vertrauen der liberalen Szene in Moskau und St. Petersburg. In dem Interview mit der Zeitschrift Elita meinte Pamfilowa, eine Zivilgesellschaft werde in Russland mit dem Wachsen einer breiten Mittelschicht entstehen. Privates Eigentum gäbe es in Russland noch nicht sehr lange. Deshalb sei es eine „absurde Idee“ Russland mit Europa zu vergleichen. „Die Existenz von Semstwo (eine frühere Form russischer kommunaler Selbstverwaltung, U.H.) und die damit verbundene Bürgergesellschaft ist lange vergessen.“ Insbesondere die russische Macht müsse ihre Mentalität ändern, „sonst kann sie ihre Aufgaben nicht erfüllen“.
Im April dieses Jahres, erklärte Pamfilowa in einem Interview mit dem Pervi-Fernseh-Kanal, das größte Hindernis für die Menschenrechte in Russland sei die Korruption. Die Gerichte müssten von Korruption frei sein. Wichtig sei auch die Existenz von vom Staat unabhängigen Medien.
Dass viele russische Menschenrechtsorganisationen sich wegen finanzieller Zuwendungen aus dem Ausland in der Öffentlichkeit verteidigen und staatliche Untersuchungen über sich ergehen lassen müssen, macht die Arbeit der neuen Menschenrechtsbeauftragten nicht einfacher. In dem Fernseh-Interview erklärte die überzeugte Liberale, sie werde sich dafür einsetzen, dass der russische Staat die finanzielle Unterstützung von russischen Menschenrechtsorganisationen weiter ausbaut. Faktisch werden damit die NGOs weniger abhängig von finanzieller Unterstützung aus dem Ausland.
Ella Pamfilowa trat die Nachfolge von Wladimir Lukin an. Lukin, der von 1992 bis 1994 Botschafter Russlands in den USA war, hatte die Funktion des Menschenrechtsbeauftragten beim russischen Präsidenten zwei Amtszeiten - insgesamt zehn Jahre lang - ausgeübt. Ende Februar war Lukin durch außenpolitisches Engagement aufgefallen. Am 21. Februar war der Ex-Diplomat an den Verhandlungen zwischen den Anhängern des Maidan und dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch beteiligt. Ausgehandelt wurde ein Kompromiss über Reformen und Neuwahlen, der dann allerdings von den Vertretern des Maidan nicht eingehalten wurde. Ende April erreichte Lukin dann allerdings einen wirklichen Erfolg. Als Sonderbeauftragter des russischen Präsidenten in der Ost-Ukraine erreichte der einstig Diplomat die Freilassung der in Slawjansk festgenommenen westlichen Militärbeobachter.
Im Gegensatz zu Lukin hat Ella Pamfilowa noch keine außenpolitische Erfahrung. Sie wurde 1953 in der usbekischen Stadt Almalyk geboren und hat eine ziemlich gewöhnliche sowjetische Biographie. Allerdings zeichnete sich schon als Schülerin durch überdurchschnittliche Leistungen aus, weshalb sie dem KP-Chef Nikita Chruschtschow bei einem Besuch in Taschkent einmal Blumen überreichen durfte. Eine wichtige Rolle in ihrer Erziehung spielte ihr Großvater, Sawelij Iwanowitsch, der in den 1930er Jahren von der Sowjetmacht als „reicher Bauer“ zur „Aufbauarbeit“ nach Mittelasien umgesiedelt wurde.
Nach einem Ingenieursstudium in Moskau arbeitete Pamfilowa dreizehn Jahre lang als Ingenieurin bei dem staatlichen Moskauer Elektrizitätsunternehmen Mosenergo. 1977 wurde ihre Tochter Tatjana geboren. In der KPdSU, in der sie während der Perestroika-Zeit Mitglied war, gehörte Pamfilowa zur demokratischen Opposition.
Ihr Amt als Sozialministerin Russlands, welches sie von 1991 bis 1994 ausübte, legte sie wegen Kritik an der Regierungspolitik nieder. Pamfilowa wurde zur Kritikerin des Tschetschenien-Krieges. Sie beschäftigt sich von nun an mit der Arbeit für Menschenrechte, dem Kinderschutz und dem Kampf gegen die Korruption. Im Jahre 2000 kandidierte sie als erste Frau in der neueren russischen Geschichte zu den Präsidentschaftswahlen und erreichte 1,01 Prozent.
Dass sie nach ihrem Rücktritt vom Vorsitz des Menschenrechtsrates 2010 nun die Funktion der Menschenrechtsbeauftragten beim russischen Präsidenten übernommen hat, begründete die überzeugte Liberale in dem schon erwähnten Fernseh-Interview folgendermaßen: Ihre Freunde aus dem Menschenrechts-Spektrum hätten sie gedrängt. Eigentlich wollte sie ganz anders leben und sich mehr ihrem Privatleben widmen, doch das Schicksal habe sie „am Wickel gepackt“. Viele Menschen setzten Hoffnungen in sie und sie wolle keine „Verräterin“ sein. Zu dem russischen Präsidenten befragt, meinte Pamfilowa, „Putin hört mir zu“. Sie habe ihn hart kritisiert, aber „er hält das aus“. Ob das auch für die Zukunft gilt, wird sich zeigen.
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