Erstmals geht ein Trend von Ost nach WestEURASISCHE MUSIKSZENE

Erstmals geht ein Trend von Ost nach West

Erstmals geht ein Trend von Ost nach West

Die britische Rundfunkanstalt BBC zeichnet im April eine Musik aus, die aus einem eurasischen Niemandsland kommt: der virtuellen Bukowina. Ihr Schöpfer Stefan Hantel alias Shantel hat sie auf den Spuren seiner Großeltern in Czernowitz entdeckt. Seither ist er in Liebe und Leidenschaft zu diesem musikalischen Bastard entbrannt. Im „Bucovina Club“ und auf Tourneen in aller Welt verzaubert sein Hybrid-Sound das Party-Publikum. Für die trunkenen Gäste des Spektakels ist Techno von gestern.

Von Hans Wagner

  Zur Person: Stefan Hantel
  Stefan Hantel alias Shantel wurde 1968 in Mannheim geboren. Er ist Leiter des Bucovina Clubs, den er im April 2002 in Frankfurt/Main ins Leben gerufen hat.

Hantel hat Kunstgeschichte und Kommunikationsdesign studiert. Er lebt und arbeitet als Musikproduzent, DJ und Komponist in Frankfurt.
  Bucovina Club Video
  Video (ZDF Mediathek)
Wilde Tänze im Bucovina Club  
Wilde Tänze im Bucovina Club  

Eurasisches Magazin: Sie bekommen am 07. April den „BBC Award for World Music 2006“ überreicht. Er wird anlässlich eines großen, vom englischen Fernsehen übertragenen Preisträgerkonzertes in der Brixton Academy, London überreicht. Gibt es für eine solche Auszeichnung schon Beispiele in der deutschen Musikszene?

Stefan Hantel: Nein, ich bin tatsächlich der erste Deutsche, der diesen BBC-Award erhält.

EM:  Was wurde ausgezeichnet – eine CD, ein Auftritt, Ihr Werk?

Hantel: Der Preis gilt der Kategorie Club global, so ist das benannt. Die Jury bestand  aus 300 Musikjournalisten, Labelbetreibern, Musikfachleuten, also aus den „Opinion–Leadern“ der Musikszene. Dieses Gremium hat aus einer Liste von 100 nominierten Kandidaten ausgewählt. Dass ich mit dem Bucovina Club, den ich im April 2002 in Frankfurt gegründet habe, das Rennen machen konnte, ist natürlich eine wunderbare Überraschung.

EM: Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für die Auszeichnung?

Hantel: Sie haben damit meine Arbeit als Produzent, als DJ und als Musiker gewürdigt.

„Dahinter steht ein ganz spezielles musikalisches Lebensgefühl.“

EM: Was glauben Sie, warum die Wahl ausgerechnet auf Sie gefallen ist?

Hantel: Die englischen Medien befassen sich seit einiger Zeit sehr intensiv mit meiner Arbeit, besonders mit dem Bucovina Club. Normalerweise ist es in der Musikszene und im Musikgeschäft üblich, dass die Verkaufsbewegungen von West nach Ost verlaufen. Bisher gab es so gut wie keine Titel oder Trends, die sich von Kontinentaleuropa nach  Westen verfolgen ließen. Mit dem Bucovina Club kehrt sich da jetzt einiges um.  

EM: Was hat es mit dem „Bucovina Club“ auf sich?

Hantel: Dahinter steht ein ganz spezielles musikalisches Lebensgefühl. Der Bucovina Club startete zunächst im Frankfurter Schauspielhaus, tourt aber mittlerweile um den ganzen Globus und präsentiert die unterschiedlichsten musikalischen Einflüsse. Eine Schnittstelle zwischen Orient und Okzident mit Live-Konzerten, DJ-Sessions oder auch Dichterlesungen.

EM: Aber in der Hauptsache doch wohl Musik?

Hantel: Ja, Dichterlesungen haben wir nur am Anfang durchgeführt und nur sehr sporadisch. Inzwischen steht das schweißtreibende musikalische Spektakel im Vordergrund.

„Ich habe den Mythos als Kind in mich aufgesogen.“

EM: Und warum der Name Bucovina?

Hantel: Das ist eine ganz private Geschichte und hat mit meiner Kindheit zu tun. Meine Großeltern sind 1941aus Czernowitz, der ehemaligen Hauptstadt der Bukowina, mit dem Ziel USA in Richtung Westen emigriert und schlussendlich in Deutschland hängengeblieben. Durch sie habe ich den Czernowitzer Mythos kennengelernt, viele abenteuerliche, geheimnisvolle Geschichten, voller Witz und Schmäh. Eine eigenartige Mentalität. Ich habe den Mythos als Kind in mich aufgesogen.

EM: Wodurch ist dieser Geist geprägt?

Hantel: Die Czernowitzer waren eher Provinzler mit vielen Sehnsüchten und Phantasien und  wollten den Metropolen Paris, London, New York nacheifern. In Czernowitz gab es mehr Buchläden als Bäckereien. Die meisten Czernowitzer waren Kosmopoliten und sprachen fließend mehrere Sprachen. Meine Großeltern zum Beispiel haben sich innerhalb von fünf Minuten in fünf verschiedenen Sprachen unterhalten.

EM: War das für Sie als Zuhörer nicht sehr anstrengend?

Hantel: Das schon, aber auch unglaublich unterhaltend. Die Sprache der Czernowitzer war ja meist Deutsch. Getragen und importiert vom jüdischen Bildungsbürgertum. Der österreichische Kaiser Franz Josef hat viele Juden in der Bukowina angesiedelt, um die deutsche Kultur in den östlichsten Winkel der Donaumonarchie zu tragen. Das Kronland Bukowina war die östlichste Außenstelle Westeuropas. Franz Josef hat „seinen“ jüdischen Untertanen Toleranz und Religionsfreiheit garantiert. Die einzige Auflage für die Neusiedler war es, die deutsche Sprache und die deutsche Kultur in den Osten zu tragen. So wurde Czernowitz mit einer großen jüdischen Gemeinde zum Zentrum der Deutschen Sprache in der Bukowina.

„Meine Großeltern sprachen ein geschissenes Österreichisch.“

Stefan Hantel alias Shantel auf der Bühne  
Stefan Hantel alias Shantel auf der Bühne  

EM: Ihre Großeltern haben also deutsch gesprochen.

Hantel: Ja. Sie nannten ihre Art der Sprache aber wörtlich ein „geschissenes Österreichisch“. Und wenn sie wollten, dass wir Kinder nichts verstehen, dann haben sie die Sprache einfach gewechselt. Geflucht wurde auf Rumänisch oder Ukrainisch, wenn es um amtliche Dinge ging, kam auch mal Russisch dazu, gerne sprach man aber auch französisch und das ganze würzte man noch mit Latein. Mich hat das immer sehr beeindruckt. Ich dachte, Czernowitz, die Bukowina, meine Großeltern, das ist eine ganz andere, ein besondere Welt.

EM: Haben Sie diese Welt dann selbst auch kennengelernt?

Hantel: Ich habe erst alles gelesen, was ich darüber in Büchern erfahren konnte. Czernowitz war eine weltoffene Kulturmetropole aus wild zusammengewürfelten Nationalitäten und Religionen, ein scheinbar friedliches Miteinander. Dieses Czernowitzer Leben gibt es allerdings nicht mehr, zerstört durch Nationalismus und den Zweiten Weltkrieg mit all seinen grausamen Folgen. Aber der Mythos lebt in der Literatur und der Musik weiter. Aus dieser Quelle, die sehr stark mit meiner eigenen Familiengeschichte zu tun hat, schöpfe ich als Autor, als Künstler, als Musiker. Daraus entspringt die Idee des Bucovina Clubs.

EM: Waren Sie selbst schon mal in Ihrer musikalischen Urheimat?

Hantel: Ende der neunziger Jahre war ich als erstes Mitglied meiner Familie in der Bukowina. Vor dem Fall der Mauer war das ja kaum möglich gewesen. Inzwischen bin ich mehrmals in diese versunkene Landschaft gereist.

„Die Spurensuche war schmerzhaft – daraus entstand die Idee des Bucovina Clubs.“

  Czernowitz
  „Czernowitz, das waren Sonntage, die mit Schubert begannen und mit Pistolenduellen endeten. Czernowitz, auf halbem Weg gelegen zwischen Kiew und Bukarest, Krakau und Odessa, war die heimliche Hauptstadt Europas, in der die Metzgertöchter Koloratur sangen und die Fiaker über Karl Kraus stritten. Wo die Bürgersteige mit Rosensträußen gefegt wurden und es mehr Buchhandlungen gab als Bäckereien.

Czernowitz, das war ein immerwährender intellektueller Diskurs, der jeden Morgen eine neue ästhetische Theorie erfand, die am Abend schon wieder verworfen war. Wo die Hunde die Namen olympischer Götter trugen und die Hühner Hölderlin-Verse in den Boden kratzten. Czernowitz war ein Vergnügungsdampfer, der mit ukrainischer Mannschaft, deutschen Offizieren und jüdischen Passagieren unter österreichischer Flagge zwischen West und Ost kreuzte.“

Georg Heinzen, Literat, Drehbuchautor, Regisseur in „Verwehte Spuren – von Lemberg bis Czernowitz, ein Trümmerfeld der Erinnerungen“, hg. von Ernst Hofbauer.  Stefan Hantel alias Shantel hat damit den Text für das Beiheft (Booklet) seiner CD Bucovina Club Vol. 2. eröffnet.

EM: Bedeutet dieser Besuch  einen Wendepunkt in Ihrer künstlerischen Arbeit?

Hantel: Ja, durchaus. Diese erste Spurensuche war eher schmerzhaft. Ich habe zum Beispiel das Geburtshaus meiner Großeltern entdeckt. Hier war der Verlust der scheinbar sicheren Heimat wieder zu spüren und tiefe innere Zerrissenheit in meiner eigenen Familie. Ich kam sehr aufgewühlt wieder nach Deutschland zurück. Voller neuer Impulse und Eindrücke. Daraus entstand auch die Idee des Bucovina Clubs.

EM: Worum ging es Ihnen dabei?

Hantel: Mir ging es zunächst darum, von der historischen Bukowina zu erzählen, diese vergangene Kultur neu zu entdecken. Die Bukowina war eine magische Schnittstelle zwischen Orient und Okzident. Diese Magie möchte ich vielleicht mit den Mitteln der Musik wiederbeleben.

„Der Begriff Multikulti ist mir suspekt.“

EM: Ist das vergleichbar mit dem, was man heute Multikulti nennt?

Hantel: Nein, der Begriff Multikulti kommt eher aus der Politik und ist mir suspekt. Czernowitz, die Bukowina, das war eine lebendige Kultur, gespeist aus vielen Gegensätzen und Kulturen. Es war keine Folklore, sondern eine ganz eigenes Lebensgefühl. Alle Nationalitäten, egal ob Russen, Ukrainer, Rumänen, Deutsche, Polen oder Armenier waren am Ende stolze Bukowiner. Aus dieser Mischung hat man die einzelnen Zutaten immer herausgeschmeckt und herausgehört. Eine unnachahmliche Würze. Multikulti bedient eher das Klischee vom friedlichen Miteinander, ein vielleicht utopischer Wunsch in der heutigen Zeit.

EM: Warum die Schreibweise Bucovina – im Deutschen sagt und schreibt man  doch Bukowina für das alte Buchenland?

Hantel: Die Habsburger k. und k. Monarchie ist vergangen und mit ihr die alte Schreibweise. Ich bewege mich stärker im Bereich von Jugend- und Popkultur und da gilt eher ein internationaler Ansatz. Ich habe mich für die englische Schreibweise entschieden.

EM: Ist das, was Sie in Ihrem Bucovina Club veranstalten und aufführen, die Volksmusik der Bukowiner, die früher da gelebt haben?

Hantel: Nein. Der Bucovina Club repräsentiert nicht die Musik der geographischen Region Bukowina. Sicher gibt es den einen oder anderen musikalischen Einfluss. Ich habe den Begriff Bucovina Club gewählt, um deutlich zu machen, dass es mir um den besonderen Mythos geht.

Rumänische Zigeunerbands, sizilianische Beerdigungsorchester, mazedonische Hochzeitskapellen

EM: Was meinen Sie mit dem Mythos?

Hantel: Die Musik, die wir machen und die von den eingeladenen Orchestern gespielt wird, entspricht diesem weltoffenen Mythos. Im Bucovina Club kann eine rumänische Zigeunerband aus Bukarest auftreten, aber auch eine sizilianische Beerdigungsorchester oder eine Hochzeitskapelle aus Mazedonien. Es kann aber auch das Bucovina Club Orchester sein, das sich zusammensetzt aus Musikern, die in Österreich und in Deutschland leben.

EM: Waren Ihre Großeltern Musiker?

Hantel: Nein, die hatten mit Musik überhaupt nichts zu tun.

EM: Und Sie selbst, sind sie von Haus aus eigentlich Musiker gewesen?

Hantel: Ich habe Kunstgeschichte und Grafikdesign studiert. In meiner Familie wurde aber immer Musik gemacht. Mein Vater war zum Beispiel Schlagzeuger und Gitarrist und ist professionell aufgetreten. Ich selbst habe - um mein Studium damit zu finanzieren – ebenfalls angefangen, für ein Taschengeld Musik zu machen. Dabei bin ich dann sozusagen die Treppe hinaufgefallen und habe daraus meinen Beruf gemacht.

EM: Was spielen Sie für ein Instrument?

Hantel: Mein Instrument ist der Computer.

„Es tanzt der serbische Türsteher mit dem kroatischen Barkeeper.“

EM: Sie bezeichnen Ihren Club als virtuelle Bukowina – wie meinen Sie das?

Hantel: Ich meine damit, dass der Mythos auf einer neuen Ebene wiederbelebt wird, ein virtuelles Niemandsland voller Gegensätze. Beim Bucovina Club treffen Jugendliche aus ganz Europa zusammen. Deutsche, aber auch Migrantenkinder der zweiten Generation aus Rumänien, Ex-Jugoslawien, Griechenland, der Türkei und ganz Südosteuropa sind hier vertreten. Auch junge Menschen aus London, Paris und Barcelona. In diesen Stunden entsteht für alle eine virtuelle Heimat, in der die verschiedensten  Kulturen miteinander feiern, tanzen und trinken, solange der „Sound of Bucovina“ spielt. Es tanzt der serbische Türsteher mit dem kroatischen Barkeeper usw. Wenn die Lichter angehen, ist der Mythos Bukowina vorbei – bis zum nächsten Mal, bis wir wieder zusammenkommen. Es gibt keine geographische Region mehr, in der er wirklich zu Hause ist.

EM: Ein eurasisches Niemandsland, ein Mythos aus Orient und Okzident. Ihn haben Sie von Ihren Reisen in die Urheimat Ihrer Familie mitgebracht?

Hantel: Ja, mehr konnte ich nicht mitbringen. Nur die Inspiration, die ich gespürt habe, sichtbar zum Beispiel in der facettenreichen Architektur der Stadt Czernowitz. Die entfesselnde Dorfkapelle finden Sie dort leider nicht mehr.

„Es ist Liebe und große Leidenschaft.“

EM: Was haben Sie empfunden in Czernowitz – war es Liebe?

Hantel: Es ist Liebe und große Leidenschaft. Für mich das Wesentlichste, die wichtigste essence sozusagen meiner Arbeit. Deshalb mache ich diesen Torurnee-Wahnsinn überhaupt, die Arbeit im Studio. Mann muss schon leicht verrückt sein.

EM: Also haben Sie nicht nach einer Geschäftsidee gesucht, sondern nach Wurzeln gegraben?

Hantel: Das stimmt, das ist mir auch selbst immer bewusst. Früher, vor zehn, fünfzehn Jahren, war ich vor allem neugierig, was aus England und Amerika kommt. Ich war ehrgeizig, diesen Sound so vollkommen wie nur möglich zu verstehen. Aber eigentlich hatte das gar nichts mit mir selbst zu tun. Jetzt, mit dem Bucovina Club, bin ich wirklich in der Lage, eine persönliche Geschichte zu erzählen, etwas, das meine Identität mitbegründet.

„Bei uns gibt es nicht dieses upda, upda, upda, das charakteristisch ist für Techno.“

Bucovina-Chef Shantel singt auch persönlich  
Bucovina-Chef Shantel singt auch persönlich  

EM: Was unterscheidet die Bukovina-Musik von Technoklängen aus dem Computer?

Hantel: Der wichtigste Unterschied ist das Fehlen dieses geraden Vier-Viertel-Schlagzeugs, also des upda ,upda, upda, das charakteristisch ist für Techno. Der Sound des Bucovina Clubs ist ein Hybrid. Er ist nicht gleichförmig und digital am Reißbrett entworfen, sondern besteht aus ganz verschiedenen polyrhythmischen Strukturen und verschiedenen Harmonien. Unsere Musik geht zum Beispiel zurück auf die osmanische Besatzung in Südosteuropa, ornamentale Melodik und arabischen Klang. Die Trompeten waren sehr wichtig in der osmanischen Musik, damit wollte man die Gegner in Angst und Schrecken versetzen. Aber es gibt natürlich auch viele neue Pop-Einflüsse, wie überall in Ost und West.

EM: Als kürzlich im ZDF-Heute Journal über Sie berichtet wurde, hieß es in der Anmoderation, auf deutschen Tanzflächen sei Folklore wieder Kult. In Ihrem Bucovina Club könne man das erleben. Wie erklären Sie sich eine solche mediale Begeisterung für die von Ihnen gebotene Musik?

Hantel: Massenmedien vereinfachen meistens. Das lässt sich kaum vermeiden. Aber dass der Bucovina Club die Volksmusik salonfähig gemacht hätte? Von mir aus. Es geht um den Beweis, dass unsere Musik zeitgemäß und nicht hinterwäldlerisch ist und zumindest ebenbürtig zu dem, was wir täglich im Radio hören. Es ist sogar so, dass unsere Musik einiges frischer klingt als das, was permanent aus den Rundfunkgeräten quillt.

„Der Star ist das Publikum und dies prägt den Bucovina Club.“

EM: Mit welchen Kapellen bestreiten Sie ihre Club-Abende im Glashaus des Schauspiel Frankfurt?

Hantel: Das kann also die besagte Beerdigungskapelle aus Sizilien ebenso sein wie eine mazedonische Hochzeitsband oder eine Rockband aus der Republik Moldova. Ich kann auch unbekannte Gruppen einladen, wir brauchen keine Superstars. Die Band ist nur ein Aspekt des Abends. Der Star ist das Publikum und dies prägt den Bucovina Club. Die Menschen kommen, weil sie wissen, es wird ein Spektakel mit den verschiedensten Enthemmungsritualen, Tanz, Rhythmus, Lautstärke und Gesang. 

EM: Es wird also auch gesungen im Bucovina Club?

Hantel: O ja, es wird unglaublich viel gesungen im Club, von der herzzerreißenden Ballade bis zum Partyhit. Es wird von Sängern vorgetragen, aber auch vom Publikum, das mitsingt und schreit. Und es wird getanzt, vom türkischen oder orientalischen Bauchtanz bis zum serbischen Kolos. Die Mazedonier führen wundervolle Kreistänze auf, alles auf den Brettern des Schauspielhauses inmitten des Publikums.

EM: Sie haben auch ein paar Kritiker, die sich an der Mischung aus Balkanrhythmen und Elektropop in ihrem Bucovina Club stören. Bukowina Musik sei mal ganz ohne Strom erzeugt worden. Die elektrische Transformation hin zum Lärm mache sie kaputt,. hat Ihnen einer ins Stammbuch geschrieben. Haben solche Kritiker nicht recht – auf den Bauernhochzeiten in der Bukowina dürften wohl tatsächlich nur Musikkapellen ohne Verstärker aufgetreten sein?

Hantel: Warum sollen Musiker aus Osteuropa nicht genauso Synthesizer und Elektronik benutzen und ihre Musik so präsentieren wie wir aus dem Westen. Dass wir mit Verstärkern spielen, war von Anfang an so. Das ist auch richtig, weil uns sonst keiner hört. Die Kraft und die Energie sind schließlich wichtig und gegen Kritiker habe ich nichts. Ich weiß, dass wir polarisieren. Die einen lieben das Spektakel, die anderen laufen davon. Die Künstler der Liveband, ich als DJ und mein Mini-Studio, das ich auf der Bühne aufgebaut habe, wir spielen alle über eine große Verstärkeranlage. Nur wenn es einen Auftritt gibt, mitten im Publikum, dann läuft das ohne Verstärker ab. Bei solchen spontanen Einlagen ist das auch nicht nötig.

„Ich möchte den Sound maximieren und bediene mich dazu der modernsten technischen Mittel der Manipulation.“

EM: Was spielen Sie für ein Instrument dabei?

Hantel: Wenn ich mit meinem Orchester auf der Bühne stehe, spiele ich auf meiner Gitarre, und ich mische elektronische Elemente mit meinem Ministudio ein.

EM: Ich habe das folgende Zitat von Ihnen gefunden: „Wir pumpen das auf, um der Musik die Kraft zu geben, die ihr gebührt. Die Bläser müssen einfach messerscharf kommen. Wie beim aktuellen HipHop streben wir die maximale Steigerung des Sounds an, um die optimale Durchschlagskraft zu erzielen. Das muss im Autoradio so fett klingen wie ein Stück von 50 Cent“ – Ist das Ihre Philosophie?

Hantel: Das bezieht sich auf die Produktion im Studio. Natürlich möchte ich den Sound maximieren und bediene mich dazu der modernsten technischen Mittel der Manipulation.

EM: Was ist der Unterschied zwischen der Musik des Bucovina Clubs und dem Musikantenstadl?

Hantel: Der Musikantenstadl steht in der Tradition einer national-patriotischen, wertkonservativen, katholischen Moral. Daraus hat sich dieser riesige Volksmusikmarkt entwickelt. Das folgt einer simplen Logik. Die Melodien sind geprägt von einem volkstümlichen Sound-Klischee. Da wird auch nicht an technischen Mitteln gespart, damit das Ganze schön geschmeidig klingt. Im Gegenteil. dort wird mehr Technik eingesetzt als bei uns. Sie sorgt für Hall in der Stimme. Süße Streicher aus dem Synthesizer und die obligatorischen schnittigen Akkordeonlinien sind ein Muss.

„Im Musikantenstadl würde ich sofort auftreten.“

EM: Würden Sie dort auftreten, wenn Sie eingeladen würden?

Hantel: Ja, sofort. Ich fände das total spannend, mich mit dem Bucovina-Orchester in solche irrwitzigen Stromschnellen zu begeben. Das sähe ich als echte Herausforderung, weil ja das Prinzip des Bucovina Clubs völlig entgegengesetzt funktioniert. Wir sind eher ein Bastard, ein musikalischer Straßenköter, wenn man so will.

EM: Möchten Sie eigentlich mal am Eurovision Song Contest teilnehmen?

Hantel: Indirekt habe ich das schon. Die Band Zdob si Zdub aus der Republik Moldowa hat mich im letzten Jahr für ihren offiziellen Beitrag darum gebeten, das Stück zu überarbeiten. Das habe ich auch gemacht. Es hat ihnen gefallen, sie haben meinen Remix übernommen und auf diese Weise war ich am Song Contest schon einmal indirekt beteiligt.

EM: Sich als Bucovina Club selbst zu beteiligen - wäre das auch eine Möglichkeit?

Hantel: Wir singen zwar sehr viel, wie man auch auf unseren CDs hören kann. Aber da wir eine virtuelle Heimat verkörpern, können wir nicht für ein Land stehen. Es sei denn für die Vereinigten Staaten der virtuellen Bukowiner.

EM: Herr Hantel, haben Sie Dank für dieses ausführliche Gespräch.

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