„Es gibt auf dieser Erde nichts Schlimmeres als staatenlos und somit heimatlos zu sein.“PALÄSTINA-KONFLIKT

„Es gibt auf dieser Erde nichts Schlimmeres als staatenlos und somit heimatlos zu sein.“

„Es gibt auf dieser Erde nichts Schlimmeres als staatenlos und somit heimatlos zu sein.“

Seit Jahrzehnten wird der Nahe Osten von blutigen Auseinandersetzungen zwischen Juden und Palästinensern beherrscht. Täglich sterben Menschen. Das Eurasische Magazin fragte Abdallah Frangi welche Lösungsmöglichkeiten er fur diesen Konfliktherd sieht. Frangi wurde 1943 in Beersheba, Palästina, geboren und vertritt seit den sechziger Jahren palästinensische Interessen in Deutschland. Seit 1993 ist er Generaldelegierter Palästinas in Deutschland und seit 1998 Mitglied des Zentralrats der PLO.

Von Hartmut Wagner

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Abdallah Frangi 

Eurasisches Magazin: Herr Frangi, kann der Nahostkonflikt auf friedlichem Weg gelöst werden?

Abdallah Frangi : Eine Lösung kann nur dann herbeigeführt werden, wenn die offenen Fragen auf friedlichem, also politischem Weg gelöst werden. Der Friedensplan, die sogenannte Roadmap, muß neu belebt werden, durch gemeinsames Engagement und Initiative des Nahost-Quartetts (UNO,EU,Rußland,USA) und das Einbinden weiterer Partner, wie der Arabischen Liga. Die Lösung des Nahostkonfliktes ist unabdingbare Voraussetzung für eine politisch und wirtschaftlich konstante Entwicklung des Nahen Ostens.

EM:Was wäre aus Ihrer Sicht für beide Seiten der optimale Kompromiß, um den Nahostkonflikt beizulegen?

Frangi: Eine Zwei-Staaten-Lösung: Israel und Palästina.

Israelis und Palästinenser müssen kooperieren und die Zwei-Staaten-Lösung verwirklichen

EM: Was bedeutet das konkret?

Frangi: Auf den Gebieten, die 1967 von Israel besetzt worden sind, dem Westjordanland und dem Gazastreifen, muß ein eigenständiger, lebensfähiger Staat Palästina entstehen. Entscheidend für den jetzigen Zeitpunkt ist, daß Israelis und Palästinenser sich von der Konfrontation in Richtung Kooperation bewegen und das im Friedensplan formulierte Ziel, die Zwei-Staaten-Lösung, nicht aus den Augen verlieren.

EM: Wäre ein palästinensischer Staat mit zerrissenem Territorium (Westjordanland, Gazastreifen) und geteilter Hauptstadt (Ost-Jerusalem) überlebensfähig?

Frangi: Ein Staat Palästina wäre dann lebensfähig, wenn die Vereinbarungen mit Israel, die wir im Osloer Abkommen im Jahr 1993 geschlossen haben, auch umgesetzt würden. In den UN-Resolutionen 242 und 338 heißt es, das Westjordanland, der Gazastreifen sowie Ost-Jerusalem stellen eine geographische Einheit dar. Demzufolge wäre das Territorium Palästinas nicht zerrissen. Wenn dieser Staat Palästina ein Friedensabkommen mit Israel erreicht hat, kann er auch in guter Nachbarschaft mit Syrien, Jordanien, Ägypten und Libanon existieren.

Die Palästinenser haben den Vorteil, daß sie über sehr gute Beziehungen zu den meisten Staaten der Welt, ob in Afrika, Asien oder Lateinamerika verfügen. Diese Beziehungen werden den Palästinensern helfen, ihren Staat wirtschaftlich und politisch so weit zu bringen, daß er lebensfähig ist.

Der Abschluß der Friedensverhandlungen zöge gewiß auch einen wirtschaftlichen Aufschwung nach sich. Ähnlich wie nach dem Osloer Abkommen(1993), als die wirtschaftliche Zuwachsrate in den palästinensischen Gebieten auf 9,4 Prozent anstieg. Das nationale Pro-Kopf-Einkommen überstieg damals sogar das Einkommen in Jordanien.

Das Nahost-Quartett besteht nicht nur aus Scharon und Bush

EM: George W. Bush und Ariel Scharon verständigten sich jüngst auf den Erhalt von sechs jüdischen Siedlungen im Westjordanland. Ein unabhängiger Staat Palästina mit sechs jüdischen Enklaven – könnte dies eine mögliche Lösung des Nahostkonflikts sein?

Frangi: Zum Nahost-Quartett gehören vier Partner! Über die Köpfe der Palästinenser hinweg dürfen weder Verhandlungen geführt noch Entscheidungen gefällt werden. Was Präsident Bush und Ministerpräsident Scharon beschließen, ist nicht verbindlich für uns. Nur durch Verhandlungen und unter Einbeziehung beider Parteien, Israelis und Palästinenser, ist eine Lösung des Nahostkonfliktes denkbar. Nach wie vor stehen ungelöste Fragen im Raum, wie der künftige Grenzverlauf beider Staaten, die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge, die jüdischen Siedlungen, der Trinkwasserzugang und der Status von Jerusalem.

Inzwischen wurde die Kursänderung der US-Nahostpolitik sogar durch UN-Generalsekretär Annan, die Europäische Union sowie die meisten Politiker der Welt als illegal verurteilt und abgelehnt. Neben anderen EU-Staaten hat auch Deutschland seinen Standpunkt deutlich formuliert: Außenminister Fischer wie auch Bundeskanzler Schröder haben sich gegen die Pläne Präsident Bushs ausgesprochen und sich eindeutig für die Umsetzung des Friedensfahrplans stark gemacht.

„Die USA agieren mittlerweile wie früher die Kolonialstaaten“

EM: Warum ist Amerika der Verbündete Israels und nicht der Palästinenser oder der Arabischen Liga?

Frangi: Die USA agieren mittlerweile wie früher die Kolonialstaaten. Sie folgen bei ihrem Handeln ausschließlich ihren eigenen Interessen. Als strategischer Partner dient ihnen hierbei Israel. Aus diesem Grund werden die Vereinigten Staaten in der arabischen Welt mit Mißtrauen betrachtet.

EM: Würde ein eigener palästinensischer Staat das Lebensrecht Israels garantieren?

Frangi: Eine Garantie braucht heute ein palästinensischer Staat – und nicht umgekehrt. Der Staat Israel wurde bereits 1993 vonder PLO anerkannt. Frieden erfordert für beide Seiten: Gleichberechtigung und gegenseitige Anerkennung beider unabhängiger Staaten.

„Zukünftig wird ein stärkeres Engagement der Europäischen Union in der Region notwendig.“

EM: Wer kommt nach der Verbrüderung von Bush und Scharon noch als internationaler Vermittler im Nahostkonflikt in Frage?

Frangi: Zukünftig wird ein stärkeres Engagement der Europäischen Union in der Region notwendig.

EM: Etwa vier Millionen Menschen sind heute von den Vereinten Nationen als Palästinaflüchtlinge registriert. Ist diese Zahl Ihrer Ansicht nach korrekt und wie könnte das Flüchtlingsproblem gelöst werden?

Frangi: Die Zahl der Flüchtlinge ist richtig. Die Flüchtlingsfrage kann nur gelöst werden, wenn die israelische Regierung eine politische und ethische Wiedergutmachung gegenüber diesen Menschen in die Wege leitet. Von der israelischen Regierung wird das Problem der Flüchtlinge meist einfach ignoriert. Trotzdem existiert es natürlich weiterhin!

EM: Was ist das größte Problem, mit dem die staatenlosen Palästinenser zu kämpfen haben?

Frangi: Es gibt auf dieser Erde nichts Schlimmeres als staatenlos und somit heimatlos zu sein. Und wir Palästinenser sind seit 1948 nicht nur unserer Heimat beraubt, sondern müssen zudem unter unmenschlichen Bedingungen leben. Zur Heimat kann den Palästinensern nur ein eigenständiger Staat Palästina werden.

„Die Berichterstattung über den Nahostkonflikt ist stark einseitig ausgerichtet.“

EM: Wie beurteilen Sie die deutsche und europäische Medien-Berichterstattung über den Nahostkonflikt?

Frangi: Was den Nahostkonflikt betrifft, ist die europäische, einschließlich der deutschen Medienberichterstattung, stark einseitig ausgerichtet. Man stützt sich in Berichten und Argumentationen hauptsächlich auf israelische Aussagen. Dadurch entsteht eine Sicht durch eine israelische Brille. Was die Präsenz in den Medien betrifft, müssen Palästinenser und Araber viel nachholen. Die Frage nach einer neuen Gestaltung der Medienarbeit in der arabischen Welt muß unbedingt diskutiert werden.

EM: Jüdische Interessensvertreter wie Ignatz Bubis, Paul Spiegel oder Michel Friedman sind jedem Deutschen ein Begriff. Eine derart prominente Galionsfigur fehlt den Palästinensern in Deutschland. Warum?

Frangi: Alle von Ihnen benannten Personen sind Deutsche jüdischen Glaubens. Aufgrund der deutschen Geschichte wird jüdischen Menschen in der deutschen Öffentlichkeit nicht nur erhöhte Aufmerksamkeitgewidmet, sondern man schenkt ihnen Gehör. Dadurch sind diese Menschen präsenter und können sich effektiv für die Interessen und Belange Israels in Deutschland einsetzen. Den Palästinensern fehlt hierzulande eine Lobby. Sie können aber versichert sein, daß wir auch daran arbeiten.

EM: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Arabien Interview Orient

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