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BALKAN
Von Wolf Oschlies | 02.06.2017
Das EM hat in seiner letzten Ausgabe eine faktenreiche Reportage über den „unsterblichen Tito“ veröffentlicht – Momentaufnahmen der unendlichen Geschichte von Titos Nachruhm, der in ganz Ex-Jugoslawien strahlt. So etwas mit aufmerksam-amüsiertem Reporterblick einzufangen, ist verdienstvoll und angemessen. Aber es ist nur ein Teil des Phänomens Tito, das tiefer geht. Was da in Montenegro und anderswo abläuft, ist ja nicht nur ein (jugo)nostalgisches Spielchen mit alten Symbolen, Liedern, Sprachkonventionen – es ist ein seit nunmehr 17 Jahren andauerndes Referendum, das Tito immer souveräner gewinnt.
Das gilt sogar bei den erfolgsverwöhnten Slowenen. Sie haben bis vor wenigen Jahren in Umfragen zu über 80 Prozent bekundet, ihr Leben in Tito-Jugoslawien seit „(sehr) gut“ gewesen und sie hätten „(sehr) gute“ Erinnerungen an jene Zeit. Damit haben die post-jugoslawischen Politiker eine heimliche, aber immer präsente „Messlatte“ ihres Wirkens und ihrer Erfolge im Rücken, mit der sie leben müssen, es zu großen Teilen aber nur mit Schwierigkeiten können.
Wenn sie es nicht können, bleibt ihnen nur die Verteufelung Titos in jeder Hinsicht. Wer sich einen Mantel anziehen möchte, der ihm um etliche Nummern zu groß ist, muss sich gewaltig aufblähen, um hinein zu passen. Das erklärt dann auch den kindischen Mummenschanz der Kriegsverbrecher-Präsidenten Tudjman (Kroatien) und Milošević (Serbien), die Tito in allem zu imitieren trachteten – weiße Uniformen, Orden, Luxuswagen, Ferieninsel, Kuba-Zigarren, US-Whisky etc. -, damit aber nur die eigene Lächerlichkeit demonstrierten.
Tudjman und Milošević sind tot, lebendig sind die kleinen Quakfrösche mit ihren misstönenden Litaneien. In Serbien wurde im August 2003 das Buch „Tito – Der Hochstapler“ veröffentlicht, das ein serbischer Provinzrichter verfasst hatte. In diesem „beweist“ der Autor, dass 1. Tito nicht Tito war, sondern ein Halbbruder von ihm, dass 2. Tito eingangs des Ersten Weltkriegs an einer Habsburgischen Spionageschule ausgebildet wurde und dass 3. einer seiner Schulkameraden Adolf Hitler war.
Bekanntlich hat Hitler bereits 1913 Österreich verlassen und den Krieg in der bayerischen Armee verbracht. Aber solche geschichtsnotorischen Tatsachen interessieren balkanische Märchentanten nicht. Für sie war „der sogenannte Tito“ ein k.u.k.-Spion, ein Freimaurer, ein Geheimagent des Vatikans etc.
In Serbien wurde das Buch „Hochstapler“ als Schmutz und Schund verboten, worauf 2004 in Kroatien eine neue Ausgabe erschien. Natürlich haben kroatische Chauvinisten das Machwerk begeistert begrüßt, aber das hat wenig zu sagen: Auch in Kroatien wie überall in Ex-Jugoslawien erreicht die Tito-Nostalgie Jahr für Jahr neue Höchstmarken. Auch wenn die Werte in Kroatien bescheidener ausfallen.
Vom nicht-jugoslawischen Ausland gar nicht zu reden! Ende Juni 2007 endete in Hamburg die Ära von Gordana Vnuk. Die Kroatin hatte sechs Jahre lang das alternative „Kampnagel-Theater“ geleitet und ihren Abschied mit der zweistündigen Revue „Tito, gewisse Diagramme der Sehnsucht“ begangen, eingebettet in ein mehrtägiges Festival „TITO – Der dritte Weg“ und inszeniert als Sample von Tito-Darstellungen, mit denen Frau Vnuk zuvor schon in der halben Welt gastiert hatte. Dass die furiose Show zeitgleich zum EU-Gipfel lief, war ein wohlüberlegter Regieeinfall, der die allgemeine Begeisterung nur steigerte.
„titoville-com“ – Zufall oder Absicht, dass die Adresse von „Tito’s Home Page“ wie ein verschämter Willkommensgruß an den toten Marschall anmutet? Jedenfalls klingt, was der junge slowenische Musiker Matjaž Srebotnjak da 1993 ins Internet stellte, wie eine Realitätsbeschreibung: Josip Broz, genannt Tito – geboren am 7. Mai 1892 in dem kroatischen Weindorf Kumrovec, gestorben 4. Mai 1980 im Militärkrankenhaus von Ljubljana – lebt! Er lebt auf (mindestens) 14 Schildern von Straßen, Brücken, Schulen in der makedonischen Hauptstadt Skopje. Er lebt in immer neuen Umfragen, die in allen ex-jugoslawischen Nachfolgestaaten wachsende Sympathiewerte ausweisen. Er lebt in Filmdrehbüchern, auf Bühnen, in Radioprogrammen, Büchern, Liedern, Witzen (da besonders) – in der Erinnerung jener Ungezählten, die das heutige zerfallene, ökonomisch darbende Ex-Jugoslawien mit dem Tito-Jugoslawien vergleichen, das von Ost und West umworben und mit Krediten verwöhnt wurde. Dass auf Titos Jugoslawien Oswald Spenglers böses Diktum über das Zwischenkriegs-Deutschland passte, „Bewegung der Arbeitslosen unter Führung der Arbeitsscheuen“ – wer will das heute noch wissen?
Auf keinem Belgrader Stadtplan ist Kuca Cveca verzeichnet, das „Blumenhaus“. Es wurde 1974 als eine Mischung aus Tropengarten und exklusivem Debattierclub erbaut. Am 8. Mai 1980 wurde Tito hier bestattet. Er erhielt das „großartigste Begräbnis der bisherigen Menschheitsgeschichte“, wie der Belgrader „Danas“ pünktlich zum 25. Todestag meinte: Spitzenpolitiker aus 127 Staaten gaben ihm das letzte Geleit, unter ihnen vier Könige, 31 Staatspräsidenten, 22 Premiers, 47 Außenminister etc., dazu Prominente, deren Namen längst im Pantheon der Weltpolitik stehen – Indira Ghandi, Margaret Thatcher, Willy Brandt, Prinz Philipp, Bruno Kreisky und zahllose mehr. Gespräche, Kontakte, Vereinbarungen – das „Blumenhaus“ war kurzzeitig Nabel der Welt und Brücke zwischen den Blöcken.
Danach wurde es ruhiger und die ganzen 1990-er Jahre über verödete Titos Grabmal – keine Ehrenwache, wenige Besucher, etwa Titos Witwe Jovanka, die an jedem 4. Mai mit Blumen kam, Graswuchs zwischen den Marmorplatten. Draußen zerfiel Jugoslawien, aber in allen Nachfolgestaaten wurden die schönsten Hommages für Tito inszeniert. In Serbien landete Goran Marković 1992 mit „Tito und ich“ einen bis heute anhaltenden Filmhit: Der kleine Zoran, hinreißend gespielt von Dimitrije Vojnov, gewinnt 1954 einen Wettbewerb um das schönste Tito-Gedicht. Er darf an einem Marsch in „Titos Heimat“ teilnehmen, wird von einem stets auf weißem Schimmel heranreitenden Tito aus den verrücktesten Kalamitäten gerettet und gesteht am Schluß: „Tito, ich habe Papa und Mama lieber als dich, auch den Genossen Johnny Weißmüller in der Rolle des Tarzan“.
1994 drehte Želimir Žilnik (der im Juni 2007 auch bei dem Hamburger Tito-Festival zugegen war) seine witzige Montage: „Tito abermals unter den Serben“. Und 1999 zog der kroatische Kinoveteran Vinko Brešan mit dem Film „Marschall“ (nicht „Marschall Titos Geist“) nach: Ein Gruppe ideologischer Hardliner inszeniert auf einer Adria-Insel einen Steinzeit-Kommunismus. Angeführt wird sie von einem Mann in Marschalluniform und mit tönenden Reden, der sich am Ende als ein aus der Irrenanstalt geflohener Patient entpuppt. In Slowenien hatte zuvor der Schauspieler Ivan Godnić einen jahrelangen Erfolg mit seiner Livesendung „Kličemo duhove“ (Geisteranrufung), die über Radio Kranj lief: Hörer stellten auf slowenisch Fragen, die Godnić beantwortete – in Titos kroatischem Dialekt, mit dessen wunderbar imitierter Stimme und in jener legendären Drastik, zu der „Stari“ (der Alte) immer fähig war: „Du Rindvieh! Für dich habe ich im Knast gehangen, während du deine Alte gebumst hast!“ Die Techniker im Studio lachten sich scheckig, die Hörer vergaßen, dass Tito schon zwölf oder mehr Jahre tot war und fielen ins Serbokroatische: „Tito vrati se, odmah, prvim autobusom“ (Tito, komm sofort zurück, mit dem ersten Autobus).
Als in Bosnien der Krieg am schlimmsten tobte, kam Václav Havel nach Sarajevo. „Es war, als ob Tito gekommen wäre“, erinnerten sich noch Jahre später die Menschen, die ohnehin „Ti si Tito“ (du bist Tito) als größtes Kompliment vergaben. Kumrovec, Titos kroatischer Geburtsort, wurde zum weltlichen Wallfahrtsort, die hier und da im Lande stehenden Tito-Büsten von Meštrović, Augustinčić und anderen großen Bildhauern waren Kultstätten. Bis dann die Monumente von kroatischen Chauvinisten gesprengt wurden. Je mehr die neuen Herren, der Kroate Tudjman, der Serbe Milošević und weitere, sich in weißen Uniformen und in Tito-Rhetorik spreizten, desto mehr gingen sie den Menschen als schlechte Tito-Karikaturen auf die Nerven.
Die zuverlässige Verräterin Demoskopie hat es dokumentiert: 33 Prozent der Serben und fast 39 der Montenegriner nannten Tito in Umfragen 1998 den „größten Jugoslawen des 20. Jahrhunderts“. Noch Ende 2003 kürten ihn die Kroaten zur „größten Persönlichkeit der kroatischen Geschichte“. Gar nicht zu reden von den zahllosen Graffitis („Tito komm zurück, alles vergeben!“), die „Tito“-Inschriften, die aus Steinen auf Berghänge gelegt waren, die Tito-Bilder in Werkstätten, die Tito-Lieder von Lepa Brena oder Danilo Živković, die heute noch jeder auswendig kann. Tito war tot, aber als transnationale Identifikationsfigur erschien er lebendiger als zu Lebzeiten. „Titos einziger Fehler war, überhaupt zu sterben“, seufzte vor zehn Jahren die Belgrader „Vreme“.
Horst Grabert, Ende der 1970-er Jahre deutscher Botschafter in Jugoslawien, hatte einen sehr vertrauensvollen Dauerkontakt zu Tito und konnte noch Jahrzehnte später die schönsten Tito-Geschichten erzählen. Daraus wurde klar, warum alle die Unrecht haben, die Tito später als Diktator, Kriegsverbrecher etc. hinstellten. Das war Tito nie, denn das hatte er nie nötig.
Oftmals habe ich mir den „Spaß“ gemacht, spätere Tito-Kritiker zu fragen, was sie am 4. Mai 1980, dem Todestag Titos, getan haben. Wenn sie ehrlich waren, sagten sie „Ich habe geweint“ – und wenn sie etwas anderes sagten, dann logen sie oder waren nationalistische Polit-Emigranten, die sich mit aller Berechtigung nichts in Titos Jugoslawien getraut hatten.
Auch bei Stalins Tod im März 1953 haben Millionen Menschen geweint, aber dennoch kann man Stalin und Tito nicht vergleichen. Dass die beiden einander spinnefeind waren, wussten wir ab dem ersten Tag des Tito-Stalin-Konflikts, der in den Jahren 1947 bis 1955 Jugoslawien einer dauernden Bedrohung seitens Stalins und seiner Satelliten aussetzte. Wie das Land darauf reagierte und am Ende die Sowjets förmlich zu Kreuze kriechen ließ, darauf ist man in Ex-Jugoslawien noch immer stolz, wie nicht zuletzt das Slowenische Fernsehen vor einigen Jahren in einer mehrteiligen TV-Dokumentation nachzeichnete. Davor gab es die Bücher von Milovan Djilas („Gespräche mit Stalin“), Vladimir Dedijer („Stalins verlorene Schlacht“) und viele andere, die erhellende Details ausbreiteten. Stalin war den Menschen gottgleich entrückt, Tito stand den Menschen nahe und wusste sie zu begeistern. Im Grunde war er ein schlechter Redner, der über jedes Fremdwort unweigerlich stolperte, aber er konnte hinreißende Statements äußern, wenn er einfach so redete, wie ihm sein kroatischer Bauernschnabel gewachsen war. Dann kamen Dinger heraus, die binnen Stunden im ganzen Land herum waren – sein berühmter Versprecher in der montenegrinischen Hauptstadt: „Podgorica, ich kenne Podgorica noch aus Vorkriegszeiten – äh, oder Titograd, wie es jetzt heißt“.
Oder seine legendäre Neujahrsrede, die er mit einem geknurrten „I ne svadjajte više“ (Und streitet euch nicht mehr) beendete. Beim makedonischen Radio hat man mir einmal ein Band vorgespielt: Tito irgendwo in der tiefsten Provinz, wird von einem Bürgermeister ehrfurchtsvoll begrüßt, „fühlen Sie sich bei uns wie zu Hause“ etc. Darauf Zwischenruf Tito: „Bist du verrückt! Wir waren zu Hause 15 Kinder, da war immer Chaos, ich will mich gar nicht wie zu Hause fühlen!“ Das Band wurde nie verwendet, aber sein Inhalt war in ganz Jugoslawien bekannt.
Oder das sagenhafte Buch „The private life of President Tito“, das Bilder enthielt, wie sie kein anderer Politiker jemals zur Veröffentlichung freigegeben hätte. Zum Beispiel jenes auf dem Tito wie einer gespannt lauschenden Gina Lollobrigida die einzelnen Orden auf seiner Marschalluniform erläuterte. Tereza Kesovija, weltbekannte Chansonette aus dem kroatischen Konavlja, erzählte mir einmal, sie sei „Titos Lieblingssängerin“ gewesen, habe oft auf seinem Schoß gesessen und ihm ins Ohr gesungen – zum giftigsten Ärger von Ehefrau Jovanka. Und ähnliche Stories mehr, von denen jeder ältere „Jugoslawe“ viele „drauf“ hat.
Um 1996 war ich Wahlbeobachter im kroatischen Ost-Slawonien und wohnte einer sozialdemokratischen Wahlversammlung bei, bei der ein Redner ins Schwärmen geriet: „Wisst ihr noch, Leute, wie gut wir im alten Jugoslawien gelebt haben – und wie wenig wir gearbeitet haben?“ Daran denke ich immer, wenn ich bei mir oder anderen die „Jugonostalgie“ hochkommen spüre: Tito war ein Faulpelz, seine Führungsclique hatte zumeist die Arbeit auch nicht erfunden, in ganz Jugoslawien hat sich kaum einer totgearbeitet. Der geniale Giftzahn Dušan Radović, „Designer des Belgrader Geistes“, hat in seiner allmorgendlichen Aphorismenlesung „Beograde, dobro jutro“ (Guten Morgen, Belgrad) oft genug gegen die allgemeine Arbeitsunlust gewettert, aber auch um deren Ursache gewusst: Das (westliche wie östliche) Ausland hat Jugoslawien mit Krediten überschwemmt – deren Rückzahlung aber erst nach Titos Tod gefordert, womit der Anfang vom Ende gekommen war.
Daran denken alle die nicht mehr, die heute in Umfragen und Festivals so begeistert für Tito stimmen. Selbst im Kosovo erinnern sich Albaner, dass sie unter Tito alles hatten, was ihnen heute fehlt: Autonomie, weltweite Bewegungsfreiheit, soziale Sicherheit, „ein gutes Leben“. In Slowenien, Kroatien und Makedonien haben junge Menschen zahlreiche „Tito-Gesellschaften“ und „Tito-Clubs“ gegründet. Und im serbischen Belgrad ist das „Blumenhaus“ – 1999 durch eine NATO-Bombe leicht beschädigt – nach Milosevics Sturz im Oktober 2000 zu neuem Leben erwacht: Der Marmor ist gewienert, die langen Glashallen funkeln, die Ehrenwache steht in blauer Paradeuniform. Und die Besucher strömen wie nie zuvor: Anfänglich kamen 10.000, dann 12.000. 2004 waren es 15.000 und 2005 noch mehr Besucher pro Jahr. Die meisten natürlich zu Titos Todestag am 4. Mai, zu dem 2006 ein Rekordbesuch einsetzte.
Tito hat (mindestens) vier große Verdienste erreicht: Unter seiner Führung war Jugoslawien das einzige Land Europas, das sich im Zweiten Weltkrieg aus eigener Kraft und ohne die geringste Hilfe aus dem Ausland selber befreite. Tito hat das vordem unterentwickelte Jugoslawien zu einem modernen Industriestaat gemacht, der weltweites Ansehen genoss. Er hat bis dato unterdrückten Völkern wie den Makedonen die erste Chance ihrer Geschichte zu kultureller und politischen Handlungskompetenz in nationaler Verantwortung gegeben. Und er hat schließlich sein Land – das sich „sozialistisch“ nannte, tatsächlich aber der treueste Partner des Westens war und vom Marschall-Plan mehr als jedes westeuropäische Land profitierte – zur Brücke und zum „Scharnier“ zwischen den Blöcken gemacht.
Als erstes zerfiel Jugoslawiens Scharnier-Funktion, nachdem in der Sowjetunion der Kommunismus gestürzt worden war. Dann zerbrach die Sowjetunion. In einem blutigen Bürgerkrieg ging Jugoslawien unter. Die neuen Herren der Nachfolgestaaten mussten sich an Tito messen lassen, was für viele ein hoffnungsloses Unterfangen war. Also musste ihnen daran gelegen sein, Titos unbestreitbare historische Verdienste in den Schmutz zu ziehen. Besonders eifrig war dabei Tudmans Kroatien, in welchem die schlimmsten Polit-Emigranten – die z.B. in Westeuropa alljährliche zu Titos Geburtstag ein Schwein mit der Aufschrift „Tito“ durch die Straßen getrieben hatten – nach ihrer Rückkehr höchste Regierungsämter bekamen.
Diese Herren hatten viele mediale Helfer – die alle von dem Serben Miroslav Todorović überboten wurden. Der wurde 1941 im serbischen Kruševac geboren, studierte in Belgrad Jura, versuchte sich erfolglos als Staatsfunktionär und betätigte sich danach als Advokat. Beispielsweise hat er 2004 einen der Mörder des serbischen Premiers Zoran Djindjić verteidigt, wobei sich seine Prozessstrategie im wesentlichen darauf beschränkte, die Verhandlung durch allerlei Tricks und Ausflüchte in die Länge zu ziehen. Schon früh hatte Todorović sein „Talent“ für die Literatur entdeckt und sich durch einige Pseudo-Dokumentationen über Prozesse aus der Tito-Zeit hervorgetan. Mit realen Geschehnissen hatten die Bücher wenig zu tun – diesem Autor ging es nur um Geld und Aufsehen, was er notfalls auch durch erfundene Attentate auf sich zu erregen suchte.
Wie schon eingangs erwähnt, hat Todorović 2003 erfolglos versucht, in Serbien mit seinem 350-Seiten-Wälzer „Tito – Der Hochstapler“ zu landen. Serbien ist keine Diktatur mehr, in welcher unliebsame Bücher verboten und unbequeme Autoren verfolgt werden. Dass Todorovićs „Hochstapler“ dennoch nicht in die Buchläden gelangte, lag daran, dass es in Serbien – wie auch in Deutschland und anderswo – Behörden gibt, die das Publikum vor übelstem Schmutz und Schund schützen.
Was in Serbien Schmutz und Schund ist, hat in Kroatien beste Erfolgsaussichten. 2004 brachte der Verlag „Dunja“ in Bjelovar Todorovićs Machwerk heraus – in die „kroatische Sprache“ übersetzt von Željko Orsag. Todorović behauptet, er habe sein Buch auf der Basis eingehender Recherchen und mühevoller Archivarbeit verfasst, nennt aber keine einzige Quelle, fügt kein Literaturverzeichnis an und hat auch keine „Rezensenten“ aufzuweisen, wie in allen ex-jugoslawischen Ländern die Experten heißen, die jedes Buch vor der Drucklegung prüfen, um den Verlag vor Plagiaten oder sonstigem Unrat zu schützen. So kam das kroatische Lesepublikum in den Genuss eines „Werks“, das seriösen Kritikern als die Ausgeburt einer kranken Phantasie erschien – sofern sie den Verfasser nicht gleich als kompletten Wirrkopf ansahen.
Diesen Eindruck muss man bekommen, wenn man bei Todorović liest, dass Titos Mutter Marija ihn am 7. Mai 1892 in dem kroatischen Weindorf Kumrovec geboren hat, dass sein Vater, Marijas Ehemann, Franc Broz war. Bereits am 16. Juni 1892, also 40 Tage später, brachte dieselbe Marija Broz in Wien einen zweiten Sohn zur Welt. Diesen hatte „der Jude Samuel Meier“ gezeugt, bei dem sie als Dienstmädchen beschäftigt war. Titos Halbbruder bekam den Namen Josip Ambroz.
Aber das ist erst der Anfang. Laut Todorović wurde Tito 1913 an eine Spionageschule geholt, „die Kaiser Franz Joseph persönlich gegründet hatte“, wo er gemeinsam mit Adolf Hitler ausgebildet wurde. („Beide waren in derselben Einheit“). 1914 traf Tito mit seinem Halbbruder in der 42. Varaždien-Division zusammen, bei deren Kämpfen er fiel. Der Halbbruder Franc kam in russische Gefangenschaft, wurde von den Bolschewiken angeworben und nahm nach dem Krieg Titos Identität an.
Josip Broz hat sich erst ab 1934 Tito genannt, und Todorović hat keine Erklärung angeboten, warum es diesen seltsamen Identitätswechsel zwischen den angeblichen Halbbrüdern gegeben haben soll. Das ist auch nicht weiter wichtig, denn auf über 300 Seiten wird Tito als Agent der Komintern, des britischen Geheimdienstes, des Vatikans, der deutschen „Abwehr“, des israelischen Mosad etc. vorgeführt. Dazu als Freimaurer, „von Winston Churchill während des Ersten Weltkriegs in Paris persönlich in eine Loge eingeführt“, „Berufskiller“ im Auftrag russischer Kommunisten, Mitverantwortlicher des Attentats auf König Aleksandar 1934, Auslöser des jugoslawischen Partisanenkriegs „mit dem einzigen Ziel möglichst viele Serben zu töten“. Und dies deshalb, weil er nämlich seit frühester Jugend heimlicher Gefolgsmann von Ante Starčević war, des „Vaters“ des kroatischen Faschismus, gleichzeitig aber auch bei den bosnischen Franziskanern aus- und einging etc.
Tito war gar nicht Tito, sondern ein von den Sowjets untergeschobener Doppelgänger – diese Legende war im alten Jugoslawien so verbreitet, dass der slowenische Autor Tone Partljić sie in den frühen 1980-er Jahren in seiner Komödie „Mein Vater, der sozialistische Großbauer“ verwendete. Ich habe das Stück 1985 in Novi Sad gesehen, mich darüber kringelig gelacht und bin in der Pause hinter die Kulissen gestürmt, um dem Regisseur ein Exemplar des gesamten Textes, der als Buch noch nicht vorlag, abzuschwatzen. Von diesem Erfolgsstück muss auch Todorović inspiriert worden sein – wenn ihm hier nicht ein paar Zyniker aus Ljubljana und Belgrad etwas untergeschoben haben, um die Kroaten nach Kräften zu blamieren. Oder etwas ganz anderes, was alles keine Rolle spielt: Das Buch von Todorović ist ein so hanebüchener Unsinn, dass es mit Sicherheit keinen Einfluss auf den Nachruhm Titos haben wird.
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Postskriptum:
Aus Bosnien kommt der neueste Tito-Witz, im Originalton nicht gerade jugendfrei, aber in abgemilderter Übersetzung zum Thema passend: Die Schüler sollen einen Aufsatz schreiben „Vierzig Jahre Dunkelheit unter Tito“. Der kleine Perica ist nach drei Minuten fertig und geht. Verwundert liest die Lehrerin sein Werk, das nur einen Satz enthält: „Der Teufel hole den, der das Licht angeknipst hat…!“
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