„Irak – Geschichte eines modernen Krieges“ herausgegeben von Stefan Aust und Cordt SchnibbenGELESEN

„Irak – Geschichte eines modernen Krieges“ herausgegeben von Stefan Aust und Cordt Schnibben

Eine Gruppe renommierter „Spiegel“-Redakteure hat sich daran gemacht, die Geschichte des Irak-Krieges aufzuschreiben. Leider verstellt ihre Vorliebe für Einzelschicksale und Ausnahmesituationen den Blick auf den Irak-Krieg als Ganzes.

Von Friedrich Mannstein

„Irak – Geschichte eines modernen Krieges“ herausgegeben von Stefan Aust und Cordt Schnibben  
„Irak – Geschichte eines modernen Krieges“ herausgegeben von Stefan Aust und Cordt Schnibben  

I rak – Geschichte eines modernen Krieges“ ist eine Chronik der ersten 20 Tage des US-Feldzuges im Zweistromland (20. März – 9. April 2003): Am Anfang steht der mißlungene Raketenangriff („Enthauptungsschlag“) auf den vermeintlichen Unterschlupf Saddam Husseins in Bagdad. Am Ende rollt ein US-Panzer auf den Firdaus-Platz in der Bagdader Innenstadt und stürzt die Saddam-Statue vom Sockel – direkt vor dem Hotel „Palestine“, in dem Dutzende ausländische Journalisten abgestiegen sind.

Herausgeber Cordt Schnibben kündigt in seinem Vorwort an, auf den folgenden über 500 Seiten würden die Lehren aus dem Irak-Krieg gezogen. Doch das Buch ist eine Sammlung beschreibender Reportagen, keine politische Analyse des Irak-Krieges. Lehren werden keine gezogen. So gesehen ist das 21köpfige „Spiegel“-Team gründlich gescheitert. Immerhin: Das Buch schafft es, die grausame Vergangenheit des Krieges packend wie einen Kriminalroman zu erzählen, ohne dabei in den Stil einer platten Reality-Doku abzugleiten. Das gelingt vor allem durch den ständigen Wechsel der handelnden Figuren. Im Mittelpunkt der kurzen Texte steht mal ein Soldat der US-Marines, mal ein irakischer General. Mal Saddams Sohn Udai Hussein, mal der später getötete Focus-Reporter Christian Liebig. Mal eine Bürgerwehr-Gruppe in Bagdad, mal ein Arzt in der Notaufnahme eines Krankenhauses. Durch diese Erzählweise wird das Abstraktum „Krieg“ individualisiert. Die Autoren machen den Krieg zu dem, was er tatsächlich ist: ein mörderisches Aufeinanderdreschen konkreter Menschen an einem konkreten Ort, zu einer konkreten Zeit. Der Krieg ist hier kein Politikum, sondern eine menschliche Tragödie: „Von diesem Krieg weiß ich nur eines – daß meine Tochter nicht mehr lebt“, klagt die 43jährige Thulamija Sultan nach dem Angriff eines US-Bombers auf ein Restaurant in Bagdad.

Im Grunde handelt es sich um ein Anti-Kriegsbuch. Ein Buch, das versucht, Brachialgewalt und Ungerechtigkeit des Krieges durch das Schildern von Einzelschicksalen zu verurteilen: Ein Mann aus Bagdad, der im Schutt eines Bombenkraters drei Tage nach seiner Frau Iman sucht, ihre verkohlte Leiche findet und sie völlig außer sich vor Trauer ins Krankenhaus schleppt. Ein US-Offizier, der durch „freundliches Feuer“ aus dem Lauf eines Sturmgewehrs seiner Untergebenen in den Tod gerissen wird. Eine irakische Familie, deren Wagenkolonne die US-Armee mit Kugeln durchsiebt – ohne ersichtlichen Grund.

„Dieser Krieg wird die Welt verändern.“

So erschütternd diese einzelnen Schicksalsschläge sind, sie tragen nicht dazu bei, das große Ganze, den Irak-Krieg zu verstehen. So gibt das Buch keine Antwort auf die beiden zentralen Fragen: Warum wurde der Krieg geführt? Wie kann der Frieden in den Irak zurückkehren?. Es wird noch nicht einmal der Versuch einer Antwort unternommen. Lediglich im kurzen Vorwort macht sich Herausgeber Cordt Schnibben die Mühe, den US-Feldzug in seiner Gesamtheit zu beurteilen. Seine zentrale Aussage: Der Irak-Krieg bildet eine Zäsur in der Geschichte der internationalen Politik. „Dieser Krieg wird die Welt verändern.“ Denn er beweise, „daß der Krieg am Anfang des 21. Jahrhunderts militärisch ein relativ risikoloses Mittel der Politik geworden ist.“ In Anspielung auf die fadenscheinige Kriegspropaganda der US-Regierung und die Blitzkrieg-Strategie der US-Streitkräfte schreibt der Herausgeber: Dieser Krieg war „der erste Krieg der Geschichte, der zu Ende war, bevor man seinen Grund gefunden hatte.“

Mit direkter Kritik hält sich Schnibben zurück. Allerdings macht er sehr deutlich, daß er den Irak-Krieg als Mittel im „Kampf gegen den Terrorismus“ für gescheitert hält. Der Irak sei unter Saddam Hussein kein Hort für Terroristen gewesen, sondern durch die US-Invasion dazu geworden. „Erst durch die Besetzung des Landes lockten die Alliierten Terroristen verschiedener Länder in den Irak“ Ob dieser eindeutigen Stellungnahme ist es verwunderlich, daß im dritten Kapitel die US-Invasion pauschal als „Befreiung“, die US-Streitkräfte als „Befreiungstruppen“ bezeichnet werden.

Das Detailwissen der Autoren ist erstaunlich, ihre sprachliche Prägnanz bewundernswert. Schade, daß sie diese hervorragenden Voraussetzungen nicht besser zu nutzen wußten.

*

Rezension zu: „Irak – Geschichte eines modernen Krieges“ herausgegeben von Stefan Aust und Cordt Schnibben, DTV 2004, 538 Seiten, ISBN 3-423-34137-8, 12,50 Euro.

Irak Rezension

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