„Irak – Orient erlesen“ hrsg. von Walter M. WeissGELESEN

„Irak – Orient erlesen“ hrsg. von Walter M. Weiss

Der Band ist eine Einladung zum Schmökern – zum Schmökern in der Jahrtausende alten Kultur- und Menschheitsgeschichte des Landes am Persischen Golf, das heute tagtäglich mit Todesmeldungen die Schlagzeilen füllt.

Von Hartmut Wagner

„Irak – Orient erlesen“ hrsg. von Walter M. Weiss  
„Irak – Orient erlesen“ hrsg. von Walter M. Weiss  

Spätestens seit dem 20. März 2003, als die ersten Raketen der US-Armee in Bagdad einschlugen, werden die Begriffe Irak und Krieg so selbstverständlich in einem Atemzug genannt, als gehörten sie untrennbar zueinander. Etwa wie Bundesrepublik und Deutschland oder Saudi und Arabien. Die Wahrnehmung des Iraks dominieren die blutigen Menschenschlachten in seiner jüngsten Geschichte: der Iran-Irak-Krieg (1980-88) als Mutter aller Golfkriege, die Invasion irakischer Truppen nach Kuwait (1990), das Eingreifen multinationaler Truppen unter US-Führung (1991) und schließlich die „Operation irakische Freiheit“, wie die Bush-Regierung ihren jüngsten Feldzug verbrämt.

Verlag und Herausgeber des Sammelbandes „Irak – Orient erlesen“ treibt der „tief empfundene Wunsch“ an, „der von den Medien allzu häufig praktizierten Vereinfachung und Schwarzmalerei entgegenzutreten“ und zur Vermittlung zwischen Morgen- und Abendland beizutragen. Unverkennbar folgen sie dabei der Strategie, das Interesse ihrer Leser für die jahrtausendealte Kultur- und Menschheitsgeschichte im Land zwischen Euphrat und Tigris zu wecken. Wenigstens für die Dauer eines gemütlichen Leseabends soll der Irak einmal aus anderer Perspektive betrachtet werden – jenseits des alltäglichen Leids. Die Texte der sehr ansprechend aufgemachten Anthologie stammen aus der Feder verschiedener Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts. Meist haben sie nur zwei bis drei Seiten Länge, gleichen im Umfang somit dem Artikel eines Nachrichtenmagazins. Der Reiz der Beiträge liegt aber gerade darin, die aktuelle Tagespolitik weitgehend auszusparen.

Bekanntschaften mit König Gilgamesch und Seefahrer Sindbad

Raoul Schrott etwa erzählt von König Gilgamesch, der wohl um 2600 vor unserer Zeitrechnung in Uruk am Euphrat residiert hat – und zwar legendäre 126 Jahre lang. Sein Herrschersitz soll die erste Großstadt der Weltgeschichte gewesen sein, noch gut 3500 Jahre bevor Bagdad mit einer Einwohnerzahl von vielleicht einer Million als weltweit größte Metropole galt. Voller Begeisterung berichtet der norwegische Abenteurer Thor Heyerdahl von einer Reise ins Zweistromland, „das Land der Märchen aus Tausendundeiner Nacht, der Wunderlampe Aladdins, der fliegenden Teppiche und Sindbad des Seefahrers.“ Ein Ausschnitt aus dem ersten Buch Mose ruft den Babylonischen Turmbau in Erinnerung, der 1946 verstorbene Diplomat Max von Oppenheim macht mit den Assyrern bekannt.

Das Buch tastet sich langsam in Richtung Gegenwart, von den sagenhaften Ursprüngen Mesopotamiens, wie die Griechen das „Land zwischen den Flüssen“ tauften, bis zur Situation im Irak zu Beginn des neuen Jahrtausends. Nach dem Einmarsch der US-Truppen wirken die Eindrücke, die der Nahost-Experte Michael Lüders 1996 von einer Irak-Reise mit nach Hause brachte, beinahe zynisch: „Überall in Bagdad hängen Portraits des Präsidenten, an allen bedeutenden Gebäuden, an jeder größeren Straßenkreuzung. Saddam Hussein mal als Dichter, als Bauarbeiter, als Lehrer, als Beduine, als Staatsmann, je nach Standort. Eine aufdringliche, aber schlichte Propaganda, die im Unterbewußtsein ähnlich wirkt wie, sagen wir, der Marlboro-Mann.“

Der Herausgeber Walter M. Weiss war lange Jahre Chefredakteur namhafter Zeitschriften und publizierte zahlreiche Reiseführer und Bildbände zum Nahen und Mittleren Osten. Vier Bände umfaßt seine Reihe „Orient erlesen“ bislang und er plant bereits die nächsten beiden. Dann sollen mit Kairo und Damaskus zwei der wichtigsten Metropolen der islamischen Welt im Zentrum stehen.

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Rezension zu: „Irak“ (Reihe „Orient erlesen“) hrsg. von Walter M. Weiss, Wieser Verlag, Klagenfurt 2004, 275 Seiten, ISBN 3-851-29426-2.

Arabien Irak Rezension

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