13.01.2023 14:10:35
MOHAMMED ARKOUN
Von Loay Mudhoon
eit jeher hat es Versuche gegeben, den religiösen Diskurs im Islam zu erneuern. Schließlich appelliert der Koran mit aller Macht an das menschliche Erkenntnisstreben. Doch nur wenige islamische Intellektuelle und Reformdenker haben einem genuin neuen, wissenschaftlichen Zugang geschaffen. Zu ihnen gehörte der 1928 in einem Berberdorf geborene algerische Philosoph und Islamwissenschaftler Mohammed Arkoun. Fast dreißig Jahre lehrte er als Professor für muslimische Ideengeschichte an der Pariser Sorbonne.
In zahlreichen Büchern und Vorträgen setzte er sich für eine schonungslose Auseinandersetzung mit den autoritativen Schriften des Islam ein – und für einen interdisziplinären Denkansatz. Hervorzuheben ist insbesondere sein Hauptwerk „Pour une critique de la raison islamique“ (Für eine Kritik der islamischen Vernunft), welches das Erbe des großen Ibn Ruschd bis in die Postmoderne trägt. In deutscher Sprache sind unter dem Titel „Islam – Annäherungen an eine Religion“ im Heidelberger Palmyra Verlag 1999 nur seine „Ouvertures sur l’Islam“ erschienen.
Im makropolitischen Kontext forderte Arkoun, der 1999 in Paris das „Institut d’Études des Sociétés Musulmanes“ gründete, eine fundamentale Kritik zentraler Begriffe, sogenannter theologischer „Konstanten“ , die von orthodoxen islamischen Gelehrten als sakrosankt verteidigt werden, wie „das Wesen des Korans“, „Essenz des Islam“ oder „Säulen des Glaubens“.
Arkouns wissenschaftliches Engagement erschöpfte sich jedoch nicht darin, die islamische „Tradition“ zu hinterfragen; vielmehr wollte er den Islam schlechthin neu denken, um die „intellektuelle Starre“ zu überwinden, die er für die politisch-gesellschaftliche Misere verantwortlich machte:
„Bis heute hat der Islam die freiheitlichen Errungenschaften des modernen kritischen Denkens regelmäßig zurückgewiesen. Er hat sich in dogmatischer Klausur verschanzt, mit einer aggressiven Haltung gegen jenen selbstsicheren, alles beherrschenden Westen, wie die Völker der muslimischen Welt ihn ja auch tatsächlich erlebt, wahrgenommen und interpretiert haben. Darin fand sich Nahrung genug für die blühenden Widerstandsfantasien in den Zufluchtsnestern einer an den Rand gedrängten Identität“.
Aus diesem Grunde strebte Arkoun eine „radikale Re-Konstruktion von Geist und Gesellschaft in der zeitgenössischen islamischen Welt“ an. Dabei plädierte er für Perspektivwechsel und Bedeutungsvielfalt statt Einfalt und Dogmatismus.
Dem kulturellen Grenzgänger und scharfsinnigen Intellektuellen war vor allem die „andauernde Politisierung des Islam und Reduzierung seiner Botschaft auf Fragen des Rechts und der Macht “ ein Dorn im Auge. „Wer heute behauptet, im Islam kann es keine Trennung zwischen der Weltlichen und der Geistlichen Sphären geben, schildert zwar den Status quo in meisten islamischen Ländern, verkennt jedoch, dass dieser auf der verhängnisvollen Geiselnahme der Religion durch die Politik beruht“.
2003 wurde Mohammed Arkoun mit dem Ibn-Rushd-Preis für freies Denken in Berlin ausgezeichnet. In seiner Laudatio beschrieb der Islamwissenschaftler Stefan Wild das Denken und Wirken Arkouns wie folgt:
„Man würde Mohammed Arkoun missverstehen, meinte man, er hätte für alle wissenschaftlichen und politischen Probleme, die er formuliert, auch gleich eine Lösung parat. Seine Erwägungen über die Trennung der politischen und der religiösen Sphäre, seine Überlegungen zur Notwendigkeit des Dialogs zwischen Ost und West, sein Bekenntnis zur demokratischen Regierungsform, zu einem arabisch-islamischen Humanismus stehen in der Tradition der Intellektuellen, die sich verantwortlich fühlen. Der elfenbeinerne Turm ist nicht der Ort Mohammed Arkouns. Auf dem Hintergrund einer islamologie engagée, einer politisch und sozial engagierten Islamwissenschaft, hat er sich besonders um junge, muslimische Immigranten in Mitteleuropa gekümmert. Diese Wissenschaft hat Mohammed Arkoun auch „angewandte Islamwissenschaft“ genannt.
Der „Kritiker der islamischen Vernunft“ war zweifelsohne ein Humanist, der für eine vorurteilsfreie Wissenschaft vom Orient und seinen „islamischen Kulturen und Gesellschaften“ plädierte und deshalb dafür kämpfte, dass Islamstudien nicht nur im Bereich der Orientalistik betrieben werden sollten. Mohammed Arkoun starb am 14.September 2010 im Alter von 82 Jahren in Paris.
Interessante Lektüre Zum Thema: Buchrezension Ursula Günthers von 2005 in Qantara (http://bit.ly/eNaQ3s)
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Loay Mudhoon ist Politik- und Islamwissenschaftler. Der Nahostexperte ist zudem Redaktionsleiter des viersprachigen Dialogmagazins Qantara.de – Dialog mit der islamischen Welt und Lehrbeauftragter am Institut für Internationale Politik und Außenpolitik der Universität zu Köln. Sie erreichen Loay mudhoon unter E-Post: l.mudhoon@gmx.net
Netzseite: http://loaymudhoon.wordpress.com/
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