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ASIEN
Von Wilfried Arz | 10.04.2016
Verhaftungen von zwei prominenten Mitgliedern der politischen Klasse des Landes hatten im Vorfeld des Parteitages für Aufsehen gesorgt: Ex-Finanzminister Phoupet Khamphounong (Dezember 2015) und Zentralbank-Chef Somphao Sayasith (Januar 2016). Beiden wird eine Verwicklung in Korruptionsaffären um Investitionsprojekte Chinas zur Last gelegt. Im Sommer 2015 war bereits der Gouverneur von Luang Prabang in Nord-Laos wegen Verstrickungen in kontroverse chinesische Projekte seines Postens enthoben worden. Chinas zunehmender Einfluss in Laos hat offenbar Kontroversen innerhalb des laotischen Parteiapparates verschärft. Aufgabe der neuen Führung wird eine ausgewogenere außenpolitische Orientierung sein.
Westliche Medien konzentrieren Berichte über Laos auf ökologisch heikle Staudamm-Projekte am Mekong, notorische Korruption der laotischen Staatsklasse und Menschenrechtsverletzungen. Isoliert betrachtet verstellen diese Themen leicht den Blick auf den geopolitischen Kontext - machtpolitische Rivalitäten zwischen China und Vietnam sowie China und USA, die Laos nun in den Mittelpunkt geopolitischer Schachzüge stellen. Besuche von US-Außenministerin Hillary Clinton (2012) und Amtsnachfolger John Kerry (2016) in Vientiane reflektieren Amerikas neue Aufmerksamkeit gegenüber Laos. Vier Jahrzehnte nach Ende des Indochina-Krieges rückt Laos damit wieder in den Fokus machtpolitischer Interessen der USA.
Als Kolonie Frankreichs (1893-1954) war Laos, von weltpolitischen Ereignissen abgeschirmt, in einen jahrzehntelangen Dornröschenschlaf gefallen und vorübergehend vor machtpolitischen Begehrlichkeiten seiner expansiven Nachbarn Thailand und Vietnam bewahrt. Erst 1964 geriet Laos in den gewaltsamen Strudel des blutigen Indochina-Krieges. Amerika wollte eine Machtergreifung von Kommunisten in Südvietnam, Kambodscha und Laos um jeden Preis verhindern. Jahrelange Bombardierungen der US-Luftwaffe in Laos (1964-1973: rund 2,5 Millionen Tonnen) zielten auf die Zerstörung militärischer Nachschubwege von Nord- nach Südvietnam, die auf dem Ho-Tschi-Minh-Pfad auch über laotisches Territorium führten. Kommunistische Guerillabewegungen übernahmen 1975 in Saigon (Vietcong), Phnom Penh (Rote Khmer) und Vientiane (Pathet Lao) dennoch die politische Macht und erzwangen Amerikas militärischen Rückzug aus Indochina.
Inzwischen wird Chinas wirtschaftlicher Aufstieg und politischer Großmachtanspruch von den USA als Bedrohung gesehen. Amerikas Antwort: eine anti-chinesische Einkreisungsstrategie, die sich auf Chinas Südflanke konzentriert.
Neuer Regierungschef in Laos: Thongloun Sisoulith (70), Foto: Wikipedia, Lawrence Jackson
In Südostasien stehen Vietnam und Myanmar im Fokus Amerikas. Seit Jahren intensivieren die USA ihre Beziehungen (wirtschaftlich und militärisch) zu Hanoi. Myanmar wurde nach politischen Reformen und einem Abrücken von Beijing mit Aufhebung des westlichen Wirtschaftsembargos honoriert. Washington versucht nun auch Laos als politischen Bündnispartner in seine anti-chinesische Außenpolitik einzubinden. Im September 2016 wird US-Präsident Obama zum Ostasien-Gipfeltreffen nach Vientiane reisen.
Chinas wirtschaftlicher Aufstieg geht einher mit einer neuen Zentralität der Volksrepublik. So wurde Chinas Wirtschaftsraum mit Südostasiens ASEAN-Staaten bereits eng vernetzt. Doch hegt Beijing weitreichendere Ambitionen: mit dem geostrategischen Projekt der Seidenstraßen-Initiative soll Chinas neue Zentralität auch mit Zentralasien und dem Indischen Ozean verzahnt werden. Asiens geopolitische Landkarte steht vor einer Neukonfiguration historischen Formats.
Als global zweitgrößte Wirtschaftsmacht muss China wie alle Industriestaaten seine Versorgung mit Energie- und Rohstoffen sicherstellen. Im- und Exporte werden über Chinas Pazifikhäfen abgewickelt, Provinzen im Westen (Xinjiang) und Südwesten (Yunnan, Guangxi) sind durch Straßenverbindungen mit Chinas Nachbarstaaten verbunden. Um China Zugang zum Indischen Ozean zu verschaffen hat Beijing Milliardensummen in drei Transitkorridore investiert: Xinjiang-Pakistan-Arabisches Meer, Yunnan-Myanmar-Indischer Ozean und Yunnan-Laos-Thailand-Golf von Siam. Chinas geostrategisches Motiv liegt in der Umgehung der Meerenge von Malakka, einem maritimen Nadelöhr zwischen Malaysia, Indonesien und Singapur.
Politische Unsicherheiten überschatten Chinas Transitkorridore in Myanmar und Pakistan. Zwei chinesische Erdöl- und Gaspipelines führen durch Myanmar, doch hat Beijing seit 2010 im Nachbarland Rückschläge hinnehmen müssen: im Zuge politischer Reformen und pro-westlicher Öffnungspolitik wurden dort chinesische Investitionsprojekte unter der Regierung von Präsident Thein Sein vorerst gestoppt. Zudem gilt Nord-Myanmar durch rebellische Minderheiten als chronisch instabil. Damit gefährden potentiell auch innenpolitische Konflikte Myanmars eine kontinuierliche (landseitige) Energieversorgung der Provinz Yunann.
Chinas Transitkorridor zwischen Xinjiang in Zentralasien und dem Arabischen Meer offenbart sich ebenfalls als ein von politischer Instabilität behaftetes Mega-Projekt (Kosten: sage und schreibe 46 Milliarden US-Dollar). Brennpunkte dort: die rebellische Provinz Belutschistan und Nord-Pakistan. In Belutschistan liegt der von Beijing finanzierte Hafen Gwadar - Ausgangspunkt einer Pipeline, die Erdgas aus dem Iran nach China transportieren soll. In der rauen Bergwelt Nord-Pakistans verhindern bewaffnete Minderheiten eine lückenlose Kontrolle durch Pakistans Armee. Schließlich wird auch Chinas “autonome Region” Xinjiang selbst von Unruhen seiner einheimischen muslimischen Uighuren-Bevölkerung bestimmt.
Im Gegensatz zu Myanmar und Pakistan herrscht in Laos (zumindest vordergründig) politische Stabilität. Chinas geplanter Transitkorridor von Yunnan nach Thailand führt durch Laos. Ein kleines Land mit fünf Nachbarn (Thailand, Vietnam, China, Myanmar, Kambodscha), dessen zentrale geografische Lage in Festland-Südostasien Laos eine natürliche Transitfunktion zuweist. Ein modernes Straßennetz verbindet Laos mit Vietnam, Thailand und China. Ein Schnellbahn-Projekt soll von Kunming durch Laos nach Bangkok führen und China Zugang zum Golf von Siam verschaffen. Damit wird Laos zu einem unverzichtbaren strategischen Partner für Beijing.
In Thailand avancierte China zum größten Handelspartner (2015: 70 Milliarden US-Dollar). Beijings Beziehungen zu Thailands Militärregime (seit 2014) gelten als entspannt und rücken das Projekt einer modernen Bahnverbindung durch Festland-Südostasien in realistische Nähe. Interesse hegt China auch am Bau des Kra-Kanals in Süd-Thailand (einer Verbindung zwischen Indik und dem Golf von Siam). Doch Thailand ist nicht frei von Instabilität: endlose Machtkonflikte seiner korrupten Eliten, die gewaltbereite ländliche Massenbewegung der Rothemden und ein schwelender Konflikt in Thailands muslimischen Südprovinzen.
Thailand, Vietnam und China buhlen in Laos heute um Einfluss - wirtschaftlich und politisch. Wirtschaftlich mag sich die Rangfolge seiner konkurrierenden Nachbarn bei Investitionen und Handel verschoben haben. China ist (seit 2014) die Nummer 1 bei Investitionen, Thailand führend im Handel. Politisch hält noch immer (seit 1975) die laotische Revolutionspartei in Vientiane die Zügel in der Hand. Doch sind wie in Beijing und Hanoi auch in Laos marxistische Parteikader gezwungen ihr politisches Herrschaftsmonopol im Zeichen von Hammer und Sichel durch spürbare wirtschaftliche Entwicklungserfolge sicherzustellen.
Visionen eines laotischen Sozialismus wurden mit der wirtschaftlichen Öffnung (1986) bereits vor drei Jahrzehnten zu Grabe getragen, marxistische Ideologie durch eine investorenfreundliche Wirtschaftspolitik ersetzt. Damit folgte Vientiane den Spuren kommunistischer Führungseliten in China und Vietnam. Noch setzen sich Politbüro (11 Mitglieder), Zentralkomitee (77) und Nationalversammlung (149) aus handverlesenen, marxistischen Prinzipien verpflichteten Vertretern (und nur wenigen Vertreterinnen!) zusammen. Noch werden politische Debatten in Printmedien und Internet durch strenge Zensur hartnäckig unterdrückt. Besonders alarmierend das spurlose Verschwinden des Sozialaktivisten Sombath Somphone im Dezember 2012.
Gleichwohl wird sich die laotische Staatsklasse auf politischen Gegenwind einstellen müssen - innenpolitisch wie außenpolitisch. Innenpolitisch wird eine Öffnung auf Dauer wohl nicht zu verhindern sein. Außenpolitisch soll die neue Staatsführung eine ausgewogene Balance gegenüber seinen starken Nachbarn Vietnam und China umsetzen. Washingtons aktuelle Aufmerksamkeit gegenüber Laos konfrontiert Vientiane nun mit einem Akteur, der eigene geopolitische Interessen durchzusetzen pflegt - nicht selten mit gesteuerter innenpolitischer Destabilierung gegen kooperationsunwillige Eliten. In Laos zielt Amerikas anti-chinesische Einkreisungsstrategie auf eine außenpolitische Neuausrichtung. In Vientiane könnte dieses Ansinnen nach dem 10. KP-Parteitag auf offene Ohren stoßen.
Wilfried Arz ist Politikwissenschaftler in Bangkok/Thailand.
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