Neue Stadt, neuer StaatKASACHSTAN

Neue Stadt, neuer Staat

Kasachstan, seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 ein unabhängiger Staat, baut sich eine „Neue Stadt“. Während Almaty, die eigentliche Metropole des Landes, eng mit der sowjetischen Geschichte verbunden ist, soll die Hauptstadt Astana zum Symbol des neuen Kasachstans werden.

Von Hartmut Wagner

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Blick über Astana  

EM – Almaty (bis 1993: Alma Ata) feiert Geburtstag und niemand bemerkt es. Die mit 1,1 Millionen Bewohnern bevölkerungsstärkste Stadt Kasachstans hat den Zenit ihrer Geschichte wohl schon überschritten. Und das, obwohl sie in diesem Jahr erst ihr 150jähriges Bestehen zelebriert. Keines der vielen großflächigen Plakate, mit denen der kasachische Staat das Nationalgefühl seiner Bewohner fördern will, macht auf den runden Geburtstag von Almaty aufmerksam. Die einstige kasachische Hauptstadt ist nicht mehr gefragt. Alle Aufmerksamkeit gebührt der sogenannten „Neuen Stadt“: Astana. Schon ihr Name macht ihre von ganz oben gewollte Sonderstellung innerhalb des zentralasiatischen Staates deutlich. Astana bedeutet auf Kasachisch schlicht „Hauptstadt“.

Wirklich neu ist Astana jedoch nicht. Im Gegenteil – die russische Festung „Akmolinsk“, aus der sich in den folgenden Jahrzehnten das heutige Astana entwickelte, wurde schon 1830 gegründet. Erst ein knappes Vierteljahrhundert später, im Jahr 1854, errichteten ebenfalls Russen die Verteidigungsanlage „Wernoje“, die historische Keimzelle von Almaty. Was aber ist dann das Neue an Astana?

Wer aus Almaty mit dem Zug kommend in den Bahnhof Astana einfährt, erhällt eine erste Antwort. Bereits auf den Waggonstiegen hinab zum Bahnsteig gewahrt man die moderne Glasarchitektur des neuen Bahnhofsgebäudes. In den stilvoll kombinierten Granitfliesen der Eingangshalle spiegelt sich das Licht des einfallenden Tageslichtes. Dreisprachige Schilder auf Kasachisch, Russisch und Englisch weisen den Weg, im Wartesaal berieseln Flachbildfernseher die Reisenden mit Werbefilmchen. Schon nähert sich die erste Putzbrigade. Das Foyer des Bahnhofs ist gewisserma ß en das Willkommenstor der „Neuen Stadt“, da kann sauber nicht sauber genug sein.

Auf dem Bahnhofsvorplatz bietet sich die seltene Gelegenheit, Gestern und Heute unmittelbar vergleichen zu können. Denn die gläserne Fassade des neuen Bahnhofs schließt nahtlos an den alten, noch aus sowjetischen Zeiten stammenden Bahnhofsbau an. Seine steinernen Außenwände schmücken sozialistische Ikonen, idealisierende Mosaikbilder von Rotarmisten und Arbeitern. Unterhalb des Giebels hängt das kasachische Staatswappen. Es sind dies die Überreste einer vergangenen Epoche. Sowjetische Bahnhöfe waren prunkvolle und politisierende „Paläste für das Volk“, in der neuen kasachischen Hauptstadt hingegen fahren die Züge in ein apolitisches, rein funktionales Gebäude ein.

Der Lebensbaum von Astana

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Astanas Lebensbaum – der Glanz seines goldenen Eis soll zum Symbol des neuen Kasachstans werden.  

„Mit Astanas Aufschwung kommt der Aufschwung Kasachstans“, ist auf Plakaten in der kasachischen Landesmetropole zu lesen. Die „Neue Stadt“ soll zur Antriebswelle des neuen kasachischen Staates werden. Der Beschluß aus dem Jahr 1997, Astana, das damals noch Akmola hieß, zur Hauptstadt zu befördern, löste einen unglaublichen Bauboom aus. Schließlich sollte ein komplett neues Regierungsviertel errichtet werden, mit prachtvollen Repräsentationsbauten für jedes namhafte Ministerium. Auch heute, sieben Jahre nach der Hauptstadtverlegung, sind die Arbeiten noch lange nicht abgeschlossen.

Zwischen den halb fertiggestellten Ministeriumsbauten im Süden der Stadt ragt seit 2001 der „Baum des Lebens“ auf. Das turmartige Monument soll zum Sinnbild der kasachischen Republik werden, ähnlich wie es der Eiffelturm, das Brandenburger Tor oder der Kreml für andere Länder sind. Aus der goldenen Glaskugel auf der Spitze der Stahlkonstruktion hat man einen guten Überblick über die umliegende Großbaustelle. Und auch an eine geh örige Portion Symbolik wurde gedacht. Die Aussichtsplattform befindet sich a uf genau 97 Metern H öhe. Der „historische“ Beschluß zum Hauptstadtumzug aus dem Jahr 1997 soll dem Besucher so ins Gedächtnis gerufen werden. Wer möchte, kann zum Gedenken seine rechte Hand auf einen majestätischen Altar mit einem massiv goldenen Dreieck legen, dessen Spitze genau auf den Rohbau der neuen Präsidentenresidenz zeigt. Für auserlesene Gäste von Staatspräsident Nursultan Nasarbaew ertönt zum Dank für diese Ehrerbietung automatisch die kasachische Nationalhymne.

Am Fuße des neu errichteten Staatssymbols ist ein Zitat des Staatspräsidenten zu lesen: „Es reicht nicht Freiheit und Unabhängigkeit zu erringen, man muß sie verteidigen und stärken, sie an unsere Nachfahren weitergeben.“ Da ß gerade das Verteidigungsminsterium gegenüber dem Haupteingang des Lebensbaumes angesiedelt wurde, soll wohl als Beweis für die Entschlossenheit des Präsidenten verstanden werden, die Eigenstaatlichkeit Kasachstans zu bewahren.

Traum von der eurasischen Metropole

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Noch dominieren Baukrähne und Rohbauten die Umgebung des Lebensbaumes. Bald aber soll er zum Mittelpunkt des neuen Astaner Regierungsviertels werden.  

Bis zum Jahr 2030 soll Astana eine Millionenstadt werden und damit ihre aktuelle Einwohnerzahl von knapp 500.000 verdoppelt haben. So jedenfalls prognostiziert es eine wissenschaftliche Studie, die im Jahr 2001 von Nasarbaew persönlich vorgestellt wurde. Die „Neue Stadt“ soll nach dem Wunsch des Präsidenten eine eurasische Metropole werden mit griechischen, spanischen und chinesischen Vierteln.

Der japanische Archithekt Kisho Kurokawa, dem die Gesamtplanung der neuen kasachischen Hauptstadt oblag, mutmaßte in einem Interview ganz im Sinne Nasarbaews, Astana werde Anfang der 30er Jahre zu den modernsten Städten der Welt gehören. Ob dies die tatsächliche Entwicklung Astanas vorauszeichnet oder bloße Kaffeesatzleserei ist, spielt gegenwärtig keine Rolle. Fakt ist, daß in der kasachischen Hauptstadt Arm und Reich in einer Art Parallelgesellschaft nebeneinander leben. Während sich das noble Astaner Regierungsviertel herausputzt, leben die Menschen anderer Stadtteile in völlig verwahrlosten Häusern und Baracken. In den Vorstädten stehen sich alte Menschen die Füße in den Bauch, um für ein paar Tenge -Münzen einige Äpfel oder Sonnenblumenkerne zu verkaufen. Die neuen Konsumtempel in der Innenstadt, die „Shopping-Center“ und „City-Paläste“ haben in ihrer Preisklasse jedoch nichts anzubieten. Ein Täßchen Tee kostet auf dem Prospekt der Republik, der Lebensader Astanas, das Zehnfache wie in der Provinz.

Das Neue an Astana ist bislang allein an der Hochkonjunktur der Baubranche auszumachen. Lastkrähne und Planierraupen, Betonmischer und Bagger sind derzeit damit beschäftigt eine dünne Schneise moderner Architektur durch Astana zu schlagen: von der Regierungsbaustelle im Süden über den Prospekt der Republik zum Bahnhofsbau im Norden. Doch bis der Wohlstand, von dem die schmucken Gebäude einmal zeugen sollen, beim überwiegenden Teil der weniger begüterten Kasachen angekommen ist, werden noch viele Burane über die mittelasiatische Steppe stürmen.

Agenda 2030

Bis zum Jahr 2030 aber soll alles besser werden. Der kasachische Staatschef hat in der zweiten Hälfte der 90er Jahre seine seitenlange Strategie „Kasachstan 2030“ veröffentlicht, in der er seine Vision des zukünftigen Staates entwickelt. Nasarbaews Agenda 2030 sieht vor, daß sich Kasachstan bis zum Beginn der 30er Jahre, ähnlich den ostasiatischen „Tigerstaaten“, zu einem zentralasiatischen „Schneeleoparden“ mausern wird. In dem „Leopardenstaat“ sollen dann gut ausgebildete und kerngesunde, traditionsbewu ß te und mehrsprachige Menschen leben. Das Land soll sauber sein, mit einer florierenden Vegetation, frischer Luft, klarem Wasser...

Und: Im Jahr 2030 jährt sich das Gründungsjahr von Astana zum 200. Mal. Es kann kein Zweifel aufkommen - ganz im im Gegensatz zum runden Geburtstag Almatys wird das Jubiläum der dann vielleicht wirklich erneuerten Stadt mit Pauken und Trompeten gefeiert werden.

GUS Zentralasien

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