Polen will Einwanderungsland werdenWARSCHAU

Polen will Einwanderungsland werden

Viele Polen beschäftigen ukrainische Putzfrauen, Handwerker und Bauarbeiter – meist schwarz. Nun haben Arbeitskräfte aus dem armen Nachbarland Polens erstmals die Möglichkeit, die doppelte Staatsbürgerschaft zu bekommen. Denn das prosperierende Polen braucht dringend Arbeitskräfte. Das Ansehen der Ukrainer ist in Polen allerdings meist gering.

Von Sebastian Becker

Bei Valenti Vakoluk laufen seit einigen Wochen die Drähte heiß. „Viele Ukrainer rufen uns an, weil sie die polnische Staatsbürgerschaft wollen“, sagt er. Vakoluk ist Vorsitzender des polnischen Kulturvereins in Lutsk in der Westukraine. Er vertritt die Interessen der polnischen Minderheit in der Kreisstadt, die vor dem Zweiten Weltkrieg zu Polen gehörte.

Polen hat im August die doppelte Staatsbürgerschaft für Ukrainer eingeführt und leitet damit einen neuen Trend ein: Das Auswanderungsland will Einwanderungsland werden. Ukrainer, die seit mindestens drei Jahren mit einem Polen oder einer Polin verheiratet sind oder seit mindestens zwei Jahren einen ständigen Wohnsitz in Polen nachweisen können, dürfen die Staatsbürgerschaft beantragen. So sieht es die neue Regelung im Ausländerrecht vor.

Polnische Fachkräfte strömen nach Westeuropa

Das prosperierende Polen braucht dringend Fachkräfte. Denn obwohl die Löhne steigen und die Wirtschaft floriert, strömen pro Jahr Zehntausende nach Westeuropa zum Arbeiten. Als Handwerker, Bauarbeiter oder Ärzte verdienen sie in England, Schweden oder Deutschland deutlich besser als in ihrer Heimat.

Über zwei Millionen Polen leben mittlerweile im europäischen Ausland. Allein 2011 kehrten 60.000 ihrem Land den Rücken – auch, weil Deutschland seinen Arbeitsmarkt für die Osteuropäer aus den neuen EU-Staaten endgültig öffnete. In Deutschland leben mittlerweile 470.000, in Großbritannien sogar 625.000 Polen.

Der Aderlass wird nun zum Problem. In Polen fehlen mittlerweile Bauingenieure und IT-Fachleute, aber auch Angestellte in einfachen Berufen wie Reinigungskräfte und Kraftfahrer. Nun versucht das Land, Arbeitskräfte aus der benachbarten Ukraine zu gewinnen. Dort sind die Löhne noch niedriger als in Polen.

Ukrainer sollen die Lücken füllen

Ob als Putzfrauen, Handwerker oder Bauarbeiter: Schätzungen zufolge arbeiten schon jetzt rund 800.000 Ukrainer in Polen, die meisten von ihnen allerdings illegal. Nur 90.000 Visa vergaben die polnischen Konsulate in der Ukraine im vergangenen Jahr für sechsmonatige Arbeitsaufenthalte in Polen. Doch viele Ukrainer bleiben nach Ablauf der sechs Monate im Land und arbeiten weiter. Die legale Vermittlung in einen Job ist vielen außerdem zu teuer, für die die Agenturen bis zu 370 Euro im Monat verlangen. In der Ukraine ist das fast ein monatlicher Durchschnittslohn.

Doch die doppelte Staatsbürgerschaft kommt zumindest für die illegal in Polen lebende Mehrheit nicht in Frage, da sie keinen ständigen legalen Wohnsitz nachweisen können. „Ich erwarte keine große Welle an Einwanderern“ sagt beispielsweise die ukrainische Lehrerein Iryna, die ihren Nachnamen nicht nennen will. Die junge Frau aus Kiew hat es auch ohne doppelte Staatsbürgerschaft in Polen geschafft: Sie besuchte mit einem Studentenvisum eine polnische Universität und arbeitet jetzt an einer Privatschule in Warschau. Sie hält sich jetzt vier Jahre im Land auf und hätte somit nach dem neuen Ausländerrecht die Möglichkeit, einen polnischen Pass zu beantragen. Das macht sie aber nicht, weil sie „auch so klar kommt“, wie sie betont. Für ihren Job als Lehrerin hat sie ohne Probleme eine Arbeitsgenehmigung bekommen.

Ressentiments gegen Ukrainer sind groß

Damit ist Iryna in der Minderheit, denn das Ansehen der Ukrainer in Polen ist oft gering. Das liegt auch an der historischen Vorbelastung, weil die Ukraine im Zweiten Weltkrieg gegen Polen kämpfte. Die Ressentiments sitzen tief – und sind auch salonfähig: Nach dem frühen Ausscheiden der Ukraine bei der Fußball-EM im Sommer beispielsweise kommentierte der bekannte polnische Show-Moderator Kuba Wojewódzki: „Ich verhalte mich wie ein wahrer Polen und schmeiße meine ukrainische Putzfrau raus. Und bin so gehässig und bezahle sie nicht.“ Sein Co-Moderator deutete sogar eine Vergewaltigung an.

Auf Protest des ukrainischen Außenministeriums hin musste sich sogar die polnische Regierung für diese Formulierung zwar entschuldigen, die beiden Moderatoren wurden entlassen. Auch die öffentliche Empörung war groß. Eine Befragung der liberalen Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ ergab dann aber, dass viele Ukrainerinnen von den Polen tatsächlich schlecht behandelt werden.

„Das war mit Sicherheit nicht gut, was Wojewódzki da gesagt hat“, findet auch
Valenti Vakoluk vom polnischen Kulturverein in Lutsk. Doch sollte man die Aussagen nicht zu hoch hängen. Für die ukrainisch-polnischen Beziehungen seien diese Aussagen nicht wichtig. 

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Der Autor ist Korrespondent von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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