Reformbewegung zwischen politischer Demokratisierung und wirtschaftlichem VerteilungskriegIRAN

Reformbewegung zwischen politischer Demokratisierung und wirtschaftlichem Verteilungskrieg

Seit 30 Jahren, seit Gründung der Islamischen Republik ist es Tradition, dass am letzten Freitag des Fastenmonats Ramadan zu einer Demonstration aufgerufen wird. Ihr Ziel ist nach den Vorstellungen Ajatollah Khomeinis die Befreiung Jerusalems, bzw. Gods, wie die Stadt von den Moslems auch genannt wird. Die übliche Einheit der Versammelten war in diesem Jahr jedoch gestört, denn die Teilnehmer der Demonstration waren in drei Gruppen gespalten. Lesen Sie hier, was hinter dieser Entwicklung steckt und wie die politischen Eliten reichlich skrupellos um Geld, Macht und Einfluss kämpfen.

Von Behrooz Abdolvand und Michael Liesener

  Zur Person: Behrooz Abdolvand
  Behrooz Abdolvand, Dr. rer. pol., geboren 1956 im Iran, arbeitet seit 1998 am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin als Dozent für internationale Beziehungen und Energiepolitik der Staaten der Greater-Middle-East-Region. Seit 2002 ist er Berater im Energiesektor.
  Zur Person: Michael Liesener
  Michael Liesener, Dipl. Pol., geboren 1982, arbeitet seit  2007  als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle der Umweltpolitik am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin.

V or der Demonstration wurden seitens der Konservativen Stimmen laut, welche die Reformbewegung mahnten, die Zusammenkunft nicht für eigene politische Ziele zu nutzen. Die Revolutionswächter drohten in diesem Zusammenhang mit Repressionen gegen jene Teilnehmer, die die Kundgebungen zugunsten der Reformbewegung abhalten sollten. Gleichzeitig konnte auch ein Bruch mit einem Teil der bestehenden Tradition beobachtet werden: Das große Freitagsgebet, das seit dem Bestehen des Regimes vom Ex-Präsidenten und Reformführer Ajatollah Rafsanjani gehalten wurde, wurde in diesem Jahr vom Erzkonservativen Ajatollah Khatami vorgetragen.

Trotz der offenen Antireformpolitik seitens der Konservativen haben fast alle Reformpolitiker, wie Khatami, Rafsanjani, Gharubi und Mussawi, die sich allesamt als Erben Khomeinis verstehen, ihre Anhänger aufgefordert, an der Demonstration aktiv und im Einklang mit den Vorstellungen der Revolutionsführer und Staatsgründer teilzunehmen. Die Reformführer selbst erklärten sich auch zur aktiven Teilnahme bereit, da dieser Tag angeblich als Symbol für die Einheit der Moslems und deren Willen zur Befreiung Jerusalems gilt. Die Teilnahme der Reformeliten überraschte somit alle, welche sich von der Machtübernahme der Reformisten eine Veränderung der antiisraelischen Politik Irans versprachen. Auch der ehemalige Kommandant der Revolutionswächter – Resai -, welcher dem konservativen, jedoch gegen den Präsidenten Ahmadinedschad auftretenden Flügel der politischen Elite angehört, hatte die aktive Teilnahme seiner Anhänger an der Demonstration angekündigt.

Khomeinis Erbe ist für die Reformbewegung irrelevant

Selbstverständlich haben auch die Konservativen dafür plädiert, dass sich die Menschen zahlreich an der Demonstration beteiligen. Tatsächlich gingen im Rahmen der Kundgebung landesweit mehrere Millionen Iraner auf die Straßen, jedoch in einer gespaltenen Struktur. Konservative Anhänger haben den Hauptplatz des Freitagsgebets im Hof der Teheraner Universität besetzt und verhindert, dass reformorientierte Demonstranten Zugang in diese medial wirksame Zone erlangen. Die unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb der Demonstranten konnten dabei ganz einfach anhand  der von ihnen verwendeten Sprechchöre und Transparente erkannt werden. Während die konservativen Teilnehmer die antiisraelitischen und antiamerikanischen Hetztiraden von Präsident Ahmadinedschad übernommen haben und „Tod Israel und Tod den USA“ skandierten, konnten bei der überwiegenden Mehrzahl der pro Reform orientierten Teilnehmer Rufe wie „Weder Gaza noch Libanon, mein Leben gehört dem Iran“ oder auch „Tod Russland und Tod China“ gehört werden. Beide Länder werden dabei als potentielle Unterstützer konservativer iranischer Kreise und Waffenlieferanten, welche zur militärischen Stabilisierung der bestehenden politischen Struktur beitragen, angesehen.

Als Ergebnis der Demonstration kann geschlussfolgert werden, dass die Führungspersönlichkeiten der Reformbewegung in Wahrheit die Kontrolle über die Reformbewegung selbst verloren haben. Für die breite Masse der Demonstrationsteilnehmer ist weder Khomeinis Erbe relevant, dem sich die Reformbewegung und die konservative politische Führung des Landes so sehr verpflichtet fühlen, noch ist sie mit der Hetze gegen Israel oder die USA einverstanden. Ob sich die Führungspersönlichkeiten der Reformbewegung als Erben Khomeinis verpflichtet fühlen, spielt für die breite Masse der Menschen in Teheran keine Rolle. Sie wünschen sich vielmehr eine grundsätzliche Veränderung der Innen- und Außenpolitik des Landes. Die Demonstration wurde von ihnen als Sprachrohr zur Äußerung des Reformwillens benutzt. Aus dieser Perspektive ist es relevant zu fragen, was trennt die Masse der reformorientierten Bevölkerung von ihren nominellen Führern. Die Antwort auf diese Frage ist in den Interessen der Führungsriege der Reformbewegung zu suchen. 

Ist die Verfassung der Islamischen Republik immer noch haltbar?

Hossein Mussawi als einer der politischen Führer der Reformbewegung spricht sich in seinen Kundgebungen immer für das Handeln im Rahmen der bestehenden Verfassung aus. Er behauptet, dass die Möglichkeiten der geltenden Verfassung bisher immer noch nicht ausreichend genutzt wurden und diese Verfassung Regelungen umfasst, welche die verlangte Ausdehnung der Menschenrechte und politischer Freiheiten weitgehend garantieren könnten. In seinem politischen Kalkül ging Mussawi sogar soweit, dass er in seinem an die ihn unterstützenden Auslandsiraner gerichteten Brief verlangt, dass diese sich von den antirevolutionären Kräften distanzieren und ihre Proteste im Rahmen der bestehenden Verfassung an die entsprechenden politischen Instanzen richten - womit prinzipiell nur der heutige Revolutionsführer Chamenei gemeint werden kann. Das heißt, er erwartet von den Iranern, welche vor den iranischen Botschaften im Ausland demonstrierten, dass sie höfliche und im Rahmen der Verfassung geschriebene Briefe, in denen sie über den Wahlbetrug klagen, an Chamenei adressieren.

Mit Sicherheit ist sich jedoch auch Mussawi dessen völlig bewusst, dass die Mehrheit der im Ausland wählenden Iraner, potentielle Gegner der Islamischen Republik darstellen. Sie haben in seiner Wahl ein „window of opportunity“ für mehr Freiheit gesehen und sind sich gleichzeitig auch dessen bewusst, dass jegliche Wahlmanipulationen nicht ohne die ausdrückliche Zustimmung von Chamenei möglich gewesen wären. Das jedoch hindert Mussawi keineswegs daran, die Iraner an die ihnen durch die Verfassung angeblich zugesprochenen Rechte zu erinnern.

Zwei Fragen zur Vorgehensweise von Mussawi

Somit tauchen zwei Fragen auf, die für die Erklärung der Vorgehensweise von Hossein Mussawi wie auch anderer Führer der Reformbewegung relevant sind. Mussawi hatte bereits die Möglichkeit seine Vorstellungen umzusetzen, da er acht Jahre lang als Premierminister im Rahmen dieser Verfassung regierte und während seiner gesamten Amtszeit die volle Unterstützung des damaligen politischen Führers Khomeini genossen hat. Er verstehe sich als dessen gläubiger Anhänger und fühle sich ihm immer noch verpflichtet, sagt er. Mussawi sollte daher zuerst erklären, warum er die angeblich vorhandenen Möglichkeiten der bestehenden Verfassung in den acht Jahren seines Regierens nicht zur Erweiterung der Menschenrechte und politischer Freiheiten genutzt hat. Und er sollte auch darlegen, warum er sich stattdessen als Chef der Exekutive im Auftrag von Ajatollah Khomeini, der sich als Garant dieser Verfassung betrachtete, exakt im Rahmen der Verfassung, in der extremsten Form, gegen Menschenrechte eingesetzt hatte.

Die zweite Frage, die Mussawi beantworten sollte, ist, inwieweit er sich von der bestehenden Führung und deren Vorgehensweise unterscheidet. In einer zur Mussawis Amtszeit aufgenommenen Rede des Revolutionsführers Khomeini (bei youtube.com im Originalton erhältlich) wurde die Islamisierung der gesamten Regierung gefordert. Gleichzeitig wurde Hossein Mussawi als amtierender Premierminister beauftragt, eine solche Regierung nach dem Vorbild der Herrschaft aus der Anfangsphase des Islams zu praktizieren und die volle Härte der islamischen Gesetze in ihrer ursprünglichen Form anzuwenden. Durch diesen Schritt sollte eine radikale Abkehr von allen nichtislamischen Bräuchen und Sitten eingeleitet und allen voran mit allen innenpolitischen Gegnern abgerechnet werden.

Die Bevölkerung glaubt nicht mehr an diese Verfassung

Dies führte zu einer Welle von Massakern in iranischen Gefängnissen, deren Folge mehrere tausend Hingerichtete und in Massengräbern verscharrte Andersdenkende aller möglichen Schattierungen waren. Vielleicht ist gerade dieses Ereignis einer der Gründe dafür, dass Mussawi und andere Reformführer, die zur damaligen Zeit wichtige Posten in Regierung und Verwaltung bekleideten, den Rahmen der Verfassung nicht verlassen wollen.

Gleichzeitig merken sie als erfahrene Politiker jedoch auch, dass die Bevölkerung nicht mehr bereit ist an eine solche Verfassung zu glauben und dass sich ein großer Teil der Gesellschaft eine Veränderung wünscht. Eine Veränderung, die unter anderem eine radikale Kritik der ersten Jahre der Islamischen Republik beinhalten würde und somit auch Mussawi, Khatami, Rafsanjani und Gharubi als aktive Teilnehmer der damaligen Gräueltaten, einbeziehen würde. Dies könnte wohl einer der Gründe dafür sein, wieso es ihnen so schwer fällt, sich von der bestehenden Verfassung zu trennen.

Den Menschen, die auf den Straßen demonstrierten, liegt jedoch nichts an der Erhaltung des bestehenden Systems, sondern viel mehr an reellen Veränderungen, welche größere individuelle Freiheiten garantieren würden. Der Unwille zum Verlassen des Verfassungsrahmens ist der wichtigste Grund dafür, dass die selbst deklarierte politische Führung der Reformbewegung im Begriff ist diese Führungsrolle zu verlieren.

Die Ereignisse während der letzten Demonstration können als Äußerung dieser Tendenz verstanden werden. Da haben sich auf der Straße zwei Lager gegenübergestanden. Auf der einen Seite Menschen, die sich gegen die Einmischung in die Angelegenheiten von Libanesen und Palästinensern geäußert haben. Auf der anderen Seite die politische Führung, welche sich in bester Tradition von Ajatollah Khomeini, unabhängig davon ob es sich hierbei um reformorientierte Politiker oder konservative Machtinhaber handelte, für die Rechte der „unterdrückten Palästinenser“ einsetzte.

Es geht um die finanziellen Interessen der Macht-Eliten des Irans

Die politischen Köpfe der Reformbewegung sollten sich dessen bewusst werden, dass die bestehende Verfassung die Rolle des religiösen Führers Khameini garantiert, der mehrmals seine antidemokratischen Ansichten kundgetan hat. Im Rahmen dieser Verfassung hat die Reformbewegung daher keine andere Wahl, als sich dem Willen des religiösen Führers anzupassen. Wenn man die existierenden Fakten genau betrachtet, wird man feststellen, dass es sich in der heutigen Auseinandersetzung, welche von den Reformführern gerne als Kampf zwischen dem bestehenden Unterdrückungssystem und einem aufstrebenden System dargestellt wird, das die Menschen mit größeren Freiheiten und Rechten ausstatten würde, einzig und allein um einen Allokationskampf handelt. Dieser Kampf entscheidet über den Zugang  - von zwei in ihrer politischen Überzeugung sich eigentlich sehr nahe stehenden – Gruppierungen zu den Ressourcen des Landes im Rahmen der Privatisierung.
 
Bei diesem Kampf geht es um viel mehr als nur um die politische Führung des Landes oder um Freiheit und Gerechtigkeit. Eher sind finanzielle Interessen der Eliten entscheidend. Folgende Zahlen sprechen dabei eine deutliche Sprache.

Die Milliarden der Rafsanjanis

Nach Schätzungen verschiedener internationaler Beobachter soll das persönliche Vermögen Rafsanjanis, das er sich während seiner achtjährigen Regierungszeit aneignete, ca. eine Milliarde US-Dollar betragen. Die Unternehmen der Rafsanjanis beinhalten unter anderem die Fluggesellschaft Mahan Airlines, Hotelketten, das internationale Pistaziengeschäft und unzählige weitere Industrieunternehmen. Sein ältester Sohn Mohsen ist mit dem Bau der Teheraner U-Bahn beauftragt, sein zweiter Sohn Mehdi ist im Erdgas- und Erdölgeschäft tätig, sein jüngster Sohn besitzt große Weideländer und Ländereien, züchtet Schafe, Ziegen und Pferde. Seine beiden Töchter Faezeh und Fatemeh sind im In- und Ausland im Immobilienbereich tätig, enthüllt der im Berliner Exil lebende iranische Publizist Bahman Nirumand.

Rafsanjani ist zusammen mit den ihn unterstützenden Clanstrukturen, welche nun die Führungsrolle in der Reformbewegung beanspruchen, in der Zeit seiner Herrschaft mit der Bevölkerung genau so unterdrückerisch umgegangen, wie es die heutigen Integristen tun. Wie er und seine Verbündeten durch Korruption zu ihrem Reichtum gekommen sind, wurde nicht zuletzt sogar auf internationaler Ebene durch die Korruptionsaffäre des norwegischen Energieunternehmens Statoil bekannt.

Statoil schloss im Juni 2003 mit der auf der Karibikinsel Turks & Caicos registrierten und in London ansässigen Beraterfirma Horton Investments einen Vertrag mit zwölfjähriger Laufzeit. Für 115 Millionen norwegische Kronen (14,1 Millionen Euro) sollte die Firma des Ex-Iraners Abbas Yazdi den Norwegern den Weg in die iranische Ölindustrie ebnen. Pikant an dem Vertrag: Der Kontakt vor Ort sollte Mehdi Hashemi Rafsanjani sein, der nicht nur Chef einer Tochter der staatlichen iranischen Ölgesellschaft NIOC ist, sondern auch Sohn von Ex-Präsident Ali Akbar Hashemi Rafsanjani. Der 33-Jährige will allerdings von der Sache nichts wissen, obwohl nach Untersuchung des iranischen Parlamentes und eines New Yorker Gerichts der Korruptionsfall bestätigt wurde.  Im vergangenen Präsidentschaftswahlkampf hatte Ahmadinedschad versucht diese Korruptionsaffäre zu seinen Gunsten zu instrumentalisieren.

Die Milliarden der Familie Khameinis

Es wird davon ausgegangen, dass sich die Familie Khameneis auch der Korruption schuldig gemacht hat. So wurde im Rahmen der letzten Unruhen bekannt, dass der Sohn Khameneis in einer Londoner Bank 1,6 Milliarden US-Dollar deponierte, die allerdings von der englischen Regierung als Sanktionsmaßnahme eingefroren worden sind. Die Angaben der englischen Regierung lassen darauf schließen, dass Khamenei einer der reichsten Oligarchen des Landes ist. Vom Khamenei-Clan wird ein weit verzweigtes Firmennetzwerk geleitet, das unter dem Dach der Stiftungen „Bonyadeh Mostasafan“ (Stiftung der Armen und Märtyrer) und „Bonyadeh Astaneh Qodse Rasavi“ (Stiftung der Schenkungen des achten Imam Reza) organisiert ist. Die Vermutung liegt nahe, dass die 1,6 Milliarden Dollar aus dem Vermögen dieser Stiftungen stammen.

Eine andere Interpretation des iranischen Konflikts

Obwohl beide Clans die Vorwürfe der Selbstbereicherung bestreiten, ist die Annahme, dass sich sowohl der als wertkonservativ geltende Khamenei als auch der als moderat angesehene Rafsanjani in den letzten Dekaden beim Rentierstaat Iran kräftig bedient haben, mehr als berechtigt. Neben der formalen staatlichen Wirtschaft existieren darüber hinaus ca. 120 informelle kommerziell-religiöse Stiftungen, wie die bereits oben erwähnten, die nach der iranischen Revolution gegründet worden sind und in denen der eigentliche Wirtschaftskurs des Landes bestimmt wird.

Vor der Revolution waren der zentrale Pfeiler der religiösen Einrichtungen die Händler im Basar, weil sie mit ihren religiösen Abgaben, den „khoms“, einer zwanzigprozentigen Profitsteuer, die Moscheen und die religiösen Institutionen finanzierten und dadurch die Unabhängigkeit der Kleriker vom damaligen Staat gewährleisteten. So hatten diese  erheblichen Einfluss auf die Machtzirkel der religiösen Kreise. Die Spender bestimmen, an welche Ajatollahs oder Moscheen das Geld verteilt werden soll.  Dies verleiht ihnen politische Macht und führt dazu, dass die Spender von religiösen Instanzen umworben werden. Nach der Islamischen Revolution hat sich diese parasitäre Symbiose von Kommerz und Religion verstärkt. Durch die Gründung von so genannten Stiftungen, die nichts weiter als ein religiös-kommerzielles Firmengeflecht sind, wurde dieses System fortgesetzt und erweitert.

Diese Stiftungen haben ihren Ursprung in der Entwicklung der iranischen Wirtschaft der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Damals modernisierte der Schah die Wirtschaft. Importe wurden zugelassen, Landreformen verabschiedet, moderne Betriebs- und Vertriebssysteme, sowie staatliche und private Banken gefördert, die den traditionellen Geldverleihern auf dem Basar Marktanteile wegnahmen. Diese vom Schah als „Sprung ins 20. Jahrhundert“ bezeichnete Entwicklung, drohte die Basarhändler zu ruinieren. Kein Wunder, dass sie den Sturz des Schahs vorantrieben. Gelder aus dem religiösen Spendentopf leiteten sie an Ajatollah Khomeini weiter, der in den siebziger Jahren die Revolution vorbereitete.

Stiftungen beherrschen die Wirtschaft des Landes

Dank dieser auf Kommerz und Religion basierenden Beziehungen zu den Geistlichen konnten sich die Basaris als potente islamische Bourgeoisie-Klasse etablieren und den Mullahs den Rücken stärken. Bis in die Gegenwart dominiert dieses dichte undurchsichtige Beziehungsgeflecht aus Basaren und Moscheen mitsamt ihren Stiftungen und Vereinigungen die Politik und die Wirtschaft des Gottesstaates Iran. Für Außenstehende ist das kaum einsehbar.

Tatsächlich gipfelt die Allianz von Religion und Wirtschaft in den religiösen Stiftungen, den so genannten „bonyads“, die ihren Reichtum der Enteignung der alten Elite zu verdanken haben. Nach der Flucht der Familie des Schahs und der alten Elite wurde deren Besitz enteignet und den Stiftungen zugeführt.

Dieser Prozess führte zur Monopolisierung des Außenhandels, sowie aller größeren Industrien, die nun von Stiftungen kontrolliert werden. Mit ihren schier unvorstellbaren Mitteln finanzieren die Stiftungen die Verbündeten und Stützen des Regimes im In- und Ausland. Sie kontrollieren neunzig Prozent der modernen Industrien des Landes und mindestens ein Viertel des Sozialprodukts – das zumindest schätzt Ökonomieprofessor Ali Raschid, der ehemalige Präsident der iranischen Zentralbank.

Die beiden größten Stiftungen des Landes bringen es zusammen auf Aktiva in der Größenordnung von ca. 35 Milliarden Dollar – was fast fünf Prozent des iranischen Bruttoinlandproduktes entspricht.  Es sind die Stiftungen „Bonyadeh Mostasafan“, die am 12. Juli 1980 auf persönliche Anweisung des Ajatollah Khomeini, gegründet wurde. Sie konfiszierte das Eigentum der verhassten Schah-Familie  und der damals entmachteten politisch-wirtschaftlichen Elite des Landes. Und die „Bonyadeh Astaneh Qodse Rasawi“, die die Schenkungen des Imam Reza in Machhad verwaltet. Von Banken und Hotels über die Autoproduktion bis hin zu Safran- und Opium-Farmen, Viehzucht oder Fruchtsaftherstellung besitzen sie alle wesentlichen Industrien.

Die Stiftung „Astaneh Qodse Rasawi“ ist nicht nur die größte Grundbesitzerin des Landes, sie kontrolliert darüber hinaus den lukrativen Handel mit Gas, da sie durch ihren Grundbesitz im Nordosten des Landes (Khorasan) über mehrere Gaslagerstätten verfügt.

Die bereits genannte Stiftung „Bonyadeh Mostasafan“ umfasst alles vom Bergbau bis zu Zementfabriken und beschäftigt an die 400.000 Arbeiter. Sie ist nach der staatlichen Ölgesellschaft das größte Unternehmen im Land. Mittlerweile verwalten die Mostasafan-Manager Hotels, Baufirmen, Reedereien, Reisebüros und Handelshäuser, vertreten ausländische Konzerne wie Mercedes im Iran und halten Firmenbeteiligungen und Aktienpakete in aller Welt.

Mit Hilfe der religiösen Stiftungen haben die Mullahs und die Basarhändler das Land fest im Griff.

Trotz ihrer Finanzmacht müssen die Stiftungen keine Bücher führen, Besuche von staatlichen Kontrolleuren fürchten oder gar Steuern zahlen. In der Regierungsperiode Khatamis wurde erfolglos versucht, die Stiftungen zum Zahlen von Steuern zu verpflichten. Weder Minister noch Parlamentarier können ihnen etwas vorschreiben. Topmanager dieser religiösen Institutionen dürfen schalten und walten, wie sie wollen und brauchen sich um die Regierung und deren Gesetze nicht zu kümmern. „Sie sind nur Allah verantwortlich“, spotten die Kritiker. Die Manager dieser Stiftungen sind einflussreicher als die ranghöchsten Minister. Absetzen kann sie nur ein Mann: der geistige Führer der islamischen Revolution. Lediglich ihm sind sie Rechenschaft schuldig.

In den Chefetagen dieser omnipotenten Stiftungen sitzen entweder Geistliche oder Emporkömmlinge des Basars, deren wichtigste Qualifikation oftmals darin besteht, mit einem Khamenei nahe stehenden Mullah gut befreundet oder verwandt zu sein. Die Effizienz der Wirtschaft wird durch die Vetternwirtschaft zwar arg ramponiert, sie erhält die politische Klasse allerdings am Leben. Mit Hilfe der religiösen Stiftungen haben die Mullahs und die Basarhändler das Land fest im Griff.

Die Stiftungen kümmern sich aber nicht nur ums Geschäft. Sie machen auch Gesellschafts-, Sozial-, Verteidigungs-, sowie Außenpolitik. Das religiös-kommerzielle Gefüge kontrolliert die Machtzentren und setzt Schlüsselentscheidungen durch, ohne die Regierung groß zu konsultieren. So wurde die Kopfprämie von 2,5 Millionen Dollar auf Salman Rushdie, der mit den „Satanischen Versen“ den Zorn Ajatollah Khomeinis auf sich gezogen hatte, nicht vom Staat, sondern von einer der großen Stiftungen ausgesetzt, ohne auf die außenpolitischen Belange des Landes Rücksicht zu nehmen.

Die Konfrontation mit dem Westen kommt ihnen mehr als gelegen

Zurzeit finanzieren die Stiftungen die radikalen Konservativen, um den von liberalen Kräften propagierten Reformkurs zu verhindern, da diese Reformen allem voran eine wirtschaftliche Öffnung des Landes zur Folge hätten. Eine Öffnung des Landes für ausländische Investitionen würde die Wirtschaftsmonopole, die ihnen der Staat einräumt, schwächen oder sogar aufheben. Die Stiftungen fürchten das Entstehen einer neuen sozialen Klasse, die eine liberale Politik durchsetzen könnte. Deshalb wollen sie die behutsame Öffnung des Landes gegenüber dem Westen, die in den neunziger Jahren zu beobachten war, stoppen oder noch lieber rückgängig machen. Eine Konfrontation mit dem Westen wie jetzt in der Atom- und Menschenrechtsfrage kommt ihnen mehr als gelegen. Somit unterstützen die Stiftungen sogar die Regierung Ahmadinedschad, weil seine Wirtschaftspolitik in Bezug auf Privatisierung im Rahmen des Artikels 44 der Verfassung deren Interessen entspricht und er mehr in Richtung der indirekten staatlichen und militärischen Kontrolle der Wirtschaft tendiert.

Der Artikel 44 als Ursache des Konfliktes

In der Tat geht es bei den jüngsten Unruhen im Iran nicht nur um einen vermeintlichen Wahlbetrug, um Gerechtigkeit, Menschenrechtsverletzungen oder um die Person des „gewählten“ Präsidenten Ahmadinedschad. Die tragische Eskalation ist vielmehr Ausdruck eines Machtkampfes zwischen verschiedenen Kräften des Regimes, die unterschiedliche Vorstellungen von der Privatisierung der Wirtschaft haben. Die verschiedenen Gruppierungen wollen durch Kontrolle der Exekutive vor dem Hintergrund der Umsetzung des Artikels 44 der Verfassung, der in einer modifizierten Form die Privatisierung von staatlichen Betrieben ermöglicht, die dann privatisierten Betriebe unter die eigene Kontrolle bringen.

Für den Privatisierungsprozess, der durch den Aufbau einer effektiven Privatwirtschaft begleitet werden soll, hatte die iranische Planungsorganisation einen Plan entwickelt, der sich über eine Laufzeit von vier Fünf-Jahresplänen erstreckt. Die bürokratisch-technokratischen Kreise rund um Rafsanjani haben während der Regierungsperiode Rafsanjanis und Khatamis von diesem intransparenten Privatisierungsprozess massiv  profitiert.

Bereicherung durch Privatisierung

Rafsanjani, der zwischen 1989 und 1997 regierte, begann – kaum im Amt - ab Januar 1990 mit der Privatisierung von staatlichen Firmen, was von einer Liberalisierung der Außenhandelsbeziehungen begleitet wurde. Eigentlich sollte diese ursprünglich dem Zweck dienen, den Iran für den Beitritt in die Welthandelsorganisation vorzubereiten.

Einen neuen Schub haben die Privatisierungspläne durch die im Jahr 2001 gegründete „Iran Privatisation Organisation“  erfahren. In diesem Zusammenhang profitierten vor allem die Technokraten um Rafsanjani, die als seine Hausmacht gelten. Dieser Prozess wurde während der Regierungsperiode Khatamis weitergeführt.

Die Privatisierer kamen sehr kostengünstig in den Besitz rentabler staatlicher Unternehmen mit Milliardenwert, was wiederum mit Geldern von der Zentralbank bzw. von staatlichen Banken, die dieser Elite zur Verfügung gestellt wurden, finanziert worden ist. Ein 1994 vom Parlament erstellter Bericht dokumentiert die Korruption im Rahmen dieser Privatisierungsprozesse, und es deutet alles darauf hin, dass im großen Umfang Korruptionsgelder geflossen sind.

Khamenei sah mit dieser Art der Privatisierung eigene Interessen und die seines Clan bzw. die seiner Anhänger nicht ausreichend berücksichtigt. Er ließ deshalb durch Verlautbarungen Ahmadinedschads insbesondere den Rafsanjani-Clan der Vetternwirtschaft und der Korruption beschuldigen. Schließlich entschied er sich mit Hilfe der ihm treuen Revolutionswächter und der paramilitärischen Bassidsch mit den bisherigen Profiteuren des Systems aufzuräumen. Die Bassidsch hatten sich für die Revolution eingesetzt und Opfer gebracht. Sie wurden jedoch von dem Allokationssystem in Folge der Privatisierung nicht entsprechend ihres Engagements belohnt, ganz im Gegensatz zu den „korrupten Kreisen“ rund um Rafsanjani. Die  Bassidsch sollten nun die Besitztümer den  reinen „Ideen der Revolution“ zuführen, das heißt die Allokation zu ihren eigenen Gunsten nutzen.

Versuch einer totalen Militarisierung der Wirtschaft

Diese zu Sicherheitsorganen und Militär gehörenden Gruppierungen rund um Khamenei, die auch während der Privatisierungsprozesse der Rafsanjani-Ära nicht gerade tatenlos zusahen, haben große Industrieholdings und Finanzorganisationen geschaffen. Diese haben staatliche Gelder und zusätzlich die so genannten Religionsfonds in Anspruch genommen. Sie wurden darüber hinaus mit staatlichen Aufträgen versorgt und konnten sich durch diese bereichern.

Nun versuchen diese Unternehmen des „Privatsektors“, jene, die von der Ära Rafsanjanis profitierten, aus dem Markt zu drängen. Dieser Prozess wird unter dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung politisch gefördert und außerdem werden die Unternehmen, die dem Lager Khameneis zuzuordnen sind, massiv von diesem protegiert.

Um diesen Prozess erfolgreich durchzuführen, hat Ahmadinedschad in seiner ersten Amtszeit die Administration und Bürokratie von Rafsanjani-treuen Technokraten weitgehend gesäubert und gleichzeitig überall in das System gleichgesinnte Angehörige der Revolutionsgarde in einflussreiche Positionen gebracht, um seine Macht und die Khameneis zu stärken. In seiner ersten Regierungsperiode waren 17 der 21 Minister ehemalige Generäle der Revolutionswächter wie Ahmadinedschad selber.

Es wird erwartet, dass die Militarisierung der Politik weiter geführt wird, deren gesellschaftliche und politische Kollateralschäden im Rahmen der in jüngster Zeit durchgeführten und an Maos Säuberungsaktionen erinnernden Schauprozesse und Unterdrückung der Demokratiebewegung deutlich werden.

Khameinis Gegenentwurf: Die Organisation Khatam

Unter der Regie Khameinis und Ahmadinedschads wurden die staatlichen Unternehmen der Revolutionswächter und Institutionen wie die Rentenfonds der Sicherheitskräfte dem Staat zugerechnet. Der Wettbewerb wurde ausgeschaltet. Die Regierung vergab Großaufträge ohne Ausschreibungen, etwa an die Revolutionswächter, die Hausmacht Ahmadinedschads und Khameneis. So wurden der für die Logistik der Revolutionswächter zuständigen Einheit „Khatam“, die nach einer Empfehlung Khameneis gegründet und mittels eines Parlamentsdekretes von jedweder Steuer befreit worden ist, bisher 1500 nationale Projekte zugeteilt. Sie umfassen ein Volumen von mehr als 100 Milliarden Dollar.

Darüber hinaus laufen gerade 247 weitere Großaufträge. Die größten dieser Aufträge haben einen Umfang von sechs Milliarden Euro und beinhalten den Bau von Pipelines (beispielsweise die Iran-Pakistan-Indien-Pipeline oder die bereits gebaute Pipeline nach Armenien), sowie die Exploration der Blöcke 15 und 16 des riesigen Gasfeldes Süd-Pars und mehrere Probebohrungsprojekte.

Zusätzlich wurden im Rahmen von Reisen des Präsidenten Ahmadinedschad in die verschiedenen Provinzen weitere 3000 regionale Projekte an „Khatam“ vergeben. „Khatam“ ist über seine Tochtergesellschaft „Sadid“ beauftragt, eine 283Kilometer lange Pipeline von Nain nach Miami zu bauen, deren Gesamtkosten auf 320 Millionen Euro veranschlagt werden. Ferner verhandelt das Unternehmen gegenwärtig über den Bau der neunten transiranischen Pipeline, die von Nord nach Süd verlaufen soll.

Darüber hinaus begnügt sich „Khatam“ nicht nur mit Öl- und Gasaufträgen sondern verwirklicht auch Großprojekte im Bereich Wohnungsbau, wobei die industrielle Serienproduktion das Ziel von „Khatam“ ist.

Abgesehen davon befasst sich „Khatam“ mit dem Ausbau der Güterumschlagplätze zu Wasser und kontrolliert selbst sechzig Häfen am Persischen Golf und der Südküste des Irans. Die Aufträge für die Erweiterung und die Ausrüstung der Häfen sind in Form von 85 Aufträgen an „Khatam“ weitergegeben worden. Zu den weiteren Aktivitäten des Unternehmens gehören der Straßen- und Eisenbahnbau, wie beispielsweise der Ausbau der Eisenbahnverbindung zwischen Teheran und Täbris. Oder auch andere Strecken wie von Bam nach Sahedan, bzw. von Isfahan nach Shiraz mit einer Länge von jeweils ca. 600 Kilometern. Es gibt weitere Großprojekte wie Stauseen und Bewässerungsanlagen, so zum Beispiel die Stauseen Karhaeh und Gotevand.

Machtausbau mit Hilfe des Artikels 147 der Verfassung

Artikel 147 der Verfassung ermöglicht diese Aktivitäten von „Khatam“, da darin festgelegt ist, dass es in Friedenszeiten erlaubt ist, das Militär für den Wiederaufbau des Landes zu nutzen. Seit der Revolution wird von diesem Artikel ausführlich Gebrauch gemacht. Das zeigen auch die zahlreichen Tochterunternehmen von „Khatam“, wie „Khatam Noh“, „Khatam Hara“, „Khatam Rahab“, „Khatam Sahel“, „Khatam Omran“, „Khatam Makin“, „Khatam Sadid“, „Khatam Sepanir“, oder „Khatam Sepasad“, die in allen Wirtschaftsbereichen des Landes aktiv sind.

Abgesehen davon befindet sich die gesamte iranische Rüstungs- und Elektroindustrie, die vom Telefon über Flugzeuge, Hubschrauber, Schnellboote, U-Boote bis hin zu Raketen alles produziert unter der Aufsicht von „Khatam“. Durch die allgegenwärtige Präsenz von „Khatam“ erwarten Kritiker eine totale Militarisierung der iranischen Wirtschaft. „Khatam“ selbst ließ verlautbaren, dass lediglich 30 Prozent der Ingenieurkapazität für zivile Zwecke genutzt werden (und das Unternehmen trotzdem im Zivilbereich allgegenwärtig ist), während die verbleibenden 70 Prozent für die Rüstungsabteilung des Unternehmens arbeiten.

Es wird deutlich, dass wir es mit einem gigantischen Rüstungskonglomerat zu tun haben, das mittlerweile die gesamte iranische Wirtschaft durchdrungen hat. Das Unternehmen „Khatam“ beschränkt sich allerdings nicht nur auf die Produktion, sondern hat seine Aktivitäten auch auf den Handel ausgeweitet und kontrolliert mittlerweile eine nicht unerhebliche Anzahl von Häfen und Flughäfen, so dass die Regierung nicht mehr den gesamten Warenstrom des Iran kontrolliert, so ein früherer Handelsminister. In einigen Häfen wachen keine Zollbeamten über den Import. Die See- und Flughäfen, über welche die nicht erfassten (und damit nicht verzollten) Waren ins Land kommen, unterstehen den Revolutionswächtern. Sie kontrollieren 50 Prozent der gesamten Importe und 31 Prozent der Exporte von den nicht von der Erdölindustrie produzierten Waren. 

„Khatam“, ein Staat innerhalb des Gottesstaates?

Keine Überraschung war es daher, als jüngst an die Spitze des größten iranischen Containerhafens in Bandar Abbas, der nach dem „Märtyrer Radschai“ benannt ist, ein General der Revolutionswächter berufen wurde.

Es scheint, dass der Expansionsprozess von „Khatam“ in der kommenden Amtszeit von Ahmadinedschad weitergeführt werden wird, und es ist davon auszugehen, dass „Khatam“ unter dem Deckmantel der Privatisierung der Wirtschaft weitere Teile der iranischen Ökonomie unter seine Kontrolle bringen wird. Neuerdings übernimmt „Khatam“ Unternehmen durch dubiose Finanzaktivitäten auf der Börse von Teheran. Als letzte spektakuläre Übernahme erwarb ein Unternehmen der Holding „Sepanir“ Ende April Anteile von 51 Prozent an „Sadra“, der größten Werft des Irans. Zusätzlich haben die Rentenkassen des Militärs und die Revolutionswächter bei der Privatisierung von großen Industrieanlagen, wie beispielsweise von Kupfer- und Stahlwerken, profitiert.

Als weitere Zeichen dieser Politik können die Übernahmeprozesse von Banken und Unternehmen durch „Khatam“ gedeutet werden. Khatam ist an den Privatisierungsprozessen beteiligt, wie am Beispiel der Ingenieurfirma „Saberin“ deutlich wird. Die Firma ist eine Tochtergesellschaft von „Khatam“ und hat Niederlassungen in Deutschland, China, Malaysia, Dubai, Singapur etc.

Die Muttergesellschaft „Sasemane Tawone Sepah“ (ein Unternehmen, das ursprünglich für die Beschaffung von Lebensmitteln und Nachschub für die Revolutionswächter zuständig war) von „Saberin“ hat im Rahmen der Privatisierungsprozesse viele staatliche Firmen übernommen, wie beispielsweise den Automobilproduzenten „Bahman“. Für derartige Aktivitäten stehen den Revolutionsgardisten mehrere vom Staat unabhängige Finanzinstitutionen zur Verfügung, wie beispielsweise die Finanzunternehmen „Ghavamin“, „Mihr“ oder „Ansar“, die mit Absicht offiziell keine eigentlichen Bankgeschäfte tätigen, damit sie nicht von der iranischen Zentralbank kontrolliert werden können. Sie sind jedoch in der Finanzbranche aktiv.

Besagte Finanzunternehmen haben in der jüngsten Zeit im Rahmen des allgemeinen Privatisierungsprozesses viele staatliche Finanzinstitutionen übernommen, wie beispielsweise die „Sinabank“. Dadurch wird gewährleistet, dass die Finanzierung privater Investoren bei der Übernahme staatlicher Firmen gesichert ist. Auch der jüngste Übergriff dieser Finanzinstitutionen auf die privatisierte und ehemals staatliche „Sarmayeh Bank“ ist Ausdruck dieser Expansion.

Die Mechanismen der Übernahme

Der Mechanismus bei der Übernahme ist einfach und stets derselbe. Der Staat gleicht die Schulden der Finanzinstitutionen aus und macht sie im Anschluss zu profitablen Finanzinstituten, die dann privatisiert werden und somit in den Besitz der Revolutionswächter gelangen. Darüber hinaus genießen diese Finanzinstitute verschiedene Privilegien. Sie sind von der Steuer befreit und müssen keine Zinsen an die Zentralbank abführen.

Vor einigen Monaten wurde darüber hinaus mit der Umstrukturierung der Autoindustrie zu Gunsten von „Khatam“ begonnen. So wird voraussichtlich in den kommenden Monaten das zu 61 Prozent in Staatsbesitz befindliche Automobilunternehmen „Iran Khodro“ privatisiert werden. Dazu wird es Wechsel im Management des Unternehmens geben. Es wurden bereits mehrere „Khatam“ nahe stehende Ex-Generäle in Führungspositionen berufen. Außerdem ist zu erwarten, dass Ahmadinedschad in den kommenden vier Jahren, die Öleinnahmen und die Ölindustrie unter militärischen Einheiten verteilen wird. Das hat bereits in den in den letzten vier Jahren begonnen.

Sanfter Militärputsch 

Somit ist es den Iranischen Revolutionsgarden durch Unterstützung von Ahmadinedschad und einem „sanften Militärputsch“ gelungen, zahlreiche Machtpositionen in Politik und Wirtschaft des Landes zu besetzen. Damit bedrohen sie perspektivisch weiter die alten Eliten. Kein Wunder, dass „Präsident“ Ahmadinedschad den Kritikern aus den Reformlagern, die auf diese Entwicklung hinweisen, vorwirft, die Staatskasse plündern zu wollen.

So ist es nicht verwunderlich, dass nach der umstrittenen Wahl Ahmadinedschads viele Angehörige des Reform-Lagers mit dem Transfer ihres Vermögens ins Ausland begonnen haben.  Bei einer türkischen Zollkontrolle an der iranischen Grenze wurden vor kurzem 7,5 Milliarden Dollar und 20 Tonnen Gold beschlagnahmt, was allerdings nur die Spitze des Eisbergs zu sein scheint. Der Transfer von Vermögen beschleunigte sich, nachdem Ahmadinedschad in einem Treffen mit Angehörigen der iranischen Justiz ein hartes Vorgehen gegen die Korruption und Vetternwirtschaft proklamierte und erklärte, dass „die Gerechtigkeit im Iran die Grundlage der Gerechtigkeit in der Welt“ sei.
 
Es scheint, dass nach dem Beginn der zweiten Amtszeit Ahmadinedschads ein intensiver Säuberungsprozess unter der Devise der Korruptionsbekämpfung zu erwarten ist,  wobei die Regierung dafür sorgt, dass die alte Elite um Rafsanjani und Khatami entmachtet und durch die neue Elite aus dem Kreis der Revolutionswächter ersetzt wird.

Ein monopolkapitalistisches religiös-kommerzielles System

So entsteht ein monopolkapitalistisches religiös-kommerzielles System unter Führung von Khamenei, das den Anspruch vertritt nicht staatlich zu sein, aber gleichzeitig durch Aufträge des Staates und Subventionen massiv durch diesen gefördert wird. Politisch verspricht diese Konstellation die totalitären Züge des iranischen Staates weiter zu verstärken. Die Vorboten davon sind neben den oben erwähnten Schauprozessen die Säuberung des Informationsministeriums von unliebsamen Elementen, Redeverbot für Ayatollah Rafsanjani beim Freitagsgebet und mediale Angriffe auf einige andere oppositionelle Persönlichkeiten.

Diese Konstellation mit einem Patriarch wie Khamenei an der Spitze des Staates, die ideologische Rechtfertigung der Entwicklungen im Land durch Religion und das monopolkapitalistische Wirtschaftssystem mit einem gigantischen Rüstungskonglomerat, das die gesamte iranische Ökonomie durchdrungen hat, deutet darauf hin, dass wir es mit einem zunehmend patrimonialen und totalitären Iran zu tun haben.

Auf dem Weg zu einem absoluten totalitären Staat

Sollte eine Kontrolle unter dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung erfolgen und erfolgreich sein, wird jede Oppositionsbewegung im Keim erstickt werden und sich der Iran zu einem absolut totalitären Staat entwickeln. Charakteristische Symptome sind das nahezu vollständige Monopol der Massenkommunikationsmittel beim Staat, das nahezu vollständige Monopol der Anwendung der Kampfwaffen beim Staat, eine zentrale, bürokratisch koordinierte Überwachung und Lenkung der Wirtschaft, sowie ein physisches und/oder psychisches Terrorsystem. Dadurch werden die Kontrolle und Überwachung der Bevölkerung durch eine Geheimpolizei gewährleistet und nicht nur tatsächliche, sondern auch potentielle Feinde bekämpft. Darüber hinaus haben wir es mit einer alle wichtigen Lebensbereiche umfassenden, allgemeinverbindlichen, auf Schaffung einer neuen Gesellschaft ausgerichteten Ideologie mit Wahrheitsanspruch und stark utopischen und religiösen Elementen zu tun.

Damit sich der Iran nicht in ein absolut totalitäres Regime verwandelt, muss das System, beginnend bei der Verfassung grundlegend geändert werden, denn durch diese wird die gegenwärtige Entwicklung zu einem militarisierten Staat erst ermöglicht.

Nur eine reformierte Verfassung kann Abhilfe schaffen

Es nützt also nichts, eine Opposition zu unterstützen, die das System nicht von Grund auf, sondern nur innerhalb des bestehenden Verfassungsrahmens reformieren möchte. Mussawi selbst ließ in seinem Brief an die Exiliraner verlautbaren, dass er an die grundlegenden Strukturen des Systems festhalten will und nur Reformen im Rahmen der Verfassung durchführen möchte. Somit ist eine eindimensionale Unterstützung der Opposition der falsche Weg. Stattdessen muss die Opposition sich fragen, wie man mit der bestehenden Verfassung die Lage im Iran wieder unter Kontrolle bringen kann. Denn eines wird wie wir gesehen haben deutlich: Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut. Dies ist nur im Rahmen dieser Verfassung möglich, in der dem religiösen Führer alle möglichen Machtmittel zur Verfügung stehen.

Nur eine reformierte Verfassung kann dazu führen, dass die Interessen von Millionen säkularen Iranern, welche sich keinen islamischen Staat wünschen, respektiert werden. Falls die Herrn Mussawi und Rafsanjami wirklich ein System aufbauen wollen, welches sie nicht in den jeweils acht Jahren ihrer Amtszeiten verwirklichen konnten, können sie sich nicht weiter zu der bestehenden Verfassung bekennen, da unter dieser eine demokratische und auf Menschenrechte ausgelegte Regierungsform unrealisierbar bleibt.

Iran

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