Revolutions-Ikone wird MinisterpräsidentinUKRAINE

Revolutions-Ikone wird Ministerpräsidentin

Revolutions-Ikone wird Ministerpräsidentin

Unmittelbar vor seiner Moskau-Reise ernannte der neue ukrainische Präsident die radikale Oppositionsführerin Julia Timoschenko zur Ministerpräsidentin.

Von Ulrich Heyden

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Julia Timoschenko  

J ulia Timoschenko ist am Ziel. Kurz bevor der neue ukrainische Staatspräsident, Viktor Juschtschenko, zu seinem Antrittsbesuch nach Moskau aufbrach, ernannte er die Politikerin zur Ministerpräsidentin. Allerdings muß Timoschenko noch vom Parlament bestätigt werden.

Die 44 Jahre alte Unternehmerin mit dem um den Kopf gewundenen Haarschopf hatte jahrelang die Opposition gegen den ukrainischen Staatspräsidenten Leonid Kutschma auf der Straße geführt. Sie haßte den ukrainischen Präsidenten, der jetzt abtrat. Kutschma hatte sie im Januar 2001 als Energieministerin entlassen, weil Timoschenko sich mit den ukrainischen Oligarchen angelegt hatte. Der Präsident ließ sie nach ihrer Absetzung wegen undurchsichtiger Gas-Geschäfte und Steuerhinterziehung vor Gericht stellen. Danach verbrachte die „Gas-Prinzessin“ mehrere Wochen im Untersuchungsgefängnis. Das gleiche Schicksal ereilte ihren Ehemann und ihren Schwiegervater, die in der zweiten Hälfte der 90er Jahre in dem gemeinsamen Energieunternehmen arbeiteten.

Der Kreml ist nach dem Machtwechsel in Kiew in einer peinlichen Lage. Zum einen hat sich Wladimir Putin während des ukrainischen Präsidentschaftswahlkampfes demonstrativ hinter Viktor Janukowitsch gestellt, d.h. den unterlegenen Gegenkandidaten des neuen Präsidenten Viktor Juschtschenko. Zum anderen läuft gegen Timoschenko ein Strafverfahren von Seiten der russischen Militärstaatsanwaltschaft. Moskauer Ermittler werfen der frisch ernannten Ministerpräsidentin vor, sie habe russische Militärs bestochen, für das russische Verteidigungsministerium bestimmte Baumaterialien aus der Ukraine für den doppelten Preis zu ordern. Auf Initiative der russischen Ermittlungsbehörden tauchte das Gesicht von Julia Timoschenko im Dezember sogar kurzzeitig auf der im Internet veröffentlichten Fahndungsliste von Interpol auf.

Reformkurs nach russischem Vorbild?

Politologen in Kiew meinen, die Ernennung Timoschenkos deute darauf hin, daß der neue ukrainische Präsident einen energischen Reformkurs einschlagen will. Es sei kein Zufall gewesen, daß die ehemalige „Gasprinzessin“ während der Feierlichkeiten zur Amtseinführung von Juschtschenko in Kiew Hand in Hand mit Boris Nemzwo stand. Der russische Politiker gehörte unter Boris Jelzin zu den „jungen Reformern“ und war eine zeitlang stellvertretender Ministerpräsident. Die Ukraine ist, was marktwirtschaftliche Reformen betrifft, ein Nachzügler und vieles deutet darauf hin, daß in dem Land am Dnjepr jetzt die Reformen beginnen, welche in Rußland in der zweiten Hälfte der 90er Jahre begannen.

Am Vorabend ihrer Ernennung bemühte sich Timoschenko um gute Stimmung gegenüber Moskau. Im Gespräch mit dem russischen Fernsehkanal ORT erklärte sie, für die russische Wirtschaft „stehe die Tür der Ukraine immer offen“. Für die Geschäftsleute in beiden Ländern gäbe es „kolossale Möglichkeiten“.

Zum Leiter des neueingerichteten Präsidialbüros ernannte Juschtschenko seinen bisherigen Wahlkampfleiter Aleksander Sintschenko. Sintschenko war bislang stellvertretender Sprecher des ukrainischen Parlaments und Mitglied der von Oligarchen geführten „Vereinigten Sozialdemokratischen Partei“. Im Jahr 2003 wurde der Politiker jedoch aus der Partei ausgeschlossen.

Den Rat für nationale Sicherheit und Verteidigung leitet fortan Petr Poroschenko. Der „Schokoladen-König“, der den bisher oppositionellen Fernsehkanal TV 5 besitzt, hatte die Oppositionsbewegung finanziell unterstützt und war als möglicher Ministerpräsident im Gespräch gewesen. Der beleibte Politiker mit dem lockigen Haar war zuletzt Leiter des Parlamentsausschusses für Haushaltsfragen.

Wladimir Putin wurde mit der Ernennung von Julia Timoschenko vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Nachricht von ihrer Ernennung traf in Moskau genau zu dem Zeitpunkt ein, als das Treffen zwischen Putin und Juschtschenko im Kreml begann. Die beiden Präsidenten bemühten sich um einen guten Ton. Jedoch war eine gewisse Spannung in den Gesichtern nicht zu übersehen.

Für eine gemeinsame Zukunft: Probleme der Vergangenheit ausräumen

Juschtschenko erklärte, Rußland sei ein „ewiger strategischer Partner für die Ukraine“. Daß er seine erste Auslandsreise nach Moskau mache sei „ein Zeichen der großen Achtung unserer Beziehungen.“ Das Verhältnis zwischen den beiden Ländern müßte „rational und zum gegenseitigem Vorteil“ sein. Der neue ukrainische Präsident meinte aber auch, daß man über die Probleme der letzten Monate sprechen müsse. Sie dürften die Zukunft nicht belasten. Denn der Westen werde seine Türen „niemals für ein Land aufmachen, welches mit einem Koffer voller Probleme kommt.“ Der neue ukrainische Präsident möchte sein Land schnell in das vereinte Europa führen. Eine Sprecherin der EU gab sich indes zurückhaltend: Zunächst müsse die Ukraine die EU-Standards erfüllen.

Der Kreml-Chef wollte von der Vergangenheitsaufarbeitung des ukrainischen Präsidenten offenbar nichts wissen und erklärte, Rußland habe im postsowjetischen Raum „noch nie hinter den Kulissen gearbeitet“. Putin bekundete die Hoffnung, er werde mit der neuen ukrainischen Führung so gut zusammenarbeiten wie mit der alten. Der russische Präsident möchte mit der neuen ukrainischen Führung das unter Kutschma begonnene Projekt des „Vereinten Wirtschaftsraumes“ – einem Zusammenschluß von Rußland, Weißrußland, Kasachstan und der Ukraine – weiterentwickeln.

GUS Osteuropa

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