13.01.2023 14:10:35
GUS
Von Ulrich Heyden
EM – Der Monat April stand im Zeichen der russisch-ukrainischenAussöhnung. Im Oktober 2003 wäre es wegen des Streites um die kleineInsel Tusla im Schwarzen Meer noch fast zu einer bewaffneten Auseinandersetzunggekommen. Doch die gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der beiden GUS-Ländersind stärker als der Streit um Grenzdetails. Die Parlamente der Ukraineund Rußlands ratifizierten am 20. April drei Verträge, die fürdie Beziehungen zwischen beiden Ländern von grundlegender Bedeutung sind.Drei Tage später tauschten die beiden Staatspräsidenten Kutschmaund Putin bei einem Treffen auf der Krim die Ratifikationsurkunden aus. DieVerträge traten damit in Kraft.
Zwölfeinhalb Jahre nach der Auflösung der Sowjetunion konnten sichRußland und die Ukraine auf einen Vertrag verständigen, der denVerlauf der Landgrenze zwischen beiden Staaten festlegt. Seit dem Jahr 1991trennt die beiden einstigen Sowjetrepubliken eine 2.063 Kilometer lange Grenzlinie,die seither bewacht, befestigt und mit großen Kontrollpunkten versehenwurde. Der Grenzvertrag eröffnet nach Meinung des Moskauer „Kommersant“ derUkraine die Perspektive für einen Nato-Beitritt.
Über die Landgrenze herrscht somit also Einigkeit in Moskau und Kiew.Anders sieht es dagegen mit dem Verlauf der Wassergrenze aus. Hier kam nochkeine Einigung zustande. Der Status der östlich der Krim gelegenen InselTusla soll in einer „zusätzlichen Vereinbarung“ geregelt werden,versprach der russische Außenminister Sergej Lawrow den Abgeordnetendes russischen Parlaments.
Die russischen und ukrainischen Parlamentarier ratifizierten außerdemeinen Vertrag über die gemeinsame Nutzung des Asowschen Binnenmeeres.Schiffe „dritter Staaten“ dürfen in das „Asowskoje More“ inZukunft nur mit der Genehmigung Rußlands und der Ukraine einlaufen. Moskausieht das als klaren Erfolg, fürchtete der Kreml doch, daß Schiffeder Nato das strategisch wichtige Binnengewässer ohne die Zustimmung Moskausnutzen könnten.
Nachdem in Grenzfragen weitgehend Klarheit herrschte, ratifizierten die Abgeordnetenin Moskau und Kiew die Bildung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums (Common EconomicSpace, CES), zu dem neben Rußland und der Ukraine auch Kasachstan undWeißrußland gehören sollen. Geplant ist ein gemeinsames Zollgebietund eine zwischen den vier Staaten abgestimmte Außenhandelspolitik. RussischeExperten hoffen, daß der CES-Wirtschaftsraum wirkungsstärker wirdals die Beschlüsse der GUS, die meist nicht umgesetzt wurden.
Mit den drei Verträgen versucht der Kreml, die Ukraine mit ihren 50Millionen Einwohnern – davon 12 Millionen Russen – im eigenen Einflußbereichzu halten. Vor einem Monat hatte Kiew der russischen Elite einen Schreckeneingejagt. Das ukrainische Parlament, die „Werchowna Rada“ hatteein Memorandum ratifiziert, wonach Eingreiftruppen der Nato ukrainisches Territoriumnicht nur zu Übungszwecken, sondern auch im Fall eines militärischenKonfliktes nutzen können.
Zu heftigem Protest des russischen Parlaments kam es auch infolge der jüngstbekannt gewordenen Empfehlung des staatlichen ukrainischen Radio- und Fernsehkomitees,nach der die russische Sprache aus den Fernsehprogrammen des Landes fast vollständigverdrängt werden soll. Nur in den von Russen bewohnten Gebieten im Ostenund Süden des Landes dürften dann noch Lokalsender auf Russisch senden.Die ukrainischen Medienwächter begründeten ihre Entscheidung mitdem Schutz der ukrainischen Sprache und Kultur. Als Reaktion auf diese Entscheidungboykottierten Kommunisten und Nationalisten im russischen Parlament die Abstimmung überdie Grenz- und Wirtschaftsverträge mit der Ukraine. Auch Kutschma kritisiertedie Empfehlung des Medienkomitees. Ein solcher Schritt würde gegen dieukrainische Verfassung verstoßen, so der Staatspräsident.
Auch in Kiew gab es heftige Proteste gegen die Ratifizierung der Verträge,allerdings nicht von den Moskau-freundlichen Kommunisten, sondern den Anhängernder prowestlichen Opposition. „Wir haben die Insel Tusla fast mit Waffenin der Hand verteidigt, um die Meerenge von Kertsch nicht aufzugeben. Heutetun die Abgeordneten das Gegenteil“, polterte die OppositionsführerinJulia Timoschenko. Der Beitritt der Ukraine zu dem gemeinsamen Wirtschaftsgebietsei gleichbedeutend mit dem Verlust der Unabhängigkeit, erklärtesie. Den Großteil der Sitze im CES-Aufsichtsorgan wird Rußlandstellen, denn die Sitzverteilung richtet sich nach dem Bruttosozialproduktder Mitgliedsländer.
Daß es in beiden Parlamenten überhaupt eine Mehrheit zu den dreiVerträgen gab, lag nach Einschätzung des Moskauer „Kommersant“ aneinem Übereinkommen, welches die Präsidenten der beiden Länderbei einem vertraulichen Gespräch unmittelbar nach Putins Wiederwahl imMärz trafen. Die Pro-Präsidenten-Parteien in Kiew und Moskau sorgtendann für die parlamentarische Mehrheit.
Die ukrainische Regierung verspricht sich von dem gemeinsamen Wirtschaftsraumjährliche Handelsgewinne in der Höhe von einer Milliarde Dollar.Der stellvertretende ukrainische Ministerpräsident Nikolaj Asarow argumentierte,durch den CES-Vertrag könne die Ukraine russisches Gas und Öl zuden günstigen russischen Inlandspreisen importieren. Durch die Bildungdes gemeinsamen Wirtschaftsraums versprechen sich die Ukraine und Rußlandoffenbar auch bessere Bedingungen bei den Verhandlungen um den Eintritt indie Welthandelsorganisation.
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