„Rußlands Orientierung zur EU ist alternativlos“RUßLAND UND EUROPA

„Rußlands Orientierung zur EU ist alternativlos“

Alexander Rahr ist Programmdirektor der Körber-Arbeitsstelle fur Rußland/GUS in Berlin und Koordinator des EU/Rußland-Forums der Deutschen Gesellschaft fur Auswärtige Politik. Im Jahr 2000 veröffentlichte er die erste Biographie uber Wladimir Putin „Wladimir Putin. Der Deutsche im Kreml“. Im Gespräch mit dem Eurasischen Magazin analysiert der Rußland-Experte die Grunde, die zur Verhaftung Michail Chodorkowskis gefuhrt haben. Er erläutert außerdem zukunftige Integrationsperspektiven fur Rußland, wie beispielsweise die Grundung einer sogenannten EU-Ost, und beurteilt die Zukunft der Achse „Paris-Berlin-Moskau“.

Von Hartmut Wagner

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Alexander Rahr 

Eurasisches Magazin: Die Wahlkampfphase wird überschattet von der Festnahme des Oligarchen Michail Chodorkowski. Im Kern liest man dazu folgendes: Chodorkowski ist scharf auf den Präsidentensessel im Jahr 2008 und verkündet deshalb bereits fünf Jahre vorher, er werde künftig die Oppositionsparteien Jabloko und „Union der rechten Kräf te“ (SPS) finanziell unterstützen. Präsident Putin, dem diese ambitiösen Pläne mißfallen, veranlaßt daraufhin die Verhaftung des Erdöl-Magnaten. Ist Putin tatsächlich in der Lage der Justiz nach seinem Gutdünken Aufträge zu erteilen, um politische Widersacher kaltzustellen?

Alexander Rahr: In der Tat ist der Präsident in Rußland allmächtig. Die russische Justiz ist nicht so unabhängig von der Politik wie sie es sein sollte. Die Präsidialadministration des Kremls kann manches anordnen, was in einem anderen Rechtsstaat völlig unmöglich wäre. Ich habe erhebliche Zweifel, ob die von den internationalen Medien verbreitete Interpretation zum Fall Chodorkowski den Tatsachen entspricht. Bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2004 hat Putin keinerlei Konkurrenz zu fürchten. Was aber im Jahr 2008 sein wird ist doch noch überhaupt nicht absehbar. Außerdem lag es im Interesse Putins, daß Chodorkowski sein Geld nicht wie sein Kollege Roman Abramowitsch in einen englischen Fußballklub steckte, sondern die Parteien Jabloko und SPS förderte. Schließlich setzten sich beide Parteien mit allen Kräften für die von Putin vorangetrieben liberalen Wirtschaftsreformen ein. Und Putin wird seinen bisherigen Kurs in der Wirtschaftspolitik auch in seiner zweiten Amtsperiode verfolgen.

EM: Heißt das Putin möchte die Parteien Jabloko und SPS in der Duma haben?

Rahr: Ja, das würde ich so sehen. Zum einen braucht er sie für seine Wirtschaftspolitik. Putins Politik zielt auf eine funktionierende Marktwirtschaft westlichen Typus ab. Da brau cht er das Fachwissen und den politischen Rückhalt beider Parteien im Parlament. Zum anderen sollen Jabloko und SPS natürlich politisch eingebunden werden. An einer außerparlamentarischen Opposition kann Putin nicht interessiert sein.

„Chodorkowskis Verhaftung hatte in erster Linie wirtschaftliche Motive“

EM: Wenn es nicht die politischen Ambitionen Chodorkowskis waren, die ausschlaggebend für seine Verhaftung waren, was dann?

Rahr: Der Hauptgrund bestand in den unternehmerischen Plänen Chodorkowskis m it dem Ölkonzern Yukos. Chodorkowski stand kurz davor Yukos an ein US-amerikanisches Großunternehmen zu verkaufen. Der Sitz der Firma wäre dann nach Texas umgezogen und der Oligarch hätte sich aus dem Geschäftsleben zurückgezogen – so war es geplant. Mit d ieser Internationalisierung des Yukos-Konzerns, der ja zuvor mit Sibneft fusionierte, hätte der russische Staat die Kontrolle über 40 bis 50 Prozent des sibirischen Ölvorkommens verloren. Das wollte die heutige Kreml-Regierung nicht hinnehmen, was die Unte rschiede zwischen Putin und Jelzin sehr deutlich macht. Denn dem korrupten Jelzin-Clan waren derartige Überlegungen vollkommen fremd.

Man muß bedenken, daß der russische Staat in den 90er Jahren den Yukos-Konzern praktisch an Chodorkowski verschenkt hat. Wenn dieser das Unternehmen jetzt mit großem Gewinn verkaufen will, erhebt der Kreml aus meiner Sicht zurecht Anspruch auf ein Mitspracherecht. Die russische Wirtschaftslage ist extrem abhängig vom Ölhandel, so daß die Entscheidungen eines Chodorkowskis g roßen Einfluß auf das Wohl aller Russen haben. Die Art und Weise jedoch, wie mit Chodorkowski umgesprungen wurde ist zu verurteilen. Mit rechtsstaatlicher Demokratie hat das nichts zu tun. Man hätte den Oligarchen besser auf anderen Wegen geschwächt, oder sogar entmachtet.

EM: Wie zum Beispiel?

Rahr: Beispielsweise durch eine durchdachte PR-Kampagne. Zumindest hätte man es unbedingt vermeiden müssen Chodorkowski vor aller Welt zu demütigen und ins Gefängnis zu stecken. Denn damit hat man dem russischen A nsehen erheblichen Schaden zugefügt.

„In Rußland herrscht Staatskapitalismus“

EM: Der Vorsitzende der liberalen Jabloko-Partei, Grigori Jawlinski, bezeichnete das politische System im heutigen Rußland kürzlich als „Kapitalismus mit stalinistischem Antlitz“, ein System indem „eine totale Verschmelzung von Geschäft und Macht“ stattgefunden hätte. Herrschen in Rußland heute Zustände wie in den Jahren der Diktatur Stalins?

Rahr: Nein. Mit dem Schlagwort Stalinismus, bei dem ja immer auch Dinge wie Gulags, massive militärische Aufrüstung, Kasernierung der Bevölkerung usw. mitschwingen muß man sehr vorsichtig sein. Ich sehe überhaupt keine Anzeichen für eine Rückkehr zur Planwirtschaft in Rußland. Natürlich ist der Kreml aber bestrebt die Staatsmacht zu stärken, die in der Tat immer enger mit der Wirtschaft verschmilzt. Staatskapitalismus ist hier wohl der richtige Begriff. Putin und sein engster Kreis vertreten den Standpunkt, der Kapitalismus könne in Rußland nur dann Bestand haben, wenn er durch einen starken Staat in gewissen Schranken gehalten wird.

EM: Die drei baltischen Staaten treten voraussichtlich im Mai nächsten Jahres der Europäischen Union bei. Haben die restlichen zwölf Nachfolgestaaten eine reale Beitrittsperspektive zur EU?

Rahr: Auf dem europäischen Kontinent spielt sich gerade ein historischer Schlagabtausch ab zwischen einer immer stärker werdenden EU und einem noch schwachen Rußland, das aber dennoch eigene Ambitionen in der wirtschaftlichen und politischen Gestaltung in Europa hat. Wenn es zu einer Trennlinie zwischen beiden Integrationspolen kommen wird – was nicht notwendigerweise passieren muß –, dann wird diese offenkundig entlang der Grenze der ehemaligen Sowjetunion verlaufen. Allerdings mit den drei baltischen Staaten auf der Seite der EU.

Die Gründung des Einheitlichen Wirtschaftsraumes als erster Schritt zur „EU-Ost“

EM: Welche Ziele verfolgt Wladimir Putin in diesem Zusammenhang?

Rahr: Der russische Präsident betreibt eindeutig westlich orientierte Politik. Er wird versuchen Rußland an die EU heranzuführen. Für den Fall, daß dies nicht funktionieren wird, soll gleichzeitig eine „EU-Ost“ ins Leben gerufen werden. Rußland wird darin, ähnlich wie Frankreich und Deutschland innerhalb der EU, die Führungsrolle übernehmen. Die Gründung des Einheitlichen Wirtschaftsraumes zwischen Rußland, Weißrußland, der Ukraine und Kasachstan im Herbst dieses Jahres ist ein erster Schritt in diese Richtung.

„Europa fehlt eine Strategie“

EM: Sehen Sie eine Möglichkeit, daß solche erneute Trennlini en zwischen West und Ost vermieden werden können?

Rahr: Aber sicher. Daß Rußland, die Ukraine und auch Weißrußland nach Lukaschenko, aber auch die Kaukasus-Länder sich in den kommenden ein zwei Dekaden stärker in Richtung der EU orientieren, halte ich für durchaus wahrscheinlich. Damit wäre das Ziel eines geeinten euro-asiatischen Kontinents schon ein Stück weit Wirklichkeit geworden. Wieder einige Jahrzehnte später könnte dieser vielleicht auch die heutige Bedeutung der transatlantischen Gemeinschaft übernehmen. Um hier wirklich voran zu kommen fehlt es Europa aber leider an schlüssigen Strategien und Politikern, die über genügend Weitsicht verfügen um ein solches Großeuropa zu konzipieren. Wir werden ja heute von Juristen regiert.

EM: Eine Integration zwischen Rußland und der EU halten sie also für möglich?

Rahr: Ich glaube für Rußland besteht keine Alternative zur Orientierung nach Westen. So denken auch große Teile der russischen Elite. Man sieht sich in Rußland – vom Westen wird diese Sicht oft belächelt – von drei Seiten bedroht. Im dünn besiedelten Osten befürchtet man eine massenhafte Einwanderung aus China. Im Kaukasus haben wir den Tschetschenien-Konflikt in dem Rußland mit einer starken Sezessionsbewegung, einem fundamentalen Islamismus und organisierter Kriminalität zu kämpfen hat. Im Westen hat Rußland zwar die EU und auch die USA als quasi Verbündete, aber dennoch gibt es die bereits angesprochenen Trennlinien, die durch die Erweiterung von EU und NATO lediglich weiter nach Osten rücken. Rußland läuft Gefahr derart isoliert zu werden wie noch nie in seiner Geschichte, wenn es nicht mit einem der drei Pole China, Islam oder Europa eine enge Verbindung eingeht. Und aus meiner Sicht kann da die Entscheidung nur zu Gunsten Europas fallen.

EM: Sind die USA für Rußland eine Alternative zu Europa?

Rahr: Beides sind denkbare Kooperationspartner, auch wenn die transatlantische Allianz im Laufe der Jahre wohl an Zusammenhalt verlieren wird. Das wäre dann auf lange Frist ein Integrationsmodell von wahrhaft globalem Ausmaß: USA (NAFTA) – EU – Rußland – Japan. Das könnte ich mir schon so vorstellen.

EM: War die Entscheidung von Weißrußland, der Ukraine und Kasachstan richtig, mit Rußland einen Einheitlichen Wirtschaftsraum (EWR) zu gründen?

Rahr: Selbstverständlich. Es entspricht jeder Integrationslogik, daß diese vier Staaten wirtschaftlich und politisch stärker kooperieren. Es ist geradezu zynisch von westlichen Kritikern, diesen Ländern einerseits keinerlei Perspektive auf einen Beitritt zur NATO und EU zu geben und sie andererseits für Ihre Kooperation mit der Russischen Föderation zu schelten. Man machte ja auch keine Einwände geltend, als die „Visegrad-Staaten“ eine Freihandelszone vereinbarten, oder als sich die Schwarzmeer-Wirtschaftskooperationsregion und die GUUAM konstituierten. Aber sobald eben Rußland in solchen Organisationen mit involviert ist, wird harsche Kritik vorgetragen.

„Es soll verhindert werden, daß Rußland wieder zu einem Imperium aufsteigt.“

EM: Die wirtschaftlichen Vorbehalte gegen die EWR sind folglich nur vorgeschoben, um zu verhindern, daß Rußland wieder an Einfluß gewinnt?

Rahr: Das ist eines der Axiome der Weltpolitik heute, das von keinem Staat in Frage gestellt wird. Es soll verhindert werden, daß Rußland wieder zu einem Imperium aufsteigt. Die Situation ist vergleichbar mit Deutschland und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die euro-asiatische Achse „Paris-Berlin-Moskau“ als mögliche Kooperationsbasis der Zukunft

EM: Im Vorfeld des Irak-Krieges wurde viel von der Achse „Paris-Berlin-Moskau“ gesprochen. Was ist das Fundament dieser Achse – eine „Männerfreundschaft“ zwischen Putin, Chirac und Schröder oder eine gemeinsame Strategie, die sich aus den gemeinsamen Interessen der drei Staaten ergibt?

Rahr: Ein belastbares Fundament gibt es augenblicklich noch nicht. Sie ist ja relativ plötzlich vor dem Hintergrund des bevorstehenden Irak-Krieges der USA entstanden. Allerdings könnte sich aus dieser Achse eine euro-asiatische Kooperation herausbilden, die das transatlantische Bündnis in dessen Bedeutung für die Weltpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg ersetzen könnte. Gemeinsame Interessen gegenüber nichteuropäischen Staaten müßten sich aber über die Jahre herauskristallisieren.

EM: Eine Männerfreundschaft als Herzstück der Achse halten Sie für ausgeschlossen?

Rahr: Ja, das wäre zu platt. Außerdem würde das implizieren, daß diese engere Kooperation zwischen den drei Hauptstädten gewissermaßen über die Köpfe des Volks hinweg geschlossen wurde. Was jedoch besonders im Falle Frankreichs und Rußlands nicht der Fall war. Ich kann mir schon vorstellen, daß es in den kommenden Jahren noch häufiger zu internationalen Konstellation kommen wird, in denen diese drei führenden Staaten Europas enger zusammenrücken.

EM: Vielen Dank für dieses Gespräch.

GUS Interview Russland

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