Schwach aber hartnäckigWEIßRUßLAND

Schwach aber hartnäckig

In Minsk reißen die Protestaktionen gegen die Amtszeitverlängerung von Präsident Lukaschenko nicht ab. Mehrere Oppositionsführer sitzen in Haft. Die USA haben Wirtschaftssanktionen beschlossen.

Von Ulrich Heyden

EM – Nach den Verhaftungen weißrussischer Oppositioneller erschüttert nun der Mord an einer Journalistin die Demokraten des Landes. Am 20. Oktober wurde Veronika Tscherkasowa – sie arbeitete zuletzt bei der Gewerkschaftszeitung „Solidarnost“ – tot in ihrer Wohnung gefunden. Die ehemaligen Arbeitskollegen der Journalistin wollten gegenüber der russischen Internetzeitung Gaseta.ru nicht ausschließen, daß der Mord mit der Verfolgung der Opposition in den letzten Tagen zusammenhängt. Die Polizei erklärte, die Journalistin, welche sich im Bademantel befand und offenbar selbst die Wohnungstür öffnete, sei mit 20 Messerstichen getötet worden. Gegenstände wurden nicht entwendet. Der Polizeichef von Minsk, Anatoli Kuschelow, erklärte, es werde „in alle Richtungen“ ermittelt.

Der Mord an der Journalistin heizt das Klima in Weißrußland nach dem Referendum vom 17. Oktober weiter an. Mit der Volksabstimmung hatte sich der autoritäre Staatschef Aleksandr Lukaschenko eine dritte Amtszeit genehmigen lassen. Der seit zehn Jahren regierende Staatspräsident ist nun berechtigt, bei den Präsidentschaftswahlen 2006 ein weiteres Mal anzutreten. Bei einem Wahlsieg Lukaschenkos würde seine Amtszeit bis 2011 verlängert werden.

„Über hundert Prozent“ Wahlbeteiligung in Minsk

Nach offiziellen Angaben stimmten bei dem Referendum 77,3 Prozent der registrierten Wähler für eine Verfassungsänderung. Das Gallup-Institut kam nach Befragungen vor den Wahllokalen zu einem anderen Ergebnis. Danach hatten statt der nötigen Mehrheit von 50 Prozent nur 48 Prozent der registrierten Wähler für eine Amtszeitverlängerung gestimmt. Ein ähnliches Umfrageergebnis ermittelte das russische „Meinungsforschungszentrum Juri Lewada“ kurz vor dem Tag der Volksabstimmung. Danach wollten nur 47 Prozent der Menschen, die vorhatten zu den Urnen zu gehen, für eine Amtszeitverlängerung des weißrussischen Staatspräsidenten stimmen.

Die „Vereinigte Bürgerpartei Weißrußlands“ sprach von schweren Verletzungen der Wahlordnung. Nach Ermittlungen der Oppositionspartei lag die Zahl der Abstimmenden in der Hauptstadt Minsk „über hundert Prozent“. Im ganzen Land habe man keinen einzigen Beobachter in die Wahllokale gelassen, erklärte der Parteivorsitzende Anatolij Lebedko gegenüber „Radio Echo Moskwy“. Niederschmetternd ist auch das Ergebnis der parallel laufenden Parlamentswahlen: Kein einziger Vertreter der Opposition bekam einen Sitz im Abgeordnetenhaus.

Lukaschenko stilisierte das Referendum zur Schicksalsfrage hoch. Wenn er nicht im Amt bleibe, sei die Stabilität und der Kurs des Landes nicht gesichert. Die Bürger sollten nicht vergessen, daß es während seiner Amtszeit keinen Terroranschlag und keinen Krieg gegeben habe. Weiter rühmt sich Lukaschenko, daß die Maschinenbaubetriebe von Minsk voll ausgelastet sind, das Wirtschaftswachstum bei zehn Prozent und die Auslandsschulden bei nur 700 Mio. Dollar liegen. Die Dörfer bekämen jetzt Gasanschluß und asphaltierte Straßen. Die Opposition hält dagegen: Die Auslandsschulden lägen in Wirklichkeit bei 4,5 Mrd. Dollar. Das Wachstum wird von einer 24-Prozent-Inflation aufgefressen. Das Gas könnten die Bauern nicht bezahlen, weil es zu teuer ist und die Wege in den Dörfern würden nur deshalb asphaltiert, weil man auf diese Weise die Radioaktivität zu bekämpfen versuche. In Weißrußland gibt es größere Gebiete, die durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl verseucht wurden.

Verprügelt, verhaftet, des Landes verwiesen

Seit dem Referendum vergeht kein Tag ohne unangemeldete Demonstrationen der Opposition. Die Aktionen werden regelmäßig von der gefürchteten OMON-Sonderpolizei per Schlagstock und Massenverhaftungen aufgelöst. Unmittelbar nach der Volksabstimmung waren mehrere Tausend Menschen auf die Straße gegangen. Vier Tage später demonstrierten immerhin noch 200 Menschen auf dem Oktjabrskaja-Platz in Minsk, wo sich die Residenz von Aleksandr Lukaschenko befindet. Junge Leute von der Oppositionsgruppe „Subra“ riefen „Lukaschenko hat verloren“ oder „Lukaschenko hat Angst“. Vertreter der „Vereinigten Bürgerpartei“ trugen Porträts ihres Vorsitzenden Anatoli Lebedko mit sich. Dieser war kurz zuvor gemeinsam mit 48 anderen Demonstranten verhaftet worden. Geheimdienstbeamte hatten ihn in das Restaurant „Patio Pizza“ geschleppt, dort mit Handschellen an ein Eisenrohr gefesselt und verprügelt. Lebedko wurde mit einer Gehirnerschütterung und inneren Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert.

Der Korrespondent des russischen Fernsehkanals NTW, Konstantin Morosow, der Lebedko gefilmt hatte, wurde von den Sicherheitsbeamten auf den Boden geworfen. Anschließend wurde der Journalist und seine Kamera mit Fußtritten bearbeitet. Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Nikolai Statkewitsch, wurde zu zehn Tagen Haft verurteilt. Pawel Sewerinez, der Leiter der nationaldemokratischen „Jungen Front“, bekam eine Haftstrafe von 15 Tagen. Der Korrespondent des russischen Fernsehkanals ORT, Pawel Scheremet, konnte Weißrußland inzwischen verlassen. Die Anklage gegen ihn wegen „Rowdytums“ wurde fallengelassen. Scheremet kündigte an, er werde weiter zum Fall seines 1999 verschwundenen und wahrscheinlich ermordeten ORT-Kollegen Dmitri Sawatzki ermitteln. Offenbar ist Sawatzki Opfer einer Todesschwadron geworden, die von hohen weißrussischen Staatsbeamten geleitet wurde.

Nur Moskau hält Minsk die Treue

Mit seiner Amtszeitverlängerung hat sich Lukaschenko international in eine Sackgasse manövriert. Noch ist die Opposition im Land schwach und die russische Führung hält ihm die Treue. Nach der Kritik von Seiten der OSZE und des deutschen Außenministers wurde das Referendum nun aber auch von der EU als „undemokratisch“ kritisiert. US-Präsident Bush ging noch einen Schritt weiter, indem er in Washington ein Gesetz zur „Förderung der Demokratie in Weißrußland“ in Kraft setzte. Das Gesetz sieht die Einführung von Wirtschaftssanktionen gegen das Land, sowie die finanzielle Unterstützung von weißrussischen Nichtregierungsorganisationen vor. Der US-Präsident fordert die Wiederholung der Wahlen in Weißrußland.

Lukaschenko, der schon seit einem Jahr Einreiseverbot in die USA hat, reagierte auf diese Maßnahmen mit einer Haßtirade gegen den Westen. Vor laufender Kamera hetzte er, der Westen wolle aus weißrussischen Mädchen Prostituierte machen, Drogen und das Schwulsein in Weißrußland verbreiten. „Die USA setzen ihren dummen Druck auf Weißrußland fort,“ gab sich der Alleinherrscher selbstbewußt. „Die Sanktionen machen uns keine Angst“, bekundete der stellvertretende weißrussische Wirtschaftsminister Andrej Tur. Außerdem gingen nur drei Prozent der weißrussischen Exporte in die USA, so Tur. Der weißrussische Wirtschaftsexperte Waleri Daschkewitsch erklärte, es gäbe ein „Mobilisierungsmodell auf Basis alter sowjetischer Betriebe“. Damit könne die Wirtschaft noch auf lange Zeit aufrechterhalten werden. Kritisch könnte es nur werden, wenn die EU sich Sanktionen anschließt, denn ein Viertel der weißrussischen Exporte gehen in die EU.

Rußland stellte sich in diesen Tagen eindeutig auf die Seite von Minsk. „Sanktionen lösen die Probleme nicht“, erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow. Allein vom UN-Sicherheitsrat beschlossene Sanktionen seien „effektiv“. Der Duma-Sprecher und ehemalige russische Innenminister, Boris Gryslow, sagte, das Referendum und die Wahlen in Weißrußland seien korrekt abgelaufen. Die russischen Medien äußerten sich dagegen kritisch zur Lage im Nachbarland. Der russische Fernsehkanal NTW zeigte, wie sich in Minsk demonstrativ biertrinkende Männer mit kurzem Haarschnitt und kräftigem Körperbau – einige von ihnen mit Europa-Fahnen – unter die Demonstranten mischten. Der Fernsehsender ließ keine Zweifel daran, daß es sich um staatlich bezahlte Provokateure handelte, welche die Demonstration in die Ecke des „Rowdytums“ stellen sollten. Der Leiter der Presseabteilung im weißrussischen Außenministerium, Andrej Sawinych, kritisierte die Berichterstattung „einiger russischer Fernsehkanäle“ als „äußerst unfreundlich“ und „voreingenommen“.

GUS Osteuropa

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