09.08.2023 13:11:56
EM-INTERVIEW
Von Hans Wagner
Eurasisches Magazin: Bis Jahresende soll durch Betreiben Putins auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion eine Eurasische Union entstehen. Sie haben den Initiator im Waldai- Klub darüber ausgefragt. Was haben Sie von ihm erfahren?
Alexander Rahr: Das Treffen mit Putin hat drei Stunden gedauert und war der Höhepunkt meiner Gespräche. In der Tat wird - exakt 20 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion - auf 80 Prozent des ehemaligen UdSSR-Territoriums eine neue Union entstehen, unter dem Namen Eurasien. Diesem Staatenbund, der Ähnlichkeit mit der früheren Europäischen Union der fünfziger Jahre haben soll, werden die Länder Russland, Kasachstan, Belarus, Kirgisistan und Tadschikistan beitreten.
EM: Plant Putin die Wiedererrichtung der Sowjetunion?
Rahr: Das sicher nicht. Die Eurasische Union ist zunächst nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, eine Freihandelszone. Sie wird noch keinen eigenen Präsidenten und kein Parlament besitzen. Aber an ihrer Spitze werden, nach Brüsseler Vorbild, Eurasien-Kommissare stehen, die eine Vereinheitlichung der Rechts- und Wirtschaftssysteme der integrationswilligen Ex-Sowjetrepubliken herbeiführen sollen.
EM: Aber in einer solchen Union dominiert doch Russland über alle anderen Staaten. Wollen diese tatsächlich ihre gerade erworbene Souveränität wieder aufgeben?
Rahr: Die Integration wird vorsichtig vonstattengehen. Russland will die integrationswilligen Länder nicht verschrecken. Natürlich spielt Moskau aber seine finanzielle Macht in der Finanzkrise aus. Russland ist bereit, den Staaten, die der Eurasischen Union beitreten, billiges Gas zu liefern, Kredite zu verteilen und den eigenen Markt zu öffnen. Doch ein inzwischen ebenfalls mächtiges Land wie Kasachstan wird sich kaum von Moskau so einfach vereinnahmen lassen.
EM: Was genau hat Ihnen Putin auf Ihre direkte Frage nach den Zielen des neuen Integrationsmodells geantwortet?
Rahr: Ich habe Putin direkt gefragt, ob die Eurasische Union eine Art Brücke für postsowjetische Staaten in die EU sei, eine Art Zwischenweg zur Vereinigung West - und Osteuropas in ein gemeinsames Europäisches Haus, wie es Michail Gorbatschow vor 20 Jahren vorgeschlagen hat. Immerhin hat Putin vor genau einem Jahr auf dem Forum der Süddeutschen Zeitung in Berlin den Vorschlag einer Freihandelszone von Brest bis Wladiwostok gemacht. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat damals abgelehnt - Russland müsse zunächst der WTO beitreten.
EM: Und was hat er geantwortet? Die letzte Barriere für den Beitritt Russlands zur WTO, nämlich das georgische Veto, ist ja vom Tisch. Kann damit Eurasien nach russischen Plänen entstehen?
Rahr: Putins Antwort hat mich ein wenig verwirrt. Einerseits sagte er, alle Staaten der Eurasischen Union müssten der WTO beitreten und sich gemeinsam der EU annähern. Andererseits sagte er, die Traditionen der postsowjetischen Staaten seien mit dem westeuropäischen Aquis – dem verbindlichen gemeinschaftlichen Besitzstand - nicht vereinbar. In einen westeuropäischen Werteklub wolle sich die Eurasische Union nicht verwandeln. Auch sei die Eurasische Union keine Brücke, sondern ein autonomes Bündnis. Aber dann ließ er sozusagen die Katze doch aus dem Sack.
EM: Nämlich? Verriet Putin Ihnen Einzelheiten darüber, was er mit der Gründung der Eurasischen Union vorhat?
Rahr: Er sagte, die Eurasische Union würde sich sowohl Richtung EU als auch Richtung China orientieren. Der Handel mit China würde intensiver und „strategischer“. Man verkaufe den Chinesen inzwischen viel Öl, Gas, Waffen und auch Atomreaktoren. Die EU dagegen würde Russland vom westlichen Gasmarkt verdrängen. Russland würde sich das nicht bieten lassen. Es würde seine Pipelines jetzt von West nach Ost umfunktionieren.
EM: Wie soll man das verstehen?
Rahr: Ganz einfach. Die Eurasische Union, territorial gesehen zehnmal größer als die EU, würde den großen östlichen Teil des europäischen Kontinents mit Asien verflechten. Falls die Westeuropäer Russland in ihrem Europa nicht haben wollen, wird Putin die wirtschaftliche Integration mit Asien suchen, obwohl diese Idee im Westen heute als völlig unrealistisch und als reine Putin-Propaganda bezeichnet wird.
EM: Und wie ist es wirklich? Ist diese Eurasische Union mehr als nur Propaganda? Geht es doch in Richtung auf eine neue Sowjetunion, wenn auch mit asiatischer Schwerpunktverlagerung?
Rahr: Die Eurasische Union ist keine neue Sowjetunion. Wer ein russisches Imperium zurückhaben möchte, ist irre, hat Putin im Waldai Klub gesagt. Es geht aber um die historische Findung einer Rolle für Russland und die anderen postsowjetischen Staaten in der neuen Weltwirtschaftsordnung des 21. Jahrhunderts. Diese Staaten werden von uns nicht in die EU aufgenommen, die EU ist durch die Euro-Krise auf Jahrzehnte geschwächt. Also suchen sie nach anderen Überlebensformen in einer Weltwirtschaft, die sich regional überall integriert. Wenn es EU, NAFTA, MERCASUR, ASEAN, Afrikanische Union und die Islamische Wirtschaftsunion gibt - warum sollten sich die ehemaligen Sowjetrepubliken nicht in ein eigenes Regionalbündnis zusammenschließen? So wird es laufen.
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Siehe auch EM-Interview „Wir können die Herausforderungen der Zukunft nur zusammen mit Russland meistern“ in EM 10-2011 und die Buchrezension zu Alexander Rahr „Der kalte Freund – Warum wir Russland brauchen: Die Insider-Analyse“ in EM 10-2011.
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