„Wir Polen haben dem russischen Bären die Zähne ausgeschlagen“GEWERKSCHAFT SOLIDARNOSC

„Wir Polen haben dem russischen Bären die Zähne ausgeschlagen“

„Wir Polen haben dem russischen Bären die Zähne ausgeschlagen“

Vor einem Vierteljahrhundert wurde die polnische Gewerkschaft Solidarnosc gegründet. Sie trug wesentlich zum Niedergang des Kommunismus im gesamten Ostblock bei. Lech Walesa war nicht nur Solidarnosc-Führer sondern er wurde später auch zum polnischen Präsidenten gewählt und mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Mit ihm sprach n-ost-Korrespondent Andreas Metz.

Von Andreas Metz

  Lech Walesa und die Solidarnosc
  Lech Walesa wurde am 29. September 1943 nahe Bromberg (Bydgoszcz) geboren. Der gelernte Elektriker war bereits 1970 an Streiks auf der Danziger Lenin-Werft beteiligt, die blutig niedergeschlagen wurden. 80 Arbeiter fanden damals den Tod.

In den 70er Jahren wurde Walesa mehrfach wegen Beteiligung an anti-kommunistischen Aktionen festgenommen und verlor mehrfach seine Arbeit. Nach dem Beginn der Streiks auf der Lenin-Werft im Sommer 1980, Auslöser der Proteste waren massive Preiserhöhungen für Grundnahrungsmittel und die Entlassung der oppositionellen Kranführerin Anna Walentinowicz, kletterte Walesa am 14. August 1980 über die Werftmauer und stieg zum Streikführer auf. Er handelte mit der Regierung am 31. August die „Danziger Vereinbarung“ und die Zulassung der Gewerkschaft „Solidarnosc“ aus.

Ende 1982 verbot Premierminister Wojciech Jaruzelski nach massivem Druck durch die Sowjetunion (aber auch der DDR) die Gewerkschaft wieder, über Polen wurde das Kriegsrecht verhängt, Walesa für elf Monate interniert. 1983 erhielt er den Friedensnobelpreis. Die „Solidarnosc“ arbeitete im Untergrund weiter.

1988 erschütterten ausgehend von Danzig wieder mehrere Streikwellen das Land. Die kommunistische Regierung willigte in Gespräche mit der Opposition ein. Walesa, Wortführer des Bürgerkomitees, handelte halbfreie Wahlen aus, die am 4. Juni 1989 mit einem Desaster für die Kommunisten endeten. Tadeusz Mazowiecki stieg zum ersten nicht-kommunistischen Regierungschef im gesamten Warschauer Pakt auf.

Lech Walesa selbst wurde am 9. Dezember 1990 mit 74 Prozent der Stimmen vom Volk zum polnischen Staatspräsidenten gewählt. Nach einer hektischen Zeit demokratischer und marktwirtschaftlicher Reformen und rasch wechselnder Regierungen verlor Walesa 1995 die Stichwahl knapp mit 48,3 Prozent gegen den Post-Kommunisten Alexander Kwasniewski.

Bei den Präsidentschaftswahlen 2000 wünschten sich dann nur noch ein Prozent der Polen Walesa als Präsident. Auch die „Solidarnosc“ spielt nach mehreren Spaltungen seit 2001 keine Rolle mehr im polnischen Parteiensystem, wiewohl sie als Gewerkschaft weiter über Einfluß verfügt.
Lech Walesa im Interview  
Lech Walesa im Interview  

Eurasisches Magazin: Im August feiert Polen die Gründung der Gewerkschaft Solidarnosc vor 25 Jahren. Seit dieser Zeit ist viel passiert. Das Gründungsmitglied des Warschauer Paktes ist mittlerweile festes Mitglied in EU und Nato. Hätten Sie 1980 mit einer derart rasanten Entwicklung gerechnet?

Lech Walesa: Ich überlege mir das tatsächlich manchmal, wie das überhaupt möglich war: In Polen waren 1980 über 200.000 Sowjetsoldaten stationiert. Und um Polen herum eine Million sowjetischer Soldaten. Mit Nuklearwaffen. Wir sind sie friedlich losgeworden. Die wissen selbst bis heute nicht, wie es dazu kommen konnte. Die werden noch lange mit Promotionen und Habilitationen nach der Antwort suchen. Und wir haben alle auf verschiedene Weise daran mitgewirkt, mit der Solidarnosc und mit der Solidarität der ganzen Welt.

EM: Was war damals der Auslöser für die Streikbewegung?

Walesa: In den 70er Jahren war Polen schon sehr ausgeblutet. Ich habe versucht, Leute zu finden, die mit mir kämpfen wollten, und ich habe in einem Volk von 40 Millionen nur zehn Leute gefunden. Die Leute glaubten einfach nicht daran, daß der Kommunismus zu bezwingen sei. In diesem Zustand der Schwäche wurde ein Pole zum Papst gewählt. Ein Jahr nach seiner Wahl kam er nach Polen. Er sagte: „Fürchtet euch nicht, das Antlitz der Welt zu verändern.“ Er hat nicht zum Kampf aufgerufen. Es gibt keinerlei Verschwörung, in die der Papst verwickelt ist. Aber er hat das so gut gemacht, daß jeder Bürger, der ihm zuhörte, sich selbst die Frage stellen mußte: Wie ist es überhaupt möglich, das ganze Volk ist gläubig, und die Kommunisten regieren hier? Nach der Pilgerreise des Papstes hatte ich nicht nur zehn Anhänger sondern zehn Millionen Leute standen hinter mir.

EM: Große Betriebe wie die Lenin-Werft gab es auch in anderen polnischen Städten. Warum konnte sich die Streikbewegung ausgerechnet in Danzig durchsetzen?

Walesa: Vielleicht wegen des Meeres, vielleicht wegen der Kontakte mit dem Westen. Aktive aus dem ganzen Land sind damals nach Danzig gekommen. Schließlich bin ich auch aus Zentralpolen nach Danzig gegangen. Ich wollte größere Horizonte erreichen.

Gorbatschow hat ungewollt eine positive Rolle gespielt

EM: Die Solidarnosc wurde 1981 wieder verboten, in Polen das Kriegsrecht ausgerufen, sie selbst hat man inhaftiert. Bis Gorbatschow 1985 in Moskau an die Macht kam, sah es nicht gut aus. Wie beurteilen Sie seine Rolle?

Walesa: Gorbatschow hatte eine Generalrenovierung des Kommunismus im Sinn. Aber das ist natürlich nicht gelungen. Diese totale Pleite war ein positiver Effekt für uns, für die Kämpfenden. Gorbatschow hat noch versucht zu schießen, in Litauen, in Estland. Dann wurde der Widerstand noch größer. Die Flucht nach vorn, das war dann seine einzige Rettung. Man muß sich das so vorstellen: Gorbatschow als Chauffeur in einem riesigen LKW, er will damit bergauf fahren. Dabei hat er nicht mitgekriegt, daß die Polen ihm inzwischen den Motor ausgebaut hatten. Da konnte er nur noch rückwärts fahren. Indem er zurückgefahren ist, hat er Polen aber nicht überfahren. Er hätte uns ja anfahren können und mit runterreißen in den Abgrund. Dafür achten wir ihn. Er hat ungewollt eine positive Rolle gespielt und dafür hat er den Nobelpreis bekommen. Sehen Sie, haben Sie keine Angst vor gescheiterten Experimenten, auch dafür kann man einen Preis gewinnen.

EM: Welche Kontakte hatte die Solidarnosc damals nach Deutschland? Und wie sah die Unterstützung aus? Es ist ja bekannt, daß die damals in Bonn regierende SPD mehr auf Gespräche mit den herrschenden Kommunisten setzte und eher Distanz zur Solidarnosc wahrte.

Walesa: Was die Unterstützung aus dem Westen betrifft, so ist das alles eigentlich sehr ideal gewesen. Ein Teil war dafür, ein Teil dagegen, das hat die Wachsamkeit der Sowjets eingeschläfert. Hätten die uns zu sehr geholfen, dann wären die Sowjets gegen uns vorgegangen. Hätten sie zu wenig für uns getan, hätten wir das nicht überlebt. Wir Polen haben dem russischen Bären die Zähne ausgeschlagen, die Deutschen haben dann die Mauer gestürmt, die Tschechen die samtene Revolution durchgeführt. Ich würde sagen, wir haben den Kampf zusammen ideal geführt. Auch mit den DDR-Oppositionellen hatten wir Kontakt. Manche waren direkt von der Stasi, aber macht nichts. Andere waren wirklich gut. Man muß sich dazu mal die Dokumente anschauen, die von der Stasi und unsere.

„Man kann aus einem Aquarium leicht eine Fischsuppe machen – umgekehrt ist es schwieriger“

Lech Walisa als Comic-Held  
25 Jahre Solidarnosc  
Zum 25. Jahrestag der Streiks auf der Danziger Werft, ist unter dem Titel
„Solidarnosc - die Hoffnung der einfachen Menschen“ in Polen ein 60seitiger
Comic erschienen.

Das Titelbild ziert ein jubelnder Lech Walesa, der von streikenden Arbeitern auf Händen getragen wird. Zu kaufen ist das Heft in
polnischen Buchhandlungen für 19.90 Zloty (5 Euro). Außerdem kann es im
Internet unter www.agg.com.pl bestellt werden. Eine Übersetzung ins Deutsche ist geplant.
 

EM: Ihre Ideale, die Sie damals vor 25 Jahren hatten, haben die sich eigentlich erfüllt?

Walesa: Ja. Die großen Sachen ja, die haben wir erreicht. Und wenn ich heute noch mal anfangen müßte, ich würde nichts ändern. Es gibt keinen dritten Weg. Der Kommunismus ist untergegangen, den Kapitalismus mußte man aufbauen. Aus dem Kapitalismus den Kommunismus zu machen, das ist eine ganz einfache Sache. Ein paar Dekrete, paar Soldaten und fertig. Das ist genauso, wie man aus einem Aquarium eine Fischsuppe machen kann, man wärmt das einfach ein bißchen auf, gibt ein paar Gewürze dran, fertig ist das. Aber aus einer Fischsuppe ein Aquarium zu machen, das heißt aus dem Kommunismus den Kapitalismus, ist schon schwieriger, und trotzdem haben wir das geschafft. Ich weiß nicht, ob jemand anderes das besser hätte tun können.

EM: Warum sehen Ihre polnischen Landsleute Sie heute nicht mehr als Helden?

Walesa: Ich war damit einverstanden, den Kampf gegen den Kommunismus zu führen und war damit auch einverstanden, Polen durch eine schwierige Zeit zu führen. Wenn ich Werftarbeiter wäre und mich plötzlich auf der Straße wiederfände, würde mir das auch nicht gefallen. Aber was sollte ich tun? Wenn ich nicht nur fünf Jahre Präsident gewesen wäre, sondern zehn Jahre, hätte ich mehr tun können, aber das Volk hat mir die Chancen nicht gegeben. Allein die Tatsache, daß wir das überlebt haben, ist schon ein Wunder. Wir hatten nur ein Polen, nicht so, wie die DDR die BRD gehabt hat. Und Kohl hat sich dort so große Mühe gegeben und trotzdem wurde er mit Eiern beworfen. Und die DDR? Die sind immer noch nicht zufrieden, obwohl sie so viel Geld bekommen haben. Ja, wenn ich solches Geld gehabt hätte, wie die DDR von Kohl bekommen hat, dann hätte ich die Wahl gegen Kwasniewski 1995 nicht verloren.

„Das derzeitige westliche System gefällt mir nicht – es wird das Jahrhundert nicht überleben“.

EM: Der Kommunismus ging unter, weil er den Menschen keine Zukunft geben konnte. Die Zukunftsängste scheinen aber heute kaum geringer, ist das nicht merkwürdig?

Walesa: Klar, das derzeitige westliche System gefällt mir nicht, die denken immer nur daran, etwas zu verdienen. Hier und heute, weitreichende Pläne haben sie nicht. Deswegen wird dieses westliche System das Jahrhundert nicht überleben, wenn wir es nicht verbessern. Wie kann denn das sein, daß auf der Welt zehn Prozent der Menschen reicher sind als die restlichen 90 Prozent zusammen. Das kann die Welt auf Dauer nicht aushalten. Es sei denn, ihr jungen Leute hört auf den alten Walesa und wir ändern das zusammen.

EM: Derzeit fordern in Polen rechte Parteien einen Neuanfang, eine vierte Republik. Man müsse belastete Kommunisten endlich aus dem System entfernen, so wie in Deutschland. War es damals ein Fehler, im Rahmen des Runden Tisches die Kommunisten einzubinden und einen dicken Strich unter die Vergangenheit zu ziehen?

Walesa: Die Rundtischgespräche waren eigentlich eine Niederlage, aber wir sind auf eine gemeinsame Ebene gekommen. Die waren der Meinung, daß sie uns kaputt machen und wir waren der Überzeugung, daß wir die zerstören, so ein Klima herrschte damals. Wir haben einen Präsidenten Jaruzelski akzeptiert. Und viele solcher Sachen, die nicht gut waren. Es bestanden noch die kommunistischen Gesetze. Ich hatte keine eigene Partei, keine eigene Basis. Um mich herum waren alles Agenten. Hätte ich früher wirklich gesagt, was ich vorhabe, dann hätten sie uns ja liquidieren müssen. Natürlich müssen wir heute aber der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen, wir müssen mit den Agenten abrechnen. Aber wenn wir Politiker heute mit denen abrechnen, die gestern waren, werden morgen die mit uns abrechnen. Wir kommen nie raus aus dem Teufelskreis. Das ist deshalb allein die Aufgabe der Staatsanwaltschaften und der Polizei.

„Der neue Papst sollte als zweite Staatsangehörigkeit die polnische annehmen“.

EM: Johannes Paul II., das große Symbol für den Aufbruch in Polen, ist tot. Wie beurteilen Sie den neuen deutschen Papst?

Walesa: In Polen ist das ganze Volk katholisch. In Deutschland ist dieser Glaube in der Minderheit. Meiner Meinung nach sollte der heilige Vater als zweite Staatsangehörigkeit die polnische annehmen, dann hätte er eine größere Basis. Dann würde er sich auch besser fühlen und könnte mehr tun. Er hat die Unterstützung von Polen, er wird geliebt in Polen. Käme er zu uns, würde er noch mehr Unterstützung erhalten.

EM: Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?

Walesa: Ich habe immer dasselbe getan. Ich war für dasselbe im Gefängnis, ich war für dasselbe Präsident und ich bin nun für dasselbe ehemaliger Präsident. Ich habe jede Menge Einladungen, die Hälfte des Jahres bin ich im Ausland. Ja, viele fragen sich, wo ist denn eigentlich Walesa? Der war doch so groß, und wo ist er jetzt? In den Gewerkschaften? Dann müßte ich eine Gewerkschaft der ehemaligen Präsidenten gründen. Dann vielleicht in der Politik? Es gibt aber in Polen „nur“ 20 ernstzunehmende Parteien, in welcher soll ich denn sein? Aber niemand wird mich zu sich in die Partei lassen. Ich kann auch irgendeine Partei organisieren. Vielleicht würde diese Partei 2000 Mitglieder haben, aber sicher nicht mehr. Ich hatte aber zehn Millionen, wie würde ich mich jetzt fühlen? Und außerdem ist dies eine Zeit der Demagogie, des Populismus. Ich habe aber eine Vision. Gut oder schlecht, aber ich habe eine, und die anderen nicht. Walesa ist nicht schwach, Walesa weiß, was passiert. Aber heute habe ich eben keinen Platz.

EM: Vielen Dank für das Gespräch.

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Andreas Metz ist Korrespondent von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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