Wohin steuert Pakistan?SÜDASIEN

Wohin steuert Pakistan?

Wohin steuert Pakistan?

Pakistan hat gewählt. Wahlsieger und neuer Regierungschef ist Imran Khan (65), ein ehemaliger Cricket-Star und langjähriger Oppositionspolitiker - Wer ist Imran Khan und welche politische Agenda will Khan umsetzen?

Von Wilfried Arz | 29.08.2018

Verdacht auf Wahlfälschung

Wurden in Pakistan die Wahlen gefälscht? Dies zumindest behaupten Parteien, die Ende Juli unerwartet Stimmeneinbußen hinnehmen mussten. Ungewöhnlich: bereits knapp einen Tag nach der Wahl erklärte sich der Oppositionspolitiker Imran Khan (65), ein ehemaliger Cricket-Spieler als Wahlsieger, obwohl weniger als die Hälfte aller Stimmzettel ausgezählt waren. Khans PTI Pakistan Tehreek-e-Insaf (Bewegung für Gerechtigkeit) konnte 115 Sitze im Parlament von Islamabad erringen - mehr Sitze als jede andere Partei, doch zu wenig für eine stabile Regierungsbildung.

Geringe Wahlbeteiligung

Ein Koalitionsbündnis mit einigen kleinen Parteien verschaffte Imran Khan eine Regierungsmehrheit. Zwei bislang dominierende Parteien wurden in die Opposition geschickt: die Pakistanische Muslimliga (PML-N) der Sharif-Familie (64 Sitze) und die Pakistanische Volkspartei (PPP) des Bhutto-Klans (43 Sitze). Von insgesamt 342 Sitzen im Parlament wurden 272 direkt gewählt, die restlichen zugeteilt: für Frauen (60) und Nicht-Muslime (10). Nur knapp 52 Prozent der 106 Millionen registrierten Wähler gaben ihren Stimmzettel in 85.000 Wahllokalen ab.

Wunschkandidat des Militärs

Politik in Pakistan ist Familiensache. Seit Jahrzehnten bestimmen zwei schwerreiche Dynastien die Geschicke des Landes: die Bhuttos aus der Provinz Sindh und die Sharifs aus der Provinz Punjab. Beide Familien sind tief verstrickt in zahlreiche Korruptionsaffären, beide hatten auf einen Wahlsieg gehofft. Jenseits formaldemokratischer Wahlprozesse läuft in Pakistan jedoch nichts ohne das Militär. Imran Khan gilt als Wunschkandidat der Militärführung. Ungewöhnlich: die starke Präsenz von Soldaten (370.000) vor und auch in den Wahllokalen (2013: 70.000). Hatte das Militär beim Wahlsieg Khans die Hände im Spiel?  

Hoffnungsträger Imran Khan

Pakistans Medien zeichneten Imran Khan als integren Oppositionspolitiker und neuen Hoffnungsträger, der Pakistan in eine bessere Zukunft führen könnte - unbelastet vom Korruptionssumpf des etablierten politischen Establishments. Doch drohten spektakuläre Veröffentlichungen Khans Karriere fast vorzeitig zu beenden.

Pakistans reiche Steuerflüchtige

2016 waren die sogenannten „Panama-Papiere“ veröffentlicht worden. Interne Unterlagen der Anwaltskanzlei Mossack-Fonseca in Panama City mit brisantem Details über Steuerflüchtige in aller Welt, die Teile ihres Vermögens in Steueroasen verschoben haben. Die „Panama-Papiere“ enthielten auch Namen von reichen Pakistani aus Wirtschaft, Politik und Justiz. Dem pakistanischen Regierungschef Nawaz Sharif wurden die Enthüllungen zum Verhängnis: Sharif musste zurücktreten, er und Tochter Maryam Sharif  2017 zu hohen Geld- und Haftstrafen verurteilt.

Imran Khan und die Panama-Papiere

Auch der Name von Imran Khan tauchte in den „Panama-Papieren“ auf. Im Kontext der Korruptionsvorwürfe gegen Nawaz Sharif gelang es Khan nur mit Mühe, seine eigenen, in England erworbenen Luxusimmobilien als legale Transaktion zu rechtfertigen. Seiner Popularität scheint diese Enthüllung offenbar nicht geschadet zu haben. Auch ein deklariertes Privatvermögen von rund 16 Millionen US-Dollar hat sich für Imran Khan nicht als Stolperstein bei seinem politischen Aufstieg entpuppt. 

Populistische Wahlversprechen

Im Wahlkampf fasste Imran Khan seine politische Agenda schlagwortartig in 11 Punkten zusammen. Populistische Versprechen wurden mit religiösen Akzenten verknüpft: Stärkung islamischer Wertvorstellungen und Aufbau eines islamischen Wohlfahrtsstaates. Der breiten Bevölkerung wurde eine Verbesserung von Bildungswesen und Krankenversorgung sowie zehn Millionen (!) neue Arbeitsplätze in Aussicht gestellt. An Pakistans Wirtschaft richtete Khan das Bekenntnis zu liberaler Wirtschaftspolitik mit Privatisierungen von Staatsbetrieben. Zur Entlastung des Staatshaushaltes will Khan den Abbau der hohe Kosten verschlingenden Staatsbürokratie in Angriff nehmen und Korruption bekämpfen. Ehrgeizige Ziele, die angesichts einer prekären Wirtschaftslage schwer umzusetzen sein dürften.        

Wirtschaft vor dem Kollaps?

Experten sehen Pakistan am Rande des wirtschaftlichen Kollapses. Das Zahlungsbilanzdefizit liegt aktuell bei rund 18 Milliarden US-Dollar. Devisenreserven sind auf 10 Milliarden USD geschrumpft, die öffentliche Schuldenlast auf 75 Milliarden USD gestiegen. Unverzichtbar für die Zahlungsfähigkeit des Landes bleiben Geldtransfers von insgesamt 6 Millionen Übersee-Pakistani (davon über 3 Millionen Arbeits-migranten in arabischen Golfstaaten) - 2016 insgesamt 20 Milliarden US-Dollar. Im Wahlkampf bediente sich Imran Kahn patriotisch gefärbter Rhetorik, um seine Landsleute im Ausland aufzurufen, in ihrem Heimatland zu investieren. In Pakistan wird dieser Bevölkerungsgruppe das Wahlrecht allerdings bis heute verwehrt.

Zahlungsbilanzprobleme durch Chinas Megaprojekt

Verschärft werden Pakistans Zahlungsbilanzprobleme durch das Megaprojekt eines Wirtschaftskorridors China-Pakistan zwischen Xingjing/China und dem Arabischen Meer. Die Kosten sollen inzwischen auf fast 60 Milliarden US-Dollar gestiegen sein. Das kreditfinanzierte Megaprojekt belastet Pakistans Haushalt erheblich. Drückende Zahlungsverpflichtungen gegenüber China könnten Islamabad nun zwingen, einen Milliardenkredit beim Internationalen Währungsfond (IWF) zu beantragen. Doch werden IWF-Kredite mit harten Bedingungen verknüpft: makroökonomischen Strukturanpassungen, die auch drastische Kürzungen sozialer Ausgaben verlangen.

Krasse soziale Gegensätze

Pakistans Bevölkerung von 2010 Millionen wächst mit über zwei Prozent/Jahr und besteht  offiziell zu 40 Prozent aus Analphabeten. Die Hälfte der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung ist jünger als 20 Jahre und lebt unterhalb der mit zwei Dollar/Tag definierten Armutsgrenze. Massenarmut in Pakistan steht aber auch immenser Reichtum gegenüber. Das US-Wirtschaftsmagazin Forbes listet 2018 acht superreiche Pakistani mit einem Vermögen von jeweils über einer Milliarde US-Dollar auf - zusammen fast 20 Milliarden.

Korruption

Auf dem Korruptionsindex von Transparency International belegt Pakistan Platz 117 von 180 erfassten Ländern. Zu den dicken Fischen unter Pakistans Kleptokraten zählt Asif Ali Zardari (63), 2008-2013 Pakistans Staatspräsident. Zardari war mit der 2007 ermordeten Benazir Bhutto verheiratet. Benazir, Pakistans Regierungschefin 1988-1990, 1993-1996 und im Westen als muslimische Demokratieikone gelobt, raffte mit ihrem Ehemann Millionen zusammen, die in London und Dubai investiert oder deponiert wurden. Asif Ali Zardaris Vermögen wird heute (konservativ) auf rund 1,8 Milliarden US-Dollar geschätzt. Damit gilt Zardari als zweitreichster Pakistani im Land. In der Politik will die Bhutto-Zardari-Familie auch in Zukunft mitreden: Sohn Bilawal (29) soll das politische Erbe seiner Mutter Benazir fortführen.    

Islamistischer Terror von Taliban und Al-Qaida 

Bombenanschläge und islamistischer Terror durch Taliban und Al-Qaida-Gruppen sorgen in Pakistan fast täglich für Schlagzeilen. Im Westen wurde Khan als “Freund” der terroristischen Taliban-Bewegung bezeichnet. Eine unzulässige Vereinfachung: Imran Khan ist (wie viele andere auch) der Meinung, dass Taliban und Al-Qaida in einem asymmetrisch geführten Konflikt nicht mit konventionellen militärischen Mitteln besiegt werden können und befürwortet deshalb Verhandlungen. 

Amerikakritische Rhetorik

In diesem Kontext übt Imran Khan offene Kritik am Dauereinsatz von US- und NATO-Truppen in Afghanistan und der aus seiner Sicht einseitigen Beziehung zwischen den USA und Pakistan. Konflikte mit US-Präsident Trump sind vorprogrammiert. Trump drohte Pakistan bereits mit Kürzungen amerikanischer Wirtschafts- und Militärhilfe. Washington befürchtet zudem eine Desintegration des Landes, dann könnten pakistanische Nuklearwaffen in die Hände radikaler Islamisten fallen. Bewaffnete Anschläge sind auf pakistanische Militärbasen mit vermuteten Nuklearwaffen-Depots bereits wiederholt verübt worden.    

Islamisierung in Staat und Gesellschaft

Seit der Militärherrschaft unter General Zia ul-Haq (1977-1988) haben sich islamische Fundamentalisten in Pakistans Machtstrukturen eingeschlichen. Die Allianz zwischen Militär und Mullahs ist ein offenes Geheimnis. Wahabitische Wertvorstellungen haben über ein enges, von Saudi-Arabien und Qatar finanziertes  Netzwerk von Koranschulen nicht nur Eingang in die Köpfe halbwüchsiger Pakistani gefunden. Militär und Geheimdienst ISI haben konservativ-islamisches Gedankengut inzwischen in die eigene ideologische DNA aufgenommen. Pakistans neuer Regierungschef Imran Khan kungelt mit islamischen Parteien und blockierte Gesetzesvorlagen, die eine zivilrechtliche Stärkung von Frauen sicherstellen sollten. Imran Khan vertritt konservative Positionen. 

Tauwetter zwischen Pakistan und Indien?

Im Wahlkampf griff Khan auch das Verhältnis zum ungeliebten Nachbarn Indien auf (Kriege: 1948, 1965, 1971; beide Länder sind atomar bewaffnet). Das Konflikt-verhältnis habe Pakistans wirtschaftliche Entwicklung behindert. Khan befürwortet deshalb einen intensiveren Handel mit Indien. Bislang galt die Lösung des Kaschmirkonfliktes als Vorbedingung für bessere Beziehungen mit Indien. Die Entmachtung von Nawaz Sharif 2017 wurde von Analysten auch mit dessen allzu freundlicher Indienpolitik interpretiert. Ob Imran Khan vom Militär bestimmt ist, ein neues Kapitel pakistanischer Indienpolitik aufzuschlagen, bleibt abzuwarten.

Innenpolitische Machtverteilung

Pakistans Parlament in Islamabad besteht nun aus einem Koalitionsbündnis zwischen Imran Khans PTI-Partei und einer Reihe kleiner Parteien. Damit wurden die beiden großen Parteien PML-N (Sharif-Familie) und PPP (Bhutto-Klan) auf die Oppositionsbank verwiesen. Der regierungsfähigen Mehrheit in Islamabad stehen    in vier Provinzparlamenten hingegen politische Machtverhältnisse gegenüber, die deutlich die politische Zerrissenheit des Landes reflektieren. Imran Khan wird in drei Provinzparlamenten Kompromisse mit politischen Rivalen eingehen müssen.

Pakistans instabiler Norden

Nur in Pakistans Norden konnte Imran Khan mit seiner PTI-Partei erwartungsgemäß einen haushohen Sieg erringen. Die politisch instabile Provinz Khyber-Pakhtunkhwa teilt Grenzen mit Afghanistan und dient als strategisches Rückzugsgebiet von Taliban und Al-Qaida, die von Afghanistan bis Kaschmir/Indien ein islamistisches Kalifat errichten wollen. Amerikanische Drohnenangriffe richten sich gegen diese Terrorbanden und forderten im Grenzgebiet bislang mehrere Tausend Opfer, darunter viele Zivilisten. Als Provinzchef hat Imran Khan diese politisch unruhige Provinz regiert und sich das Vertrauen der Bevölkerung erworben.

Punjab bleibt Domäne der Sharif-Familie

Pakistans bevölkerungsreichste und wirtschaftlich wichtige Provinz Punjab ist Heimat der schwerreichen Sharif-Familie. Hier konnte die PML-N des 2017 wegen Korruption entmachteten und verurteilten Nawaz Sharif wieder einen Wahlsieg verbuchen: 127 von 297 Sitzen im Regionalparlament. Dicht gefolgt von Imran Khans TPI mit 117 Sitzen. Eine mehrheitsfähige Regierung im Regionalparlament von Lahore bedarf einer Parteienkoalition. Will Imran Khan seine Reformagenda durchsetzen, wird er besonders im Punjab Widerstand seiner politischen Gegner zu spüren bekommen und Kompromisse eingehen müssen.

Sindh unter Kontrolle der Bhutto-Familie

Die Provinz Sindh mit Grenzen zum Nachbarland Indien ist Heimat der politisch einflussreichen Bhutto-Familie. Hier vermochte die PPP unter Führung von Bilawal Bhutto (29), Sohn der 2007 ermordeten Benazir Bhutto (Regierungschefin 1988-1990, 1993-1996), die meisten Sitze im Provinzparlament zu erringen. In Sindh liegt Karachi, mit 15 Millionen Einwohnern (2017) Pakistans größte Stadt und bedeutende Finanzmetropole. Auch in Sindh wird sich Imran Khan mit den Bhuttos politisch arrangieren müssen.

Rebellisches Belutschistan 

In der rohstoffreichen (Erdgas, Kupfer, Gold, Uran) Provinz Belutschistan mit Grenzen zu Afghanistan und dem Iran toben seit Jahrzehnten gewaltsame Unruhen. Sezessionistische Bewegungen fordern und kämpfen dort für politische Unabhängigkeit von Islamabad. Belutschistan ist von enormer strategischer Bedeutung: diese Provinz soll im Wirtschaftskorridor China-Pakistan eine wichtige Rolle für Chinas Energieversorgung spielen. Pakistans große Parteien finden unter der Bevölkerung in Belutschistan keinen politischen Rückhalt. Kleine lokale Parteien gingen als Wahlsieger hervor und haben im Regionalparlament von Quetta bereits ein (von Imran Khans PTI unterstütztes) Koalitionsbündnis gebildet.  

Spielregeln bestimmt das Militär

Politik und deren Spielregeln werden in Pakistan seit 1947 vom Militär bestimmt. Benazir Bhutto, Nawaz Sharif, Imran Khan und andere Figuren der politischen Elite sind austauschbar, ebenso die von ihnen geführten Parteien mit populistischen Wahlversprechen, die nie eingelöst werden. Zweifel sind angebracht, ob es dem neuen Regierungschef Khan gelingen wird, neue politische Weichenstellungen in die Wege zu leiten.

„Weicher“ Regimewechsel

Zur Durchsetzung seiner politischen Machtinteressen bediente sich Pakistans Militär 2017 nicht eines “harten Putsches” (wie 1958, 1977 und 1999), sondern inszinierte einen “weichen Regimewechsel” durch die politisch beeinflusste Justiz. Unter dem Beifall einer zunehmend selbstbewusst und korruptionssensibel auftretenden Mittelschicht liessen Pakistans uniformierte Strippenzieher rechtzeitig vor den Wahlen den allzu eigenwillig agierenden Regierungschef Nawaz Sharif wegen Korruption bei den Hörnern packen und durch eine lange Haftstrafe als politischen Querkopf ausschalten.

Begrenzte Handlungsspielräume

Die Entmachtung von Nawaz Sharif dürfte zugleich als Signal an das korrupte Establishment selbstherrlicher Provinzfürsten im Punjab und Sindh gerichtet sein. Sollte Khan nicht mehr ins politische Kalkül des Militärs passen, könnte ihn durchaus das gleiche Schicksal treffen wie seine politischen Rivalen. Wie bei Schach und Cricket gelten auch in der Politik Spielregeln, an denen sich die Akteure zu halten haben. Als Schachfigur des Militärs bleiben für Imran Khan auf dem politischen Parkett Pakistans die Handlungsspielräume deshalb in der Innen- und Außenpolitik begrenzt.

Wilfried Arz ist Politikwissenschaftler in Bangkok/Thailand.

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