Zehn Nächte in TeheranIRAN

Zehn Nächte in Teheran

Zehn Nächte in Teheran

Vor dreißig Jahren drängte sich eine für damalige Verhältnisse unvorstellbar große Zahl von Dichtern, Schriftstellern, Intellektuellen bei einer Veranstaltung des deutschen Goethe-Instituts in den Räumen der Deutsch-Iranischen Gesellschaft. Dieses vergessene Woodstock der Poesie war ein Meilenstein in der Geschichte des Niedergangs der korrupten Schah-Dynastie.

Von Edgar Klüsener

Blick auf das nächtliche Teheran  
Blick auf das nächtliche Teheran  

E s waren zehn Nächte im Oktober 1977, die in die Geschichte der modernen Lyrik eingegangen sind. Zehn verregnete und kalte Nächte im fernen Teheran, damals Hauptstadt der korrupten Dynastie von Schah Reza Pahlavi. Zehn Nächte voller Poesie, Leidenschaft, Aufbegehren und wilder Hoffnung. Zehn Nächte, die einem modernen Woodstock der Literatur so nahe kamen wie wohl keine andere literarische Lesung vorher oder nachher. Zehn Nächte im Garten der deutsch-iranischen Gesellschaft, die zudem einen der ganz seltenen wirklich großartigen Glanzpunkte deutscher Auslands-Kulturpolitik gekrönt haben, seinerzeit  in Deutschland kaum wahrgenommen worden waren und heute beinahe vergessen sind. Dabei waren sie eines der herausragenden Ereignisse auf dem langen Weg zu einer Revolution, die den Schah von Persien außer Landes und am Ende seinen ärgsten Widersacher, den islamischen Rechtsgelehrten Ruhollah Ayatollah Khomeini an die Macht spülen sollten.

Anthony Parsons, damals britischer Botschafter im Iran, schreibt in seinem Buch „The Pride and the Fall...“: „Iranische Dichter lasen im westdeutschen Kulturzentrum aus ihren Werken. Sie nutzten die Gelegenheit, in ihren Gedichten machtvolle Kritik am Regime zu üben. Die Zuschauerzahlen waren gewaltig, rund 62.000 Menschen kamen insgesamt in diesen zehn Nächten, und sie nahmen die Kritik offen an.“ - Für Parsons waren diese Lesungen ein Schlüsselereignis der langsam anrollenden iranischen Revolution, die zu diesem Zeitpunkt durchaus noch keine islamische war.

Dichterlesungen riefen die Foltertrupps der Geheimpolizei SAVAK auf den Plan

Einer, der im Zentrum des Sturms agierte, den iranische Dichter in diesen Nächten entfesselten, war Kurt Scharf, damals stellvertretender Leiter des Teheraner Goethe-Instituts und maßgeblich an der Organisation der Lesungen  beteiligt. Scharf, der sich seitdem auch als Übersetzer und Herausgeber moderner persischer Lyrik im deutschsprachigen Raum einen Namen gemacht hat, war 1973 nach Teheran versetzt worden und hatte schon zu einer Zeit Kontakte zu iranischen Schriftstellern aufgenommen, als diese vom Regime und dessen allgegenwärtiger brutaler Geheimpolizei SAVAK noch nach allen perfiden Regeln diktatorischer Kunst verfolgt worden waren.

Das Teheraner Goethe-Institut hatte bereits in den Sechzigern und frühen Siebzigern Lesungen mit iranischen Dichtern veranstaltet, diese Veranstaltungen aber eingestellt, als es für die teilnehmenden Dichter zu gefährlich geworden war, in aller Öffentlichkeit aus ihren oft verbotenen und unterdrückten Werken vorzulesen. So war zum Beispiel der Schriftsteller und Journalist Sirius Ali Nevada in den frühen Siebzigern von SAVAK verhaftet, gefoltert und eingekerkert worden, nur weil er für die Zeitung Ayandegan einen Bericht über eine Nacht der Dichtung im Goethe-Institut geschrieben hatte.

Mitte der siebziger Jahre eine zaghafte Liberalisierung

Da schien der Schah noch ganz auf der Höhe seiner Macht, gestützt von den USA, Großbritannien, aber auch von der alten BRD, für die der Folterfreund im Iran der wichtigste Wirtschaftspartner im Mittleren Osten war.

Mitte der Siebziger jedoch war die Opposition gegen den Schah bereits so breit gefächert, dass dieser sich genötigt sah – auch auf Druck der Carter-Regierung -, eine vorsichtige Liberalisierung der Gesellschaft zu erlauben. Immerhin, diese Phase zögerlicher Liberalisierung sollte es überhaupt ermöglichen, dass der bis dahin im Untergrund agierende iranische Schriftstellerverband zusammen mit dem Goethe-Institut die Veranstaltung organisieren konnte, die dann unter dem Namen „Da schab dar Tehran“ (Zehn Nächte in Teheran) so eindrucksvoll die Macht des vorgelesenen  Wortes in einem rauen politischen Klima demonstrieren sollte.

Aufsteigender Stern am iranischen Literaturhimmel: Huschang Golschiri

Wie fragil die Situation iranischer Dichter trotz der leichten Liberalisierung 1976 immer noch war, beschreibt Kurt Scharf so: „Alle Schriftsteller waren mit erheblichen Problemen konfrontiert, überhaupt zu veröffentlichen. Die Zahl der Veröffentlichungen war sehr gering. Einige arbeiteten in staatlichen Stellen, aber selbst die hatten Schwierigkeiten zu veröffentlichen. Andere schlugen sich als Journalisten durch, als Lehrer oder als Texter in den Reklameabteilungen staatlicher Behörden. Sie alle unterlagen strikter Zensur.“  

Gerade weil das Goethe-Institut in den vorhergegangenen Jahren intensiv mit iranischen Dichtern zusammengearbeitet hatte, war es erste Partnerwahl für den 1967 gegründeten Schriftstellerverband gewesen. Zu den jungen Literaten, die 1976 auf Kurt Scharf zukamen, gehörte übrigens auch der spätere Erich-Maria Remarque-Preisträger (1999) Huschang Golschiri, der heute als einer der Väter der zeitgenössischen iranischen Literatur gilt.

Das Goethe-Institut war mehr als bereit, die Organisation der Veranstaltung zu  übernehmen und seine örtliche Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Dass sich etwas Ungewöhnliches anbahnte, merkten Kurt Scharf und seine Kollegen allerdings schnell. Denn kaum begann die Kunde von der Lesung sich zu verbreiten, liefen auch schon die Telefone im Institut heiß.

Über zehntausend Besucher schon am ersten Abend

Scharf erinnert sich: „Wir wollten die Lesungen ursprünglich im Großen Garten des Instituts abhalten, der immerhin rund 2.000 Menschen Raum bot, aber dann kristallisierte sich heraus, dass der Platz nicht ausreichen könnte. Deshalb haben wir schließlich auf die Räumlichkeiten der Deutsch-Iranischen Gesellschaft zurückgegriffen.“

Aber selbst die waren nicht groß genug. Bereits am ersten Abend drängelten sich über zehntausend Besucher innerhalb des restlos überfüllten Areals und vor den Toren.

„Wir haben versucht die Tore zu schließen, aber das ging nicht mehr. Die Leute waren überall, sie kletterten auf Laternenpfähle, hockten in den Bäumen und saßen auf der Mauer, und es störte sie nicht im Geringsten, dass es regnete und dass es kalt war.“

Auch nicht, dass sie draußen wohl kaum ein Wort von dem verstanden, was drinnen gelesen wurde. Zumindest das ließ sich ändern. In der nächsten und den folgenden Nächten wurden zusätzliche Außenlautsprecher montiert. Die Behörden, wohl ebenso vom riesigen Zulauf überrascht wie die Organisatoren und die Dichter selbst, hielten sich zurück und unternahmen keine Anstalten, in den Ablauf oder die Organisation einzugreifen.

Wer dabei war, bekommt noch heute leuchtende Augen

Die, die dabei waren, egal ob als Vortragende, Organisatoren oder schlichte Zuhörer, bekommen noch heute leuchtende Augen, wenn sie an die Teheraner Dichter-Nächte zurückdenken, an jene ganz seltenen, zauberhaften Momente im Herbstregen, in denen Poesie die ganze Macht entfaltete, die ihr innewohnen kann. Jene Macht, die sie seit jeher den Herrschenden in aller Welt suspekt erscheinen lässt, selbst wenn sie oft kaum zu erahnen ist.

Bei vielen von denen, die sich da zehn Nächte lang zu Zigtausenden  versammelt hatten, hatte der Unmut mit der politischen und wirtschaftlichen Situation im Iran bereits den Siedepunkt erreicht. Sie hatten genug von dem korrupten Schah-Regime. Was sich in diesen zehn Nächten  zusammenbraute, war eine von den Initialzündungen der islamischen Revolution. Die hatte ja ursprünglich nahezu alle Gesellschaftsgruppen umfasst. Die Revolutionäre waren Kommunisten ebenso wie Nationalisten, Bazaris ebenso wie liberale Intellektuelle oder das verarmte Proletariat der Städte. Und natürlich die schiitische Geistlichkeit, von allen mit Abstand am besten organisiert, die am Ende als eigentliche Sieger aus der Revolution hervorgehen sollte, bis Ende 1978 aber durchaus im Schulterschluss mit all den anderen Gruppierungen agierte. 

In gewisser Weise war dieses Phänomen einer Dichterlesung als Massenereignis nur in einer islamisch geprägten Kultur möglich. Weil die  darstellenden Künste und die Musik in islamischen Gesellschaften erheblichen Beschränkungen unterliegen, kommt der Literatur seit Jahrhunderten eine herausragende Bedeutung zu. Gerade die Lyrik war und ist oft auch die einzige Kunstform, die in ihren Mehrdeutigkeiten versteckte und kodierte Kritik transportieren konnte und kann.

Für die Mehrheit der iranischen Dichter waren diese zehn Nächte von Teheran nur ein kurzer Moment überschwänglich zelebrierter Freiheit. Die Liberalisierung, die der schwer bedrängte Schah eingeleitet hatte und die ihnen erstmals seit Mossadeghs Zeiten wieder eine Ahnung von Ausdrucks- und Meinungsfreiheit beschert hatte, endete kurz nach dem endgültigen Sieg der islamischen Revolution. Ruhollah Khomeini, Autor des theoretischen Fundaments „Velayat-e Faqih“ (Wächterschaft des Juristen), auf dem die islamische Republik Iran seitdem basiert und damit selbst ein Schriftsteller, der in seiner Jugend außerdem Verfasser von schwülstiger Liebeslyrik gewesen war, wusste sehr wohl um die Macht des Wortes und nahm den Literaten Irans – von den strikt islamischen Poeten abgesehen – bald alle Freiheiten, die sie für so kurze Zeit genossen hatten. Ab 1980, nur ein Jahr nach dem Sturz der Monarchie, wurden iranische Literaten wieder nach altbekannten Mustern verfolgt.

Die zehn Nächte von Teheran: längst eine kraftvolle Legende

Die Anschuldigungen mögen seitdem anders lauten und religiös verbrämt sein, die Methoden der Verfolgung und Unterdrückung jedoch sind die gleichen, die schon des Schahs Schergen angewendet hatten.

Die zehn Nächte von Teheran aber sind gerade deswegen längst zu einer kraftvollen Legende geworden.

Die teilnehmenden Dichter sind tot oder im Exil, einige auch einfach verstummt. Kurt Scharf hat den Iran 1979 verlassen und ist im Dienst des Goethe-Instituts bis zu seiner Pensionierung Ende vergangenen Jahres noch ganz schön in der Welt herum gekommen. Er ist über all die Jahre der modernen iranischen Literatur treu geblieben. Zuletzt ist von ihm die ausgezeichnete Anthologie zeitgenössischer iranischer Poesie „Der Wind wird uns entführen“ veröffentlicht worden.

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Der Autor schreibt u. a. für die Frankfurter Rundschau und die Westdeutsche Allgemeine. Zurzeit bereitet er sich als Postgraduate-Student an der Universität von Manchester auf den MA in „Middle Eastern Studies“ vor. Von 1987 – 1990 war Klüsener Chefredakteur der Musikzeitschrift Metal Hammer. Außerdem hat er als Co-Autor an einer Biografie der Rockband „The Scorpions“ mitgearbeitet.

Mehr von Edgar Klüsener unter: www.muzikquest.de.

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