„Zenon hat dies geschrieben“ANTIKE GRAFFITI

„Zenon hat dies geschrieben“

„Zenon hat dies geschrieben“

Schon vor Jahrtausenden haben Bewohner antiker Städte sich auf Mauern und Säulen mit ihren Botschaften verewigt. Besonders viele solcher Inschriften sind in der kleinasiatischen Stadt Aphrodisias erhalten. Sie geben Aufschluß uber das Mitteilungs- und Geltungsbedurfnis, uber die Gefuhle und Sorgen antiker Menschen, die von historischen Quellen meist unberucksichtigt bleiben.

Von Hans Wagner

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Im Theater: Platz des Eusebios. Platz des Athanasios 

EM – Eigentlich hat sich gar nicht so viel verändert seit den Zeiten der Antike. Schon damals wurden Mauern und Tore mit Sprüchen und Anwesenheitsbelegen vollgekritzelt. „Zenon hat dies geschrieben“, heißt es auf einer der Säulen im Bühnenbereich des Theaters der einstigen Römerstadt Aphrodisias. Der Mann hat seinen Text zwischen dem vierten und sechsten Jahrhundert n. Chr. für die Nachwelt hinterlassen.

„Wir waren hier“ oder „Sven und Marie grüßen“ sprühen moderne Menschen in Farbe an Häuserfassaden, oder sie schreiben ihre Mitteilungen und Parolen mit Filzstiften auf Balken und Plakatwände. Es ist im wesentlichen die Technik, die sie von den Graffitischreibern früherer Zeiten unterscheidet.

Die Graffiti von Aphrodisias sind in Stein gemeißelt für die Ewigkeit

Aphrodisias, die Stadt der Aphrodite, galt vom späten ersten Jahrhundert vor Christus bis zum siebten Jahrhundert nach Christus als eine der wichtigsten Städte Kleinasiens. Ab dem Ende des dritten Jahrhunderts war sie die Hauptstadt der römischen Provinz Karien. Ihre Bewohner waren Menschen, die arbeiteten, feierten, stritten oder sich verliebten, wie zu allen Zeiten. Viele Bewohner von Aphrodisias haben seinerzeit das, was sie bewegte, mit Zeichnungen, Schlagworten oder kurzen Texten an den Wänden öffentlicher Bauten, an Säulen oder den Sitzplätzen der Versammlungsorte festgehalten. Wenn sich in Aphrodisias – anders als in vielen anderen Städten – Hunderte dieser Inschriften erhalten haben, dann deshalb, weil sie nicht nur gemalt oder geritzt, sondern tief in den Stein eingemeißelt wurden.

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  Im Theater: Ungewöhnliche Sitzplatzkennzeichnung als „Der von den sieben Monaten“.

Das dürfte daher kommen, daß ein großer Teil der Bevölkerung in den Bildhauerwerkstätten von Aphrodisias gearbeitet hat, meint Prof. Angelos Chaniotis. Der gebürtige Grieche ist Direktor des Seminars für Alte Geschichte und Prorektor der Universität Heidelberg. Er untersucht seit 1995 die schriftlichen Hinterlassenschaften der Menschen aus Aphrodisias. Gerade solche scheinbar unbedeutenden Zeugnisse geben nach seinen Worten Aufschluß über Denken und Fühlen der Menschen zurückliegender Jahrhunderte.

Einige der Zeichnungen seien so anspruchsvoll, daß sie nur von künstlerisch tätigen Menschen stammen könnten, die das Theater, das Stadion oder den Markt mit ihrem Handwerkszeug besuchten. Die Schriftzüge und Zeichnungen fänden sich auf den Sitzplätzen des Theaters, entlang eines als Prozessionsstraße genutzten Weges und vor Hauseingängen. Sie würden dem kundigen Betrachter auch viel über das religiöse Mit- und Gegeneinander in der Stadt erzählen, die einst unter dem Schutze des römischen Kaisers Augustus ihre Blütezeit erlebt habe.

Wagenrennen, Gladiatoren, Frühgeburten – alles Anlässe für ein Graffito

Prof. Chaniotis vermutet, daß sich so mancher Bewohner von Aphrodisias während einer Theateraufführung ordentlich gelangweilt und sich die Zeit mit dem Anbringen von Graffiti vertrieben habe. Oder er sei vom Gladiatorenkampf so aufgewühlt gewesen, daß er den Meißel genommen und seine Gefühle in Stein gehauen habe.

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Platte in der Markthalle: „Sieg für die Roten“.  

Aphrodisias war zu der Zeit, als die meisten dieser Graffiti entstanden, das Zentrum der letzten Heiden im römischen Imperium, die noch bis zum 6. Jh. n. Chr. Widerstand gegen die von der römischen Kirche vorangetriebene Christianisierung leisteten. Die Inschriften spiegeln aber bereits den Siegeszug der neuen Lehre. Überall verewigten sich Christen mit dem Symbol ihres Glaubens, dem Kreuz. Vermutlich im 7. Jh. wurde dann auch der Name der Stadt geändert. Sie hieß hinfort nicht mehr Aphrodisias nach der griechischen Göttin der Schönheit, sondern Stauropolis, Stadt des Kreuzes.

Auch auf den steinernen Sitzplätzen des Theaters hat sich der Wandel niedergeschlagen. Prof. Chaniotis hat dort die Inschrift eines Eusebios entdeckt, dessen Name soviel heißt wie „der Fromme“ und eines Athanasios, was zu übersetzen ist mit „der die Unsterblichkeit Erwartende“. Das seien ohne Zweifel bereits Christen gewesen, die diese Namen trugen.

Im Theater von Aphrodisias, so vermutet Angelos Chaniotis, wurden auch Gladiatorenkämpfe gezeigt. Dafür sprächen zum Beispiel die Karikatur eines Gladiators mit Schild und die Darstellungen verschiedener Männer mit Helm. Eine Zeichnung , die einen Gladiator zeigt, ist mit einem Text versehen, die den Mann als „Thrax“ bezeichnet, als „Thraker“. Prof. Chaniotis weist darauf hin, daß die Thraker als Gladiatoren an ihren kleinen runden Schilden zu erkennen seien.

Eine besonders ungewöhnliche Inschrift hat ein Mann auf seinem Theatersitzplatz eingeritzt, um ihn für sich zu reservieren. Der Text lautet „der von den sieben Monaten“. Chaniotis vermutet, daß dies wahrscheinlich ein Hinweis auf eine Geburt nach nur sieben Monaten Schwangerschaft sei.

Sieg und Niederlage haben in den Wettkämpfen der Antike bereits die gleiche Bedeutung gehabt wie heute, auch wenn es damals noch nicht um Fußballmeisterschaften oder die Formel 1 ging. Chaniotis fand auf der Platte einer Markthalle von Aphrodisias die Parole „Sieg für die Roten“. Da das Graffito lange vor der Erfindung der Farbenlehre der Parteien angebracht wurde, ist es sicher keine sozialistische Losung. Und um Ferrari konnte es dabei auch noch nicht gehen. Chaniotis deutet die Inschrift als Siegesparole einer Art antiker Formel 1, als den Schlachtruf eines Anhängers der Mannschaft der „Roten“ bei einem Wagenrennen. Seinerzeit im 5. und 6. Jh. n. Chr. seien die Teams bei solchen Wettbewerben durch unterschiedliche Farben gekennzeichnet gewesen: die Grünen, die Blauen, die Roten.

Religionskampf per Graffiti – heidnische Doppelaxt gegen Christenkreuz

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  Altes Symbol auf einer Wand im Rathaus: Die Doppelaxt (Labrys) des Göttervaters Zeus.

Auch wenn im römischen Reich in den ersten Jahrhunderten n. Chr. von der Obrigkeit die christliche Religion durchgedrückt wurde, gibt es doch auch noch Zeugnisse aus der vorchristlichen Periode. An der Wand eines Korridors im Rathaus von Aphrodisias entdeckte Chaniotis die Zeichnung einer Doppelaxt des antiken Gottes Zeus . Dieses Symbol wurde von den nichtchristlichen Einwohnern der Stadt als Symbol ihres alten Glaubens verwendet. Die Christen, so der Wissenschaftler, hätten später viele der heidnischen Symbole durch ihre eigenen, die Kreuzzeichnungen ersetzt. Die Darstellungen der heidnischen Doppelaxt seien von den Christen ausradiert oder mit einem gemeißelten Kreuz überdeckt worden.

So berichten die einfachen in Stein gehauenen antiken Graffiti von Aphrodisias nicht nur über Sportereignisse, Sitzplatzreservierungen im Theater und Gladiatorenkämpfe, sondern sogar vom geistigen Umbruch ihrer Epoche und vom Siegeszug der römischen Kirche.

Altertum Geschichte

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