Zensur mit perfiden MethodenUKRAINE

Zensur mit perfiden Methoden

Zur Situation der Presse- und Medienfreiheit in der Ukraine. Stimmen von einer Tagung in der Europäischen Akademie Berlin.

Von Wilhelm Johann Siemers

 
Podiumsdiskussion über Medienfreiheit in der Ukraine 

EM - Dimitrij Kisseljow vom Privatsender ICTV aus Kiew gibt sich ahnungslos. Auf der Berliner Tagung „Die Situation der Journalisten und Medien in der Ukraine“ am 26. März in der Europäischen Akademie meinte der Nachrichtenchef trotzig: „In der Ukraine erleide ich keine Zensur.“ Doch mit dieser Einschätzung erntete der schnieke gekleidete Medienmacher heftigen Widerspruch seiner Kolleginnen und Kollegen. Die Realität sieht anders aus: Die bisher unaufgeklärten Ermordungen der Journalisten Georgij Gongadze und Igor Alexandrow sind ein Indiz dafür, daß es „Zensur durch Mord“ gibt. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ bewertete die Pressefreiheit in 139 Staaten. Die Ukraine belegte Platz 112 und befindet sich somit im letzten Viertel der untersuchten Staaten, in denen es um die Pressefreiheit am schlechtesten bestellt ist.

Selbst das Parlament in Kiew räumt Pressezensur in der Ukraine ein

Die systematische Gängelung durch Präsidentenverwaltung und lokale Staatsorgane gehört zum Alltag der ukrainischen Medien. Selbst das Parlament, das neuerdings mehrheitlich Sympathien für den Präsidenten Leonid Kutschma hegt, beschloß am 12. Januar dieses Jahres eine Resolution, welche die Zensur in der Ukraine feststellt. Dieser Sinneswandel ist sicherlich nur durch den internationalen Druck von Europäischer Union, Europarat und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) möglich geworden. Erhebliche Erleichterung in ihrer Arbeit sehen ukrainische Journalisten durch diese Lippenbekenntnisse jedoch nicht.

„Die Anwendung von Zensur kann man juristisch nur schwer nachweisen“, berichtet Serhij Rachmanin. Der Redakteur der Zeitung „Zerkalo Nedeli“ erzählt von den perfiden Methoden der staatlichen Pression. Die undurchsichtigen Besitzstrukturen seien ein ständiges Einfallstor für Erpressungsversuche. Einerseits könne der Hauptbesitzer, zumeist ein finanzkräftiger Oligarch, der eng mit der politischen Macht verbunden ist, die Themenauswahl bestimmen. Andererseits bekommen Medien, welche die ukrainische Führung kritisieren, schnell Besuch von der Steuerinspektion. Horrende Steuernachzahlungen bedeuten den finanziellen Ruin. Ein beliebtes Spiel der Staatsorgane sei es, durch die Nutzungskonditionen kommunaler Bürogebäude Druck auszuüben. Mit angedrohten Mieterhöhungen werden die Redaktionen willfährig gemacht, mit Preisnachlässen werden sie geködert. Den juristischen Möglichkeiten gegen diese Schikanen vorzugehen, räumt Rachmanin wenig Erfolg ein. „Unsere Gerichte sind nicht unabhängig“, hebt der Journalist die mangelnde Gewaltenteilung im politischen System der Ukraine hervor.

Westliche Auslandssender sind der ukrainischen Führung ein Dorn im Auge

Ähnliche Mittel der Zensur kennt auch Ute Schaeffer von der Deutschen Welle (DW). So müssen die ukrainischen Partnerstationen des deutschen Auslandssenders für dieses Jahr neue Lizenzen beantragen, um das DW-Programm als Wiederholung ausstrahlen zu dürfen. Das koste Geld, das kleine Stationen kaum haben. Für die Redakteurin ist die Konfliktlinie klar: Westliche Auslandssender sind der ukrainischen Führung ein Dorn im Auge.

Auch Michael Ludwig, Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Warschau, kennt die Nöte seiner ukrainischen Kolleginnen und Kollegen. Regelrecht Spaß mache es den staatlichen Organen, ihr Klagerecht wegen Ehrverletzung zu benutzen. Durch Schadensersatzforderungen und andere Winkelzüge habe der Staat stets den längeren Hebel, unliebsamen Medien einen Maulkorb zu verpassen. Zwar sei die Presse- und Medienfreiheit als Grundrecht garantiert, doch sehe die Verfassungswirklichkeit anders aus.

Kutschmas Themenlisten bestimmen, wie und über was berichtet werden darf

 
 Dimitrij Kisseljow vom Privatsender ICTV aus Kiew

Ein weiterer Höhepunkt in der Unterdrückung der Medien sind die so genannten „Temniki“. Es sind Themenlisten, die vom Presseamt der Präsidentenverwaltung an die Medienmacher großer Fernsehstationen gehen. Darin wird diktiert, über welches Thema in welcher Weise berichtet werden darf. Serhij Wassiliew, der als Leiter für Informationspolitik der Präsidialverwaltung Urheber dieser ominösen Listen ist, hat gleich ein paar englische Exemplare mitgebracht und spielt ihre Bedeutung herunter. „Diese Themenvorschläge gehören zur neuen Transparenzoffensive der Präsidentenadministration“, verkündet der Journalist in Staatsdiensten. Das will Olena Prytula, Chefredakteurin der Internetzeitung „Ukrainska Prawda“, nicht recht glauben. „Solche staatlichen Empfehlungen bewirken Selbstzensur“, stellt sie fest. Fakt sei, daß Fernsehsender es vermeiden, Informationen über Oppositionelle wie Julija Tymoschenko oder Viktor Juschtschenko zu zeigen, ergänzt Valerij Iwanow, Präsident der Akademie der Ukrainischen Presse.

Davon will der elegante ICTV-Chef, Kisseljow, nichts wissen. Er habe nie eine solche Liste zu Gesicht bekommen. „Kein Wunder“, fährt Olena Prytula dazwischen. „Jeder weiß doch, daß der Besitzer ihres Senders, Viktor Pintschuk, der Schwiegersohn des Präsidenten ist“, klärt die Journalistin das Beziehungsgeflecht zwischen Staat und Medien auf. Ohnehin habe der TV-Sender mit seinem Musikprogramm, südamerikanischen Serien und einem dünnen Nachrichtenteil Zensur nicht zu fürchten.

So wird der Streit um die Presse- und Medienfreiheit in der Ukraine weitergehen. Hoffnungsschimmer am Horizont ist die Präsidentenwahl im Herbst 2004 und der zunehmende Wille der Journalistinnen und Journalisten, sich zu organisieren. Der Widerstand gegen die Bevormundung habe begonnen, sagte Rolf Schütte aus dem Auswärtigen Amt in Berlin. Pressefreiheit sei kein liberaler Luxus, sondern Bestandteil einer vitalen Demokratie. Das solle auch die ukrainische Führung respektieren.

GUS Medien Ukraine

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