„Wenn es um das Thema Aids geht, treffen wir in großen Teilen dieser Welt auf eine tödliche Ignoranz.“INTERVIEW

„Wenn es um das Thema Aids geht, treffen wir in großen Teilen dieser Welt auf eine tödliche Ignoranz.“

Das Eurasische Magazin sprach mit Joachim Franz, dem Initiator und Leiter der „sign – aids awareness expedition 2004“ über Sinn, Zweck und Erfolge dieses Unternehmens beim Kampf gegen Aids.

Von Johann von Arnsberg

Eurasisches Magazin: Sie sind in Ihrer beispiellosen Aktion mit einer zweieinhalb Meter hohen Aidsschleife über 9000 Kilometer quer durch Eurasien gefahren – haben sie schließlich auch noch mit einem Bergsteiger-Team auf einen siebeneinhalbtausend Meter hohen Gipfel an der kirgisisch-chinesischen Grenze bis in die Todeszone hinaufgeschleppt. Was haben Sie damit bezweckt?

Joachim Franz: Die menschliche Gesellschaft hat in den letzten 21 Jahren, so alt ist die Krankheit Aids inzwischen, die Entwicklung von HIV/Aids unterschätzt. In vielen Ländern wird noch immer nicht offen über die Probleme gesprochen. Wenn man sieht, daß China heute dort steht, wo Südafrika vor 10 Jahren stand, ist das eine mehr als dramatische Entwicklung. Länder in Osteuropa und Zentralasien haben inzwischen deutlich höhere Neuinfektionsraten als das südliche Afrika, eine solche Entwicklung hat man lange für unmöglich gehalten. Nun stehen wir vor dieser Epidemie mit katastrophalen Ausmaßen und müssen mit hohem Einsatz eine Fortsetzung dieser Entwicklung verhindern. Unsere „aids awareness expedition“ nach Kirgisien ist Teil einer gemeinsamen weltweiten Anstrengung, ein internationales Modul, um Aufklärung zu leisten. Die letzte Expedition hatte die Aufgabe, ganz gezielt die fast unbemerkte und extrem drastische Entwicklung in Eurasien offenzulegen.

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Fahrt durch Kirgisien in Richtung See Issyk-Kul.
 Jurten am See Issyk-Kul.
   
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Basiscamp. Die beiden Rundzelte sind Versorgungs- und Küchenzelt. Dort spielt sich das Lagerleben ab. Der Beauftragte der Stadt Moskau unterschreibt auf der Aidsschleife

Die Vereinten Nationen beteiligen sich

EM: Welche Reaktionen haben Sie mit „aids awarness expedition“ ausgelöst?

Franz: Als wir 1999 begonnen haben, diese Idee der Bewußtmachung des weltweiten Aidsproblems durch unsere „aids awareness expedition“ umzusetzen, waren die Reaktionen sehr gemischt. Aber eine konsequente, gradlinige und seriöse Arbeit hat unserem Team internationale Anerkennung gebracht. Die letzte Expedition konnte nun gemeinsam mit den Vereinten Nationen und ihrem Programm UNAIDS durchgeführt werden. In vielen Ländern dieser Welt ist die Art der Aufklärungsarbeit, die wir zu großen Teilen in Zusammenarbeit und mit Unterstützung der Massenmedien durchführen, nicht gern gesehen. Trotz allem ist es uns gelungen, auch in Polen, Weißrußland, der Ukraine, Rußland, Kasachstan und Kirgisien fast alle Medien zu mobilisieren. Dazu kamen noch Berichte in grenzüberschreitenden Medien wie Times Asia, Komsomolskaja Prawda, BBC und vielen anderen, die unsere Botschaft in angrenzende Länder getragen haben. Durch die gute Zusammenarbeit aller Partner, unter anderem auch des Volkswagen Gesundheitswesens und der Volkswagen Nutzfahrzeuge, konnten wir erreichen, daß wir in allen Hauptstädten offiziell empfangen wurden und entsprechende Pressekonferenzen durchführen konnten.

„Ich habe mit meinem Team die Möglichkeit, Millionen Menschen zu erreichen und ihnen die schrecklichen Folgen bewußtzumachen.“

EM - Wie sind Sie auf diese Idee für solche Aufklärungsaktionen gekommen?

Franz: Ich werde oft gefragt, wie man auf die Idee kommt, sein Leben komplett zu ändern und alles dem Kampf gegen Aids unterzuordnen. Die Frage ist sehr leicht zu beantworten: Ich bin in meinem Leben sehr viel in den verschiedensten Ländern der Erde herumgekommen. Ich habe die Augen stets offen gehalten und dabei eben nicht nur die Schönheiten der fremden Welten gesehen. Ich habe eine unglaubliche Ignoranz in Südafrika erlebt, wenn es um das Problem Aids ging, ich habe in Nepal Mädchen gesprochen, die HIV-positiv aus der Zwangsprostitution befreit wurden und dann aufgrund fehlender medikamentöser Versorgung dem Tod erneut ins Gesicht sehen mußten. Ich habe auf den Philippinen Menschen unter unwürdigsten Bedingungen an Aids sterben sehen und mit vielen Schülern in Deutschland gesprochen, die keine Vorstellungen von der globalen Katastrophe namens Aids hatten. Grund genug für mich, mein Leben zu ändern. Heute, nach nunmehr fünf Jahren, bin ich sehr glücklich, diesen Weg gegangen zu sein. Denn in dieser Zeit ist erst deutlich geworden, welche Ausmaße die Katastrophe angenommen hat. Ich habe mit meinem Team die Möglichkeit, Millionen Menschen zu erreichen und ihnen die schrecklichen Folgen bewußtzumachen.

Hintergrund
Nach Schätzungen der UN-Organisation UNAIDS und der Weltgesundheitsorganisation WHO leben in Osteuropa und Zentralasien zwischen 1,2 und 1,8 Millionen HIV-infizierte Menschen. Nach dem südlichen Afrika und Südostasien sind diese Regionen - gemeinsam mit Südamerika - heute von der Immunschwächekrankheit am stärksten betroffen. Am meisten alarmieren die dramatisch ansteigenden Zahlen der Neuinfektionen. Allein im Jahr 2003, so die Zahlen der UNO, traten in Osteuropa und Zentralasien bis zu 280.000 neue Fälle von Aids auf. Hier tickt nach Einschätzung der internationalen Organisationen eine Zeitbombe ungeahnten Ausmaßes.

Im Jahr 2004 hat das Aids-Virus mehr Menschen getötet und sich schneller verbreitet als jemals zuvor. Bis Ende des Jahres werden weltweit 40 Millionen Infizierte prognostiziert, so viele wie noch nie. Das geht aus dem jüngsten Aids-Bericht der Vereinten Nationen von Ende November hervor. Demnach wird die Zahl der Aids-Toten im laufenden Jahr auf 3,1 Millionen steigen. Im Jahr 2004 haben sich weltweit 4,9 Millionen Menschen neu infiziert, rund 100.000 mehr als im vergangenen Jahr, berichteten Mitarbeiter des Aids-Bekämpfungsprogramms der Vereinten Nationen in Brüssel.

In den vergangenen zwei Jahren ist die Zahl der Infektionen vor allem in Asien und Osteuropa stark gestiegen. In Ostasien gab es binnen zweier Jahre um 50 Prozent mehr Infizierte, statt 760.000 nun 1,1 Millionen. Hauptursache dafür ist laut UNAIDS die schnell wachsende Erkrankungsrate in China. Die „wiederauflebende“ Epidemie in der Ukraine und starke Zuwächse in Rußland seien der treibende Faktor dafür, daß in Osteuropa und Zentralasien mit 1,4 Millionen Menschen etwa 40 Prozent mehr Infizierte lebten als im Jahr 2002, wo es noch eine Million war.

Die mit Abstand am schlimmsten betroffene Region der Erde bleibt aber Afrika südlich der Sahara. Dort leben mit 25,4 Millionen HIV-Infizierten zwei Drittel aller weltweit Betroffenen. In Deutschland ist die Zahl der jährlichen Neuinfektionen mit etwa 2000 Fällen weitgehend konstant. Bundesweit leben nach Daten des Robert Koch-Instituts rund 44.000 HIV-Infizierte, mehr als drei Viertel davon sind Männer. Experten beklagen jedoch eine zunehmende Sorglosigkeit der Deutschen im Umgang mit Aids.

EM: Wird der Kampf gegen Aids nicht mehr entschlossen genug geführt?

Franz: So ist es. Diese Frage muß man ganz klar mit ja beantworten. So lange wir in den westlichen Ländern, die an sich Vorbilder bei der Bekämpfung und Eindämmung von Aids sein müßten, meistens wegschauen, wird es schwer sein Weichen zu stellen. Wenn es um das Thema Aids geht, treffen wir in großen Teilen dieser Welt auf eine tödliche Ignoranz. Nicht nur im südlichen Afrika. HIV-positive Menschen in Osteuropa und Zentralasien werden als Kriminelle behandelt, Homosexuelle und Drogenkranke als Hauptschuldige verurteilt. Auch die Religionen erkennen ihre Aufgabe nicht. Wie soll da eine umfassende Aufklärungsarbeit geleistet werden?

EM: Sind die Menschen heute gleichgültiger gegenüber HIV als kurz nach der Entdeckung des Virus vor rund zwanzig Jahren?

Franz: Ja, natürlich sind auch die Menschen gleichgültiger, vor allem die jüngeren Generationen. Als Aids eine neu entdeckte Krankheit war, wurde sehr intensiv gegen seine Ausbreitung gekämpft und alle Medien hatten dieses Thema als Aufmacher. Erste prominente Opfer wurden weltweit als Abschreckung „vermarktet“. Als man der Meinung war, daß Aids in Europa rückläufig ist, hat man die intensiven Aufklärungsstrategien aufgegeben. Heute, zehn bis 15 Jahre später steigen die Aidszahlen auch in Deutschland wieder. Unsere Jugend weiß kaum etwas über die Gesamtproblematik und die Gefahren der Krankheit.

EM: Leisten die Gesundheitsbehörden zu wenig Aufklärung - wird Aids verharmlost?

Franz: Ich möchte nicht von einer Verharmlosung von HIV respektive Aids sprechen und auch nicht von fehlender Leistung der Gesundheitsbehörden. Es kann sicherlich in vielen Bereichen mehr getan werden, aber in Zeiten chronisch leerer Kassen, verhallt der Ruf nach staatlichem Engagement. Trotz allem darf man z.B. die Deutschen Aidshilfen nicht permanent beschneiden, sondern muß sie stärken, damit sie in den Bereichen der globalen und der nationalen Aidsaufklärung an den Schulen eine wesentlich stärkere Rolle spielen können. Es ist sehr schwer, alle Aktiven im Kampf gegen Aids zu bündeln. Internationale Gremien brauchen teilweise Jahre, um wichtige Entscheidungen zu treffen und dann auch umzusetzen. Staatliche und nicht staatliche Institutionen harmonieren oft nur sehr schlecht und träge. Die von uns erhaltenen Spenden, die zu 100 Prozent weitergegeben werden, setzen wir ausschließlich in kleinen, überschaubaren und auch kontrollierbaren Projekten ein. Wenn sich viele solcher privaten Initiativen einsetzen würden, könnte oftmals schneller und unkomplizierter geholfen werden. Sicher wären auch mehr Spender bereit, in solche kontrollierten „Kleinhilfen“ zu investieren .

„Normen und Regeln im Umgang mit Aids sind nicht verbindlich auf internationaler Basis geregelt.“

EM : Weshalb breitet sich Aids nicht nur in unterentwickelten Ländern aus, sondern nun auch in einem bedrohlichen Ausmaß in den modernen Industriestaaten?

Franz: Es gibt viele Faktoren, warum sich Aids wieder in allen Staaten, ob nun Entwicklungs- oder Industrieland ausbreitet. Zum einen ist es die lange Zeit nicht entschieden genug geführte Aufklärungsarbeit, die zu einem Wissensverlust bei Jugendlichen geführt hat. Die Wissenschaft ist nicht rechtzeitig mit den nötigen finanziellen Mitteln ausgestattet worden, um an wirksamen Impfstoffen forschen zu können. In den kommenden zehn bis 15 Jahren wird es nach Einschätzung von Experten kein Mittel gegen Aids geben. Viele Menschen glauben allerdings irrtümlich, daß es dieses längst gäbe. Auch das trägt zu einer negativen Entwicklung bei. Normen und Regeln im Umgang mit Aids sind nicht verbindlich auf internationaler Basis geregelt, und so kann z.B. auch die EU-Osterweiterung enorme Probleme für die westlichen Länder mit sich bringen.

EM: Werden Sie auch künftig solche Aktionen starten – gibt es schon einen neuen Plan?

Franz: Selbstverständlich wird mein Team auch in den kommenden Jahren aktiv gegen Aids kämpfen und mit weiteren „aids awareness expeditionen“ die Aufmerksamkeit der Menschen auf das noch immer wachsende Problem lenken. Leider haben viele Firmen und Unternehmen noch Angst, sich als Partner zu zeigen, wenn es um das Thema Aids geht. Unter dem Arbeitstitel „streefight against aids“ läuft zur Zeit die „pan americana – aids awareness expedition“ an, die mein Team vom kommenden August an 24.000 Kilometer von Alaska nach Feuerland führen soll. Aids ist das Problem der Straße und deshalb haben wir die längste Straße der Welt gewählt, um darauf aufmerksam zu machen. Mit dem Fahrrad wird ein Team diese Straße bewältigen, um den Kindern der Welt eine weitere Chance zu geben.

EM: Haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Interview führte Johann v. Arnsberg
Fotos: Uli Jooß, am Berg: Oliver Häußler

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Mehr Informationen, auch zu vergangenen Projekten, zu Spenden und zur Kontaktaufnahme finden Sie unter: www.joachim-franz.com.

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Lesen Sie im ersten Teil einen ausführlichen Bericht über das Projekt >>

Interview Medizin Reise Zentralasien

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