Ein Zeichen des Lebens in der TodeszoneEXPEDITION GEGEN AIDS

Ein Zeichen des Lebens in der Todeszone

Ein Zeichen des Lebens in der Todeszone

Unter Führung des Wolfsburger Extremsportlers Joachim Franz zog eine waghalsige Expedition 9.000 Kilometer quer durch Eurasien, um vor der unaufhaltsamen Ausbreitung der Immunschwächekrankheit Aids zu warnen. Die Schirmherrschaft übernahm der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Von Johann von Arnsberg

Im Eis der unwirtlichen Bergregion ragt leuchtend rot eine zweieinhalb Meter hohe Aidsschleife auf. Der deutsche Kletterer Matthias Körner und sein russischer Kollege Dima Pawlenko haben sie auf dem Westgipfel des 7.439 Meter hohen Pik Pobedy an der kirgisisch-chinesischen Grenze aufgestellt. Sie soll das Leben symbolisieren in dieser todbringenden Region, in der Sauerstoffmangel und extreme Kälte kein Leben mehr zulassen. Es ist eine spektakuläre Tat, die auf die tödliche Immunschwäche Aids zeigen soll – auf eine Krankheit, lebensbedrohlich wie der Todeshauch des ewigen Eises. Das Ereignis wird von den beiden Männern zum Beweis fotografiert und gefilmt. Es ist der 8. August 2004, um 10.15 Uhr. Die Bergsteiger hatten sich bis an den Rand der Erschöpfung verausgabt, um die letzte Etappe einer waghalsigen Expedition abzuschließen, die am 25. Juni 2004 in Hannover begonnen hatte.

Es war ein langer Weg, den die „sign – aids awareness expedition 2004“ bis hinauf in die eisigen Höhen Kirgisiens zurückgelegt hatte. Die Route der Autokarawane mit einer international besetzten Mannschaft um den Wolfsburger Extremsportler Joachim Franz, 41, führte durch sieben Staaten Eurasiens bis ins Tien-Schan-Gebirge: Deutschland, Polen, Weißrußland, die Ukraine, Rußland, Kasachstan und Kirgisien. Erst dort, an der Grenze zu China, war das Ziel der abenteuerlichen Reise erreicht. Hier steht nun die weithin sichtbare Aidsschleife als Symbol des international geführten Kampfes gegen die Immunschwächekrankheit Aids – als „ein Zeichen des Lebens in der Todeszone“, wie die Veranstalter sie verstanden wissen möchten. Sie ist übersät mit unzähligen Unterschriften, die Politiker und Vertreter der nationalen Aids-Organisationen aus allen durchquerten Ländern zum Zeichen der Solidarität darauf hinterlassen haben.

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Das Team vor dem Aufstieg. Im Hintergrund sieht man den Pik Pobedy.
 Joachim Franz trägt die Schleife am See Issyk-Kul.
   
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Die Fahrt durch Kasachstan. Das Basiscamp wurde einige Male zugeschneit.

Durch die unendlichen Weiten Eurasiens Richtung Osten

In den Hauptstädten Berlin, Warschau, Minsk, Kiew, Moskau, Astana und Bischkek wurde die Expedition offiziell empfangen. Bei Pressekonferenzen machten die Teilnehmer der „sign – aids awareness expedition 2004“ auf ihr Thema aufmerksam. Viele Medien berichteten und erreichten Millionen von Menschen für das Anliegen der Veranstalter, die immer wieder eindringlich vor dem HIV-Virus warnten.

Die meiste Zeit jedoch war die Expedition in den unvorstellbaren Weiten Eurasiens allein unterwegs. Zwischen den Metropolen des Ostens liegen Entfernungen, von denen man sich im dichtbesiedelten Westen des Kontinents kaum eine Vorstellung macht. Hinter Moskau ziehen sich tiefe Wälder hin, die bis zum Ural reichen. Dahinter liegt Grasland, auf dem Rinderherden zwischen Autowracks, maroden Kolchos-Gehöften und schmutzigen Industrieanlagen weiden.

Der Volkswagen-Konzern hatte die Autos für die Karawane bereitgestellt. Geländetaugliche Fahrzeuge, mit denen es nun im letzten Drittel der Tour durch die Steppen Kasachstans und Kirgisiens dem Ziel entgegengeht: Zwei funkelnagelneue T5-Busse für die Mannschaft und ihr Gepäck sowie einen LT 35, der 1,8 Tonnen Expeditionsausrüstung schleppte. Dazu kam noch ein T5 des kasachischen Importeurs Mercur als Begleitfahrzeug.

Welliges Grasland so weit das Auge reicht, kein Baum und kein Strauch bis zum fernen Horizont – durch dieses offene Land sind einst schon die Reitervölker der Hunnen und Mongolen gezogen und noch heute dient hier das Pferd als wichtiges Fortbewegungsmittel.

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900 Unterschriften, die auf dem Weg durch Eurasien von Politikern und Aids-Organisationen geleistet wurden.
 Ein Blick über den Gletscher zum Pik Pobedy.
   
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Abschlußpressekonferenz. Joachim Franz überreicht eine Tafel zur Erinnerung an die "Sign – aids awareness expedition 2004"
 Fahrt durch Weißrußland nach Minsk.

Hinauf in eine lebensfeindliche Welt, die nur aus Fels und Eis besteht

Kurz hinter Karakol am Südufer des Sees Issyk-Kul beginnt der Anstieg in die Berge. Eine Asphaltpiste führt durch grüne Täler, während in der Ferne bereits die weißen Gipfel des Tien-Schan in der Sonne blinken. Nomaden haben an kristallklaren Flüssen ihre Jurtenlager aufgeschlagen, an den Hängen grasen Pferdeherden. Eine Idylle wie aus uralten Zeiten.

An einer steilen Paßpassage auf loser Schotterpiste endet unvermittelt die malerische Kulisse. Dahinter liegt das wilde Kirgistan. Bröckelndes Gestein, ein Wirrwarr tiefer Schluchten, kein Weg und kein Steg über Hunderte von Kilometern, nichts als wüste Urlandschaft.

Maidadyr ist der letzte Vorposten der Zivilisation, ein trostloses Militärlager am Ende der Welt. Von hier fliegt der Hubschrauber hinauf ins ewige Eis. Er muß dreimal starten, um das Bergsteigerteam und die gesamte Ausrüstung hinauf zu transportieren auf den „Sternengletscher“. In über 4.000 Meter Höhe wird dort das Basiscamp errichtet. Mitten in einer lebensfeindlichen Welt, die nur aus Fels und Eis besteht.

Der Truppe, die in dieser Unwirtlichkeit bestehen soll, gehören insgesamt zehn Bergsteiger aus Deutschland, Australien, Kirgisien und Rußland an . Ihr Ziel ist der Pik Pobedy, was soviel heißt wie „Gipfel des Sieges“.

Sie beziehen das Lager am Berg, trotzen der Lawinengefahr und tragen die Teile der Aidsschleife von Höhenlager zu Höhenlager immer weiter hinauf. Es werden über 400 Kilo Material auf den Berg gebracht. Die Bergsteiger müssen dazu in Etappen aufsteigen und immer wieder ins Basiscamp zurückkehren, um sich dort zu erholen. Ständig sind sie dabei von der gefürchteten Höhenkrankheit bedroht, die den meisten das Weitergehen unmöglich macht. Letztendlich sind es nur Pawlenko und Körner, die ihr trotzen und den letzten Akt vollenden können. Körner ist dafür unglaubliche elf Tage im Berg. Sie schaffen die Schleife in drei Tagen von 5.600 Metern hinauf ins Ziel

Dabei durchsteigen sie 200 Meter hohe Steilwände im Gletscherbruch, krallen sich fest auf dem Eis, das Wind und Wetter blank poliert haben. Jede Etappe ist eine Qual. Jeder Tag beginnt mit frischer Hoffnung und endet in Enttäuschung, wenn das Wetter plötzlich wieder einmal umschlägt. Zelte werden im Sturm zerrissen und die Kälte kriecht bis in den letzten Winkel des Körpers.

Die beiden Männer mobilisieren ihre letzten Kräfte, raffen sich zu einer äußersten Anstrengung auf, um doch noch die magische Grenze zu überschreiten: 7.000 Höhenmeter, Mission erfüllt. Es folgt der denkwürdige Augenblick auf dem Siegesgipfel. Ein Augenblick, der in Film und Foto festgehalten zum Nachdenken anregen soll und ein Zeichen setzen will gegen das Vergessen der lebensbedrohlichen Krankheit Aids.

Fotos: Uli Jooß, am Berg: Oliver Häußler

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Lesen Sie im zweiten Teil unser Interview mit Joachim Franz >>

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