13.01.2023 14:10:35
GEORGIEN
Von Ulrich Heyden
EM – Höchst ungewöhnlich, daß sich während einer Revolution der Außenminister eines Nachbarstaates im Lande befindet und schlichtend eingreift. Allein die Tatsache, daß Igor Iwanow den ganzen Sonntag mit der Opposition und Schewardnadse verhandelte, zeigt, wie wenig Georgien in 12 Jahren Unabhängigkeit seine Staatlichkeit und innere Stabilität entwickeln konnte. Rußland hat dazu allerdings auch nicht beigetragen. Im Gegenteil. Den abchasischen Separatisten leistete es 1992 Waffenhilfe, hielt freundliche Beziehungen zum abtrünnigen Süd-Ossetien und zur prorussischen Provinz Adscharien.
In seiner schwersten Stunde akzeptierte Georgien ausgerechnet den russischen Außenminister als Schlichter. Höchst ungewöhnlich in einem Land, dessen Führer sich in den letzten Jahren immer mehr von Rußland abgewandt und den USA zugewandt haben. Die Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude begrüßten den Politiker, der eine georgische Mutter hat, sogar mit lauten Igor-, Igor-Rufen. In georgischer Sprache ließ Iwanow die Freundschaft zwischen Georgiern und Russen hochleben. Es gab Applaus.
Georgien fährt eine Doppelstrategie, an der sich wohl auch unter der neuen Führung nichts ändern wird. Die geschäftsführende Präsidentin Nino Burdschanadse erklärte vor kurzem, Georgien werde sich die seit 1993 abtrünnige prorussische Provinz Abchasien notfalls mit Gewalt zurückholen. Am Sonntag sagte sie aber auch, Georgien müsse seine Beziehungen zu dem großen Nachbarn Rußland „in Ordnung bringen“. Die Politikerin, welche an der Moskauer Universität Jura studiert hat, sagte weiter, Georgien werde seinen außenpolitischen Kurs der Westorientierung fortsetzen. Georgien müsse so schnell wie möglich in die euro-atlantischen Strukturen aufgenommen werden.
Die USA, welche Georgien seit seiner Unabhängigkeit mit einer Milliarde Dollar unterstützten, hielten sich während des Machtwechsels in Tiflis auffällig zurück. Der US-Botschafter in Tiflis zog stattdessen hinter den Kulissen Fäden. Die USA setzten offenbar auf den Sieg von Michail Saakaschwili und Nino Burdschanadse, beide klare Befürworter eines Westkurses. Saakaschwili hat Mitte der 90er Jahre in den USA studiert und in einer Anwaltskanzlei gearbeitet. Der 35jährige, der bereits seinen Anspruch auf den Präsidentenposten angekündigt hat, spricht perfekt Englisch.
Eduard Schewardnadse hatte in den Augen Washingtons ausgedient. Der Abschied vom „weißen Fuchs“ fiel den USA nicht schwer. Georgien war wegen Vetternwirtschaft und wirtschaftlicher Dauerkrise kein stabiles Land mehr. Washington aber will ein stabiles Umland für die Pipeline, durch welche – unter Umgehung Rußlands – ab 2005 kaspisches Öl von Baku über georgisches Territorium zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan fließen soll.
Mit seiner diplomatischen Offensive hat sich Rußland zum Bestandteil des neuen Georgiens gemacht. Dem ungewöhnlichen Einsatz des russischen Außenministers zollte sogar der Heißsporn Saakaschwili Respekt. Er dankte Iwanow für seine Vermittlungsaktion. Nur bei Aslan Abaschidse, dem Führer der westgeorgischen Provinz Adscharien, hat Moskaus sanfte Diplomatie noch keine Wirkung gezeigt. Der Provinzchef erklärte, der Ausnahmezustand in Adscharien werde aufrechterhalten, die Grenzen zum Kernland Georgiens blieben geschlossen, solange sich die Situation im Land „nicht stabilisiert“.
Der Einsatz von Iwanow in Tiflis zeigte, daß die russische Außenpolitik gegenüber Nachbarstaaten auch sanft sein kann. Die Lage im Kaukasus erfordert Phantasie. Die Region mit ihren Hunderten von Völkern und strategischen Öl-Reserven ist Moskau viel näher als Mittelasien, wo man die neuen US-Militärbasen stillschweigend duldet.
Putin machte der neuen Führung in Tiflis deutlich, was er von ihr erwartet: die Wiederherstellung der brüderlichen Beziehungen zu Rußland. Die bisherige Führung Georgiens habe die kulturellen Traditionen Georgiens „mißachtet“ oder deutlicher: „die geopolitischen Realitäten“ nicht berücksichtigt. Ziemlich unmißverständlich macht der Kreml-Chef deutlich, daß Moskau Georgien nach wie vor zu seiner Einflußzone zählt und eine Ausweitung der US-Präsenz an seiner kaukasischen Südgrenze nicht akzeptieren will.
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