Bosnien und sein „Nachmittag-Islam“BALKAN

Bosnien und sein „Nachmittag-Islam“

Bosnien und sein „Nachmittag-Islam“

Zwar sind rund die Hälfte der vier Millionen Einwohner Bosniens Muslime, und international gibt sich die Republik oft als „islamisches“ Land. Aber tiefgreifende Bedeutung hat das nicht. Bosnien ist Beispiel für das Werden und Wesen einer Religiosität der Gelassenheit.

Von Wolf Oschlies

Ethnische Karte Bosniens  
    Ethnische Karte Bosniens
 

D er „Karikaturenstreit“ wurde vermutlich nirgendwo sonst so gelassen gesehen wie in Bosnien-Hercegovina. Es gab eine friedliche Demonstration vor skandinavischen Botschaften – für die sich der Organisator Salih Begovic, ein arbeitsloser Kriegsveteran der Bosnischen Armee, noch entschuldigte, weil dabei Papierfähnchen in den Landesfarben Norwegens, Dänemarks etc. verbrannt worden waren. Im Vergleich zu nahöstlichen Ausfällen war das nichts, aber doch zu viel für die bosnische Mentalität. So sah es der Islam-Historiker Senad Micijevic: „Ob man in Sarajevo Fähnchen verbrennt, anderswo Autos und Botschaften, zeigt nur, daß überall dieselbe Gewalt und Primitivität am Werk ist“.

Zwar sind rund die Hälfte der vier Millionen Einwohner Bosniens Muslime und international gibt sich die Republik oft als „islamisches“ Land, aber tiefergehende Bedeutung hat das nicht. Der bosnische Islam ist eine spezifische Religiosität, und wie die praktiziert wird, beschreiben die witzigen Bosnier seit Jahrhunderten mit dem Sprichwort: Prijepodne Ilija – Poslijepodne Alija (Am Vormittag der Heilige Elias, am Nachmittag Allah).

Wenn schon „Karikaturenstreit“, dann auf bosnische Weise. Die Sarajevoer Wochenzeitung „Slobodna Bosna“, ein mutiges und in seinen Aussagen direktes Blatt, trug bereits 2003 einen eigenen Bilderstreit mit Islamisten aus, als sie deren Jugendorganisation mit der Hitler-Jugend verglich und auch so ins Bild setzte: Vor einem Hitler-Porträt ein Hitlerjunge – mit Taliban-Bart, darunter die deutsche Losung „Jugend dient dem Führer“. Bereits Jahre zuvor hatte man sich in Bosnien mehr oder minder laut über die seltsamen Typen mokiert, die plötzlich in den Städten auftauchten: Turbanartige Mützen, Bärte, Hosen, die immer deutlich zu kurz waren – Islamisten eben, von denen niemand wußte, wer sie waren, woher sie kamen und was sie in Bosnien wollten. In Sarajevo waren sie häufig am Flughafen zu sehen, wo es nicht weiter auffiel, daß sie die Landessprache zumeist nicht beherrschten.

Muslime in Bosnien im Zwielicht

  Mostar um 1900
  Mostar um 1900

Kenner der jüngeren bosnischen Geschichte runzeln ungläubig die Stirn. Haben nicht bosnische diplomatische Vertretungen in Österreich und der Schweiz Pässe und Staatsbürgerschaften an militante Islamisten vergeben? Das haben sie, etwa 200 an der Zahl. Das geschah illegal, nämlich vor dem 6. April 1992, als Bosnien kraft internationaler Anerkennung ein veritabler Staat wurde. Hat nicht Osama bin Laden 1993 von der Botschaft in Wien einen bosnischen Paß bekommen? Allem Anschein nach ja, wird es immer wieder in der bosnischen Presse behauptet, auch wenn es nicht mit letzter Gewißheit zu beweisen ist. Haben nicht terroristische Mujaheddin im bosnischen Bürgerkrieg auf muslimischer Seite mitgekämpft? Ja, leider! Im November 1992 entstand die 7. Muslimische Brigade, in die von Anfang an Mujaheddin einsickerten und die Kampfgruppe „El Mujahed“ bildeten. Wie viele es waren, wußte nicht einmal die Armeeführung, aber es dürften unter 1.000 gewesen sein.

Nach dem Krieg wurden einige ihrer „Verdienste“ wegen mit bosnischen Staatsbürgerschaften versehen, allein 45 Fälle im Januar und Februar 1996. Andere heirateten Bosnierinnen und sicherten sich so den Aufenthalt im Lande. Dritte konnten sich in ehedem serbischen Dörfern niederlassen, wodurch z.B. Bocinja Donja, 30 Kilometer nördlich Sarajevos, zu einem „Nest“ voller „zweifelhafter Araber“ wurde. Alle diese Maßnahmen und Manipulationen bedachte die Sarajevoer Wochenzeitung „Dani“ im November 2000 mit harscher Kritik: „Der Nutzen, den Bosnien von den Mujaheddin hatte, bestand aus einer extremen Kompromittierung des Staates vor der internationalen Öffentlichkeit, dessen Polizei- und Nachrichtenorgane Bosnien auf die schwarze Liste der Staaten setzten, die den internationalen Terrorismus unterstützen und die eigenen Staatsbürgerschaftsgesetze nicht einhalten“.

Viel Geld ist nach Bosnien geflossen – doch keiner weiß wohin

Bosnischer Franziskaner (mit Fez)  
Bosnischer Franziskaner (mit Fez)  

Gut, das war im Krieg (werden die Ungläubigen vielleicht einwenden), als Bosnien jede Hilfe annahm, die es kriegen konnte. Aber was ist mit den „ungeheueren Summen“, die islamische Länder nach Bosnien lenkten, wie z.B. Samuel Huntington in seinem Buch „Clash of Civilizations“ anklagend anführte? Nichts ist damit, wenigstens nichts Konkretes für den Wiederaufbau Bosniens. Nach eigenen Angaben hat das (1993 gegründete) Hohe Saudische Komitee für Bosnien-Hilfe 421 Millionen Konvertible Mark (1,96 KM = 1 €) ausgegeben, nur in Bosnien „ist nicht bekannt, wo diese Mittel geblieben sind“. So schrieb im Juli 2003 süffisant die Wochenzeitung „Slobodna Bosna“, die noch weitere Fälle kannte: Die Investitions-Agentur von Kuwait will 120 Millionen KM in ein Stahlwerk in Zenica gesteckt haben – die dort nachweislich nie auftauchten.

Kein Zweifel: Geld, sehr viel Geld ist nach Bosnien geflossen. Nur wohin und wozu? Experten der International Crisis Group (ICG), des (in England ansässigen) Bosnian Institute etc. behaupten, daß damit Hunderte Moscheen und „Islamische Zentren“ gebaut, Frauen für „islamische Kleidung“ und Familien besoldet wurden, die ihre Kinder auf „islamische Schulen“ schickten und ähnliches mehr. Das alles ging den bosnischen Muslimen schrecklich auf die Nerven: Sie brauchten keine neuen Moscheen, sondern neue Häuser. Die bekamen sie auch – dank der Hilfe der internationalen Gemeinschaft, die sich nach Berechnungen des Schweizer Experten Christophe Solioz seit 1992 auf ca. 90 Milliarden US-Dollar belief. Was den Bosniern mit saudischer oder sonstiger Hilfe hingesetzt wurde, waren eckige Kästen, die in nichts dem typischen Baustil bosnischer Moscheen entsprachen. Die bosnische Regierung hegte einen noch schlimmeren Verdacht: Im Januar 2002 ließ sie 120 islamische Wohltätigkeitsorganisationen prüfen „wegen möglicher terroristischer Verbindungen“. Das „islamische“ Bosnien ist mit keinem Land der „islamischen Welt“ zu vergleichen, und – so der bosnische Muslimführer Mustafa Ceric im Oktober 2001 – „daß der Verbrecher Osama bin Laden glauben könnte, in Bosnien einen sicheren Unterschlupf zu finden, besagt nichts über den Islam und die bosnischen Muslime“.

550 Jahre Islam in Bosnien

  Mehmed Sokolovic
  Mehmed Sokolovic

Mehr über Bosnien „besagte“ 1531 ein österreichischer Reisebericht: „Item wir haben in berürtem Künigreich Bossen dreierlay Nationes unnd glaubens gefunden“. Was bis heute gilt:  Die Bewohner, fast alle ethnische Slawen, unterscheiden sich allein durch variierende Konfessionen  – die sie aber als Kriterium ethnischer Divergenz auffassen: Man ist Orthodoxer (also Serbe), Katholik (also Kroate) oder Muslim, weil man beiden „Nationes unnd glaubens“ nicht angehören will. Islam in Bosnien ist nicht primär und nicht obligatorisch Konfession und Glaubensbekenntnis, sondern trotziger Beleg einer Identität mit konstitutivem regionalem Bezug: Ein Orthodoxer (Serbe) kann notfalls nach Serbien gehen, ein Katholik (Kroate) nach Kroatien, aber wohin soll ein bosnischer Muslim ausweichen? Ihm blieb nur Bosnien, weil andere muslimische Regionen (Kosovo) nicht slavisch, andere slavische Regionen nicht muslimisch waren. Und in der neben Bosnien einzigen slavischen und muslimischen Region, dem Sandshak zwischen Serbien und Montenegro, kehrten sich die Dinge insofern um, als die dortigen Bewohner sich seit über zehn Jahren als „Bosnier“ deklarieren und zu Bosnien streben – was spätestens in ein paar Monaten neuen Konfliktstoff schaffen könnte, wenn der Staatenbund Serbien-Montenegro auseinander fällt und folglich der Sandshak geteilt wird.

Seit den Anfängen des zweiten nachchristlichen Jahrtausends waren die Bosnier Christen, allerdings Christen der häretischen Observanz der „Bogomilen“ (Gottesfreunde). Diese betont antidogmatische, antiliturgische und antihierarchische Sekte war dem Papst gründlich verhaßt, der oft genug seine ungarischen Kettenhunde auf die Bosnier hetzte. Diese kamen bald zu der Überzeugung, daß die Osmanen, die seit dem späten 14. Jahrhundert langsam auf dem Balkan vorrückten, nicht schlimmer als die christlichen „Brüder“ sein könnten. Als Bosnien 1463 in osmanische Hände fiel, traten die Bosnier massenhaft und ohne Zwang zum Islam über.

Kopftuch tragen, Schweinefleisch essen, Schnaps trinken – alles Privatsache

Bis Ende des 19. Jahrhunderts bezeichneten sich die bosnischen Muslime selber als „Turci“ (Türken), so auf den Ursprung ihrer Konfession verweisend. Das Osmanische Imperium stand im 15. Jahrhundert im Zenit seiner Macht und gab sich Neubekehrten gegenüber höchst liberal. Der ohnehin nie sehr „strenge“ türkische Islam wurde, als er nach Bosnien kam, noch „softer“. Daraus resultiert ein immer noch anhaltendes „bosnisches Paradoxon“: Der bosnische Islam ist stock-konservativ, um die dogmatische Liberalität der Zeit bosnischer Konversion ein für allemal zu bewahren. Was immer seit 500 Jahren im Islam passierte, wird von bosnischen Muslimen ignoriert – Kopftuch tragen, Schnaps trinken, Schweinefleisch essen etc. sind für sie weder Gebote noch Verbote, sondern reine Privatsache.

Wer heute etwa durch Mostar, einstige „Perle des Balkans“, spaziert, findet als Folge des jüngsten Bürgerkriegs 1992-1995 zahlreiche Friedhöfe. Diese sind unschwer als muslimische Grabstätten zu erkennen – wären da nicht die Bilder der Verstorbenen auf den Grabsteinen, die nach islamischem Bilderverbot zwar undenkbar, als von Orthodoxen übernommene Sitte der Totenehrung in Bosnien aber üblich sind. Bereits 1834 hat der deutsche Historiker Leopold von Ranke diese eigentümliche Glaubenstoleranz in Bosnien mit amüsierter Zustimmung beschrieben: „Sie sind sehr eifrige Muhamedaner, in die schärfste Behauptung des Dogmas, wie sie es verstehen, setzen sie ihren Stolz. Sie wollen Türken heißen, dabei erinnern auch sie sich gar wohl, welchen Heiligen ihre Vorfahren zum Hauspatron gehabt haben, es ist, als könnten sie sich noch immer nicht so ganz von dem altgewohnten Glauben losreißen“.

Wer redete in Bosnien von losreißen? Dafür bestand keine Notwendigkeit, solange man – wie oben angeführt – mit allen Religionen koexistieren konnte. Ranke hat die schönsten Beobachtungen mitgeteilt, wie das mit Christentum und Islam in Bosnien war: Die einen wallfahrteten nach Mekka, die anderen nach Jerusalem, und alle nannten ihre Reisen „Hadsh“. Die einen beteten vor der „Kaaba“, die anderen vor der „Tjaba“, dem Grab Christi. Und wenn sie nach der Wallfahrt wieder daheim waren, gaben sich die einen wie die anderen den stolzen Titel „Hadshi“.

Einige Jahrzehnte nach Ranke hat der Maler W. Leo Arndt unter seinen zahlreichen Bildern vom Balkan auch einen bosnischen Franziskaner gemalt – in Soutane und mit einem Fez als Kopfbedeckung. Das Bild hat symbolischen Charakter für Religionen in Bosnien. Und es erklärt, warum gerade die gut katholischen Franziskaner seit dem 13. Jahrhundert ununterbrochen in Bosnien ansässig sind.

Bosnier, Türken, Österreicher

Alija Izetbegovic  
Alija Izetbegovic  

Die osmanische Theokratie war auf dem Balkan ganz anders, als sie gemeinhin beschrieben wird: Sie war nicht blutig und nicht despotisch, anderenfalls hätte sie sich nicht 500 Jahre gehalten. Ihr Herrschaftsstil war erträglich: Wenn sie regionale Zentren besetzt und christliche Männer zur Steuerzahlung verpflichtet hatte, konnte der Rest bleiben wie gehabt. Zwangs-Islamisierungen kamen höchst selten und nur in strategisch wichtigen Kleinregionen vor, und osmanische Bräuche wie „devsirme“ (Knabenlese) waren keine Repression gegen Christen, sondern die den Christen geneidete Rekrutierung für Elitetruppen (wie die „Janitscharen“). Wer Christ sein wollte, durfte es stets sein, wie bereits um 1470 ein „ferman“ des Sultans zusicherte.

Das berühmteste Beispiel dafür war Mehmed-pascha Sokolovic (um 1505 – 1579), ein Serbe aus der Hercegovina, der es unter Sultan Sulejman dem Prächtigen zum Flottenchef, Heerführer, Vize-König in Rumelien (europäische Reichsteile) und Groß-Wesir brachte. Natürlich war Sokolovic Muslim, aber dem Glauben seiner Väter hatte er sich nicht völlig entfremdet. 1557 sorgte er für die Erneuerung des orthodoxen Patriarchats in Pec (Kosovo), 1571 ließ er in vielen Bogen die große Brücke über die Drina bei Vischegrad schlagen, die später die zentrale Rolle in Ivo Andrics historischem Roman „Na Drini cuprija“ (Die Brücke über die Drina) spielte.

Diese relative Idylle änderte sich erst, als das Imperium in die Agonie geriet, also ab dem späten 18. Jahrhundert. Bis dahin hatte die christliche „Raja“ wenig auszustehen, zudem waltete in Bosnien eine spezifische Rücksichtsnahme auf die Multiethnizität im westlichsten Reichsteil. Beispielsweise förderten die Osmanen nachhaltig die „Bosancica“, eine gewissermaßen „arabisch“ stilisierte Varietät des kyrillischen Alphabets, die zu einer Vereinheitlichung bosnischer Schriftkonventionen führte und bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts in Gebrauch war. Im frühen 16. Jahrhundert richtete das Habsburger Imperium seine „Militärgrenze“ ein, ein Cordon sanitair, der von der Adria bis zum Karpatenbogen führte. Im Gegenzug schufen die Osmanen ihr Grenzsystem der „Kapetanija“, in deren westlichem Geltungsbereich, in Bosnien, noch größere Freiheiten als im Landesinneren bestanden.

1878 übergab der Berliner Kongreß Bosnien den Habsburgern „zur Verwaltung“, die diese jahrzehntelang beispielhaft ausübten. Ihr weiser Bosnienverwalter, Finanzminister Benjamin Kallay (1839-1903), tat buchstäblich alles, was die Bosnier gegen den aggressiven Nationalismus von Kroaten und Serben „immunisieren“ konnte, und das gelang ihm, weil er bosnische Sitten, Hierarchien, Konfessionen, Institutionen etc. unangetastet ließ. Vieles von dem, was heute in Sarajevo als typisch „bosnisch“ deklariert wird (Nation, Sprache usw.), ist im Grunde nur bei Kallay abgeschrieben.

Mit diesem ihrem Bosnien haben die bosnischen Muslime jahrhundertelang regelrecht „angegeben“, wie ein wahrhaft unikales Buch beweist, das der Historiker Vladimir Corovic (1885-1941) 1912 herausgegeben hatte: Aus 880 Bänden des im „Bosnisch-Hercegovinischen Landesmuseums“ gesammelten „bosnisch-türkischen Schrifttums“ gab er Kostproben zum besten – in „serbokroatischer Sprache“, „türkisch-arabischer Schrift“, unter deutschem Titel und mit deutschem Kommentar! Die Gedichte sind wunderbar, besonders die „Einladung zum Glauben“ aus dem frühen 17. Jahrhundert: „Wir sind nicht eure Feinde/ denn ein Gott schuf uns alle,/ seid diesem Gott gehorsam/ und kommt zu unserm Glauben./ Wir Türken leben ehrenhaft/ wie aller Welt bekannt ist/ bei uns ist niemand arbeitslos/ kommt zu unserm Glauben“ und so weiter, abgezählte 100 Zeilen lang.

Bosnische Muslime in Jugoslawien

  Tudjmans Entwurf einer Teilung Bosniens 1995
  Tudjmans Entwurf einer Teilung Bosniens 1995

Die Habsburger haben Bosnien, das corpus separatum ihres Reichs, geliebt, wovon zahllose Publikationen zeugen. Die Bosnier waren loyale Untertanen der Apostolischen Majestät in Wien, und wenn im Ersten Weltkrieg der Ruf „Die Bosnier kommen“ erscholl, dann war bei Freund und Feind höchster Respekt angesagt. Nach dem Krieg fügten sie sich ebenso loyal und unauffällig in das neue „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ (SHS) ein, das sich 1929 in „Jugoslawien“ umbenannte. Und im Zweiten Weltkrieg waren sie Titos beste Partisanen von legendärer Tapferkeit.

Danach stiftete ihr berühmter inat (Trotz) einige Verwirrung, denn wie sie selber sagen: Bosanci su tvrde glave (Bosnier sind Hartköpfe). Erst wollte Belgrad ihnen keine eigene Republik geben, die sie sich im Sommer 1946 mit wochenlangem Krach dennoch ertrotzten, dann wollte die jugoslawische Bürokratie keine „Muslime“ als Nation anerkennen. In den frühen 1960-er Jahren gab sie nach, und fortan gab es „Muslime“ und „muslime“, als Volk und als Konfession – etwas verwirrend, aber doch praktikabel.

Der „blockfreie“ Tito legte zwar Wert auf beste Beziehungen zur islamischen Welt, konnte aber nicht verhindern, daß daheim eine antiislamische Stimmung aufkam – provoziert unter anderem durch die historischen Romane von Vuk Draskovic, dem heutigen serbischen Außenminister. Eines der ersten Opfer war der Bosnier Alija Izetbegovic (1925-2003), der spätere Staatspräsident der Republik Bosnien, nebenstehend auf einer kroatischen Karikatur von 1992 abgebildet.  1946 hatte er sich bei den (illegalen) „Jungen Muslimen“ engagiert, was ihm drei Jahre Haft einbrachte. Danach studierte er Jura und schrieb um 1980 die „Islamische Deklaration“, eine überaus schlichte Sammlung von Koran-Zitaten, verbunden durch ein paar Zeilen politischen Kommentars. Dabei kam er zu einem bemerkenswerten Schluß: „Eine islamische Ordnung kann man nur in Ländern errichten, in denen Muslime die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Ohne diese Mehrheit verfällt die islamische Ordnung zu purem Machterhalt und kann sich in Gewaltherrschaft verwandeln“. Das war ein indirektes Kompliment an Jugoslawien, das als untauglich für islamische Ordnung hingestellt wurde. Dennoch wurde Izetbegovic wegen der „Deklaration“ erneut zu 14 Jahren Haft verurteilt, von denen er nur knapp sechs „absaß“.

Ein bosnisches Wirtschaftswunder in den siebziger Jahren

Bosnien war das Schmuckstück in Titos Reich: Bodenschätze, gute Infrastruktur, eine seit Jahrhunderten etablierte Industriekultur, eine junge und gut ausgebildete Bevölkerung und die Tradition, Führungspositionen nach Fähigkeiten zu vergeben - was das Gegenteil der geschwätzig-ineffektiven „Selbstverwaltung“ war. Das alles und mehr bewirkte eingangs der 1970-er Jahre ein „bosnisches Wirtschaftswunder“: Als anderswo Inflation und Arbeitslosigkeit bereits spürbar waren, erwirtschaftete allein Bosnien im Außenhandel mit Deutschland einen Überschuß.

Bosnien hatte aber auch hartnäckige Feinde unter den benachbarten Nationalisten, denen seine Natur als „Jugoslawien im Kleinen“ ein Dorn im Auge war. Im Frühjahr 1991 trafen sich die beiden Präsidenten-Kriegsverbrecher von Kroatien und Serbien, Tudjman und Milosevic, und verabredeten eine Aufteilung Bosniens unter ihren Ländern. Als die Muslime das nicht akzeptierten, kam es zum Krieg, für den allein Tudjman dreieinhalb Jahre lang eine Million Dollar pro Tag ausgab. Genützt hat es ihm nichts, was er jedoch nie akzeptierte: Noch im Mai 1995 zeichnete er bei einem Londoner Bankett auf der Speisekarte auf, wie eine Aufteilung Bosnien auszusehen habe. Sein Gesprächspartner war Paddy Ashdown, der diese Zeichnung später veröffentlichte. Noch später wurde Ashdown Hoher UN-Repräsentant in Bosnien, wo er viel verkündete, wenig tat und nichts erreichte, so daß die Bosnier seinen Abgang Anfang 2006 aufatmend begrüßten.

Krieg der Kulturen – Krieg der Unkulturen

Antiislamistisches Titelblatt „Slobodna Bosna“  
Antiislamistisches Titelblatt „Slobodna Bosna“  

Samuel Huntington hat in seinem Werk „Clash of Cicivilizations“ den jüngsten Bürgerkrieg in Bosnien als exemplarischen „Krieg der Kulturen“ behandelt, „ungeheuere Summen zum Ausbau der militärischen Stärke Bosniens“ von arabischer Seite ausgemacht und im Endergebnis eine „Islamisierung der bosnischen Gesellschaft und die Identifikation der bosnischen Muslime mit der weltweiten islamischen Gemeinschaft“ konstatiert. Von all dem trifft buchstäblich nichts zu, was auch erklärt, warum es nie eine bosnische Auseinandersetzung mit Huntingtons Thesen gegeben hat. Bis 2003 existierten ein paar Krawall-Gruppen wie die „Aktive Islamische Jugend“, auch sollte der bei dem Londoner Anschlag letzten Sommer verwendete Sprengstoff aus Bosnien stammen. Letzteres ist nicht bewiesen, alles andere inzwischen fast völlig abgeflaut und kann auch durch keinen „Karikaturenstreit“ wiederbelebt werden. Für den obersten bosnischen Muslimführer Mustafa Ceric sind gewalttätige Demonstrationen nur Anlaß, in der Welt „Islamphobie“ zu provozieren. Die stets direkte „Slobodna Bosna“ qualifizierte sie gar als „Krieg der Unkulturen“ ab – auf dem Titelblatt.

Das alles ist inzwischen fast völlig abgeflaut und kann auch durch keinen „Karikaturenstreit“ wiederbelebt werden. Zwar hat es im Februar in Sarajevo die erwähnten Proteste vor skandinavischen Botschaften gegeben – eher lustlose Pflichtübungen, die zudem nicht die Billigung des obersten Muslimführers Mustafa Ceric hatten. Für den sind gewalttätige Demonstrationen nur Anlaß, in der Welt „Islamphobie“ zu provozieren. „Slobodna Bosna“, die Wochenzeitung aus Sarajevo, qualifizierte sie gar als „Krieg der Unkulturen“ ab – auf dem Titelblatt. Mag man anderswo in der islamischen Welt dänische Fahnen verbrennen und dänische Waren boykottieren – die in Dänemark lebenden bosnischen Muslime betrachten sich als die eigentlichen Opfer des Karikaturenstreits und fürchten um ihre Zukunft in diesem skandinavischen Land. 

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