Bosniens Weg nach Europa führt über MinenfelderBALKAN

Bosniens Weg nach Europa führt über Minenfelder

Bosniens Weg nach Europa führt über Minenfelder

Die Republik Bosnien-Herzegowina weist die sechsthöchste Minenverseuchung der Welt auf. Bis 2009 soll das Land „minensicher“ gemacht sein. Für einen entsprechenden „Operativplan“ sind jährlich rund 20 Millionen Euro vorgesehen.

Von Wolf Oschlies

L aut UN-Schätzungen sind gegenwärtig in rund 90 Ländern der Welt 100 Millionen Minen ausgelegt. Sie fachgerecht zu beseitigen, würde etwa 1.100 Jahre dauern. Neben den bereits ausgelegten Minen warten in Depots weitere 110 Millionen auf ihren „Einsatz“ und Jahr für Jahr werden 10 Millionen zusätzlich produziert, aber nur 100.000 entsorgt. Alle 20 Minuten passiert irgendwo in der Welt ein Minen-Unglück.

Was Minen sind und anrichten, können Europäer im eigenen Haus studieren: Die international anerkannte Republik Bosnien-Herzegowina war noch im Dezember 2005 weltweit das Land mit der sechsthöchsten Minenverseuchung und der höchsten in Europa. Wie konnte das geschehen? Am 5. April 1992 proklamierte Bosnien-Herzegowina, die jugoslawische Teilrepublik mit 51.129 Quadratkilometer Fläche und damals ca. 4,4 Millionen Einwohner, seine Unabhängigkeit.  Kurz darauf brach im Lande ein Krieg aus, losgetreten von den bosnischen Serben (35 Prozent der Bevölkerung) und unterstützt von Belgrad.

Im Juni 1992 griff auch Kroatien mit seiner Armee in den Krieg ein, an dem schließlich sechs Parteien mit enormen Truppenaufgeboten beteiligt waren: Jugoslawische Armee (JNA, 171.000), Kroatische Armee (HV, 100.500), Armee Bosnien-Herzegowinas (ABiH, 188.000 Mann), Truppen der (in Kroatien proklamierten) Serbischen Republik Krajina (RSK, 34.400), Truppen der (in Bosnien proklamierten) Republika Srpska (RS, 96.000) und Kroatischer Verteidigungsrat der (in Bosnien proklamierten) Kroatischen Republik Herceg-Bosna (HRHB, 34.300). Für die Kriegsführung wendeten alle Beteiligten jährlich 13,4 Milliarden US-Dollar auf.

Üble Hinterlassenschaft des Krieges: eine Million Minen und zwei Millionen Blindgänger in Bosnien-Hercegovina
Üble Hinterlassenschaft des Krieges: eine Million Minen und zwei Millionen Blindgänger in Bosnien-Hercegovina

Das Land trägt schwer an der Hinterlassenschaft des Krieges

Der Krieg dauerte rund dreieinhalb Jahre. Am 21. November 1995 wurde er durch das Friedensabkommen von Dayton beendet. Es gab keinen „Sieger“ und die allseitigen Verluste überstiegen jede Prognose: 278.000 Tote, davon knapp 120.000 bei den kämpfenden Truppen, mindestens 2,7 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge, dazu ungezählte zerstörte Bauwerke etc.

Die unverkennbar schwerste Kriegsfolge sind die Minen, die während des Kriegs im ganzen Land verlegt wurden. Durch sie kamen im Verlauf der Kampfhandlungen 3.346 Menschen zu Schaden. Von 1996 bis Ende 2005 waren weitere 1.532 Minenopfer zu bekla­gen, davon 434 tödliche. Allge­mein geht man in Bosnien von 10.000 lokalisierten Minen­feldern aus, weiß aber, daß diese Zahl zu niedrig angesetzt ist. Nach Dayton bekam die internationale Schutztruppe SFOR von den ehemaligen kriegsführenden Parteien genaue Angaben über 18.600 Minenfelder, allerdings bezogen sich die nur auf „60 Prozent der Regionen, in denen Minenfelder vermutet werden“.

Im Juni 1996 etablierten die Vereinten Nationen auf Bitten der Regierung in Sarajevo das United Nations Mine Action Center (UNMAC), nach dessen Muster 1998 Zentren in den Entitäten entstanden (FMAC, RSMAC), die im Februar 2002 per Gesetz zum ganzstaatlichen BHMAC (www.bhmac.org/main_eng.htm) vereint wurden. Dieses wird von den beiden Entitäten finanziert „samt finanzieller, fachlicher und technischer Hilfe von UNDP“ (wie BHMAC auf seiner Netzseite schreibt). Bis zum 30. April 2002 hatte BHMAC 18.228 Minenfelder ausgewiesen, glaubt aber, „daß die Gesamtzahl bei 30.000 liegen könnte“. Gleichfalls hat die Organisation Karten veröffentlicht, aus denen ersichtlich ist, daß die meisten Minenfelder in der Föderation liegen (13.538), davon wiederum die meisten in Zentralbosnien (5.819). Das hat eine gewisse Logik, denn in den Flußtälern der Bosna und der Neretva (und um diese herum) war das Dutzend großer Rüstungsbetriebe disloziert, die den ganzen Krieg über für die bosnische Armee arbeiteten. Allein um das „Pobeda“-Werk in Gorashde, Europas größte Fabrik für Explosionsstoffe, wurden mehrere große Schlachten geschlagen.

In Bosnien liegen noch rund eine Million Minen und zwei Millionen Blindgänger

BHMAC hat in seinen Reports auch das quantitative Problem in seiner ganzen Schwere benannt: Im Lande liegen noch rund eine Million Minen und etwa zwei Millionen „nicht explodierte Blindgänger“ (bosnisch NUS, international UXO), deren Lagerstätten zumeist noch nicht ausgewiesen sind, die aber mindestens so gefährlich wie Minen sind. Die meisten Minen sind Anti-Personenminen verschiedener Typen, die flach in der Erde vergraben sind und bei einer Belastung von mindestens fünf Kilogramm explodieren. Von den nichtexplodierten Sprengkörpern sind zahllose Handgranaten (mit einer Reichweite von 40 bis 200 Meter) und Minenwerfergranaten am gefährlichsten, da sie bei der geringsten Berührung „hochgehen“ können.

Gegenwärtig sind etwa 70 Quadratkilometer des bosnischen Territoriums komplett „gesäubert“, wobei rund 3.800 Minenfelder entdeckt wurden. Hinzu kommen weitere 2.089 Quadratkilometer „zweifelhaften Gebiets“, wo man die Verhältnisse kaum kennt, und 1.366 „bedrohte Kommunen“, in denen insgesamt 1.375.807 Menschen, ein Viertel der Gesamtbevölkerung, mehr oder minder riskant leben: 154 von 100.000 Bewohnern unter „hohem Risiko“, 696 von 594.000 Einwohner unter „mittlerem“ und 516 von 681.477 Einwohnern mit „niedrigem Risiko“.

Bosnien „minenfrei“ zu machen, wird noch „Jahrzehnte“ in Anspruch nehmen. Momentan sind in Bosnien laut BHMAC 29 Organisationen für Minenräumung akkreditiert: fünf von der Regierung (Streitkräfte, Zivilverteidi­gung, Teams mit Suchhunden), elf Nichtregierungsorganisationen und 13 (lokale und internationale) gewerb­liche. Gegen Minen gibt es nur ein Mittel, immer auf festen Wegen zu bleiben, zu ihrer Beseitigung im Grund auch nur eins, nämlich sie aufzuspüren und zu vernichten. Die Herstellung einer Mine kostet drei bis sieben Dollar, ihre Unschädlichmachung 1.000 bis 3.000 Dollar pro Stück, denn das Verfahren ist aufwendig: Das Terrain muß sondiert, von Vegetation befreit, zur Sprengung vorbereitet und nach ihr gesäubert werden etc. So hat es am 26. Juli 1999 erstmals ein sechsköpfiges Entminungsteam gehandhabt und momentan sind über 2.600 Mann damit beschäftigt. Ihre gefährliche Arbeit hat bereits Opfer gefordert. Zwischen 1996 und Ende 2005 verzeichneten die „Demineure“ 115 Unglücksfälle, darunter 40 mit tödlichem Ausgang.

Seit Frühjahr 2005 verstärken sich bosnische Bemühungen, das Land bis 2009 „minensicher“ zu machen. Details hat Anfang Februar 2006 im bosnischen Seebad Neum eine Konferenz balkanischer Experten auf der Grundlage eines bosnischen „Operativplans“ besprochen. Mit einem Finanzaufwand von rund 20 Millionen Euro pro Jahr sollen die technischen, personellen, informativen etc. Möglichkeiten geschaffen werden, die von Minen geräumten Regionen nach Kräften auszuweiten und alle Menschen in Bosnien, besonders die Kinder, über Gefahren und Risiken von Minen aufzuklären. Den Löwenanteil der benötigten Finanzen wird die internationale Gemeinschaft tragen, wozu EU, USA und andere bereits ihre Zustimmung gegeben haben. Schließlich wissen sie, wie groß das Minenhindernis für die Rückkehr von Flüchtlingen, für Wirtschaftswachstum und für die gesamte zivile Befriedung Bosniens ist.

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